Abschnitt 3

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Graf und Gräfin La Roche-Aymon


Wir wenden uns nun zum Schlusse der Gräfin zu. Sie war 1815, nach der völligen Niederwerfung Napoleons, ihrem Gatten nach Paris hin gefolgt und hatte daselbst, am Hofe Ludwigs XVIII., Huldigungen entgegengenommen, die fast dazu angetan waren, die Triumphe ihrer Jugend in den Schatten zu stellen. In der Tat, sie war noch immer eine schöne Frau, hatte sie doch das Leben allezeit leichtgenommen und im Gefühl, für die Freude geboren zu sein, der anklopfenden Sorge nie geöffnet. Aber wenn sie auch kein Naturell hatte für Gram und Sorge, so war sie doch empfindlich gegen Kränkungen, und diese blieben nicht aus. Sie war eitel und herrschsüchtig, und so leicht es ihr werden mochte, die leichte Moral der Hauptstadt und ihres eignen Hauses zu tragen, so schwer und unerträglich ward es ihr, die Herrschaft im Hause mit einer Rivalin zu teilen. Das Blatt hatte sich gewandt, und die Schuld der Rheinsberger Tage wurde spät gebüßt. Die Marquise beschloß, Paris aufzugeben; ein Vorwand wurde leicht gefunden (»der Pächter habe das Gut vernachlässigt«), und 1826 zog sie still in das stille Wohnhaus von Köpernitz ein.

Dort hat sie noch dreiunddreißig Jahre gelebt, und alt und jung daselbst weiß von ihr zu erzählen. Sie war eine resolute Frau, klug, umsichtig und tätig, aber auch rechthaberisch, die, weil sie beständig recht haben und herrschen wollte, zuletzt schlecht zu regieren verstand. Es lag ihr mehr daran, daß ihr Wille geschah, als daß das Richtige geschah, und die Schmeichler und Jasager hatten leichtes Spiel auf Kosten derer, die's wohlmeinten. Es eigneten ihr all die Schwächen alter Leute, die die Triumphe ihrer Jugend nicht vergessen können; aber was ihr bis zuletzt die Herzen vieler zugetan machte, war das, daß sie, trotz aller Schwächen und Unleidlichkeiten, im Besitz einer wirklichen Vornehmheit war und verblieb. Sie glaubte an sich.

Ihre Beziehungen zum Rheinsberger Hofe wie zum Prinzen Louis und kaum minder wohl die Huldigungen, die ihr, später noch, am französischen Hofe zuteil geworden waren, gaben ihr vor der Welt ein Ansehen, und Friedrich Wilhelm IV. kam nie nach Ruppin oder Rheinsberg, ohne der Marquise auf Köpernitz seinen Besuch zu machen. Es traf sich, daß sie, bei einem dieser Besuche, ganz wie zu Zeiten der Remus-Insel-Diners, durch ihre Kochkunst glänzen und den König durch eine Trüffel- oder Zervelatwurst überraschen konnte. Friedrich Wilhelm IV. erbat sich denn auch etwas davon für seine Potsdamer Küche (natürlich nicht vergeblich), und zum Weihnachtsabend erschien das königliche Gegengeschenk: ein Kollier, aus goldenen Würstchen bestehend, die Speilerchen von Perlen, und begleitet von einem verbindlichen Schreiben mit dem Motto: »Wurst wider Wurst«. Geschenk und Gegengeschenk wiederholten sich mehrere Male, so daß sich zu dem Kollier ein Armband und zu dem Armband ein Ohrgehänge gesellte; zuletzt erschien eine Tabatière in Form einer kurzen, gedrungenen Blut- und Zungenwurst, äußerst wertvoll, oben und unten mit Rubinen besetzt. Die Freude war groß, aber es war die letzte dieser Art. Aus den Zeitungen ersah die Marquise bald darauf, daß einer der Hofschlächtermeister zu Potsdam, als Gegengeschenk für eine große Fest- oder Jubiläumswurst (und sogar unter Beifügung desselben Mottos: »Wurst wider Wurst«), in gleicher Weise durch eine Tabatière beglückt worden war, und die Sendungen in die königliche Küche hörten von diesem Augenblick an auf.

Ihre letzten Lebensjahre brachten ihr noch einen andern interessanten Besuch. Ein Neffe des verstorbenen Marquis hatte diesen beerbt und nicht zufrieden mit den ihm zugefallenen französischen Gütern, machte derselbe bei dem betreffenden Pariser Gerichtshof auch noch ein Verfahren anhängig, um sich des ehemalig Prinz Heinrichschen Köpernitz', des Gutes seiner alten Tante, zu versichern. Anfänglich erklärten selbst die französischen Gerichte ihr »Nein«, in der zweiten und dritten Instanz aber wurde das »Nein« in ein »Ja« verwandelt, einfach in Berücksichtigung der Tatsache, daß der Neffe des alten legitimistischen Marquis inzwischen ein besonderer Günstling Napoleons III. geworden war. Und wirklich, der Günstling schickte Bevollmächtigte, die Köpernitz für ihn in Besitz nehmen sollten, und als sich dies, aller Vollmachten unerachtet, nicht tun lassen wollte, kam er endlich selbst. Er nahm in Rheinsberg allerbescheidentlichst einen Einspänner, umkreiste das ganze Gut, dessen Ansehn und Ausdehnung ihm wohlgefiel, und fuhr dann schließlich vor dem Wohnhause der alten Tante vor. Diese empfing ihn aufs artigste, mit dem ganzen Aufwande jenes Zeremoniells, worin sie Meister war, als er aber schließlich den eigentlichen Zweck seines Kommens berührte, lachte sie ihn so herzlich aus, daß er sich, nicht ohne Verlegenheit, von der alten »ma tante« verabschiedete. Wurd auch nicht wieder gesehen. Dieser Neffe aber, der im Einspänner von Rheinsberg nach Köpernitz gefahren war, war niemand anders als der frühere Befehlshaber der französischen Armee in Rom – General Goyon.

Die Marquise, und damit schließen wir, war eine stolze, selbstbewußte Frau. Sie repräsentierte die Vornehmheit einer nun zu Grabe getragenen Zeit, eine Vornehmheit, die von der Gesinnung unter Umständen abstrahieren und ihr Wesen in eine meisterhafte Behandlung der Formen setzen konnte. Diese Formen waren bei der Marquise von der gewinnendsten Art, und ihr Auftreten entsprach dem Urteile, das ich einst über sie fällen hörte: »frei, taktvoll und originell zugleich«. Herrschen und ein großes Haus machen waren ihre zwei Leidenschaften. Je mehr Kutschen im Hofe hielten, desto wohler wurd ihr ums Herz, und je mehr Lichter im Hause brannten, desto hellere Funken sprühten ihr Geist und ihre gute Laune. Sparsam sonst und eine Frau, bei der die Rechnungsbücher stimmen mußten, erschrak sie dann vor keinem Opfer, ja der Gedanke berührte sie kaum, daß es ein Opfer sei. Nach Sitte der Zeit, in der sie jung gewesen, sah es um sie her aus wie in einer Arche Noäh, und vom Kakadu an bis herunter zu Kanarienvogel und Eichhörnchen fand sich in ihren Zimmern so ziemlich alles beisammen. Katzen und Hunde waren natürlich ihre Lieblinge und durften sich alles erlauben, ja, eintreffender Besuch pflegte meist in nicht geringe Verlegenheit zu geraten, wo Platz zu nehmen sei, wenn überhaupt. Aber mit dem Erscheinen der alten Marquise war sofort alles vergessen, man achtete der Unordnung nicht mehr, und was bis dahin lästig gewesen war, wurde jetzt charakteristisches Ornament. Ihre Rede riß nicht ab, und wurde Rheinsberg oder gar »der Prinz« zum Gegenstande der Unterhaltung, so vergingen die Stunden wie im Fluge, ihr selbst und andern.

Ihr Tod war wie ihr Leben und hatte denselben Rokokocharakter wie das Sofa, auf dem sie starb, oder die Tabatière, die vor ihr stand. Ihre Lieblingskatze, so heißt es, habe sie in die Lippe gebissen. Daran starb sie (oder doch bald darauf) im neunundachtzigsten Jahre, dem 18. Mai 1859.

Mit ihr wurde die letzte Repräsentantin der Prinz-Heinrich-Zeit zu Grabe getragen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil