Ueber den Begriff der Schönheit.

Autor: Lotze, Hermann (1817-1881) deutscher Philosoph, Erscheinungsjahr: 1845
Themenbereiche
Die Illustrationen wurden nachträglich hinzugefügt. Sie zeigen Mädchen und Frauen wie sie dem Schönheitsideal der damaligen Zeit entsprachen. Die Zeichnungen entstammen: The gallery of Byron beauties: ideal pictures of the principal female characters in Lord Byron's poems (1860) Byron, George Gordon Byron, Baron, 1788-1824
Inhaltsverzeichnis
Über den Begriff der Schönheit.*)

I. Jedem Auge zugänglich, jedem unbefangenen Sinne verständlich berührt in den Gebilden der Natur die Schönheit unerschöpflich das lebendige Gemüt; und doch hat nicht aus ihr, die selbst durch mancherlei Triebe der Sehnsucht oder die Wonne der Befriedigung unterstützt dem Herzen sich aufdrängt, sondern aus der Bewunderung der Kunstschönheit die wissenschaftliche Betrachtung des Schönen ihre ersten Anregungen erhalten. Und dieser Gang der Ereignisse ist nicht wunderbar. Wo die Natur durch die Größe ihrer Gestalten und die Macht ihrer Kräfte zu überwältigen droht, da ruft sie zuerst den Geist zur Selbstverteidigung auf, in deren noch frischem Geräusch und Kampf die Nachforschung nach den stillwirkenden unabänderlichen Gesetzen ihrer Bildungen verstummt; wo der beglückende Einklang ihrer feineren Züge das Gemüt trifft, da werden die angeregten Träume, ihrer eigenen Seligkeit gewiss, lieber fortzuklingen suchen, und in eine reichhaltige Welt von schönen Gestaltungen sich ausspinnen, als dass sie ihren eignen Selbstgenuss unterbrechend, sich zu den Quellen zurückwendeten, aus denen sie entsprangen. Und so finden wir, dass wie die magnetischen Ströme sich gegenseitig hervorrufen, so auch das erste Anschauen und Genießen der Schönheit sogleich in eine schöpferische Fortbildung umgeschlagen ist, und nicht die schöne Natur selbst, weder die des Landes, noch die der Bewohner, sondern die Kunstwelt, dieser erste Abglanz und Widerschein jener innerlich erlebten Naturbedeutung, hat zu der Anknüpfung denkender Betrachtungen geführt. Gegenstand ernsthafterer Bestrebungen wird für uns vorzugsweise das, was wir auf irgend eine Weise an oder in uns selbst erleben können. Man kann zweifeln, ob selbst die wirkenden Kräfte der äußern Welt mit ihren Gesetzen ein Ziel unserer Untersuchungen geworden wären, wenn wir nicht selbst eine Quelle von Bewegungen und Veränderungen dieser Welt wären; wenn wir nicht, indem wir künstliche Vorrichtungen bauen, und auf einander berechnete Räder und Getriebe gegen sich spielen lassen, uns selbst als den innerlich wirkenden und strebenden Geist in diese äußerlichen Veranstaltungen hineinzufühlen vermöchten. Auch das Schöne wurde dann Gegenstand des Nachdenkens, als das Gemüt sich selbst auf seiner Schöpfung betraf und gleichzeitig die Ruhe bewahren konnte, die der Betrachtung notwendig ist. Wenn der Trieb künstlerischer Darstellung schon gewaltet hat, und die Leidenschaften der Furcht und Begehrung, die wohl dem Urbilde gelten konnten, von dem künstlerischen Abbild nicht mehr erregt werden; wenn der Gehalt des Schönen nicht mehr als ein unvermitteltes Äußeres , in seiner fremden, abgeschlossenen Fertigkeit drückendes erscheint, dann liegt es nahe, nicht bloß die Gesetze des Verfahrens zu suchen, nach denen der Geist Schönes bildet, sondern auch den Verhältnissen nachzugehen, auf deren Vorhandensein, abgesehen von dem Hergange der Verwirklichung, die Schönheit des Schönen beruht.

*) Diese Abhandlung, durch ihren Platz in einer Sammlung verschiedner Arbeiten räumlich beschränkt, und bestimmt, durch keinen undeutschen Ausdruck der Sache eine ihr fremde Schwierigkeit zu geben, will nur eine durchaus elementare Einleitung zu den Kunstbetrachtungen sein, die in neuster Zeit teils sehr wertvoll, teils überklug ausgebildet, jedenfalls auf einem Boden ruhen, den zu betreten diesen Zeilen nicht gestattet war.

Dennoch fehlte auch der ersten Ausbildung des menschlichen Geschlechts eine eigentümliche Deutung der natürlichen Schönheit nicht. Unmöglich musste ihr nur dies sein, den Grund des Schönen, Erhabenen oder Grauenhaften, das in wechselnden Erscheinungen das Gemüt ergriff, in Gestalt so einfacher und nackter Begriffe auszusprechen, wie sie für eine wissenschaftliche Ansicht unserer Zeit die Grundlage bilden zu müssen scheinen. Fern von solchen Bestrebungen und unfähig zu ihnen, deutete jene Zeit das Gegebene, indem sie Neues schuf, was sie zu deuten vermochte. Sie trennte nicht die lebendige Innigkeit des Gefühls, die dem Eindruck des Schönen folgt, von den leblosen Formen des Gegenstandes ab, der jenes hervorzubringen im Stande war; alles Äußere vielmehr mit verborgner Lebendigkeit erfüllend, konnte sie Weh und Seligkeit des genießenden Geistes auf die genossene Welt Übertragen. Der schöne Gegenstand war nur darum schön, weil er beseelt dieselben Bewegungen in sich genießen konnte, die seine Betrachtung in anderen Gemütern anklingen musste. So entging, schaffend in ihren Deutungen, die alte Sagenlehre den Zweifeln der wissenschaftlichen Ansicht, die wohl auch gern alles Entzücken des angeregten Gefühls mit in den schönen Gegenstand verlegen möchte und doch sich eingestehen muss, dass das Schöne in dieser Bedeutung nur in dem genießenden Geiste, aber nicht in den genossenen Verhältnissen der Dinge liegen kann, die den unschuldigen oder verdienstlosen Anstoß zur Erzeugung seliger Lust gewähren. Und so finden wir, dass lebhaft für das Schöne begeisterte Ansichten auch in neuester Zeit fast immer geeilt haben, alles Äußere mit einer durchdringenden Lebendigkeit zu begaben. Ohne sie schien es unmöglich, grade das, was von dem Schönen allein einer übergreifenden Gültigkeit würdig wäre, jenen von dem Gefühle unabtrennbaren Wert und Selbstgenuss, auch außer uns in den Gegenständen wiederzufinden. Solche Bestrebungen werden immer die Frucht haben, den Sinn für das Verständnis der einzelnen Schönheiten zu schärfen. Denn die Bedeutung und der Wert innerer Regungen, der Kreis von Handlungen und Äußerungen, zu dem sie in Liebe und Hass, Sehnsucht und Befriedigung hindrängen, selbst die feineren Züge der gesammten Erscheinung, in der das Innere des Gemüts zu Tage kommt, dies alles ist dem unbefangenen Sinne verständlich. Und wenn es ihm vergönnt ist, in dem Äußeren der Natur eine ähnlich strebende und empfindende Seele vorauszuahnen, so wird die Sage, die dem lieblichen Naturgebilde eine ebenso liebliche Seele inwohnen, der grauenhaften oder erhabnen Erscheinung einen ebenso gearteten Willen unterliegen lässt, nicht bloß im Allgemeinen dadurch die besondere Weise des erregten Gefühls andeuten. Vielmehr, indem sie jetzt diese einzelnen Geister zu einem lebendigen Ganzen gegenseitigen Handelns und Leidens verkettet, wird sie durch den Gang ihrer Schicksale oder die Hervorhebung weit verflochtner Beziehungen jedem derselben eine bestimmtere Färbung erteilen, und so deutlicher die Züge hervortreten lassen , auf deren noch unbewusster Auffassung vorher das angeregte Gefühl beruhte. Wir folgen jedoch der Sagendichtung nicht weiter; sie fügte noch mehr hinzu, indem sie der Reihe der Naturgeister geschichtliche Ereignisse und allgemeine Erfahrungen des menschlichen Lebens einflocht; für uns ist nur das Eingeständnis von Wert, das in allem ihren Tun liegt, dies nämlich, dass das volle Schöne nirgends anders, als in der Erschütterung des genießenden Geistes, zu suchen sei.

Zwar auch die einfachen Empfindungen der Sinnlichkeit, der Glanz des Lichtes und die Pracht der Farben sind Nichts, was abgewandt vom Bewusstsein an den Dingen selbst haften könnte, sondern sie sind Erscheinungen, die an äußern und innern Ereignissen hangen, ohne von diesen selbst uns eine Vorstellung zuzuführen. Aber wir wissen nichts unmittelbar von den Wellen der Lichtströme und nichts von den Zuständen, die sie im Innern unsers eignen Leibes hervorbringen; wir sind nicht im Stande, den Gegenstand, wie er ohne alle Sinnlichkeit für uns sein würde, mit dieser seiner sinnlichen Erscheinung zu vergleichen; wir fühlen uns endlich in diesem Allen hingegeben an eine angeborne Notwendigkeit unserer Natur. Aus allen diesen Gründen haftet für die unmittelbare Auffassung alles Sinnliche viel fester an dem Gegenstande, zu dessen anhängenden Eigenschaften es gerechnet wird, als die Schönheit oder Hässlichkeit an ihnen haften kann. Denn durch sie wird uns der Gegenstand nicht gegeben, sondern bereits feststehend erweitert sich durch das wertgebende Urteil des Geschmackes sein Inhalt nur in sofern, als ihm die Kraft zugeteilt wird, in seinem zufälligen Zusammenstoß mit einem empfänglichen Gemüte einen eigentümlichen Zustand der Lust zu veranlassen. Auch hier zwar drängen sich die Gründe, durch deren Vermittlung die Lust dem Eindruck folgt, nicht hervor, sondern das beglückende Ergebnis scheint allein über dem Spiegel des Bewusstseins zu treiben. Dennoch ahnen wir, dass nicht uns völlig verschlossene, beständige Einrichtungen unsers Innern, sondern mehr oder minder eines deutlichen Selbstbewusstseins fähige Strebungen und Regungen des wahrhaft eigenen Geistes durch den Eindruck des Schönen berührt werden. Wir ahnen überhaupt, dass Alles, was einen Wert vom Bewusstsein erlangen soll, die Seele nicht in Ruhe, sondern in einem lebendigen oder zurückgehaltnen Streben antreffen muss. Dies teilt das Schöne mit dem Angenehmen, und schon Kant, dem die denkende Betrachtung des Schönen mehr verdankt, als jetzt anerkannt zu werden pflegt, fand die Schönheit in einer Angemessenheit der Verhältnisse des Gegenstands zu dem Spiele unserer Erkenntnisvermögen, jährend, was den notwendigen Gesetzen unsers Verstandes allein sich fügt, keinen besondern Dank von uns verdient, müssen wir es als eine freie Gunst des Schicksals betrachten, wenn das Gegebene noch außerdem Beziehungen und Zusammenhänge zeigt, durch die es unserm Wunsch nach Zusammenfassung unter wenigen höhern Gedanken zuvorkommt. Eine Welt wäre möglich, in der keine Gattungen als beherrschende Gestalten der Mannigfaltigkeit sich zeigten, sondern alles Einzelne unvergleichbar neben einander stände; dass aber anstatt dieser für alle denkende Betrachtung spröden Welt die sich selbst zu hohem Gipfeln zusammenschließende Welt der Erfahrung vorhanden ist, dies ist selbst ein Gegenstand der uneigennützigen Lust, die in ihrer Beziehung auf das Einzelne, Mannigfaltige zu dem Gefühle der Schönheit sich umwandelt. Nicht also in dem bloßen Zusammenstimmen des Eindrucks mit dem gleichgültigen Ablauf eines Erkenntnisvermögens bestand nach Kant das Schöne, sondern in seinem Einklang mit einer strebenden, einem Ziele nachjagenden Erkenntnis.

Verlassen wir die Annahme der Seelenvermögen, so sinkt mit ihnen ihr selbstständiger fortwährender Ablauf; und nicht mehr dies von selbst ewig fließende Spiel einer Tätigkeit, sondern eine sich entwickelnde Reihe von Vorstellungen, Gefühlen oder Strebungen wird es jetzt sein, mit deren Gefüge und Gliederung der neu einfallende Eindruck zusammenstimmen muss. Eine solche Ansicht scheint mir jedoch nachholen zu müssen, was in Kants Lehre versucht, wenn auch nicht ausgeführt war. Hier nämlich liegen ohne Zweifel die unterscheidenden Grenzen des Schönen und des Angenehmen. Reichte es zur Schönheit des Gegenstandes hin, dass sein Eindruck mit irgend einer Vorstellungsreihe kampflos sich verschmelzen könne, so würde die Schönheit, auf unsäglich verschiedene Vorstellungsreihen bezogen, deren Vorkommen nur für den einzelnen Geist gerechtfertigt ist, in dem sie sich entwickeln, einesteils demselben Gegenstand bald zukommen bald nicht, andernteils jederzeit nur für jenen einen Geist vorhanden sein. Der Schönheit aber schreiben wir Beständigkeit, und von unserer Auffassung unabhängige Geltung zu; jene Merkmale dagegen gehören dem Angenehmen wie dem Nützlichen. Dieses, einem Gefüge der Vorstellungs- oder Gefühlsreihen, den Umständen überhaupt sich anschließend, die in dem einzelnen Falle wohl in dem einzelnen Gemüte ihre hinlänglichen Bedingungen haben, aber deren Auftreten durch keinen Zug ihres Wesens in die allgemeine Bestimmung des Geistes aufgenommen ist, wird überall ein wechselndes Maß finden, und flüchtig wie die Stellung des Geistes, zu der es in übereinstimmende Beziehung trat, geht auch diese Lust des Einklangs selbst vorüber. Kant, als er den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, den unser Geschmacksurteil notwendig machen muss, deutlich hervorhob, sah richtig, dass nicht ein zufälliges, durch die allgemeinen Gesetze der Seelenwirkungen zwar gestattetes, aber nicht gebotenes Ereignis das Ziel sein könne, worauf das Schöne zu beziehen sei; ihm bot das Spiel eines Erkenntnis Vermögens, allen einzelnen Geistern durch ihre allgemeine Natur eingegeben, ein festes und gemeinschaftliches Muster der Vergleichung dar. Aber eben so sehr, als er jenen fortwährend gemachten Anspruch auf Allgemeingültigkeit hervorhob, hätte er die nicht weniger fortwährende Vereitelung seiner Erfüllung beachten sollen. Ist die wirkliche Beurteilung des Schönen eine vielfältig verschiedene, und macht gleich wohl jedes Urteil die Anforderung, für allgemein anerkennungswert zu gelten, so kann nicht eine wirklich unerschütterlich vorhandene Einrichtung unseres geistigen Wesens der Spiegel sein, von dem die Strahlen des Gegentandes zurückgeworfen werden. Die nämliche Allgemeingültigkeit, die den Gesetzen des Denkens zukommt, musste auch hier sich zeigen; oder das Gefühl des Schönen musste mit der nämlichen Unveränderlichkeit sich an einen gegebenen Eindruck knüpfen, mit der bei dem gleichen Gefüge der Sinneswerkzeuge dieselbe Lichtwelle überall dieselbe Farbenempfindung entstehen lässt. Aber die Beurteilung des Schönen schwankt mehr, als die manches sinnlich Angenehmen, das eben, weil es sich auf die hervorragenden, größeren Umrisse leiblicher Tätigkeit und Bedürfnisse bezieht, hoffen darf, in allen Einzelnen dieselbe Vorbereitung zu seiner Aufnahme zu finden. Eine allgemeine gleiche Anlage mithin für die Empfindung des Schönen gibt es tatsächlich nicht; an einzelne Vorgänge im Geiste soll es sich nicht knüpfen, um mit dem Angenehmen, das so eigensüchtigen Bedürfnissen schmeichelt, nicht widerrechtlich zusammenzufallen; was scheint näher zu liegen, als dass es sich überhaupt auf einen nicht allgemein vorhandnen, aber vorhanden sein sollenden Zustand unserer Strebungen bezieht, der nur in einzelnen Bruchstücken verwirklicht, doch von allen einzelnen Gemütern als ein zu erreichendes Muster gewusst wird? Aber dieser Gedanke, der Verwechselung des Schönen mit dem Angenehmen ausweichend, scheint es zu nahe an das Gute zu rücken; obwohl genauer betrachtet, nicht das Schöne, sondern der dieses Schöne genießende Geist einer engeren Verwandtschaft zum Guten durch ihn genähert scheint.

Der Verlauf unserer Vorstellungen wird ohne Zweifel durch allgemeine, gleichgültig über jeder besondern Gestalt des Erfolges schwebende Gesetze bedingt; aber eben diese bestimmte Endgestalt seiner Verwicklungen, die Geschwindigkeit seines Flusses und die Richtung, nach welcher hin die einzelnen Vorstellungen und Strebungen einander hervorrufen oder hindern, dies alles kann nur von dem Werte abhängen, den wir einzelnen derselben zugestehen, und durch welchen sie erst jene Stärke und jenen Gegensatz erhalten, durch den sie später allgemeinen Gesetzen zufolge ein Spiel des Verdrängens und Hervorlockens beginnen können. Es ist unnötig, hier die Quellen jener Wertverteilung besonders zu betrachten; sie mögen zum Teil selbst in leiblichen Bedingungen liegen, noch mehr aber m dem ursprünglich sittlichen Gehalt des Geistes, den wir nicht umgekehrt aus einer zufällig gewordenen Verschlingung der Vorstellungen ableiten dürfen, endlich in einer selbst schon dem Gebiet freier Schönheit angehörigen Färbung und Neigung der Tätigleiten, die als Keim in dem -Wesen der Seele liegen mag, um an jedem spätern äußern Anstoß sich folgerichtig zu entwickeln. Solche Beweggründe werden an sich den Geist verleiten, zunächst das, als das ihm Ähnliche, schön zu finden, in dessen Zusammenhangsweisen er die nämliche Stetigkeit oder Zerrissenheit, die nämliche Weichheit oder Strenge, Flüchtigkeit oder in sich zurückkehrende Erinnerung, dieselbe Raschheit oder zögernde Entwicklung der Übergänge wahrnimmt, die dem Ablauf seiner eigenen Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen eigentümlich sind. Und in der Tat wird auch bei den gebildetsten Gemütern die wirkliche Beurteilung des Schönen, der Geschmack in den Künsten immer den Einfluss solcher Bedingungen in der eigentümlichen Vorliebe für manche einzelne Gattungen der Darstellung verraten; ja noch mehr werden die volkstümlichen Ausbildungen der Kunst sich auf eine solche in herrschenden Sitten und zur Gewohnheit gewordnen Ansichten der Dinge gegebene Grundlage stützen.

Was so eigentümlichen Vorurteilen des Geschmackes, die aus angeborner Stimmung des Gemütes fließen, sich zuvorkommend anbequemt, kann im Allgemeinen nur für ein Angenehmes gelten. Allein in vielfältigen Abstufungen dürfen wir jenen Stimmungen selbst einen höhern oder niederen Wert beilegen; und während wir uns gern bescheiden, dass manche Vorliebe für besonders geartete Kunstgenüsse auf einer zufälligen, vielleicht selbst übel geleitete Neigung unsers Gemüts beruhe, fühlen wir dagegen, dass in andern Fällen ein umfassenderes und wertvolleres, unbedingte Anerkennung verlangendes Streben in unserer Beurteilung des Schönen mitgesprochen hat. So scheint sich uns nun, während die gewohnten Bewegungen unsers Gemütes mehr und mehr sich jener Gestalt und Fügung annähern, in der sie der höchsten und in der weitesten Bedeutung heiligen Bestimmung des Geistes zu dienen vermögen, allmählich auch der Wert des Gegenstandes, dessen Eindruck dem Ablauf solcher innern Ereignisse sich anschließt, von dem einfachsten Angenehmen bis zu der Würde der höchsten und unbedingten Schönheit zu steigern.

Berühren wir jedoch auf diese Weise einen der Betrachtung der Kunst auch früher nicht fremden Gedanken, dass nämlich alles Schöne seinen Wert und sein Wesen vom Sittlichen oder Guten erhalte, so soll weder dieser Satz in der Beschränktheit seiner Bedeutung, noch in der Unbestimmtheit gelten, in der er oft gelassen worden ist. Wie kann das Schöne, so häufig in räumlichen und zeitlichen Verhältnissen aufblitzend, denen selbst keine bestimmte vorbildliche Bedeutung zu geben ist, überhaupt einen Zusammenhang mit Gesinnung und Tat des sittlichen Gemüts haben?

Gehen wir zunächst von demjenigen Guten aus, auf welches unsere Betrachtung zuerst hinführte, so wird man nicht leugnen, dass von der mehr oder weniger gleichmäßigen Ausbildung sittlicher Vollkommenheiten in dem einzelnen Gemüte sich auch eine entsprechende Art des Verlaufes der Vorstellungen und des Wechsels der Gefühle und Strebungen entspinnen wird. Je weniger vielleicht die äußern Umstände des Lebens einer so eigentümlichen Anlage Veranlassung zur Entfaltung und zum übenden Selbstgenuss geben, desto mehr wird das Gemüt das willkürliche Reih der Kunst aufsuchen, um an selbstgeschaffenen Kreisen von Bedingungen die Macht seiner Stimmung und Haltung zu prüfen und sie sich zur Anschauung zu bringen. Und so mögen auch rückwärts, wo sie sich irgend zeigen, die Erscheinungen jeder Regsamkeit, des stetigen Flusses der Veränderungen oder des plötzlichen Abbruchs und eines neu aufstürmenden Anfangs, kurz alle jene Gestalten des Überganges, der Verschmelzung und der Gegensätze, die sich als wichtige Mittel der Darstellung durch alle Künste ziehen, die Erinnerung an einen eigentümlichen sittlichen Zustand der Seele und seinen Wert wiedererwecken. Die Gewalt der herrschenden Strebungen trifft jedoch nicht allein den Ablauf der Vorstellungen und Gefühle ; sie zeigt sich auch durch angeborne Notwendigkeit in äußern leiblichen Bewegungen, die eine Brücke von dem geistigen Werte des Gedankens zu der sinnlichen Darstellung schlagen. Zwar auch ohne dies würden einfache, strenge Zeichnungen im Räume, an sich bedeutungslos, durch den wohltuenden Wechsel der Anspannung und Ruhe, den sie dem umlaufenden Auge gewähren, die ersten Spuren einer noch spielenden Schönheit verraten; aber wer einmal seine eigene Stimme vom Schmerz gebrochen fand und die bebende Anspannung der Glieder in unterdrücktem Zorne fühlte, für den ist das sinnlich Anschaubare redend geworden, und was er selbst äußerlich kundzugeben genötigt war, wird er unter jeder ähnlichen fremdher dargebotenen Erscheinung wieder vermuten. Man darf glauben, dass auf solchen Erfahrungen am meisten unsere Beurteilung schöner räumlicher Umrisse beruht. Wenn es immer vergeblich gewesen ist, für die Schönheit eines solchen Umrisses eine wissenschaftlich berechenbare Bedingung zu finden, so rührt es daher, weil er nicht durch sich selbst, sondern durch unsere Erinnerungen wirkt. Wer einmal eine teure Gestalt unter dem Gewicht des Grams in wehmütiger Ermattung sich beugen und sinken sah, dem wird der Umriss solches Neigens und Beugens, dem innern Auge vorschwebend, die Ausdeutung unendlicher räumlicher Gestalten vorausbestimmen, und er wird sich fruchtlos besinnen, wie so einfache Züge der Zeichnung so innerliche Gefühle in ihm anregen konnten. In den Verschlingungen der Klänge findet jeder sein Gemüt wieder und überschaut seine Bewegungen. Schwerlich geschähe dies, triebe nicht eine Vorherbestimmung unserer leiblichen Einrichtung uns an, durch Laute unsern Gefühlen einen an sich unnützen äußern Ausdruck zu geben. Mit den Klängen und ihrem Wechsel verknüpft sich so die Erinnerung an Übergänge in Größe und Art der Strebungen und Gefühle, durch die getrieben wir dieselben Laute bilden würden. Ja selbst das Andenken an das Maß und die Anspannung leiblicher Tätigkeil in der Hervorbringung der Töne lehrt uns in diesen selbst, und ihrer Höhe und Tiefe eine Andeutung größerer oder geringerer Kraft, mutigeren oder nachlassenderen Strebens zu suchen. Die räumlichen Verhältnisse der Baukunst, ihre strebenden Pfeiler und die breitgelagerten Lasten über ihnen würden uns nur halb verständlich sein, wenn wir nicht selbst eine bewegende Kraft besäßen, und in der Erinnerung an gefühlte Lasten und Widerstände auch die Größe, den Wert und das schlummernde Selbstgefühl jener Kräfte zu schätzen wüssten, die sich in dem gegenseitigen Tragen und Getragenwerden des Bauwerks aussprechen. So bildet also das leibliche Leben, mit Notwendigkeit Inneres durch äußere Erscheinungen auszudrücken treibend, einen Übergang zum Verständnis sinnlicher Gestalten und Umrisse, und selbst das Sittliche, zunächst ein Gleichgewicht der Strebungen, dann eine bestimmte Weise des Ablaufs innerer Ereignisse bedingend, wird zuletzt in jenen sinnlichen Bildern Verwandtes und Ähnliches auffinden können.

Und eben so finden wir auf der andern Seite, dass die Erinnerung den Inhalt eines allgemeinen Begriffes weder seiner Gestalt noch seinem Werte nach anders festhalten kann, als indem sie irgend ein einzelnes Beispiel versinnlichend an seine Stelle setzt, das freilich ebenso sehr in seiner Einzelheit wieder aufgehoben werden muss. Nach dem vorwiegenden, zugänglichen Beobachtungskreise wird der Begriff des Tieres dem Einen diese, dem Andern eine andere einzelne Tiergestalt annehmen, und nicht minder werden wir die Vorstellung irgend eines Guten, Heiligen und Wertvollen nie anders fesseln können, als dass wir unserer Erinnerung das Bild irgend einer erhabenen oder seligen Begehung darbieten, in deren erneutem Anschauen jene Gefühle eine verjüngende Quelle finden.

So führen uns mannigfaltige Überlegungen dahin, schön das zu nennen, dessen Eindruck nicht überhaupt nur mit irgend einer Innern Ereignisreihe, sondern wesentlich mit demjenigen Gefüge des Ablaufs übereinstimmt, das unsere Vorstellungen und Strebungen unter der alleinigen Herrschaft unserer sittlichen Bestimmung annehmen. Und diese Meinung erläutert noch einen Umstand, der ihr selbst zur rückwirkenden Ergänzung dient. Weit allgemeiner und jedem Menschen zuzumuten ist die richtige Beurteilung des Sittlichen als die des Schönen. Denn die letztere setzt jene Beweglichkeit des Gemütes und der Einbildungskraft voraus, die nicht nur im Stande ist, den nackt ausgesprochenen sittlichen Wahrheiten sich zu unterwerfen, sondern die auch in der Verhüllung äußerlicher sinnlicher Gestalten und Begebenheiten mit feinfühlender Erkenntnis jene Anklänge aufzuspüren vermag, die durch mancherlei Vermittlungen auf das strenge Sittliche zurückdeuten. Eine solche Beweglichkeit und Empfänglichkeit rechnen wir nicht zu den Pflichten des Menschen. Von seiner Sittlichkeit verlangen wir nur, dass sie seine Handlungen durch eine vernünftige Leitung des Willens beherrsche; nicht, dass sie auch wisse, wie in allem Seienden Verhältnisse wirken und aufblühen, die von einem seienden Guten, nicht bloß von einem Ziele der Handlungen, Zeugnis geben. Doch urteilen wir nicht allein so. Vielmehr, wenn wir auch dem Willen der mit der Erfüllung jener Vorschriften sein Ziel erreicht zu haben meint, keinen Vorwurf machen, so schätzen wir doch den Wert eines Lebens selbst, das recht und schlecht, den ankommenden Gelegenheiten folgend, einzelne sittliche Handlungen erzeugte, geringer als ein anderes, das außerdem seine Stellung in der Welt und ihrer umfassenderen Ordnung begriff, und selbständig ausblickend, auch die Ereignisse, einem Ziele gemäss, zu gestalten strebte, das in jener einfachen inneren Gesetzgebung nicht verkündigt ist. So meinen wir denn, dass es für eine höhere Bedeutung des geistigen Lebens nicht hinreiche, den allgemeinen, gegenstandlosen Anforderungen der Sittlichkeit allein zu genügen, selbst nicht ihre vereinzelten Züge in einen gemeinsamen Einklang des Gemüts zu vereinigen; vielmehr gilt es uns selbst für einen höhern Ernst der Sittlichkeit, zugleich auf das zu achten, was in den Ereignissen und dem Seienden lebt und webt und einem späteren Ziele entgegenreift; und ein leiser Schatten, wenn auch kein Tadel, fällt in unserer Beurteilung auf das Gemüt zurück, das nach den Worten eines alten Dichters gut zu leben glaubt, wenn es still verborgen lebte, ohne den Selbstgenuss seines innem Friedens mit dem Bewusstsein seiner Stellung zu dem Ganzen der Wirklichkeit zu vereinigen. Was wir hier dem tätigen Geiste, das werden wir ähnlich auch dem empfänglichen zumuten dürfen, und eine völlige Unfähigkeit zur Auffassung der Schönheit, dieses Widerscheins des Sittlichen im Seienden, wird nur eine ähnliche ungleichmässige Ausbildung des sittlichen Geistes selbst zu verraten scheinen.

Lassen wir nun diese erweiterte Ansicht vom Sittlichen gelten, so wird es uns deutlich werden, dass nicht allein dasjenige uns schön erscheint, das durch seine Gestalt Erinnerungen an Handlungen und ihren sittlichen Gehalt in uns erweckt, sondern auch das, was harmlos ein durchdringendes Walten natürlicher Kräfte und eine höheren Gesetzen oder seiner eigenen Natur treue Entwickelung darstellt. Nicht nur das Handeln füllt die menschliche Bestimmung aus; auch der Erkenntnis mag ein Urbild vorschweben, in dem die Mannigfaltigkeit des Gegebenen unter Beziehungen vereinigt ist, auf die selbst in unserer gewöhnlichen Beurteilung wenigstens ein Streiflicht der sittlichen Wertgebung fällt. Der Gedanke der Einheit ist so einer jener Begriffe, von dem wir einen gewissen Wert nicht trennen können, der ihm vielleicht freilich eben so wenig an sich zukommen mag, als andern Teilen der Erkenntnis, sondern der uns vielmehr nur den Abglanz einer höheren Bedeutung vorführt. Ist doch Einheit selbst ein für sich leerer und anwendungsloser Begriff, der seinen Sinn erst durch Angabe der Ganzheit, oder der Beziehung, oder des Zweckes oder des Ursprungs erhält, wodurch das Verschiedene vereinigt sein soll. Dies aber eben ist die Natur des Schönen, dass es den bestimmten Inhalt, von dem aus auf manche Gestalten und Verbindungsweisen ein hoher Werth überging, verschweigt, und oft mit den Formen allein spielend, uns unvermerkt verlockt, ihnen denselben Gehalt und die Würde desjenigen zuzulegen, dessen Erinnerung sie in uns anregen. Kunst und Natur reizen daher auch durch Mittel, die an sich nur der Erkenntnis anzugehören scheinen, durch Verknüpfung der Mannigfaltigkeit zu durchblickenden Einheiten, durch den Gang der Gesetze über dem hinfälligen Einzelnen, durch die stille und unbefangene natürliche Entwicklung jedes Keimes; und oft mag hier der nachsinnende Verstand die Gründe in dem schönen Gegenstande nicht mehr finden, die in ihm die Lust erregen; oft auch versetzt sich ein ahnendes Mitgefühl in diese Triebe der Entwicklung und macht das fremde Ereigniss zu einem eignen, an dem es ohne Teilnahme nicht mehr vorübergehn kann.

Wenn dies Spielen mit Gestalten, die einem höhern Inhalte des Guten an sich zugehören, das Eigentümliche des Schönen ist, so erscheint es in einer niedrigeren Stellung dem Ernste des Guten selbst gegenüber. Während die Urbilder des Letzten zugleich Mahnungen und Forderungen an das Bewusstsein stellen, lädt das Erste nur zum Genusse ein. Dennoch ist die Seligkeit des Schönen keine eigensüchtige; aber es ist mehr mit dem Heiligen als mit dem Guten verwandt. Das Gute, in einzelnen Handlungen sich erschöpfend, hat seinen Wert der Gesinnung zwar in sich selbst; aber es erscheint auf ein einzelnes Verhältnis bezogen, in dessen Festhaltung oder Änderung der Gewinn ruht, den die sich vollziehende gute Tat der Gesammtheit des Daseins zubringt. Diese Nebenrücksicht hat das Schöne von sich abzuhalten; ohne auf irgend einen Zweck bezogen zu sein, dessen Erfüllung trotz aller Güte der Gesinnung oft zu unbedeutend dem Ganzen der Welt und dem Sinne des Weltlaufs gegenüber sein würde, hat es nur eben die Gesinnung selbst, teils in der Bewegung eines Gemüts, teils in den Gestalten des Seienden zu einem ruhenden Ergebniss gekommen darzustellen. Wie die älteste schöne Kunst der Griechen ihre Götter bildete, herrlich durch ihr eignes Wesen und Dasein, in sich versunken, und von allem Lärm strebender, ausdrucksvoller Beziehungen nach der übrigen Welt abgewandt, so verschmilzt auch das Schöne in seiner höchsten Gestalt nicht mit dem kämpfenden in einzelnen Taten ringenden Guten, sondern mit dem ruhenden Heiligen, das über der Erreichung aller emzelnen Zwecke schwebend in ewiger Entfaltung nur die Fülle seines eignen seligen Wesens entwickelt. Darum ist die Pein des Sollens und der Zwecke von dem Schönen genommen, und wenn es uns einerseits durch sein Spiel an die Handlungen erinnert, in denen unsere kämpfende Tugend sich bewähren kann, so ist es anderseits dieses bestehende Gute, das aus der Welt nie verschwindet, wie tief auch ihre innern Gegensätze seiner allgegenwärtigen Erscheinung widerstreben mögen.

Caroline, F. CORBAUX

Caroline, F. CORBAUX

Lesbia, F. CORBAUX

Lesbia, F. CORBAUX

Marion, F. CORBAUX

Marion, F. CORBAUX

Mora, F. CORBAUX

Mora, F. CORBAUX

The Maid of Athens, MEADOWS

The Maid of Athens, MEADOWS

The Maid of Saragoza, J. F. LEWIS

The Maid of Saragoza, J. F. LEWIS

Inez, F. STONE

Inez, F. STONE

Florence, F. STONE

Florence, F. STONE

The Light of the Harem, E. WOOD

The Light of the Harem, E. WOOD

Julia, W. BOXALL

Julia, W. BOXALL

The young Haidée, G. BROWNE

The young Haidée, G. BROWNE