Unpolitische Bilder aus St. Petersburg. 06. Bauten.

Skizzen, nach dem Leben gezeichnet
Autor: Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspieler, Puppenspieler, Landwirt, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Leibeigenschaft, Bauern, Reformen, St. Petersburg, Heimat, Hauptstadt, Land und Leute, Militärdienst, Sitten und Bräuche,
Zu den großartigsten Einrichtungen Petersburgs gehören das Arsenal und die Doggs in Kronstadt; ferner fesselt die Aufmerksamkeit des Fremden vor Allem die Masse der herrlichsten Kirchen und öffentlichen Gebäude aller Art, voran das Winter-Palais usw. Doch ich will den Leser nicht mit Berichten ermüden, die er in jedem Guid de voyageurs ausführlicher verzeichnet findet; ich will nur einen Moment bei den öffentlichen Spitälern verweilen und nur eines anführen, das Abuchowsche, das ich durch die Freundlichkeit eines seiner Dirigenten, des, leider! zu früh verstorbenen, als Arzt, Administrator und Mensch gleich ausgezeichneten, Staatsrats Götte, näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Diese Hospitäler zeichnen sich bei ihrem ersten Anblick durch die vorherrschende Reinlichkeit und Bequemlichkeit so auffallend aus, dass man schon daraus das günstigste Vorurteil für die Behandlung des Kranken schöpft, und diese ist in der Tat so trefflich, die Wartung und Pflege so ganz vorzüglich, dass ich Fremden, die in Petersburg auf sich selbst verwiesen sind, und im Gasthofe oder chambre-garnie wohnen, unbedingt rate, im Erkrankungsfalle ihre Zuflucht zu so einem öffentlichen Hospitale zu nehmen, wo ihnen, gegen billige Vergütung ein eigenes Zimmer und eigene Bedienung eingeräumt wird, wie sie, namentlich letztere, gewiss in keinem anderen fremden Hause finden dürften.

Da ich von Hospitälern spreche, darf ich eine Anstalt nicht unerwähnt lassen, die vor allen Andern meine lebhafte Teilnahme auf sich zog. Es ist dies ein Privat-Hospital für Augen- und Ohrenkranke, von dem, in diesem Fache ausgezeichneten, Dr. Karl Friedrich Strauch, der wohl mit vollem Rechte der Petersburger Kramer genannt wird. Herr Dr. Strauch, ein Mann von Vermögen und großem Ansehen, der häufig nach Moskau, selbst nach Kiew zu bedeutenden Operationen gerufen wird, und eine außerordentliche Praxis in Petersburg hat, gründete dieses Hospital aus eigenen Mitteln, und wies zwei Dritttel der darin enthaltenen Plätze für unbemittelte Kranke gratis an. Wer es weiß, dass die meisten Krankheiten in Petersburg sich, in Folge des großen Staubes im Sommer auf die Augen werfen; dass Gehörsleiden nirgends häufiger als in Russland unter den niedrigen Ständen gefunden werden — wohl eine Folge des oft übertriebenen und unvorsichtigen Gebrauchs der Dampfbäder — der wird leicht ermessen, dass sämtliche Freistellen in diesem Hospitale, Jahr aus Jahr ein, stets besetzt sind und deren immer eine große Zahl schon im voraus vorgemerkt ist. Die Patienten erhalten hier nicht nur ärztliche Behandlung und Arznei, sondern auch jegliche Verpflegung an Heizung, Beleuchtung, Speise und Trank, selbst Wäsche und Lektüre gratis. In Petersburg werden Ärzte außerordentlich bezahlt; wären aber auch die übrigen, für zahlende Kranke bestimmte Zimmer, stets besetzt und honorierten diese Kranken auf das Anständigste, so könnte dies doch unmöglich die Kosten, welche die Freistellen verursachen, auch nur zum größten Teil decken. Das Hospital ist in der Wosnischensky gelegen, in einem vollkommen gesunden Teile der Stadt, reichlich der frischen Luft und des Lichts genießend. Die Bedürfnisse der Arzneien erleichtert dem Gründer des Hospitals sein Bruder, der Apotheker Alexander Strauch, vulgo: Moses genannt, der seine Offizin, ebenfalls im eigenen Hause, Ecke Balschoi-Mechansky und Garochovoy hat, und die Übereinkunft mit jenem traf, ihm die Arzneien für sein Gratishospital bis auf eine gewisse Summe unentgeldlich zu liefern, wogegen jener die komptanten Bedürfnisse der Anstalt ebenfalls von ihm bezieht. Ehre, hohe Ehre! diesem wackeren Brüderpaar, das seine gesellige Stellung so edel und uneigennützig zum Besten der leidenden Mitmenschen benutzt; und doppelt sei ihm Ehre, da Beide ihre Wohltaten, ohne Rücksicht auf Nationalität, jedem ohne Unterschied spenden, der ihrer bedürftig ist. So etwas von Landsleuten sagen zu können, tut doppelt wohl.

Was die Bauart der Hauser betrifft, so ist sie eigentümlich, sehr zweckmäßig, aber teuer. Obgleich das Baumaterial, Steine, Holz, Eisen, dort ungleich billiger ist, als bei uns, sind die Häuser doch in viel höherem Wert. Der Besitz eines „steinernen Hauses" bezeichnet in Petersburg schon einen wohlhabenden Mann. Das Prädikat steinern, als Gegensatz zu hölzern, dürfte bald ganz wegfallen, denn im Zentrum der Stadt gibt es gar keine hölzernen Häuser mehr, und die in entlegenen Straßen dürften auch nach und nach ganz verschwinden, da bedeutende Reparaturen, sogenannte „Bauten", an denselben nicht mehr vorgenommen werden dürfen, sondern die Eigentümer in diesem Falle zu deren Einreißen und Wiederaufbauen von Stein verpflichtet sind. — Die Teuerung des Baues entsteht durch den hohen Arbeitslohn und die große Solidität der Gebäude. Petersburg ist teils auf morastigem, teils sandigem Grund gebaut; Häuser von einiger Größe erfordern daher ungeheure Fundamente. Wenn man bedenkt, dass vor hundert Jahren auf dem Platze, wo der mächtige Dom der Kasansky steht, noch ein grundloser Morast war, der ganze Wälder verschlang, bevor man es wagen durfte, ein so kolossales Monument darauf zu errichten, so staunt der Geist vor der Kühnheit der Idee, die an solchem Platze eine solche Riesenstadt erschuf. Wie der Gedanke der Gründung dieser Stadt in Peter dem Großen entstand, so war auch er selbst der belebende Geist beim Entwurf des Planes. Er wollte eine immense Handelsstadt gründen, ein zweites Amsterdam; er wollte seine Schiffe in Indien befrachten und ihre Waren vor den Häusern seiner Kaufherren mitten in der Residenz direkt von den Seeschiffen auf die Speicher winden lassen; deshalb waren im Plane diese drei so breiten und verhältnismäßig tiefen Kanäle entworfen, die Petersburg nach allen Richtungen hin durchschneiden. Während ihrer Anlage reiste der Zar nach Holland; als er zurückkam, besichtigte er mit Menzikoff, dem die Oberaufsicht der Bauten übertragen worden, den Fortgang derselben, und, an der „blauen Brücke" angelangt, wo gegenwärtig der neuerstandene herrliche Palast des Herzogs von Leuchtenberg steht, fand er sich in seinen Erwartungen getäuscht. Die Gesamtanlage der Kanäle war verpfuscht, der Großartigkeit seines Planes die Spitze gebrochen. Glühend vor Zorn, aber ohne ein Wort des Vorwurfs, griff er nach seinem unzertrennlichen Begleiter, seiner treuen „Dubina“, und ließ den Rohrstock auf dem Rücken des, wie eingewurzelt in grader Haltung vor ihm stehenden, Ministers weidlich tanzen, bis er endlich vor Erschöpfung inne hielt. Nachdem sein Zorn sich abgekühlt, fügte er sich in das Unabänderliche, umarmte Menzikoff und küsste ihn, zum Zeichen der Versöhnung, auf beide Wangen. Hierauf bestiegen sie den Wagen und fuhren weiter. Das gaffende Volk, das Zeuge dieser auffallenden, wenn auch nicht unerhörten, Seme war, gab aber dem verhängnisvollem Orte, an dem sie sich zugetragen, sogleich den Namen der „Kussbrücke", welche Benennung sich in seinem Munde erhalten hat bis auf den heutigen Tag.

War so auch Peters großartige Idee mit seinen Kanälen vereitelt, so bilden diese doch heute noch, mit ihren herrlichen Graniteinfassungen, nicht nur eine der schönsten Zierden der Stadt, sondern leisten auch dem Verkehr immer noch einen wesentlichen Vorschub. Ganz besonders aber sind sie in Gesundheitsrücksicht von der allerhöchsten Wichtigkeit; sie ziehen sämtliche Feuchtigkeit des Morastbodens an sich, und ihnen ist es zu danken, dass der Aufenthalt in Petersburg ein so gesunder ist.

Die höchste Wachsamkeit der Behörden ist bei dem Bau neuer Häuser auf die gehörige Legung des Fundaments gerichtet. Verteuert dessen Gründlichkeit den Bau schon um ein Bedeutendes, so trägt hierzu die notwendig erforderliche Dicke der Mauern noch mehr bei. Mit den dünnen deutschen Mauern könnte man in einem Petersburger Hause nicht existieren. Sie werden von den dortigen an Umfang wohl um das Vierfache überboten. Dasselbe Verhältnis ist mit dem Eisen der Fall; es wird dort ungemein zierlich, aber dabei äußerst stark und dauerhaft verarbeitet. — Nur ungern bequemen sich die Besitzer hölzerner Häuser dazu, sie gegen steinerne zu vertauschen; von den Kosten abgesehen, sind jene auch heimischer und wärmer. Letzteres sollte man kaum glauben, und dennoch ist dem so; die Balken sind in ihren Fugen und Spalten so dicht mit Moos verstopft und zwischen den Wänden und ihren Bekleidungen damit so wohl austapeziert, dass sie, hinsichtlich der Wärme, den dicksten Mauern nicht nachstehen, ja sie wohl noch um ein gutes Teil übertreffen. Hinsichtlich der Dauer ist natürlich gar kein Vergleich anzustellen, und ganz vornehmlich wendet man gegen die hölzernen Häuser die Besorgnis vor Feuersgefahr ein.

Die Bauten sind, wie gesagt, sehr kostspielig, aber die Krone erleichtert solche den Privaten ungemein. Hat ein Bauherr nur die Mittel, sein Haus unter Dach zu bringen, so wird, nach dem Plan des Baues, der Wert desselben, wenn er beendet sein würde, taxiert, und zwei Drittel dieser Total-Summe, die oft mehr beträgt, als schon hinein gebaut worden, werden ihm sofort von der Krone vorgestreckt. Er übernimmt dagegen nur die Verpflichtung, jährlich 4 pCt. Zinsen und 4 pCt. vom Kapital abzuzahlen, beides aber fortlaufend von der Summa des ursprünglichen Darlehns, so dass, bei regelmäßiger Zahlung, die ganze Schuld in zirka 20 Jahren getilgt ist. — Auf diese Weise sind viele, namentlich deutsche, betriebsame Männer reich geworden, denn haben sie nur irgend ein Geschäft oder eine Stellung, die sie ernährt, und ein geringes Kapital, um den Bau zu beginnen, so finden sie leicht hinlänglichen Kredit, um das Gebäude unter Dach zu bringen. Durch die Kronvorschüsse zahlen sie dann die Schuld zurück, und ist der Bau einmal beendet, so können sie ohne Mühe durch die Mietverträge Zinsen und Kapital tilgen, das nur in Summa acht pCt. beträgt. Die Abgaben belaufen sich nicht ganz auf ein pCt.; in den ersten zwanzig Jahren fallen keine bedeutenden Reparaturen vor, und das müsste ein schlechtes Miethaus sein, das in einem, nur einigermaßen vorteilhaft gelegenen, Teile der Stadt nicht mindestens 10 pCt. Zinsen trüge.

Einen interessanten Gegenstand bilden die „Melutten-Buden". — In ihnen ist Alles zum Verkauf ausgestellt, was bei uns die sogenannten „Italiener" bieten; aber in einer Fülle und Auswahl, wovon man hier zu Lande keine Ahnung hat. Von Butter und Käse bis zu den kostbarsten frischen und eingemachten Früchten, von Salz und Kohl bis zu den feinsten indischen Gewürzen, von Essig und Öl bis zu den seltensten Weinen aller Zonen findet man hier Alles ohne Ausnahme, was selbst eine Lukullische Küche erheischen mag. Millionen sind in diesen Lagern aufgehäuft; nach Millionen schätzt man den Reichtum ihrer Besitzer. Diese Melutten-Händler sind größtenteils Leibeigene des Grafen Scheremetiew. Da der Unfreie nach dem Gesetz keinen Handel treiben darf, so geht das Alles auf den Namen seines Herrn. Dieser unterstützt den angehenden Geschäftsmann mit seinem Gelde, seinem Kredit, und lässt sich dafür eine jährliche Kopfsteuer zahlen, wie sie auch der Bauer auf dem Lande, oder der, mit Erlaubnis seines Herrn, in den Städten Erwerb Suchende zu zahlen verpflichtet ist. Die Scheremetiew'schen Bauern zahlten, als sie jenen Handel mit dem Geld und Kredit ihres Herrn begannen, jährlich auf den Mann S R. B. (1Thlr. 10 Sgr. etwa) — die Weiber sind ganz steuerfrei — und eben so viel und nicht mehr zahlen noch heute dieselben Leibeigenen, die als reiche Handelsleute Millionen kommandieren, die prachtvollsten Häuser bewohnen und in den brillantesten Equipagen fahren.

Nach dem Gesetz ist jede Leibeigene frei, sobald ein Freier sie ehelicht, dahingegen wird jede Freie Leibeigene, die einem solchen die Hand zur ehelichen Verbindung reicht. Es traf sich eines Tages, dass einer der Scheremetiew'schen Meluttenhändler vor seinem Herrn erschien, mit der Bitte, einen seiner Söhne frei zu geben, da er ein armes, aber freies Mädchen liebe, die ihm auch geneigt sei, aber ihre Freiheit nicht ihrer Liebe opfern wolle. Der Vater bot 80.000 Rubel, damit sein Sohn glücklich werde. Der Graf gab es zu und hieß die 80.000 Rubel holen. Im Nu waren sie zur Stelle und der Freibrief ward ausgestellt, den der Graf dem glücklichen Vater mit den Worten übergab: Du wirst mich doch zum Brautführer wählen!" — Als der Graf die junge Frau vom Altar in das Haus ihres Gatten führte und sie ihm daselbst, nach russischer Sitte, auf silbernem Teller das erste Glas Champagner kredenzt hatte, überreichte er ihr das Brautgeschenk, in einem Bouquet frischer Blumen bestehend, die zierlich um ein Päckchen gewunden waren, das jene 80.000 Rubel enthielt, die er auf diese Weise zurückgab. Sein Stolz war, Millionäre zu Leibeigenen zu haben, aber ihre Millionen hatten für ihn keinen Reiz.

Will man sich dem Tumult der Stadt, dem unerträglichen Staube, der, während der Sonnenhitze verpestenden, Ausdünstung der Kanäle entziehen, so flüchtet man aufs Land, auf die, Petersburg in allen Richtungen umgebenden Datschen. Auffallend ist es, dass die schönsten Anlagen sämtlich nach Norden zu gelegen sind, was jedoch durch den Umstand erklärt wird, dass hierzu die Inseln den ersten Anlass boten, welche sämtlich durch die verschiedenen Arme der nordwärts von der Stadt fließenden Newa erzeugt werden. Der nächste reizende Sommeraufenthalt ist die Apotheker-Insel, unweit Kammenoje-Ostrow, und auf dem Wege dahin, etwa drei Werst von der Isaaks-Brücke gelegen. Eine große Anzahl reizender Datschen und lieblicher Gärten geben ihr das freundlichste Ansehen; und die Arrangements der Treibhäuser sind so entzückend schön, dass man sich, bis zur Täuschung, in tropische Länder versetzt zu sehen wähnt.

