Abschnitt 2

Zwischen Spreewald und Wendischer Spree


Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow


2. Am Schermützel


»Gewiß.«

Und so stieg ich denn ins Boot und setzte mich so, daß ich dem Jungen, der rückwärts saß, grad in die Augen sah. Als wir schon abstießen, kam auch noch seine jüngere Schwester, nahm rasch ein zweites Ruder und setzte sich neben ihn. Ich sah bald, daß der Junge seiner Sache vollkommen sicher war und den Schermützel ohne sonderliche Mühe bezwingen würde, trotzdem uns der Wind entgegenwehte.

Dieser, anstatt stärker zu werden, wurde schwächer, aber je mehr er sich legte, desto blendender wurde die Sonne, so daß ich im Sonnenlicht, das überallhin flimmerte, bald nichts weiter sah als das Eingreifen der Ruder und die klugen und energischen Köpfe der beiden Kinder. Es entging ihnen auch nicht, daß sie mir gefielen, aber ich sagte nichts, und wir waren schon bis über die Mitte des Sees, als ich endlich fragte:

»Wie tief ist denn eigentlich euer See?«

»Na, wie uns' Huus.«

»Oh, mihr, mihr«, flüsterte die Schwester.

»Und könnt ihr denn auch schwimmen? Oder du wenigstens?«

»Nei.«

»Ja, da kannst du ja mal ertrinken.«

»Oh, ick wihr doch nich.«

»Nu nimm mal an, wenn euer Boot umkippt.«

»Uns' Boot kippt nich.«

Und dabei sahen sie sich an und kicherten und ruderten weiter.

Eine Weile verging so, während der Junge nachzusinnen schien, was nun er wohl zur Unterhaltung beisteuern könne. Dann sah er mit eins in die Höh und sagte: »Dat 's 'ne Möw.«

»Freilich. Ich kenne Möwen. Aber woher kennst du sie? Sie sind ja nur selten hier.«

»Wi hebben een.«

»Lebendig?«

»Ne, utstoppt. Und wi hebben ook en Reiger, un is ook utstoppt un hat 'ne Schlang in 't Muul.«

»Aber Vögel ausstopfen ist nicht leicht. Wer macht denn das hier?«

»Mien' Vader sien Vader. De künn all so wat.«

»Ist er tot?«

Er nickte. Da wir aber bereits in der Nähe des dichten Schilfufers waren, an dem er den Einfahrtspunkt nicht verfehlen durfte, so schwieg er jetzt und sah bei jedem Ruderschlage nach rückwärts. Und nun war er heran, gab dem Boote geschickt eine Wendung und glitt zwischen dem knisternden Schilf hin auf die Pieskower Landungsstelle zu.

Das Ufer war nicht hoch und erkletterte sich leicht. Als ich oben war, grüßt ich noch einmal zurück und schlenderte dann zwischen zwei Heckzäunen hin auf einen Grasplatz zu, der allem Anscheine nach die Mitte des Dorfes bildete. Häuser und Gehöfte faßten ihn ein, unter denen ich gerade der Kirche gegenüber auch ein preußisches Schulhaus in seiner eigentümlichen Mischung von Backsteinsauberkeit und Stiljammer erkannte. Die Nachmittagssonne stand prall auf die Scheiben und sah stechend und inspektionsmäßig in die langweilig leeren Räume hinein.

Es kam niemand, als ich klopfte. »Wohnt hier der Lehrer?« fragt ich endlich eine vorhergehende Frau. »Geihen S' man in 'n Goarden.« Und richtig, da stand er in Front eines Bienenschobers und grub ein von ein paar kleinen Kirschbäumen eingefaßtes Stück Land um.

Ich fand einen freundlichen Mann, der auch gleich bereit war, mir das zu zeigen, um was sich's einzig und allein für mich handeln konnte: die Kirche. Diese war keine von den altehrwürdigen aus Feldstein, die stets einen Reiz und eine Schönheit haben, sondern ein Neubau, den man hier unter Benutzung der alten Fundamente vor länger oder kürzer errichtet hatte. Von rechts her lehnte sich ein Turm an, eigentlich nur ein Türmchen von der Art, wie man ihnen auf Weinbergen und Wirtschaftshöfen als Eingang in Sprit- oder Eiskeller begegnet.

Es war also mit nur geringen Erwartungen, daß ich die Kirche betrat. Aber freilich auch dies Wenige sollte kaum erfüllt werden. An der einen Wand hingen ein paar Totenkronen und Immortellenkränze, während über dem Altar ein Abendmahlsbild paradierte, darauf Judas um kein Haarbreit schlimmer aussah als die zwölf andern, Christus mit eingerechnet. Ich übersah rasch, daß hier wenig zu machen sei, wollt aber das Meine getan haben und sagte: »Sie wissen doch, daß es früher eine Löschebrandsche Kirche war und daß viele Löschebrands hier begraben wurden?«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 4. Teil