Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Freienwalde


4. Der Gesundbrunnen


Unter der Regierung seines Nachfolgers, König Friedrichs I., hielt sich Freienwalde im wesentlichen auf der Höhe seines Ansehens. Die Heilkraft des Brunnens stand noch in so gutem Rufe, daß das Wasser desselben behufs mineralischer Bäder für den König nach Altlandsberg und Niederschönhausen gebracht wurde. 1704 und die zwei folgenden Jahre kam er selbst und bezog 1706 das »Schloß am Brunnen«, das schon in dem vorhergehenden Jahre (1705) von dem berühmten Andreas Schlüter für ihn aufgeführt worden war. Dieses Schloß, wennschon ein bloßer Holzbau, war ein prächtiges, zwei Stock hohes Gebäude, dessen oberster Stock aus vierundsechzig Säulen bestand, auf denen alsdann das Dach ruhte. Eine Schilderung, die ziemlich phantastisch klingt, mit der es aber doch seine Richtigkeit hat. Bekmann, in seiner »Beschreibung der Kurmark Brandenburg«, gibt, Teil I, Seite 595, eine sehr hübsche Abbildung dieses Sommerschlosses, das mit seiner Fülle leichter, graziöser Säulen von äußerst malerischer Wirkung gewesen sein muß. Im obersten Stock war ein Speisesaal. Dies Schlütersche Bauwerk hatte nicht langen Bestand. Regengüsse unterwühlten es schon 1707, so daß der König es rasch verlassen und seine Rückkehr beschleunigen mußte. 1) 1722 ward es unbewohnbar gefunden und abgebrochen.

Schon während der letzten Regierungsjahre des ersten Königs hatte das Bad an Ansehen verloren; unter seinem Nachfolger, dem »Soldatenkönig«, sank es mehr und mehr. Ein glückliches Ohngefähr aber wollt es, daß im Jahre 1733 einige von den allerlängsten Potsdamer Grenadieren ihre Gesundheit daselbst wiederfanden, und von diesem Augenblick an war das Bad zu Freienwalde dem Könige bestens empfohlen. Ein neuer Flügel, der altkönigliche, wurde gebaut, die Quellen erhielten eine neue Fassung, und über der bedeutendsten derselben ward ein auf acht Säulen ruhendes, natürlich hölzernes Brunnenhaus errichtet das den stolzen Namen »Tempel« führte. Seine Inschrift aber lautete:

Steh stille, Wanderer, betrachte diese Quellen,
Sie helfen wunderbar in vielen Krankheitsfällen.
Eh du von dannen gehst, gedenk an deine Pflicht,
Sei dankbar gegen Gott, vergiß der Armen nicht.
Hast du dies Haus und Bad bewundernd angeschaut
Und fragst, warum es denn nach Tempelart gebaut –
So wisse, Gott ist ja der Segensquell allein,
Darum muß unser Herz auch hier sein Tempel sein.

Wie der unbekannte Verfasser diese letzte Zeile hat aufrechthalten wollen, ist schwer einzusehen. Je mehr das Herz ein Tempel, desto weniger nötig wurde dieser Holzbau. Gleichviel indes. Alles ist längst hinüber, die Inschrift mit, und ihre Alexandriner geben keine Rätsel mehr auf.

Auch Friedrich II. fügte ein neues Brunnenhaus, das neukönigliche, den schon vorhandenen Gebäuden hinzu und gab dadurch dem Brunnental, wenn wir von einzelnen feineren Zügen absehen, den Charakter, den es noch jetzt besitzt. Eine besondere Teilnahme scheint der große König dem Bade nicht geschenkt zu haben. An Schönheit der Natur bot ihm die Umgegend Potsdams kaum Geringeres, und was die Heilkraft des Brunnens angeht, so war es verzeihlich, wenn er den Skeptizismus, der ihn auf allen Gebieten auszeichnete, auch auf den »flüchtigen Schwefel- und Brunnengeist«, den »spiritus sulphuris volatilis«, der Freienwalder Heilquelle übertrug. Es war übrigens die Zeit gekommen, wo Private das Bad in ihre schützende Obhut nahmen, besonders Herr Wegely aus Berlin, der unter mannigfach anderem auch Freibäder für die Armen stiftete und deshalb ebenfalls in einer Inschrift verherrlicht wurde. Der Schluß derselben:

Was für die Armen hier Herr Wegely getan,
Zeigt dieses Brunnenhaus der fernsten Nachwelt an,

erhebt einen Anspruch, dem sich das Brunnenhaus seit längerer Zeit nicht mehr zu unterziehen vermag, da es wie der »Tempel« inzwischen vom Schauplatz abgetreten ist.

