Von der Wunderwelt unseres Mondes

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Max Valier, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gestirn, Planeten, Mond, Universum, Erdtrabant, Vollmond, Sternenwelt, Fernrohr, Himmelskörper,
Unter all den wundersamen Lichtern am Himmelszelt ist unser Mond das einzige, bei dem Sanftheit der Strahlung und flächenhafte Gestalt so glücklich vereinigt sind, dass schon das unbewaffnete Auge auf der silberglänzenden Scheibe Einzelheiten zu unterscheiden vermag. Wir wissen heute, dass diese Vorzüge, die den Mond von jeher zum Lieblingsgegenstand der Himmelsbeobachter gemacht haben, ihre wahre Begründung darin finden, dass unser getreuer Himmelsbegleiter nur im erborgten Sonnenlichte leuchtet und unserem Heimatstern ganz außerordentlich nahesteht. (Mittlerer Abstand nur 384.400 Kilometer.) Aus den nämlichen Gründen ist die Erforschung der uns zugewandten Mondoberfläche mit einer bei anderen Himmelskörpern nicht annähernd zu erreichenden Genauigkeit möglich gewesen, während die uns abgewandte Halbkugel des Mondes für unsere Instrumente unerreichbar und unerforschbar bleibt.

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Wohl nichts ist von eindringlicherer Wirkung auf den Beschauer, der zum ersten Mal sein Auge zu den Wundern der Sternenwelt erhebt, als der Anblick des Mondes in einem kräftigen Fernrohr. Kein Bild in Buchdruck kann den wirklichen Eindruck auch nur annähernd wiedergeben. Durch eine wahre Flut von Licht überwältigt die unsagbare Pracht der geheimnisvollen Natur unseres so nahen und doch bisher so unerreichbar fernen Trabanten. Nichts mehr von der sanften Leuchte der Nacht, deren milden Schimmer die Dichter besingen, nichts mehr von den abenteuerlichen Gestalten, dem Krebs, dem Kaninchen oder dem Mann im Mond, die das Gaukelspiel der leichtbeschwingten Gedanken uns in den mit freiem Auge sichtbaren dunklen Flecken der Vollmondscheibe entdecken ließ. – Mit wahrhaft übermächtiger, alle Träumereien zermalmender Kraft flammt uns im Riesenfernrohr aus ungeheurer Fläche ein Gewirr von Gebirgen und Ebenen, eigenartigen rundlichen Bildungen mit schwarzen Schlagschatten entgegen. Jetzt beginnen wir zu zweifeln an den Berechnungen, die nur vierunddreißighundert Kilometer als Monddurchmesser ergaben, an den Zahlen, die aussagen, dass wir auf unserem Erdenball fünfzig Kugeln, gleichgroß, aber einundachtzig, gleichschwer wie der Mond formen könnten. Ingreifbar räumlicher Gestaltung offenbaren sich diese für menschliche Begriffe immer noch unvorstellbaren Ausmaße unseres Mondes schon bei nur hundertmaliger Vergrößerung dem Beschauer. Wir fühlen gleichstam den Mond als Himmelskörper, dessen vierundsiebzig Trillionen Tonnen Gewicht drohend über unseren Häuptern lasten, und schaffen ihn um zu einem Wesen, das wie ein gläsernes Meer aus tausend runden Krateraugen, seiner Berge höchste Spitzen gegen uns hergewendet, basiliskenhaft herniederstarrt.

Und Wunder über Wunder! Wenn der Meister des Sternrohrs statt hundertfacher nun tausendmalige Vergrößerung einschaltet! – Nur ein kleiner Teil des Ganzen Mondbodens ist dann noch im Gesichtsfelde überblickbar, aber auf diesem bietet sich ein Formenreichtum dar, dass das Auge nicht satt werden kann vom Schauen. Da auf dem Mond ein Winkel von einer Bogensekunde einer Strecke von achtzehnhundert Meter entspricht, vermögen wir Flecke, Hügel und Gruben des Mondbodens bis zu zweihundert Meter Durchmesser hinab mit Leichtigkeit zu erkennen. Ja, unterstützt durch die dem Mangel an Luft zu verdankende vollkommene Klarheit der Mondlandschaft und den bei Sonnenaufgang oder -untergang für die betreffende Mondgegend äußerst plastischen Schattenwurf, vermögen wir sogar Erhebungen von nur etwa zehn Meter Höhe festzustellen.

Mondmare, das heißt Meere des Mondes, nennt man gleichwohl die dunklen großen Flächen der Vollmondscheibe, wenn sich auch im Fernrohr zeigt, dass sie feste, im Großen und Ganzen ziemlich ebene Böden vorstellen, die von feinen Hügeladern durchzogen sind; Krater hinwiederum ganz allgemein die rundlichen Ringformen, ohne Rücksicht auf ihre Größe, wiewohl man weiß, dass sie keineswegs den irdischen Vulkanen zu vergleichen sind. Will man feinere Unterscheidungen treffen, so bezeichnet man die größten, in Wahrheit zweihundertfünfzig bis hundertfünfzig Kilometer im Durchmesser haltenden Ringe wohl auch als Wallebenen, weil der Gebirgskranz wie ein Wall die innere, zumeist fast ebene Fläche umgibt, die mittleren, hundert bis vierzig Kilometer im Quermesser haltenden als Ringgebirge, weil hier der ebene Innenboden schon mehr verschwindet und sogar oft sein Platz von einem recht deutlichen Zentralberg eingenommen wird. Von zwanzig bis etwa sechs Kilometer Durchmesser rechnet man dann die eigentlichen, wirklich becherförmig aussehenden Mondkrater, und was noch winziger ist und nur in starken Fernrohren als kleines rundliches Löchlein im Mondboden erscheint, als Kratergruben.