Durch einen Arm der Newa ist die Apotheker-Insel von Kammenoje-Ostrow getrennt, der prachtvollsten sämtlicher Inseln, sowohl hinsichtlich der Bauten als der Anlagen; hier liegt auch hart am Ufer des Flusses das Sommerschloss der Großfürstin Helena, Gemahlin des, leider zu früh, verstorbenen Großfürsten Michael; ein herrlicher Garten umgibt es, der aber, wie ihr Garten in Petersburg, dem Publikum nicht geöffnet ist. Kammenoje-Ostrow besitzt auch ein sehr artiges Theater, in welchem, bei Anwesenheit des Hofes, die Franzosen häufig Vorstellungen geben. Den andern Gesellschaften wird diese Ehre nie zu Teil.

Von Kammenoje-Ostrow gelangt man, zum Teil durch einen sehr reizenden Park, nach der Besitzung der Gräfin Stroganoff, die von ihr den Namen führt. Zwei herrliche Gebäude, ganz im gotischen Geschmack erbaut, stehen hier, unfern der Heerstraße mitten im Garten, und bieten den Vorüberwandernden einen reizenden Anblick. Ich hörte viel vor meiner Reift nach Petersburg von den berühmten Stroganoff'schen Gärten; muss aber gestehen, dass ich, außer den eben genannten, keiner solchen ansichtig wurde.

Die Stroganoffs bilden nicht nur eine der angesehensten Familien unter dem russischen Adel, sondern sie sind auch enorm reich, haben große Güter, eine beträchtliche Anzahl von Untertanen, und mit den Letzteren ein ungewöhnliches Glück. Wahr ist es, es ist in der Familie Sitte, die Leibeigenen mit ganz besonderer Sorgfalt zu behandeln, für ihre Erziehung bestens zu sorgen und jedes keimende Talent auf das Ersprießlichste zu pflegen. Daher kommt es, dass fast sämtliche Beamte, Inspektoren, Rechnungsführer, Aufseher u. s. w. der umfassenden Güter ihre Leibeigenen und so verlässliche und treue Diener sind, dass ihre Verwaltung sich vor vielen anderen auf das Vorteilhafteste auszeichnet; aber Genie kann auch die sorgsamste Erziehung nicht gewähren, und die Leibeigenen der Stroganoffs gaben der Menschheit ein Genie. Der Architekt, der den Plan zu einem der merkwürdigsten Gebäude Petersburgs lieferte, war ein Leibeigener des Grafen Stroganoff, der ihm in Anerkennung seines seltenen Talentes die Freiheit schenkte.

Dieses bewundernswürdige Gebäude ist nichts geringeres als die Casansky (der Dom der heiligen Jungfrau von Casan). Es ist in der Tat ein staunenswertes, ja eines der imposantesten Gebäude dieser Art. Zwei zirkelförmige Säulengänge, denen ähnlich vor Sankt-Peter in Rom, führen zum Eingang der Kirche, den kolossale Statuen schmücken; im Innern des Doms prangen sechs und fünfzig Säulen, jede ganz aus einem Stücke von dunklem Marmor und auf das vollkommenste geschliffen; ihre Lange beträgt 52 Fuß, und die korinthischen Kapitäler über denselben sind herrlich gemeißelt und reich vergoldet. In gleichem Geschmack sind alle übrigen Verzierungen, Wände und Fußboden von geschliffenem Marmor, und an den verschiedenen Bildern, die die Kirche schmücken, ein Reichtum von Edelsteinen angebracht, der das Auge wahrhaft blendet. Vor allen anderen ist das Bild der Jungfrau mit dem Jesuskinde von Diamanten, Saphiren und Smaragden der seltensten Schönheit förmlich bedeckt. Das Bild, nach welchem die Kirche genannt wird, ließ Ivan Wasiliewitsch von Casan nach Moskau bringen, und Peter der Große entführte es von da nach seiner neuen Stadt, sie dessen Schutz und Beistand übergebend. Die Schätze dieser Kirche allein wären hinreichend, die Kosten von sechs ungarischen Feldzügen zu decken.

Betrachtet man mit ernstem Blicke dieses erhabene Denkmal der Baukunst, und erinnert sich dabei, dass nicht nur all und jedes dazu gehörige Material dem Schoße des Reiches selbst entnommen worden, sondern dass auch keine fremde Hand bei diesem Werke, rein russischer Kunst, hilfreich Dienste geleistet, so fühlt man sich geneigt, gerechter als es sonst üblich ist, über dies Land und seine Bewohner zu urteilen und die Begriffe von der hohen Stufe ihrer Barbarei in etwas herabzustimmen.

Nicht weit von der Casansky, am Ende der Perspektive, auf dem ungeheuren Platz, der von der Kirche alldort seinen Namen trägt, erhebt sich ein anderes, noch imposanteres, wahrhaft kolossales Monument der Baukunst, eines der größten und umfassendsten, das die Erde trägt: die Isaaks-Kirche. Ich will mich in keine Details einlassen, die Hunderte von Reisebeschreibungen schon geliefert; der Zweck dieser Blätter ist, Sitten und Gebräuche zu schildern; der Monumente erwähne ich nur, in so fern sie Bezug auf jene haben und hinsichtlich des Eindrucks, den sie auf mich gemacht. Bei diesem Wunderwerke der Baukunst kann ich jedoch einige flüchtige Bemerkungen nicht unterdrücken. Sein Entstehen verdankt es einem Blitzstrahl, der die Kirche in Asche legte, welche Peter der Große an der Stelle hatte bauen lassen, welche gegenwärtig die heilige Synode ziert. Den Verlust zu ersetzen, legte Katarina II. den Grundstein der Isaaks-Kirche auf dem Platz unweit der abgebrannten. Die ersten Pläne dazu lieferte der italienische Architekt Rinaldi; das umfassende Werk verschlang unendliche Zeit und viele, viele Millionen. Nach ihrem Tode kam Kaiser Paul auf die geniale Idee, es schneller und billiger zu beendigen, und schlug als Baumaterial — Backsteine vor. Schnell stieg nun der Bau empor, aber bei weitem nicht so schnell, als er wieder bis zum Fundamente eingerissen wurde, da man bei ziemlicher Vollendung desselben das Unharmonische und Verfehlte in ihm erkannte. Nun brachte ein eigens dazu ernanntes Komitee viele Jahre damit hin, über die Art und Weise des Ausbaues sich zu verständigen, bis endlich 1819 Kaiser Alexander den Baumeister Montferrand kommen ließ, der, meines Wissens, auch noch im Jahre 1845 mit demselben beschäftigt war. Zwar drang der Kaiser Nicolai mit Ernst auf mögliche Beschleunigung, aber all seine Energie scheiterte an diesem fetten Bauprozesse, der den Advokaten zu gute Sporteln abwarf, um ihn nicht so langsam als möglich von Instanz zu Instanz zu ziehen.

Jerrmann, Eduard (1798-1859) deutscher Schauspieler, wirkte 1842 als Oberregisseur am Deutschen Theater in St. Petersburg

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Russland 004. Petersburg, Blick von der Newa auf die Isaakskathedrale und den Palast des Heiligen Synod

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Russland 006. Petersburg, Holzbarken auf der Fontanka bei Eisgang

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Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale

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Russland 009. Petersburg, Am Hafen

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Russland 010. Petersburg, Isaaksplatz

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Russland 015. Der Ladogakanal, Die Schiffe, die zur Vermeidung der gefährlichen Stürme und Klippen des Ladogasees durch den seinem Südufer entlang führenden Kanal fahren, werden meist von Pferden getreidelt

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Russland 087. Bauer. Der Säemann (Gouvernement Mohilew)

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Russland 087. Bauer. Weißrusse (Gouvernement Mohilew)

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Russland 087. Litauischer Bauer (Gouvernement Grodno)

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