Wagner contra Bayreuth – Ein Mahnruf

Autor: Ortony, Alexander, Erscheinungsjahr: 1901
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Bayreuth entfesselt heuer eine viel lebhaftere Diskussion in der Presse als dies gemeinhin der Fall ist. Die Bühnen-Festspiele mit ihren unvermeidlichen Aufregungen und Sensationen geben der Zeitungswelt auch sonst genug Stoff für den mageren Sommer. Heuer aber zeigt sich allenthalben ein Ton besonderer Erregung. Einige Vorfälle der letzteren Zeit scheinen die große Anhängerschaft der Beherrscher Wahnfrieds heuer sehr zu alterieren. Die in Bayreuth so stark erwünschte Erweiterung der Schutzfrist des „Parsifal“ über die gesetzlichen dreißig Jahre hinaus, vom deutschen Reichsrate jedoch mit knapper Majorität verworfen, scheint dort eine ebenso peinliche Aufregung verursacht zu haben, wie die Errichtung eines Wagner-Theaters in München. Da heutzutage auch die einst gegnerischen Press-Organe alle im Dienste der großen Veuve Bayreuth stehen, und es sehr schwer ist, für eine abweichende Meinung Gehör zu schaffen, so sind wir genöthigt, die Form einer Flugschrift zu wählen, um dasjenige zu sagen, was wir allein im Interesse Bayreuths glauben sagen zu müssen.

Bayreuth ist heute schon fast ein „Unternehmen“, wie irgend ein anderes besseres Kunstunternehmen, etwa wie Ober-Ammergau. Es ist sogar die Frage, ob Geist, Wille und Tradition des Begründers in Bayreuth so gewahrt werden, wie in Ober-Ammergau. Wir können es keineswegs als einen Erfolg im Sinne Wagner’s bezeichnen, wenn das Bayreuther Festspielhaus schon viele Monate vor Beginn der Festspiele für alle Vorstellungen an ein „feines, distinguiertes Publikum ausverkauft“ ist, denn es bleibt immer die Frage offen, ob die Mehrzahl der Besucher von Begeisterung oder bloß von der Mode zum Besuche Bayreuths gelockt wird. Charakteristisch bleibt es jedenfalls, dass der überwiegende Theil der Bayreuther Besucherschaft heute aus Ausländern, meist Engländern, Franzosen, Belgiern und Amerikanern besteht, und es ist bekannt und im übrigen auch gar nicht verwunderlich, dass verschiedene Einzelheiten in der Wiedergabe der Wagner’schen Werke mehr für den Gaumen dieses internationalen Publikums, als für den unverdorbenen deutschen Geschmack hergerichtet ist. In dieser kurzen Andeutung, die wohl kein Kenner des heutigen Bayreuth bestreiten dürfte, liegt aber auch schon die Beantwortung der Frage, ob Bayreuth auch heute noch ganz nach dem Sinne des Meisters geleitet wird.

„Ob man demohngeachtet sagen könne, der Franzose verstehe die deutsche Musik vollkommen, ist eine andere Frage, deren Beantwortung zweifelhaft ausfallen muss. Zwar wäre es unmöglich, zu behaupten, der Enthusiasmus, den die meisterhafte Exekution einer Beethoven’schen Symphonie durch das Orchester des Conservatoirs hervorbringt, sei ein affektierter, dennoch würde es genügen, die Ansichten, Begriffe und Imaginationen dieses oder jenes Enthusiasten zu vernehmen, die in ihm die Anhörung einer solchen Symphonie erzeugt, um sogleich zu erkennen, dass der deutsche Genius durchaus noch nicht vollkommen verstanden sei“. So sagt Wagner an einer Stelle.

Wagner hat Bayreuth geschaffen, um damit dem deutschen Volke eine Stätte für mustergemäße Aufführung seiner unsterblichen Werke zu schenken und ein zum großen Teile fremdländisches Auditorium hätte ihm entschieden Missbehagen verursacht. Um eine Stätte deutscher Kunst zu schaffen, hat Wagner zuerst den Patronat-Verein und später den Allgemeinen Richard Wagner-Verein ins Leben gerufen. Nur jenen Deutschen, die seinen Bestrebungen um die Begründung einer deutschen Kunst volles Verständnis entgegen zu bringen vermochten, wollte er ursprünglich das große Werk von Bayreuth gewidmet wissen. Es war ein Unglück, dass Bayreuth 1876 nicht durchdringen konnte. Hätte Wagner damals reussiert, er hätte nie zugegeben, dass das Festspielhaus, statt die Auserlesenen der eigenen Nation aufzunehmen, ein dem innersten Wesen Wagners fremd gegenüberstehendes Mode-Publikum fasse. Allerdings konnte auch der Meister es nicht verhindern, dass dieses ungern gesehene fremde Element sich später massenhaft hinzudrängte, allein was da geboten wurde, so lange noch Wagner selbst die Festspiele leitete, enthielt nie irgendwelche Konzessionen an den Gaumen der ausländischen Feinschmecker und nie hätte sich Wagner auch nur zu dem geringsten, unscheinbarsten Zugeständnis an den Geschmack der unerwünschten Gäste herbeigelassen. Mit seiner ganzen schroffen Energie setzte er stets den deutschen Charakter seiner Kunst allem anderen voran und so hielt er auch nur deutsche Musiker und Sänger für berufen, an der Vollendung seines Werkes mitzuwirken.

Kurz nach Wagner’s Tode schon begannen die kleinen Zugeständnisse an den Geschmack der Nichtdeutschen. Dank dem reichen Fremdenzuflusse war man nicht mehr auf die deutschen Besucher angewiesen und auf die armen schon gar nicht, die bisher oft zu Fuße pilgernd nach der ihnen heiligen Stätte gezogen waren. Die Wagner-Vereine wurden in den Hintergrund gedrängt, auf die von ihnen veranstalteten Extrazüge, die Tausende deutsche Anhänger nach Bayreuth brachten, wurde verzichtet, die Ausgabe von Freibillets an arme Kunstjünger und mittellose Mitglieder der Wagner-Vereine wurde eingeschränkt. Sachte wurde der mit unbeschreiblicher Mühseligkeit geschaffene deutsche Stil beiseite geschoben, um einem Wirrwar von Auffassungen und Wiedergaben Platz zu machen, den auszurotten der Meister als seine Lebensaufgabe betrachtet hatte. Unter großen Anpreisungen in der Presse wurden von Jahr zu Jahr immer mehr fremdländische Kräfte zur Mitwirkung herangezogen und die von Wagner ausgebildeten und von ihm so sehr geschätzten einheimischen Künstler offen hintangesetzt. An Stelle altbewährter deutscher Künstler „excellierten“ französische, niederländische und amerikanische Stars in den Hauptrollen von Wagner’s deutschen Kunstschöpfungen und wo früher eine Materna, ein Petz, Niemann, Scaria, Winkelmann, Vogel, u. A. eine deutsche Zuhörerschaft in die weihevollste Stimmung versetzt hatten, brillierten jetzt Frau Nordika, Gulbranson, Herr van Dyk, van Rooy, Schmedes, Blauvaert etc., die schon durch ihren fremden Accent oft den Eindruck ganzer Scenen verdarben, in deren Partien als Sterne, inmitten eines mehr oder weniger unzulänglichen Ensembles. Ja, die großen Künstler, die unter Wagner und noch kurz nach seinem Ableben mitgewirkt hatten, wurden mit Kot beworfen zu Gunsten auswärtiger Anfänger, wie Breuer, Friedrichs, Burgstaller etc., für die in der Presse der ganzen Welt die Reklame-Trommel geschlagen wurde. Den Alten machte man zum Vorwurfe, dass sie Wagner allezeit mehr Verdruss als Freude bereitet hätten, dass schon Wagner ihre Stimme als ruiniert bezeichnet habe u. s. w., u. s. w. Wir versagen der Energie der Witwe Wagner’s und der Unermüdlichkeit, mit der sie sich seinem Vermächtnisse gewidmet, keineswegs die Anerkennung. Weit lieber jedoch hätten wir es gesehen, wenn sie zur Fortführung Bayreuth’s die vom Meister selbst herangebildeten Künstler, wie Richter, Levy etc. herangezogen hätte. Richter insbesondere hätte für Bayreuth Grosses, ja Unersetzliches leisten können. Seine deutsche Treue und Gewissenhaftigkeit hätte ihn Wagner’s Werk ganz in dessen Sinne fortsetzen lassen und er hätte sich nie dazu verstanden, einen undeutschen Geist in Bayreuth eindringen zu lassen. Man kann den Eindruck nicht überwinden, dass heute an Stelle des Genies das geschäftskundige Dilettantentum getreten ist und dass das künstlerische Können der dermaligen Leitung keineswegs auf der Höhe des Selbstbewusstseins steht, mit dem es auftritt. Man hört von verschiedenen Vorfällen, die nach der Intriguen- und Protektionswirtschaft kleiner deutscher Fürstenhöfe riechen. Und sicherlich ist darauf auch die Beiseiteschiebung unserer trefflichen heimischen Künstler und die Bevorzugung mancher minderwertiger Kräfte zurückzuführen. Siegfried, der kleine Sohn des großen Vaters, den wir trotz seiner seither geschaffenen Opernwerke, nur für ein künstlich aufgedonnertes Talent halten, wurde von dem gesammten Anhange Wahnfrieds als das Genie der Zukunft und den würdigen Nachfolger seines erhabenen Vaters durch die ergebene Presse des ganzen Erdballes ausposaunt und es wurde seinen unerfahrenen, tappenden Händen die Inszenierung der schwierigsten Dramen des Meisters ausgeliefert. Niedrige Ohrenbläsereien und Speichelleckereien machten sich in Wahnfried breit, Lobhudler und Byzantinisten gewannen Einfluss, während die warnende Stimme wahrer, doch rücksichtsloser Freunde ungehört verhallte. So verloren die Bayreuther Darbietungen immer mehr ihren einheitlichen geschlossenen Charakter, um einem Gemisch teils gelungener, meist aber leider verfehlter Einzelheiten Platz zu machen. Mit Leichtigkeit ließen sich unzählige musikalische und szenische Missgriffe, missverständlich aufgefasste und falsch wiedergegebene Details aus den letztjährigen Aufführungen der Tetralogie, des Lohengrin, Tannhäuser, Tristan und Parsifal anführen, um zu zeigen, welchen Werth man heute in Bayreuth auf äußerliche Wirkung, auf die Mache legt, ohne zu fragen, ob man damit nicht dem Geiste Wagners ins Gesicht schlage. Solche Einzelheiten sind jedoch in Kreisen ernster Wagnerfreunde so allgemein bekannt und soviel besprochen und bespöttelt, dass wir sie hier nicht wiederholen wollen. Auch publizistisch wurden mehrfach, u. A. durch Felix Weingartner in seine Brochure „Über das Dirigieren“ und in dessen Aufsatz „Bayreuth 1876—1896“ in der „Neuen Deutschen Rundschau“, diese Übelstände zur Genüge erörtert. Diese warnenden Stimmen jedoch, allen wahren Freunden Bayreuths aus der Seele sprechend, kommen nur ganz sporadisch an die Oberfläche, weil Bayreuth eben heute ein auf Gewinn gegründetes Unternehmen ist, wie irgend ein anderes, und die gesamte Presse in dessen Diensten steht; dies keineswegs immer aus Korruption, sondern meist aus Gedanken- und Urteilslosigkeit und in blinder Nachbeterei der an höchster Stelle ausgegebenen Schlagworte.

Wir haben bei diesem traurigen Kapitel so lange verweilt, um zu zeigen, dass Bayreuth heute ein rein geschäftliches Unternehmen ist und um daraufhin der Frage näher zu kommen, ob ihm auch heute noch jene Sonderstellung eingeräumt zu werden habe, die es ehedem mit Fug und Recht genoss. Es fragt sich heute, ob der deutsche Reichstag in der Tat an der deutschen Kunst gefrevelt hat. als er es ablehnte, die Schutzfrist für den „Parsifal“ um weitere 20 Jahre zu verlängern*). Es fragt sich ferner, ob, nachdem zehn Musik-Dramen Wagner’s auf vielen deutschen Bühnen eine meist befriedigende, oft aber auch ganz vortreffliche Wiedergabe finden, nicht auch das elfte Werk des Meisters daselbst eine würdige Aufführung erleben könnte. Wir geben zu, dass das Thema einigermaßen heikel ist. Dennoch: Es wird

*) Wir finden soeben in der „N. Fr. Presse“ (30. Juli 1901, Morgenblatt) folgende Notiz, die die Richtigkeit unseres Gedankenganges bestätigt: Aus Bayreuth wird uns geschrieben: In einem eigentümlichen Kontrast zu dem Überschwang der heuer unter den Festspielgästen herrschenden Begeisterung steht folgende Thatsache: Ein an verschiedenen Stellen hier aufliegendes von E. Humperdinck, Hans Thoma und Albert Niemann unterzeichnetes Ersuchen „An die Festspielbesucher“, durch ihre Unterschrift dem Wunsche Ausdruck zu geben, dass Mittel und Wege gefunden werden, dem „Parsifal“ „über die gesetzliche Schutzfrist hinaus die ihm gebührende Ausnahmestellung zu wahren“, wird bis jetzt von den Festgästen in auffälliger Weise unberücksichtigt gelassen; die meisten lehnen es ab, das Schriftstück zu unterzeichnen.

der Lohengrin überall gegeben und Millionen haben sich an ihm erfreut und erhoben. Liszt’s „Heilige Elisabeth“ wird an den deutschen Bühnen, allerdings meist nur an besonderen Festtagen, ohneweiters aufgeführt und die Stimmung des Auditoriums ist allenthalben eine dem Werke angemessene. Auch für den „Parsifal“ würden wir zunächst eine ähnliche Sonderstellung beanspruchen. Das Vermächtnis des Meisters, der den „Parsifal“ einzig für Bayreuth reserviert wissen wollte, findet in den Reichsgesetzen seine Schranken. Im Jahre 1913 wird der „Parsifal“ für alle Bühnen frei werden und Krethi und Plethi werden aus diesem erhabenen Werke ganz geschäftsmäßig Kapital schlagen wollen. Das Gefühl jedes Freundes der Wagner’schen Schöpfung empört sich schon jetzt bei diesem Gedanken. Wenn sich ein Mittel finden ließe, um wenigstens das Ärgste abzuwenden, so müsste dieses überall und zu allererst in Wahnfried begeistert willkommen geheißen werden. Ganz verfehlt aber ist der Weg, den die Bayreuther Machthaber versuchen. Nicht für weitere Jahrzehnte dürfte der Parsifal geschützt werden; vielmehr wäre dessen alsbaldige Freigebung das Mittel, um für dieses wertvolle Zugeständnis gleichwertige Konzessionen einzutauschen. Wenn Frau Wagner den „Parsifal“ 10 Jahre vor Ablauf der Schutzfrist an jene Bühnen freigibt, an denen die anderen Werke ihres großen Gatten eine würdige Wiedergabe finden, so kann sie dafür begehren, etwa:

1. Dass der „Parsifal“ zunächst nur an bestimmten Tagen aufgeführt werde;
2. dass Inszenierung und Ausstattung eine würdige sein müssen;
3. dass die Besetzung sowohl der Gesangskräfte als auch des Orchesters eine untadelige sei.

Heute kann sich Frau Wagner noch vertragsmäßig das Recht einer entscheidenden Stimme betreffs der gesammten Ausstattung, Inszenierung und Besetzung sichern. Sie kann diesen Vertrag auf 30 Jahre hinaus schließen und so dem Werke wenigstens an den für das deutsche Kunstleben wirklich in Betracht kommenden Bühnen für eine die Schutzfrist um 20 Jahre übersteigende Zeit eine würdige Aufführung im Sinne des Meisters sichern. Dies wäre unseres Erachtens der richtige Standpunkt, den man heute in Wahnfried einnehmen müsste. Was sehen wir jedoch statt dessen? Der ganze unermessliche Pressanhang Wahnfrieds ergeht sich in Verurteilung des reichsrätlichen Votums und es wird die Losung ausgegeben, dass dieses Votum einen unheilbaren Schlag für die deutsche Kunst bedeute. Die große Menge in ihrer Ahnungs- und Urteilslosigkeit spricht dieses gedankenlos nach und Leute, die noch nie in Bayreuth waren und von den Bestrebungen Wagner’s nur sehr nebelhafte Begriffe besitzen, vergrößern den Tross der Jammernden. Man sieht allenthalben bewusst oder unbewusst davon ab, dass Bayreuth heute ein reines Geschäftsunternehmen ist. Das Bayreuth von heute wird eben immer noch mit dem Bayreuth von einst verwechselt und daher kommen die verkehrten Urteile, daher die schiefe Stellung des Unternehmens. Was man Wagner unbesehen zugestehen durfte, das mag man seiner Witwe vielleicht mit Recht versagen. Das Motiv, dass die Familie des Meisters etwa in einer Notlage wäre, ist glücklicherweise außer Betracht. Und um Wahnfried und der Ortschaft Bayreuth noch weitere Millionen in den Schoß zu schütten, dazu soll das hehre Andenken des Meisters nicht missbraucht werden.

Während wir dies schreiben, finden wir in den Zeitungen („Neue Freie Presse“, 26. Juli, Abendblatt) eine Notiz aus Bayreuth, die neuerdings erhärtet, in welch ausschließlicher Weise Wahnfried und die Ortschaft Bayreuth die Festspiele als reines „Unternehmen“ betrachten, das man vor jeder auch noch so lahmen Konkurrenz zu hüten habe. Es heißt in der betreffenden Notiz, dass sich der Festspiel-Leitung eine tiefe Verstimmung über das neue Münchener Theater-Unternehmen bemächtigt habe. Diese Verstimmung wäre schon kürzlich in einer an Frau Wagner gerichteten Ansprache des Bayreuther Bürgermeisters in scharfen Worten, die den Beifall der Frau Wagner und der ihr Nahestehenden gefunden haben, zum Ausdrucke gekommen. Zu einem noch heftigeren Vorstoß gegen München kam es jedoch in der am 25. Juli 1901 in Bayreuth stattgehabten Generalversammlung des Allgemeinen Richard Wagner-Vereines. Schon in der Eröffnungsrede sprach der Präsident Dr. Casselmann, der Bayreuther Bürgermeister, von der nicht zu billigenden Art und Weise, wie man in München zu Werke gehe. In einer Glückwunsch-Adresse jedoch, die am Schlüsse der Generalversammlung der Frau Wagner zu überreichen beschlossen wurde, ist ein scharfer Protest gegen das Münchener Unternehmen enthalten. Es heißt da:

„Es muss Jeden, dem der Gedanke der Bayreuther Festspiele lieb und teuer geworden ist, mit schmerzlichem Bedauern erfüllen, dass in München ein Unternehmen ins Leben gerufen worden ist, welches, wenn es auch innerlich mit der Verwirklichung des Bayreuther Gedankens nichts zu thun hat und nichts zu thun haben kann, sich doch in Äußerlichkeiten an die Bayreuther Festspiele derart anlehnt, dass die Annahme sich kaum von der Hand weisen lässt, als werde versucht, das Unternehmen dem Publikum gegenüber als gleichgeartet und gleichwertig mit den Bayreuther Festspielen hinzustellen. Die Hinfälligkeit und Vergeblichkeit eines derartigen Versuches braucht kaum besonders betont zu werden. Ist es möglich, in einem derartigen, für die dauernde gewerbliche Ausnützung im gewöhnlichen Sinne bestimmten Theatergebäude Festspiele nach dem Bayreuther Gedanken zu geben, und ist es denkbar, dort im Handumdrehen dem deutschen Volke dasselbe zu bieten, was 25jährige treue Beharrlichkeit und 25jähriges Fortarbeiten an den Traditionen des Meisters erreicht haben? Es ist bis jetzt nichts bekannt geworden, was dieses Vorgehen erklärlich erscheinen lassen könnte, aber man scheint doch hier Dinge erfahren zu haben, die über kurz oder lang, wenn sie in die Oeffentlichkeit gelangen, Aufsehen zu erregen geeignet sind.“

Dieser Protest spricht eine sehr deutliche Sprache. Nicht allein, dass die Errichtung weiterer Festspielhäuser außerhalb Bayreuths und insbesondere die Errichtung eines Festspielhauses in München, als dem Orte, wo doch Wagner sein Festspielhaus ursprünglich zu erbauen beabsichtigte, höchlichst missbilligt wird, wird das Münchener Theater in einfach geschäftsmäßiger Weise heruntergerissen und auf dessen Kosten das Bayreuther Festspielhaus in den Himmel gehoben. Am Schlüsse findet sich eine geheimnisvolle Andeutung, die einer versteckten Drohung so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern und in die sich Jedermann nach Belieben die scheußlichsten Dinge hineindenken kann. Nun glauben wir nicht, dass es Wagner unangenehm gewesen wäre, wenn neben Bayreuth und nach dessen Muster in allen deutschen Gauen eine Anzahl weiterer Festspielhäuser entstanden wäre. Ja, wir glauben sogar, dass ein Solches ganz im Sinne der Bestrebungen und Ziele des Meisters gewesen wäre. Denn Wagner wollte mit Bayreuth doch nicht die einzige, sondern nur eine Musterbühne schaffen, nach welcher, je mehr, desto besser, gleichwertige Institute ins Leben zu rufen wären. Wagner empfand einen Ekel vor der Lotterwirtschaft unserer Opernbühnen und er wollte zeigen, wie sich eine solche in seinem Hirne male. Nach dem vom Meister errichteten Hause sollten alle anderen Bühnen gebildet werden und an allen diesen Stätten sollten die Meisterwerke deutscher Kunst zu mustergültiger Aufführung gelangen. Wenn man jetzt aus geschäftlichen Rücksichten aufstellen will, dass nur in Bayreuth allein die Wagner’schen Werke in vollendeter Vorstellung geboten werden könnten, so wird damit unseres Erachtens Wagner’s Bestreben entstellt und ganz gegen seinen Geist gehandelt. Wenn die Millionen kunstgieriger Deutscher, die nie in die Lage kommen, Bayreuth zu sehen, während ein internationales Modepublikum über Bayreuth nach Ostende und Nizza pilgert, des Genusses Wagner’scher Kunstwerke in vollendeter Aufführung nie sollten teilhaftig werden, dann kann doch wohl nie davon gesprochen werden, dass Wagner seinem deutschen Volke eine deutsche Kunst gegeben habe. Darin, dass von den 60 Millionen Deutschen und Deutsch-Österreichern etwa die obersten Zehntausend sich Bayreuth gönnen und alle anderen von dessen Genüsse ausgeschlossen bleiben sollen, kann wohl Wagner sein Ziel nicht gesehen haben. Und bei all dem ist nicht einmal gesagt, dass nicht nach wie vor das Bayreuther Festspielhaus die glänzendsten Geschäfte machen könnte! Denn nicht allein „Parsifal“, sondern auch alle anderen Musikdramen Wagner’s finden in Bayreuth stets ausverkaufte Häuser und gar oft wird auch für eine Lohengrin- oder Tannhäuser-Aufführung auf den Billetpreis von 20 Mark ein diesen Betrag bedeutend übersteigendes Aufgeld gezahlt. Sowohl das im Sommer reisende deutsche und gewiss noch mehr das fremdländische Publikum werden den Bayreuther Unternehmern für ihre wenigen Aufführungen immer noch die erwünschten ausverkauften Häuser liefern. Keineswegs ist es am Platze, über das Münchener Konkurrenz-Unternehmen in solcher Weise herzufallen. Entweder bietet München Minderwertiges, dann hat Bayreuth dessen Konkurrenz nicht zu fürchten; oder es bietet mit Bayreuth Gleichwertiges, dann handelt es ganz im Sinne und nach den Zielen Wagners. In keinem Falle ist jedoch dagegen von Bayreuth aus aufzutreten. Es kann sich höchstens die andere Münchener Opernbühne von der Konkurrenz des neuen Hauses bedroht fühlen.

Ob man in Bayreuth vorliegende Ausführungen beachten wird, das ist die Frage. Ja, es ist sogar fraglich, ob man zugestehen wird, dass aus unseren Ausführungen, wie auch aus denen Weingartner’s und Anderer hervorgehe, dass nur die reinste Liebe zu dem Lebenswerke des Meisters allen diesen die mahnende Feder in die Hand gedrückt hat. Wenn Hoffnung wäre, dass man wenigstens dieses zugibt, dann wäre auch die Hoffnung, dass es besser werden könne, keine leere. Es ist aber die Pflicht eines Jeden, der es vermag, dass er seiner Meinung rückhaltlos Ausdruck gebe. Der hauptsächlichste Beweggrund für die vorliegenden Ausführungen jedoch war der Vorschlag, den wir der Frau Wagner in Betreff der Freigebung des „Parsifal“ zu machen hatten. Wir haben gar nicht in Betracht gezogen, dass dadurch schon jetzt die vielen Millionen Deutschen, die nicht nach Bayreuth fahren können, in dem erhabenen Werke des verewigten Meisters Trost und Erhebung finden könnten. Wir haben nur die Vortheile ins Licht gerückt, die sich jetzt für die Sache selbst von den Bühnen erreichen ließen und die später nie mehr erzielt werden könnten. Wenn unsere Worte es vermöchten, dieses eine in Wahnfried zu erreichen, dann haben wir nicht vergeblich unsere Stimme erhoben.

Richard Wagner 1873

Richard Wagner 1873

Richard Wagner in seiner Arbeitsmontur

Richard Wagner in seiner Arbeitsmontur

Ein Abend mit Wagner

Ein Abend mit Wagner

Das letzte Wagnerfoto 1883

Das letzte Wagnerfoto 1883

Richard Wagner

Richard Wagner

Richard und Cosima Wagner

Richard und Cosima Wagner

Richard Wagner mit seinem Sohn

Richard Wagner mit seinem Sohn