Abgesehen von den bisher beschriebenen Formen des Mondbodens gibt es dann wohl noch einzelne Berge und Bergkuppenhaufen, aber keine eigentlichen Gebirge im irdischen Sinne. Denn nirgends gewahren wir Anzeichen einer großen Krustenfaltung und nirgends zeigen sich auf dem Mond Längs- und Quertäler. Wenn zahlreiche Berge auftreten, so sind sie wie eine Herde zusammengedriftete Eisberge ohne erkennbare Regel geschart, oft gleichsam auf gemeinsamer Scholle festgewachsen, so dass die Sternforscher von Bergflächen sprechen. Endlich sind noch die sogenannten Rillen zu erwähnen, meist zickzack verlaufende Sprünge im Mondboden, die oft bis zu zwei bis drei Meter weit an ihren oberen Rändern auseinanderklaffen und eine beträchtliche Tiefe zu besitzen scheinen. Ihre Länge kann viele hundert Kilometer betragen. Mit Vorliebe durchziehen sie kleine Krater und Gruben.

Es wäre ein vergebliches Bemühen, einzelne Mondlandschaften mit Worten allein beschreiben zu wollen. Glücklicherweise haben wir heute in der Lichtbildkunst einen wertvollen Bundesgenossen der Mondforschung gefunden, dessen Leistungen es uns ermöglichen, auch den Unzähligen, die nicht Gelegenheit haben, des Mondes Wunder durch ein starkes Fernrohr mit eigenen Augen zu schauen, wenigstens ein ganz getreues, wenn auch nur schwaches Bild von jenen Herrlichkeiten zu geben.

So zeigt unsere erste Abbildung den Vollmond, wie er etwa im Feldstecher oder kleinen Handfernrohr bei nur zehn bis zwölffacher Vergrößerung erscheint, unser nächstes Bild dagegen die Mondsichel nach einer Pariser Aufnahme, die etwa dem Anblick im Fernrohr bei dreißigfacher Vergrößerung entspricht. Die dritte Abbildung lässt uns schon tiefer eindringen und zeigt bei etwa hundertmaliger Vergrößerung die gewaltigen Bergflächen der Mondapenninen (oben) und Mondalpen (unten), in deren Bogen (dessen linke Begrenzung vom Kaukasus gebildet wird) sich im sogenannten „Nebelsumpf“ die dreischönen Ringgebirge Archimedes (größtes), Aristillus (mittleres) und Autolykus (kleinstes) plastisch abheben. Nahe dem unteren Bildrand zeigt sich an der Lichtgrenze, wie ein hohler Zahn aussehend, die riesige Wallebene Plato. Der erste, große helle Punkt über ihr ist die noch von der Sonne beschienene Spitze des vierundvierzighundert Meter hohen, ganz vereinzelt aus der ebenen Grundfläche des „Regenmeers“ aufragenden Berges Pico.

Unsere Abbildung 4 endlich bietet bei sehr starker Vergrößerung den Anblick der drei riesenhaften, nahe dem Mondmittelpunkte stehenden, zur Zeit des ersten Mondviertels schon im Feldstecher gut sichtbaren Wallebenen und Ringgebirge (von unten nach oben) Ptolemäus, Alphonsus, Alpetragius.

Wie sehr die Beleuchtung durch die Sonne den Anblick ein und derselben Mondlandschaft beeinflusst, zeigt die Gegenüberstellung der beiden oberen Teilbilder der zweiten Tafel (oben links und rechts Abbildung 5 und 6), die ungefähr dieselbe Mondgegend, den südlichen Teil des ersten Mondviertels, einmal kurz vor dessen Eintreten, einmal kurz nach dem Volllicht zeigen. Es ist auffällig, wie sich im Vollmondbilde die Ringgebirge, wiewohl sie ihre Schlagschatten verloren haben, vielfach doch als helle, ja fast weiße Ringe auf dem dunkleren Untergrunde des Mondbodens abheben. Bei einiger Mühe ist es nicht schwer, zahlreiche Ringformen auf beiden Bildern wiederzuerkennen.

