Zweiter Vortrag. Mittwoch Morgen.

Da Herr Prof. Heer aufgefordert wurde, sich darüber auszusprechen, wie man sich diese große Klima-Änderung, welche die miozäne Flora fordert, erklären könne, hielt er am Mittwoch einen Vortrag über diesen Gegenstand. Er besprach zunächst die tellurischen Verhältnisse, welche hier in Betracht kommen. Gegen eine Änderung der Pole auch in der Form, welche neuerdings von Evans befürwortet worden ist, spricht die Wahrnehmung, dass sowohl in der Polarzone als in den südlicheren Breiten rings um die Erde dieselben Erscheinungen getroffen werden. Wir finden nirgends Anzeichen einer Verschiebung der Pole und können daher die Klima-Änderung nicht einer solchen Ursache zuschreiben. Viel größeres Gewicht haben wir auf die Ansicht zu legen, dass durch andere Verteilung von Land und Wasser auf der Erdoberfläche die klimatischen Änderungen veranlasst worden seien. Gegenwärtig verhält sich, ersteres zu letzterem ungefähr wie 1:2 ½ . Die Hauptmasse des Festlandes fällt aber auf die nördliche Hemisphäre und zwar besonders auf den außertropischen Anteil derselben. Es befindet sich daher die Erde gegenwärtig in einem abnormen Zustand; als normalen hätten wir zu betrachten, wenn Festes und Flüssiges gleichmäßig über alle Zonen der Erde verteilt wäre, wodurch die gemäßigte und kalte Zone ein wärmeres Klima erhalten würden, als dies gegenwärtig der Fall ist. Mögen wir aber auch eine noch so günstige Verteilung von Land und Wasser vornehmen, werden wir doch keine Verhältnisse erhalten, welche die von uns früher besprochene Flora in Breiten von 70 bis 79° n. Br. zu erzeugen vermöchte. Legen Wir alles Land unter die Tropen und lassen im Norden nur einzelne Inseln bestehen, wird dadurch allerdings für diese die höchst mögliche mittlere Jahres-Temperatur erzielt, und es werden relativ sehr milde Winter entstehen, allein die Sommerwärme wird sich zwischen 70 und 80° n. Br. nicht zu solcher Höhe zu erheben vermögen, um eine so reiche Waldvegetation hervorzubringen. Dazu kommt, dass zur miozänen Zeit nachweisbar sehr viel Festland in der gemäßigten Zone der nördlichen Hemisphäre bestanden hat, und dass es auch in der Polarzone einen großen Umfang gehabt haben muss, zeigt uns die Verbreitung der miozänen Pflanzen derselben, indem mehrere Baum- und Straucharten vom Mackenzie über Grönland bis nach Spitzbergen verfolgt werden können. Wären damals nur einzelne Inseln über die arktische Zone zerstreut gewesen, hätten diese Pflanzen keine so weite Verbreitung erhalten können.

Ein großes Gewicht hat man früher auf die Eigenwärme der Erde gelegt und glaubte von dieser eine Erhöhung der Temperatur in früheren Weltaltern ableiten zu können. Wenn aber auch dies für die ältesten Perioden wahrscheinlich gemacht werden kann, ist dies nicht mehr für das Miozän der Fall, denn dieses Weltalter ist dem Unsrigen so nahe gerückt, dass ein so großer Temperatur-Unterschied nicht aus solcher Quelle fließen konnte. Es ist daher, wenigstens aus den uns gegenwärtig bekannten tellurischen Verhältnissen allein nicht möglich, diesen großen Klimawechsel zu erklären.


Wir müssen daher auch die kosmischen Verhältnisse beraten und uns umsehen, ob nicht in diesen die Lösung des Rätsels zu finden sei. Es können da in Betracht kommen: Änderungen in der Stellung der Erde zur Sonne, in der Intensität der Sonnenstrahlen und in der Temperatur des Weltraumes.

In Betreff der Ersteren hat man in neuerer Zeit einen großen Wert auf die periodischen Änderungen in der Exzentrizität der Erdbahn gelegt. Es bildet die Erdbahn bekanntlich keinen Kreis, sondern in Folge der Einwirkung der großen Planeten eine Ellipse. Die Form dieser Ellipse ändert sich innerhalb bestimmter Grenzen im Lauf der Jahrtausende. Gegenwärtig nähert sich die Erdbahn immer mehr der kreisförmigen und in 23.900 Jahren wird die Exzentrizität ihr Minimum erreichen, es wird die Bahn dem Kreis am meisten sich annähern, von da an aber sich allmählich wieder immer mehr von der Kreisform entfernen. Die mittlere Distanz der Erde von der Sonne beträgt 91 Millionen 400.000 englische Meilen; die größte Exzentrizität steigt zu 1/12 derselben, während die kleinste 1/360 beträgt. In der Zeit größter Exzentrizität würde die Erde sich um etwa 14 ½ Millionen engl. Meilen weiter von der Sonne entfernen als zu der Zeit, während welcher die Erdbahn dem Kreis am meisten sich nähert. Gegenwärtig beträgt der Unterschied 3 Millionen Meilen. Dabei kommt in Betracht, dass gegenwärtig die Erde im Winter der nördlichen Hemisphäre der Sonne am nächsten steht (im Perihelium), im Sommer aber am weitesten von derselben entfernt (im Aphelium) ist. Aber auch dieses Verhältnis ist einem periodischen Wechsel unterworfen, welcher in 21.000 Jahren abläuft. In etwa 10.000 Jahren wird daher der Sommer der nördlichen Hemisphäre auf die Zeit fallen, wo die Erde der Sonne am nächsten und der Winter, wo sie ihr am fernsten ist, während natürlich auf der südlichen Halbkugel sich die Sache gerade umgekehrt verhält. Man hat nun angenommen, dass in den Perioden, in welchen die Erde das Maximum der Exzentrizität erreichte und dieselbe zugleich im Winter der Sonne am nächsten gestanden habe (im Perihel) diese Erdhälfte einen kürzeren aber wärmeren Winter, dagegen aber einen längeren und kälteren Sommer gehabt habe, während umgekehrt die südliche Hemisphäre in dieser Periode einen langen und kälteren Winter und wärmeren, kürzeren Sommer gehabt haben müsste, weil die größte Entfernung von der Sonne für diese auf den Winter fallen musste. Herr Croll nahm an, dass sich während dieser längeren, kälteren Winter so viel Eis hätte bilden müssen, dass der allerdings warme, aber kurze Sommer nicht hingereicht haben würde, um dieses Eis zu schmelzen und dadurch die Eiszeit erzeugt worden sei. Während derselben Zeit hätte auf der andern Halbkugel ein immerwährender Frühling geherrscht, indem der lange Sommer kühler, der kurze Winter dagegen wärmer gewesen sei. Es hat der Astronom Stones berechnet, dass vor 850.000 Jahren die Exzentrizität der Erdbahn am größten war und die nördliche Hemisphäre den Winter im Aphelium hatte; damals habe der Winter 36 Tage länger gedauert. In dieser Periode müsse am meisten Eis und Schnee sich gebildet haben, daher Lyell geneigt ist, in diese die Eiszeit zu verlegen. Vor 900.000 Jahren dagegen sei die Exzentrizität auf ihrem Minimum gewesen und daher auch andere Bedingungen für die klimatischen Verhältnisse gegeben waren. Gegen alle diese Spekulationen lässt sich aber einwenden, dass wir die Bedeutung, welche die Länge des Weges, den die Sonnenstrahlen von der Sonne bis zur Erde zurückzulegen haben, auf die Intensität ihrer Wirkung ausübt, nicht genügend kennen. Mit Recht hat Lyell darauf aufmerksam gemacht, dass nach den Berechnungen von Dove die Erde im Juli, also zu der Zeit, wo sie von der Sonne am fernsten ist, Wärmer sei, als im Dezember, wo sie der Sonne am nächsten. Es rührt dies von der andern Verteilung von Land und Meer auf der südlichen und nördlichen Hemisphäre her, dadurch erhält die letztere einen wärmeren Sommer als die erstere, obwohl diese zur Sommerzeit der Sonne näher ist. Es beweist dies aber eben, dass die Verteilung des Festen und Flüssigen auf der Erde für die Klimafrage viel wichtiger sei, als die größere oder geringere Exzentrizität der Erdbahn und dieser kein so dominierender Einfluss zugeschrieben werden kann. Immerhin ist es aber ein sehr beachtenswertes Moment, das mit der anderen Verteilung von Land und Meer kombiniert, einen großen Einfluss ausüben musste, wie dies besonders durch Charles Lyell in ausgezeichneter Weise gezeigt worden ist.

Ein zweiter kosmischer Faktor für Klima-Änderungen kann in der Sonne gesucht werden. Wir wissen von den Sonnenflecken, dass stetsfort Änderungen auf der Sonne vor sich gehen, es ist daher wenigstens die Möglichkeit gegeben, dass auch die Wirkung der Sonnenstrahlen nicht immer dieselbe gewesen sei.

Außer der Sonne sind aber noch Millionen Weltkörper am Himmel, die ihre leuchtenden und wärmenden Strahlen in den Weltraum ergießen. Es ist daher die Möglichkeit gegeben, dass die verschiedenen Gegenden des unermesslichen Weltraumes eine verschiedene Temperatur besitzen, worauf der Mathematiker Poisson hingewiesen, der daran erinnert, dass die Zahl der Sterne so groß sei, dass sie gleichsam eine zusammenhängende Decke bilden.

Nun wissen wir, dass die Sonne mit ihren Planeten ihre Stellung im Weltraume stetsfort ändert und wahrscheinlich mit ihnen um einen größeren, unendlich weit entfernten Fixstern kreist. Darf daher angenommen werden, dass der Weltraum nicht überall dieselbe Temperatur besitze, erhalten wir die einfachste Erklärung für die von uns früher besprochenen Erscheinungen. Befand sich die Sonne mit ihren Planeten zur miozänen Zeit in einem Teil des Weltraumes, der eine höhere Temperatur besitzt, als diejenige, in welchem sie sich jetzt bewegt, wird diese Wärme allen Teilen der Erde in gleicher Weise zu Teil geworden sein und wird besonders auf die gemäßigte und kalte Zone influenziert und eine gleichmäßigere Verteilung der Wärme veranlasst haben. Es würden dann in diesem Sonnenjahr auch kältere mit wärmeren Zeiten wechseln und die miozäne Periode könnte mit dem Sommer, die Eiszeit mit dem Winter, die Jetztzeit mit dem Frühling verglichen werden. Es wäre dies allerdings ein unermesslich langer Kreislauf, den wir noch nicht zu überschauen vermögen. Es wird aber eine Zeit kommen, wo man denselben wird berechnen können und die nachkommenden Geschlechter werden die Sonnenbahn in ihre Lehrbücher eintragen, wie man jetzt den Lauf der Planeten in denselben verzeichnet. Wenn es uns vor den Zeiträumen, die hier sich vor uns ausbreiten, fast schwindlig wird, so mögen wir bedenken, wie klein der Maßstab ist, den wir anzulegen gewohnt sind. Ein Bild mag dies noch veranschaulichen. Es gibt viele Tiere, welche nur einen Tag lang leben; stellen wir uns vor, dass dies selbstbewusste Wesen seien, oder dass des Menschen Leben nur einen Tag lang dauern würde, so würde der im Winter Geborene nur durch die Tradition erfahren können, dass es einst wärmer gewesen sei und dass einst nach einer langen Reihe von Generationen wieder eine wärmere Periode folgen werde, und der im Sommer Geborene würde nur durch Vermittlung längst untergegangener Geschlechter in Erfahrung bringen können, dass diese warme Zeit auf eine lange kalte gefolgt sei und diese einst wiederkehren werde. Es müsste daher diesen Eintagsmenschen ein Jahr unendlich lange vorkommen, da es 365 Menschenalter umfassen würde.

Das jetzige Menschenalter ist aber kein Tag, es ist kaum eine Minute des großen Sonnenjahres und kein Erdgeborner wird je die Phasen desselben zu überschauen vermögen. Zu überschauen vermögen mit seinen leiblichen Augen, wohl aber mit seinen geistigen, denn er vermag mit seinem Geiste in die ferne Vergangenheit zu dringen und den Zusammenhang von Erscheinungen, die im Laufe von Jahrtausenden sich vollzogen haben, zu erkennen. Sein geistiges Auge reicht in die fernsten Zeiten zurück, wie in die fernsten Himmelsräume hinein!

So klein auch der Mensch dem Leibe nach ist der unermesslich großen Natur gegenüber, so kurz sein Leben im uferlosen Meere der Zeit, so groß ist er durch seinen Geist, der ihn über den Wechsel der Zeiten emporträgt und ihn bewusst werden lässt, dass er den Keim ewigen Lebens in seiner vergänglichen Hülle birgt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Über die miozäne Flora der Polarländer.