Abschnitt 1

Aufenthalt in Jerusalem und Untersuchung der Umgegend


Tagebuch über seinen Aufenthalt in Jerusalem und mehrere Reisen durch Palästina, Süd-Phönicien, die Transjordan-Länder und rings um das Todte Meer.


Aufenthalt in Jerusalem und Untersuchung der Umgegend 1).


Jerusalem, 12. April 1806. Heute Morgen schien das Wetter regnigt werden zu wollen; allein es klärte sich nachher wieder auf.

Ich hatte gestern durch den Dolmetscher des Franciscanerklosters 33½ Piaster an den Einnehmer der Gefälle, welche die christlichen Pilger bezahlen müssen, wenn sie zum erstenmale in die Kirche des heiligen Grabes gehen, auszahlen lassen, um heute dem Feste des heiligen Feuers beiwohnen zu können. Das Feuer fällt nach der Versicherung der griechischen Mönche unmittelbar vom Himmel, und wird von dem Vicarius des Patriarchen, welcher deswegen den Namen des Licht-Bischofs (Motthrân el nûr) erhält, in Empfang genommen. Der Glaube an dies jährlich erneuerte Wunder trägt nicht wenig da zu bey, das fromme Feuer bey der zahlreichen griechischen Glaubensparthey zu nähren und die Fortdauer der Pilgerreisen nach Jerusalem zu erhalten. Die Mönche waren so glücklich in der Unterhaltung dieses Vorurtheils, dass ein levantinisch-griechischer Christ sein Leben in Gefahr setzen würde, wenn er öffentlich seinen Zweifel darüber zu erkennen geben wollte.

Ich ging mit dem P. General-Procurator, dessen Adjunct, zwey Dolmetschern und einigen andern Personen zur Kirche des heiligen Grabes, die etwas von dem Franciscanerkloster entfernt ist. Vor uns ging ein Janitschar dieses Klosters. Wir trafen vor der Thüre einen Volkshaufen an, welcher sich drängte, stiess und allerhand Unanständigkeiten beging. Auf einer Erhöhung neben dem Eingange sassen der Gouverneur, der Kady, und das Haupt der Scherife oder der Nakîb, unter einem Zelt, welche unsern Gruss freundlich erwiederten. Vor der Thüre war ein Queerbaum angebracht, damit sich das Volk bey ihrer Oeffnung nicht in Masse hineindrängen konnte. Zwey Bediente des Gouverneurs trugen eine Geissel, womit sie einzelne Drängende schlugen. Diese und etliche andere Mohammedaner benutzen diese Gelegenheit, sich einen artigen Verdienst zu machen, indem sie einigen Pilgern für ein Geschenk behülflich sind, sie in die Kirche zu bringen, welches Geschenk jedoch immer weit weniger beträgt, als sie dem Einnehmer hätten bezahlen müssen, indem die Abgabe an denselben für einen Levantiner 25 Piaster beträgt.

Wir wurden ohne Umstände hineingelassen, und fanden schon eine Menge Menschen darin versammelt. Wir gingen neben dem kleinen Grabgebäude hin, welches mit reichen Hautelissen behangen war, und welches in der Mitte unter der oben offnen Kuppel steht, womit dieser Theil der Kirche, der eine Rotunde bildet, versehen ist. Diese Rotunde hat 2 Gallerien über einander, aber ohne Symmetrie, woran es überhaupt der übrigens reichen und ansehnlichen Kirche des heiligen Grabes gänzlich fehlt. Man hat so viele Kapellchen und dergleichen in derselben angebracht, dass dadurch ihre innere regelmässige Form fast ganz verdeckt wird. Die Kuppel ruht auf mehreren Pfeilern und Säulen. Die Gallerien waren mit Teppichen und Gemälden geschmückt.

Da die levantinischen Christen heute den Platz um das Grab besetzt hielten, so ging ich mit dem General-Procurator durch die Kapelle, die zu dem Kloster gehört, das an der Kirche zum heiligen Grabe befindlich ist, auf den Theil der Gallerie, die in den Händen der Franciscaner-Mönche ist. Diese Kapelle ist ungemein reich mit Gemälden, Vergoldungen und Marmor geziert. Der Eingang ins Kloster ist enge und dunkel. Die Zahl der hiesigen Mönche betrug jetzt zwölf. Sie werden nach einer gewissen Zeit von andern aus dem grossen Kloster St. Salvator abgelösst, und einem Mönch, der nicht ungemein devot ist, muss diese Ablösung sehr angenehm seyn, weil sie hier in einem traurigen Gefängnisse leben, indem, die Feste ausgenommen, der Eingang zur Kirche des heil. Grabes immer verschlossen gehalten wird, und ihnen alle Bedürfnisse täglich durch eine Oeffnung in der Thüre vom grossen Kloster überbracht werden. Eben dies gilt auch von den übrigen christlichen Religionspartheien, welche sich in Jerusalem aufhalten, von welchen immer etliche Mönche in dieser Kirche in besonderen Gebäuden befindlich sind. Etwas an diesen Gebäuden ausbessern zu lassen, ist ohne Erlaubniss der Obrigkeit verboten, und diese Erlaubniss kann nur durch grosse Geldsummen erkauft werden. Die Franciscanermönche versicherten mir, dass sie aus diesem Grunde die sehr nöthigen Ausbesserungen ihres Klosters an der Grabkirche von einer Zeit zur andern verschöben.

Von der Gallerie hatte ich das Vergnügen, die Versammlung unten eine Zeitlang ungestört zu beobachten. Das kleine Grabgebäude hat die Grösse eines grossen Zimmers. Es bildet ein länglichtes Viereck, ist mit Kupfer bedeckt, und hat an einem Ende eine kleine Latern-Kuppel. Die Griechen nehmen den Platz auf der einen Seite dieses Grabgebäudes, im gleichen den Haupttheil der Kirche ein, wo sie ihren Gottesdienst verrichten. Die Armenier hatten sich auf der andern Seite des Grabgebäudes versammelt. Diese hielten sich ruhig, die Griechen hingegen betrugen sich im höchsten Grade unanständig und machten einen Lermen, dass mir die Ohren gellten. Dieser Haufe, der sich beständig vermehrte, bestand aus männlichen Personen von jedem Alter. Die Jüngern stiessen und drängten und balgten sich; drey bis vier von ihnen überfielen einen Andern und trugen ihn, er mochte wollen oder nicht, um das Grab herum, währrend dem ein anderer Haufe ihnen mit wildem Geschrey nachrannte. Kaum hatte man die Runde gemacht, als man mit einem Andern das nämliche vornahm. Es war ein Karneval, und man schien nicht ein christliches Fest, sondern Bacchanalien zu feyern. Junge Mohammedaner mischten sich zwischen diesen ausgelassenen Haufen, und trugen treulich das Ihrige dazu bey, um den Tumult allgemein, zu machen Die Griechen scheinen keine Wallfahrten ohne solche wilde Ausbrüche der Freude begehen zu können. Auf der Gallerie bemerkte ich mehrere Pilgerinnen.

Obgleich die Gallerie der Franken nur für sie und ihre katholischen Religionsgenossen bestimmt ist: so wurde sie doch kurz vor dem Anfange der Procession voll von Mohammedanern, welche sich sehr unbescheiden und herrisch betrugen, die Christen von ihren Plätzen verdrängten, die sie einnahmen. Der General-Procurator hatte neben dem Chor der Kirche, welcher den Griechen gehört, eine verschlossene Gallerie, und er war so gefällig, mich mit sich dahin zu führen. Hier hatten wir zwar völlige Ruhe; allein wir sahen die Procession nicht so gut, als von der grossen Gallerie.




1) Von hier an bis zum 18. May 1807 ist ausser dem Original-Tagebuche eine sehr saubere und deutliche Reinschrift, von Seetzens eigener Hand in Kahiro angefertigt, erhalten und dem Drucke zu Grunde gelegt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ulrich Jasper Seetzen's Reisen. Band 2