Bisher haben wir den Mond bloß beschrieben, wie wir ihn von der Erde aus im Fernrohre sehen. Wie sollten wir es auch anders können, da wir doch bisher noch nicht oben gewesen sind? Und dennoch: aus zahlreichen Feinstudien ist es möglich, sich auf Grund der Messungen auch ein kartographisches oder plastisches Bild des Mondes herzustellen und irgendeine gewünschte Mondlandschaft auch so zu zeichnen, als ob wir in einem Flugzeug nicht allzu hoch über ihr schwebten. Solche Bilder enthält der untere Teil unserer zweiten Tafel. Wir sehen da zum Beispiel auf der Abbildung 7 den Berg Pico, etwa aus zwanzig Kilometer Entfernung in nur geringer Höhe über dem Mareboden betrachtet, auf Abbildung 8 den Blick von der Mitte des Ringgebirges Archimedes aus. Erstaunlicherweise zeigt sich der gewaltige Gebirgswall dieses Kraters nur am Horizonte als sanfte, bescheidene Bergkette. Unser nächstes Bild (Abbildung 9) gibt eine Vorstellung von den Gebirgen nahe dem Mondsüdpol. Dass sie unseren irdischen Bergen nur wenig ähnlichsehen, ist auf den ersten Blick offenkundig.

Viele Rätsel des Mondes haben sich bis zur Stunde durch die Kraft unserer Riesenfernrohre schon lösen lassen, aber ebenso viele harren noch des Forschers, der ihnen ihr Geheimnis entringt. Hoffen wir, dass die Astronomen recht bald in unseren Ingenieuren wackere Bundesgenossen; finden werden, so dass; wir nicht länger mehr auf die Fernrohre allein angewiesen sind. Denn das eine ist sicher: wie es eigentlich auf dem Mond aussieht, welche Zustände auf seiner Oberfläche herrschen, aus welchen Bestandteilen der Mondboden besteht, welche Bedeutung die einzelnen uns im Glas so deutlich erscheinenden Formen in Wahrheit besitzen, das alles werden wir erst wissen, wenn es gelingt, in einem Raketenweltraumschiff selbst zu unserem nächtlichen Himmelsbegleiter emporzufahren.

Schon sind die Vorversuche im Gang und die Berechnungen und Konstruktionen weit gediehen, so dass wir berechtigte Hoffnung hegen mögen, dass auch dieser kühnste Menschheitstraum sich vielleicht schon bald erfülle. Der Wirtlichkeit vorausgreifend, zeigt denn auch unser letztes Bild (Abbildung 10) ein solches Weltraumschiff, wie es nach seiner ersten Erkundungsfahrt zum Mond von der Oberfläche unseres Trabanten aufsteigt, um zur Erde zurückzukehren und Kunde von den unerhörten Entdeckungen zu bringen, die der Vorstoß in den Weltraum den kühnen Forschern eingetragen hat.

01. Der Vollmond, in einem guten Feldstecher oder kleinen Handfernrohr gesehen
02. Mondsichel, aufgenommen am Pariser Observatorium
03. Der Nebelsumpf mit den Ringgebirgen Archimedes, Aristillus, Autolykus, der Wallebene Plato und dem Berge Pico
04. Die großen Wallebenen Ptolemäus, Alphonsus, Alpetragius
05. Südhälfte des Mondes kurz vor dem ersten Viertel
06. Hohe Berge nahe dem Südpol des Mondes
08. Blick von der Mitte des Ringgebirges Archimedes gegen den Bergwall
09. Hohe Berge nahe dem Südpol des Mondesl
10. Weltraumschiff, vom Monde aus zur Erde zurückkehrend

Mond 01 Der Vollmond in einem guten Feldstecher oder kleinen Handfernrohr gesehen

Mond 01 Der Vollmond in einem guten Feldstecher oder kleinen Handfernrohr gesehen

Mond 02 Mondsichel aufgenommen am Pariser Observatorium

Mond 02 Mondsichel aufgenommen am Pariser Observatorium

Mond 03 Der Nebelsumpf mit den Ringgebirgen Archimedes, Aristillus, Autolykus, der Wallebene Plato und dem Berge Pico

Mond 03 Der Nebelsumpf mit den Ringgebirgen Archimedes, Aristillus, Autolykus, der Wallebene Plato und dem Berge Pico

Mond 04 Die großen Wallebenen Ptolemäus, Alphonsus, Alpetragius

Mond 04 Die großen Wallebenen Ptolemäus, Alphonsus, Alpetragius

Mond 05 Südhälfte des Mondes kurz vor dem ersten Viertel

Mond 05 Südhälfte des Mondes kurz vor dem ersten Viertel

Mond 06 Dieselbe Gegend kurz nach dem Vollmond

Mond 06 Dieselbe Gegend kurz nach dem Vollmond

Mond 07 Anblick des Berges Pico, aus etwa 20 km Entfernung gesehen

Mond 07 Anblick des Berges Pico, aus etwa 20 km Entfernung gesehen

Mond 08 Blick von der Mitte des Ringgebirges Archimedes gegen den Bergwall

Mond 08 Blick von der Mitte des Ringgebirges Archimedes gegen den Bergwall

Mond 09 Hohe Berge nahe dem Südpol des Mondes

Mond 09 Hohe Berge nahe dem Südpol des Mondes

Mond 10 Weltraumschiff, vom Monde aus zur Erde zurückkehrend

Mond 10 Weltraumschiff, vom Monde aus zur Erde zurückkehrend