An die Stelle dieser Werke der Architektur ist inzwischen aber, und zwar als Brunnenhüterin, ein Werk der Skulptur getreten: eine Najade mit einem Ruderstück in der Rechten, die lässig hingestreckt über dem Heilquell ruht, während aus der Urne neben ihr ein Wasserstrahl niederfließt. Soweit alles gut. Aber eine sonderbare Ökonomie hat darauf gedrungen, daß das Wasser nicht frei in ein Bassin oder eine Rinne strömt, sondern in ein untergestelltes Gefäß, das zwischen Blumenvase und Topf nur notdürftig die Mitte hält. Der Effekt ist überaus komisch, und man begreift den pausbackigen Amorin durchaus, der, über die Brust der Najade hinweg, lächelnd in den Topf und auf das fließende Wasser blickt. Das Ganze vielleicht ein Unikum heiterer Naivetät und während es, in Form und Gegenstand, die Antike zu kopieren meint, erinnert es doch, dem Geiste nach, der es schuf, an den Humor des Mittelalters, am meisten vielleicht an die bekannte kleine Brunnenfigur in Brüssel.

Der Reiz aller dieser Werke der Skulptur und Architektur ist nicht groß, und wenn es doch einen Zauber hat, in dieses Brunnental einzukehren, so muß es ein anderes sein, was uns an dieser Stelle erquickt und labt. Und ich glaube zu wissen, was es ist. Es ist das Gefühl eines vollen Geschützt- und Geborgenseins, die Stille dieses Tales, vor allem seine Herbstesstille.

Gewiß, daß es hier auch schön ist, wenn die Saison auf ihrer Höhe steht, die Brunnenmusik ihre Märsche spielt, die Toiletten rauschen und die jungen Paare kichern – aber die schönste Zeit bleibt doch immer die, wo der Herbst hier einzieht, wo die letzte Sommerrose hinüber ist und selbst die Malve hinblaßt, um der Aster das Feld zu räumen.

Und ein solcher Herbstestag ist heute. Hoch in der Luft, über die Berge hin, zieht der Wind, und mitunter ist es, als kläng er bis ins Tal hernieder. Aber wir hören nur den Streit hoch oben, die Luft unten steht unbewegt. Die Vögel singen nicht mehr oder sind schon fort, nur noch das Sonnenlicht hüpft in den Zweigen. Die Tannenäpfel fallen nieder auf den Kiesweg des Parks, aber nicht losgelöst von der Schüttelhand des Windes, nur losgelöst von Alter und eigner Schwere. Die Quellen rauschen, die Sommerfäden ziehen, Bilder kommen und gehen. Dem Ohre klingt es wie leise Musik.

Von wannen kommt sie? Ist es die Luft, die klingt, oder ist es das eigene Herz?




1) Ist dieser Bericht zuverlässig, und es liegt kein Grund vor, dies zu bezweifeln, so wirft der hier erzählte Vorgang ein interessantes und mancherlei erklärendes Licht auf die beinahe gleichzeitigen Vorkommnisse in Berlin. 1706 stürzte am Schloß der von Schlüter erbaute Münzturm ein, und von da ab begann die siegreiche Kabale seiner Gegner. Das Verfahren gegen Schlüter ist immer als hart und ungerecht verurteilt worden. Bringt man nun aber andererseits in Anschlag, daß fast unmittelbar darauf, im Sommer 1707, das Münzturm-»Malheur« sich in Freienwalde wiederholte, so erscheint das harte Verfahren gegen Schlüter um vieles verzeihlicher. Die Kabale bleibt verwerflich, aber der König urteilte nach dem Augenschein. (Neue Arbeiten Professor Adlers haben aus den damaligen Berliner Bauakten ohnehin dargetan, daß Schlüter, bei all seiner Größe und Genialität, doch keineswegs schuldlos war und daß er in allem, was konstruktive Kenntnis angeht, hinter seinem ihm sonst in keiner Weise ebenbürtigen Rivalen Eosander von Göthe zurückblieb.)

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil