Unterwürfige Redensarten.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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269. Unterwürfige Redensarten, alter Hausrat solcher Art, der wenn auch nicht gebraucht, doch dem neuen den Platz raubt; solche noch aufrechtstehende Mauern und Trümmer von niedergerissenen Kerkern aus Zeiten einer knechtischen Untertänigkeit, finden wir im deutschen Lande aller Orten und Wege. Trauriger Anblick! zu ernst, um darüber zu lächeln. So lange nicht ihre letzte Spur vertilgt wird, denke man an keine wahre Freiheit der Deutschen. Von alleruntertänigsten treugehorsamsten Ständen, von Sprechern die des Volkes Wünsche und Klagen Allerhöchst ihrer Huld und Gnade keuchend vorschleppen, erwarte man nicht viel. Es ist ein wunderbarer Zauber in den Worten, sie rufen Geister hervor, und leichter noch bannen sie den Geist. Welchem Manne mit einem freien und kühnen Herzen in der Brust, müßte das Kettengeklirre gefesselter Zungen nicht unerträglich sein, so daß er lieber alle seine Gefühle zurückdrängen, als sie den peinlichen Bücklingen und Verzerrungen einer veralteten Feudalsprache unterwerfen würde? Ich bin doch wohl der Einzige nicht, der hundermal in seinem Leben des Teufels hätte werden mögen, wenn er in eignen Angelegenheiten oder in amtlichen Berichten geraden Weges auf das Herz und den Kopf des Regierenden zugehen wollte, und jeden Augenblick von einem Hochdieselben, Hochderen, Allerhöchstihrer wie von lästigen Bettlern angefallen und aufgehalten worden, so daß er nicht von der Stelle kam und die schönsten und notwendigsten Gedanken um sich zu erleichtern, zurücklassen mußte?

Da wo uns diese Sprachschlingen von Vorgesetzten und hohen Händen angelegt werden, müssen wir – es ist nun einmal so – bis zum Tage der Erlösung geduldig darin fortzappeln. Aber wir gemeinen Leute, warum werfen wir nicht wenigstens im Umgange mit unseresgleichen diese Hindernisse weg? Warum schreiben wir noch immer fort Ew. Wohlgeboren, Ew. Hochedelgeboren, Ew. Hochwohlgeboren? Warum verabreden wir uns nicht gemeinschaftlich, dieses zu unterlassen?

Ich habe neulich einen Brief von Goethe an einen Maler gelesen, worin über ein gewisses Kunstwerk, verständige und sinnige Worte gesagt waren. In dem Schreiben kam Ew. Wohlgeboren vor. Es war wunderlich zu lesen, an einem solchen Orte und von einem solchen Manne. Wir geringen Leute, wir müssen freilich alles folgsam mitmachen, und dürfen es nicht wagen, störend in die Gebräuche der Menschen einzugreifen. Aber wenn ich Goethe wäre, ich duldete es nicht und ließe mir ebenso angelegen sein, eine abgeschmackte Sitte außer Gang zu bringen, als es mir wäre, irgend eine Kunstansicht geltend zu machen.

Ihr lieben ehrsamen Herren, werdet mir nicht alle Recht geben. An Dich will ich mich wenden, Du taumelnder unverständiger und unverstandener Jüngling. Sind Dir nicht Jean Pauls Schriften Deine heiligen Bücher, in denen Du Trost, Hoffnung und das Ende aller Furcht, in denen Du Deine irdische Nahrung und Dein Himmelsbrot findest? Hat er Dir nicht Tausend Rätsel gelöst, die Dich verwirrten, und Rätsel aufgegeben, die Dich ergötzten? War er nicht das treue Wörterbuch, das Dir alle Gefühle Deines Innern er klärte? Deckte er Dir nicht alle Geheimnisse auf, selbst jene verborgenen, selten gefundenen, die auf der Oberfläche der Dinge liegen? Du suchtest einen Leidensbruder, er gab Dir ihn, welcher litt, duldete wie Du und genas. Du suchtest einen Ausweg für Deine Wonnen und Deine Schmerzen, er öffnete Dir ihn: er entlockte Deine Tränen und trocknete sie. Es gibt eine Höhe der Empfindung, auf welcher der Mensch sich verzehrt, weil er allzu reinen Sauerstoff atmet; es gibt eine Tiefe des Gefühls, in der, von irdischen Dünsten umwallt, das Herz unter matten Schlägen sich hinschleppt. Dann Jüngling, wenn Du bald Stärkung suchtest, wenn Du von der Erhebung oder dem Falle des menschlichen Geistes Dich erholen wolltest, lasest Du die Bücher Jean Pauls. Denn an die Flügel hochherziger Menschen hängt er das erdwärts ziehende Gewicht des alles ausgleichenden, mit dem Verwandtschaftsstempel der Vergänglichkeit bezeichnenden Spottes, damit sie in ihrer Erhebung über Andere sich nicht einsam und unglücklich fühlen. Da aber, wo die Menschheit in ihren gemeinen Bedürfnissen Dich anekelt, erhebt er Dich Niedergebeugten durch jene Liebe, die Alles veredelt, alle Flecken reinigt und alles Dunkle erhellt. Dein Dichter, das fühlst Du heraus, Jüngling, trägt nicht einen geschlossenen Tempel in sich, den der Markt des gewöhnlichen Treibens umgibt, er ist im Leben wie in seinen Schriften und „die Gemeinheit, die uns alle bändigt,“ berührt ihn nicht. Ach, wie oft sehntest Du dich, Dich an seine Brust zu lehnen, seine Hand mit Tränen des Dankes und der Liebe zu benetzen. Mit welchem freudigen Schrecken erfährst Du, daß ihn eine Reise in Deine Nähe geführt, daß er in Deinem Wohnorte angekommen. Du würdest empfindungsvoll zu ihm eilen, aber auch Dich schüchtert die tückische Macht eines ungereimten Lebens zurück. Zu schreiben hättest Du wenigstens den Mut. Nun setze Dich hin, Kamerad, und beginn Deinen Brief:

„Hochgeschätzter Herr Doktor, insonders hochzuverehrender Herr Legationsrat! – Ew. Wohlgeboren wollen gütigst verzeihen, ....“ Jetzt vergieße Dich, wenn Du kannst, oder fahre aus der Haut wie ich.