Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Freienwalde


3. Das Schloß


1805 starb die Königinwitwe, und das Schloß zu Freienwalde stand auf lange hin leer. Erst in den dreißiger Jahren hören wir wieder von bestimmten Besuchern. Prinzeß Luise Radziwill brachte hier die Sommermonate von 1836 zu; sie sehnte sich nach Stille, nach Ruhe, und sie fand sie hier.

Seit jener Zeit vergingen wohl nur wenige Sommer, wo das Schloß am Schloßgartenberg nicht auf längere oder kürzere Wochen seine Besucher gehabt hätte; aber eine Residenz, der Sitz eines Hofhalts, ist es seit den Tagen der Königinwitwe nicht wieder gewesen.

Wir treten nun an das Schloß selbst heran. Es hat mehr den Charakter eines stattlichen, geschmackvoll aufgeführten Privathauses als den eines Schlosses. Unter Laub und Blumen gelegen, aus denen, überall unterbrochen, die gelben Wände hervorleuchten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch heißt es auch von diesen Mauern: »Sie haben Leides viel gesehn.« Stilles Leid, aber um so tiefer vielleicht, je stiller es getragen wurde.

Von dem Innern des Schlosses gilt dasselbe, was von seiner äußern Erscheinung gilt: geräumige Zimmer sind da, aber weder breite Treppen noch lange Korridore, weder Hallen noch Säle. Ein Bau für eine Königin witwe, die sich selber leben will, nicht für eine Königin, die anderen leben muß. Ausschmückung und Herrichtung erweisen sich als die üblichen; nur statt des etwas nüchternen Stils der Außenseite begegnen wir einzelnen Anklängen an die viel verurteilte und doch so behagliche Rokokozeit. Chinesische Zimmer und Paradiesvogelzimmer wechseln untereinander ab, dazwischen Rosenstrauchtapeten und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerstreut stehen alte Erinnerungsstücke, oft mehr absonderlich als schön und mehr bemerkenswert um der Personen willen, denen sie zugehörten, als um ihrer selbst willen. An solchen eigentümlichen Wertstücken sind die Schlösser der Hohenzollern reich, und wie in manchem andern, so gibt sich auch hierin eine Eigentümlichkeit ihres Hauses zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfnis, sich ausschließlich mit hoher, besternter Kunst zu umgeben, sondern gestatten mit Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe fast, auch dem Niedriggebornen in der Kunst, dem mit schüchterner Hand geschehenen Versuche, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird diese Bemerkung am ehesten verstehn. Es spricht sich beides in dieser Erscheinung aus – ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohenzollern waren nicht immer ästhetisch-feinfühlig, aber sie waren jederzeit human.

Zu diesen Betrachtungen gibt auch Schloß Freienwalde genügende Veranlassung. Da sind komplizierte »Strohnähtische« mit eingeflochtenen Namenszügen, da sind Stühle mit hochzuschraubenden Lehnen, da sind endlich Tische, aus deren Platten sich, durch Druck und Zug, Stehleitern vor dem erstaunten Auge aufrichten. Lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunstsinn erschrickt während ein freundlicher Sinn sie gelten läßt und sich am Streben freut. Aber, gut oder nicht, es sind nicht diese Schöpfungen, bei denen wir zu verweilen hätten. Wir treten lieber aus dem Paradiesvogelzimmer auf den Korridor hinaus und steigen einige Stufen treppab, um nach jenem besten Erinnerungsstück des Hauses zu suchen, das vor siebzig Jahren oder mehr der Jubel eines heiteren Prinzen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da steht sie verstaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die sich unter einem Ballen Flachs und Hede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die heiteren Töne springen nicht mehr elastisch vom Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie langsam durch die Luft und hallen düster und unheimlich von der Kellerwand zurück.

Schloß Freienwalde ist unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit hat es freilich noch seine Gäste, aber Laune und Zufall gefallen sich darin, die sommerliche Villa vor allem zu einem winterlichen Jagdschloß zu machen. Im Dezember, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Aber nur auf Stunden.

Dann, um Mitternacht, mit Peitschenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tief stillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verschneite Schloß. Fackeln und Windlichter werfen ihren Schein auf die aussteigenden Gäste – hohe, heitere Gestalten, die den Schnee von ihren Pelzen schütteln. Sie treten auf wie solche, die hier zu Hause sind. Diener mit Taschen und Jagdgerät, mit Büchsensäcken von rotem Juchtenleder fliegen treppauf, alle Fenster werden hell, hinter den herabgelassenen Rouleaux bewegen sich einzelne Schatten, dann wieder wird es stiller, und nur von Zimmer zu Zimmer knarrt noch der Ton, womit der müde Fuß aus dem Stiefel fährt. Noch ein kurzer Befehl, eine »gute Nacht«, und alle Lichter löschen aus.

Eh der Tag graut, ist das Schloß wieder leer. Nur halbverwehte Schlittengeleise und lange Streifen, die die Spitze der Parforcepeitsche durch den Schnee zog, zeigen noch den Weg, den die Gäste auf ihrer Weiterfahrt genommen.

Und das Schloß liegt stiller da wie zuvor.

Alles, was kam und ging, war wie ein Traum.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil