Von der Baumwurzel zur schwimmenden Insel.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Dr. Albert Neuburger, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wasserfahrzeug, Baumstamm, Boot, Schiff, Wind, Wasser, Ruderschiffe, Segelschiffe, Meer, See, Fluss
Einst – lang, lang ist's her - war für den Menschen die Welt am Gestade des Meeres zu Ende. Hier begann für ihn das Unfassbare, das Dämonische, das Fürchterliche. In seiner Brust aber schlummerten bereits Eigenschaften, die wir vielleicht am besten als „Urinstinkte“ bezeichnen können: Neugierde, Wissensdurst, Beobachtungsgabe und Wagemut. Wie mochte es da draußen in dieser Wasserwüste aussehen, und gab es kein Mittel, hierüber Näheres zu ergründen? Man beobachtete, dass Äste und dass entwurzelte Baumstämme auf den Wogen schwammen. Der Mann, der es zum ersten Mal wagte, sich auf einen solchen Stamm zu setzen, und dem es gelang, ihm durch Bewegungen der Füße, der Hände oder eines Stockes Richtung zu geben, muss mit Recht als Erfinder und Begründer der Schifffahrt bezeichnet werden. Er hätte ein Denkmal verdient.

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Auf dem Baumstamm sitzt es sich schlecht. Auch die Sicherheit lässt zu wünschen übrig. So erstand der Gedanke, den Aufenthalt auf diesem ältesten aller jemals für das Wasser geschaffenen Beförderungsmittel etwas bequemer und sicherer zu gestalten. Man suchte zunächst wohl nach hohlen Stämmen. Später höhlte man mit Werkzeugen, die aus Feuerstein hergestellt waren, Stämme aus. Der Einbaum entstand, ein Boot, das erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aus Deutschland verschwunden ist und dass auf den Südseeinseln sowie in anderen Erdteilen immer noch im Gebrauch steht. Die letzten deutschen Einbäume fuhren auf dem Chiemsee.

Noch aber gibt es auf manchen Seen Boote, die zwar nicht aus einem einzigen Stamm hergestellt sind, die aber immer noch die äußere Form des Einbaums zeigen. Es rudert sich schwer in ihnen. Sie kommen ständig aus der Richtung. Nur schwierig lässt sich damit Kurs halten, sie haben die Neigung, sich um sich selbst zu drehen. Jede Strömung im Wasser und auch der Wind beeinflussen sie. Welcher Mut gehörte dazu, sich mit einem solchen Boot auf das Meer zu wagen! Um wenigstens etwas mehr Herrschaft zu gewinnen und um vor allem den Einfluss; der Wogen abzuhalten, erfand man - gleichfalls noch in Urzeiten - den „Ausleger“, ein Gestell aus Baumästen, das über die eine Seite, über das eine „Bord“ des Bootes hinausgelegt wurde. Auch dieser Ausleger ist bei zahlreichen Völkerschaften niedriger Kulturstufen noch im Gebrauch.

Mit der Zeit erkannte man, dass der Wind das Boot nicht nur von der gewünschten Richtung abtrieb, sondern dass er auch dazu ausgenutzt werden kann, es in dieser Richtung vorwärts zu treiben. Die Ausnutzung dieser Erkenntnis führte zur Erfindung des Segelboots. Die Schiffe des Altertums waren meist Ruder- und Segelschiffe zugleich. Mit ihnen wurde der Mensch bis zu einem gewissen Grade Beherrscher des Meeres. Es entstanden gewaltige Häfen, die, wie der am Kap Misenum, Hunderte von Schiffen aufnehmen konnten; es gab Leuchttürme, Landmarken sowie Handbücher für die Seefahrt. Manche der gebrauchten Hilfsmittel muten uns eigenartig an. So ließ man zum Beispiel, um zu erkennen, ob Land in der Nähe sei, Vögel fliegen. In der Richtung, wohin diese den Kurs nahmen, vermutete man die Küste.

Die kühnsten unter allen Seefahrern des Altertums waren die Normannen. Sie erschlossen den Ozean der Schifffahrt. Schon lange vor Kolumbus, in dem wir nur den Wiederentdecker erblicken dürfen, waren sie in Amerika. Noch heute stoßen wir im Norden dieses Erdteils auf zahlreiche Spuren von ihnen. Man bedenke, was es heißt, in einem kleinen offenen Boot mit primitiver Segeleinrichtung den Atlantischen Ozean zu durchqueren! Mit solchen Booten drangen die unerschrockenen Nordländer bis zur Südspitze Italiens vor und gründeten hier das Normannenreich. Wenn nicht alles trügt, waren sie auch die Entdecker eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Beherrschung des Meeres, nämlich des Aufkreuzens gegen den Wind. Das Schiff der am Mittelmeer wohnenden Völker mit seinem meist dreieckigen Segel ist in der Entwicklung stehen geblieben. Wir finden es heute noch in alter Form. Aus dem Wikingerboot aber haben sich die Koggen der Hansa und die stolzen Handels- und Kriegsschiffe späterer Jahrhunderte entwickelt.

Im Jahre 1806 baute Fulton das erste brauchbare Dampfschiff, den „Clermont“. Damit setzte eine neue Entwicklung der Beziehungen des Menschen zum Meere ein. Die Sicherheit und die Schnelligkeit des Verkehrs wuchsen. Die Fahrt selbst wurde immer angenehmer, ja sie wurde sogar zur Erholung. Heute durchqueren schwimmende Paläste die Weltmeere, die mehr Annehmlichkeiten bieten als manche Stadt. Da gibt es Schwimmbäder, Turn- und Sportplätze, täglich erscheinen die Bordzeitungen, die in Bezug auf Geschwindigkeit des Nachrichtendienstes manche auf dem Land erscheinende Zeitung übertreffen. Drahtlose Einrichtungen verbinden sie mit aller Welt. Nicht lange wird es mehr dauern, dann wird man imstande sein, vom Schiffe aus mit seiner Familie oder seinen Geschäftsfreunden Ferngespräche zu führen. Die Konzerte und Opernaufführungen der Großstädte kann man dort heute schon abhören. Das Schiff von heute ist aber nicht nur ein Palast, es ist eine Stadt; besitzt es der doch seine eigenen Schlachthäuser, seine Eisfabriken, sein Elektrizitätswert, seine Promenaden und noch zahlreiche andere der Annehmlichkeit und der Gesundheit dienende Einrichtungen.

Die Fortschritte der Technik haben aber nicht nur schwimmende Städte geschaffen, sie sorgen dafür, dass die Beziehungen des Menschen zum Meere immer zahlreicher und vielseitiger werden. Der Taucher dringt heute in immer größere Tiefen vor und arbeitet dort bei elektrischer Beleuchtung. Die elektrische Beleuchtung des Meeresgrundes hat es sogar ermöglicht, ihn als Filmbühne zu benutzen. Man hat nicht nur das Leben und Treiben der Meeresbewohner auf das Filmband gezaubert, man hat bereits ganze „Unterseedramen“ aufgeführt. Bei ihnen wirkten wiederum die Meeresbewohner, dann aber auch Menschen mit, die in Taucherglocken in die Tiefe stiegen. Die Wände dieser Glocken waren aus dicken Glasplatten gefertigt, durch die hindurch man die Vorgänge in der Glocke fotografieren konnte. In Australien hat man sogar ein Hotel gebaut., von dem aus ein Gang zu einer auf dem Grunde der See errichteten Terrasse hinabführt. Hier sitzt man gleichfalls zwischen dicken Glaswänden und hat beim Trinken seines Mokkas Gelegenheit, die Vorgänge in einer dem Menschen bisher fremden Welt zu beobachten.

Auch ernstere Aufgaben stellt das Meer an den Geist der Technik. Ununterbrochen prallen die Wogen an die Felsen der Küste, seit Ewigkeiten wechseln in steter Folge Ebbe und Flut. Hier gibt es gewaltige Kräfte, die nicht ausgenutzt sind, hier stehen Energien zur Verfügung, die sich fruchtlos erschöpfen. Man hat bereits begonnen, sowohl die Energie der Meereswogen wie den Wechsel von Ebbe und Flut zur Erzeugung von elektrischem Strom zu verwerten. „Flutkraftwerke“ sind erstanden, deren Zahl sich vielleicht bald vermehren dürfte. Durch sie wird im Meer eine der billigsten Quellen für unsere Elektrizitätsversorgung erschlossen. Aber auch der Verkehr bringt stets neue Aufgaben. Man hat bereits Eisenbahnen gebaut, deren Schienen auf dem Meeresgrunde liegen. Eine solche befindet sich zum Beispiel bei St. Malo am Ärmelkanal. Auf den Schienen fährt ein Gestell, eine Art hoher Turm aus Eisengitterwerk, der oben eine Plattform trägt. So kann man hoch über den Wogen und unberührt von jeder Seekrankheit durch einen breiten Meeresarm hindurch nach der eben genannten Insel gelangen. Im Golf von Mexiko aber hat man eine Eisenbahn von sechzig Kilometer Länge auf hoher Brücke in das Meer hinausgeführt, die eine Anzahl der dort gelegenen Inseln verbindet. Mit einer Brücke von fast vier Kilometer Länge soll der Strelasund überspannt werden. Sie wäre schon längst ausgeführt, hätte nicht der Krieg ihren Bau verhindert.

Den Brücken schließen sich Dämme an. Es gibt viele Molen, die sich ein Kilometer und noch weiter ins Meer hinaus erstrecken. Im Herbst 1926 jedoch soll der etwa zehn Kilometer lange Damm vollendet sein, der die Insel Sylt mit dem Festlande verbindet. Seine Sohle hat eine Breite von fünfzig Meter. Auf seiner Fahrbahn, die zehn Meter breit sein wird, werden die Schnellzüge dahinfahren.

Welche Anforderungen aber wird erst der Luftverkehr stellen! In stolzem Fluge hat das deutsche Luftschiff Z. R. III den Atlantischen Ozean gekreuzt. Durch Sturm und Nebel ist es in kurzer Zeit sicher an sein Ziel gelangt. Damit sind die Grundlagen eines regelmäßigen Luftverkehrs zwischen Europa und Amerika gegeben, dessen Träger Luftschiffe und Flugzeuge sein werden. Ein derartiger Verkehr muss jedoch Stützpunkte haben. Da Jie in natürlicher Form, das heißt in Gestalt von Inseln, nicht in genügender Menge vorhanden sind, so ist der kühne Plan erstanden, Jie künstlich zu schaffen. Zwei Projekte unterliegen gegenwärtig ernsterer Erwägung. Das eine von Defrasse sieht große Schwimmkörper aus Eisenbeton vor, die in Hufeisenform zusammengefügt werden. Das gewaltige, im Ozean verankerte Hufeisen schließt mit seinen beiden Schenkeln einen künstlichen Hafen ein, in dem auch Schiffe ankern können. Es stellt sich von selbst immer derart gegen die Wogen ein, dass in diesem Hafen ruhiges Wasser zu finden ist. Auf der Oberfläche der Insel aber sowie im Hafen werden Ankerplätze für Luftschiffe und. Wasserflugzeuge angeordnet. Die Insel wird mit Scheinwerfern, Leuchttürmen, mit Vorratsräumen, mit Gelegenheiten zur Unterkunft und zur Vornahme von Reparaturen und Jo weiter reichlich ausgestattet. Das andere Projekt, dessen Urheber der Ingenieur Armstrong ist, gleicht im Allgemeinen dem eben erwähnten, nur soll die Insel aus einer Plattform bestehen, die sich fünfundzwanzig Meter hoch über den Meeresspiegel erhebt. Der größte Teil der Insel soll unter das Wasser hinabtauchen, so dass die Plattform möglichst ruhig liegt. Auch diese Insel soll auf dem Meeresgrund verankert werden. Im Ganzen will Armstrong acht derartige Inseln schaffen, die sogar mit Hotels ausgestattet werden sollen. Gehen die Flugzeuge auf jeder dieser Inseln nieder, so wird man in dreißig Stunden von New York nach Plymouth gelangen können. Würde man jedoch in einem Eildienst nur vier der Inseln anfliegen, um dort neuen Betriebsstoff einzunehmen beziehungsweise das Flugzeug zu wechseln, so würde der Weg schon in fünfzehn Stunden zurückgelegt werden können. Die Kosten für die Anlage der acht Inseln würden ich auf rund fünfzig Millionen Dollar stellen. Da sich dieser Betrag aber auf die zahlreichen Staaten verteilen würde, die am Flugverkehr teilnehmen, so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Herstellung derartiger künstlicher Inseln schon in Bälde in Angriff genommen wird. Damit würde dann der Mensch in noch höherem Maße als bisher das Gefühl verlieren, dass das Meer etwas Trennendes darstellt. Durch die Inseln wird es zum verbindenden Glied zwischen zwei Erdteilen.

Wasserfahrzeuge der Naturmenschen
Ein mit Ausleger versehenes Boot der Papua
Hawai-Insulaner durchqueren auf Schwimmbrettern die Meeresbrandung
Eine Doppelpiroge der Fidschi-Insulaner

Eine der schwimmenden Inseln im Atlantischen Ozean, deren Errichtung geplant wird Sie sollen aus Eisenbeton bestehen, mit starken Scheinwerfern versehen sein und Schiffen, Luftschiffen sowie Ozeanflugzeugen als Ankerplätze dienen. Die Scheinwerfer sollen den Fliegern die nächtliche Orientierung erleichtern. Vorratsräume dienen der Auffüllung des Flugbedarfs an Öl und Benzin. Unten befinden sich Flugzeugschuppen zur Rast und zur Vornahme von Reparaturen, während der eiserne Turm den Luftschiffern als Ankerplatz dient. Auch Gasträume sind auf den schwimmenden Inseln vorgesehen

Maritimes, Hawai-Insulaner durchqueren auf Schmwimmbrettern die Meeresbrandung

Maritimes, Hawai-Insulaner durchqueren auf Schmwimmbrettern die Meeresbrandung

Maritimes, Eine Doppelpiroge der Fidschi-Insulaner

Maritimes, Eine Doppelpiroge der Fidschi-Insulaner

Wasserfahrzeuge der Naturmenschen - Ein mit einem Ausleger versehenes Boot der Papua

Wasserfahrzeuge der Naturmenschen - Ein mit einem Ausleger versehenes Boot der Papua

Maritimes, Eine der schwimmenden Inseln im Atlantischen Ozean, deren Errichtung geplant wird

Maritimes, Eine der schwimmenden Inseln im Atlantischen Ozean, deren Errichtung geplant wird