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Ueber das Mauerwerk des Mittelalters.

Lisch 1850


Das Mauerwerk der mittelalterlichen Bauten ist fortwährend der Gegenstand der Bewunderung, und man macht einen Versuch über den andern, das Geheimniß zu ergründen, welches so feste Bauwerke schuf. Bald sucht man es in der Masse der Ziegel, bald sucht man es in der Zusammensetzung des Mörtels, – immer vergeblich. Und daneben überzeugt man sich fortwährend, daß die Alten lange nicht so ängstlich gebauet haben, als wir; ja sie wagten Dinge, deren Ausführung uns unglaublich erscheinen würde. Auf unsichern Moder z. B. streckten sie eine Schicht dünner Erlen („Ellernschlete“), legten darauf 1 bis 2 Fuß hoch nicht große Feldsteine, und baueten auf diese Unterlage Stadtmauern und Palläste (vgl. oben S. 161), so daß nur die äußern Mauerschichten sorgfältig ausgeführt waren; oft wurden nur diese Mauerschichten gemauert und die Zwischenräume mit Schutt und Feldsteinen ausgefüllt: und doch standen und stehen diese Mauern nach 4 bis 500 Jahren wie – Wall und Mauer.

Das Geheimniß der Festigkeit der alten Bauten liegt nicht sowohl in der Masse des Materials, sondern in der Art und Weise, wie die Alten den Bau betrieben. Die Sache ist für unser praktisches Bauwesen von der allergrößten Wichtigkeit und es wird sich hier einmal glänzend die Wichtigkeit der Alterthumsforschung bewähren, die so oft von der jetzigen Zeit mitleidig verspottet wird, aber doch das Bewußtsein hat, daß man aus ihr fast in jedem Zweige menschlicher Kunst noch unendlich viel lernen kann. Wie im Bauwesen, so ist es auch in vielen andern Künsten. So strahlen alle alten Bilder nach Jahrhunderten in ursprünglicher Farbenpracht und wanken und weichen nicht auf ihren Unterlagen, während neuere Bilder oft nach einigen Jahren dem Verderben entgegengehen. Das Geheimniß der Tüchtigkeit der alten Zeit, die wir bewundern und bei unserm politischen Ringen trotz aller Verstellung zurückwünschen, liegt aber noch tiefer, als in der Art und Weise der Verfertigung alter Kunstwerke: es liegt vor Allem in dem unverdrossenen Fleiße, der aufopfernden Einfachheit des Lebens, der entsagenden Demuth der Alten. Alle ersehnen jetzt einen bessern Zustand der Dinge; sie ersehnen das, was unsere Vorfahren schon längst besaßen, was wir aber in den beiden letzten Jahrhunderten wieder verloren haben; seit dem dreißigjährigen Kriege, namentlich in dem bodenlosen vorigen Jahrhundert ist fast Alles untergegangen, was Jahrtausende mit Fleiß aufgebauet hatten. Alle Stände, alle Einrichtungen, alle Künste und Wissenschaften sind verschoben und untergraben, ja zum großen Theile fast ganz untergegangen, und rst seit einigen Jahrzehenden fangen wir wieder an, an der Gediegenheit unserer Verhältnisse im Leben wie im Staate, in der Wissenschaft wie in der Kunst zu arbeiten. Aber es ist erst der Anfang, dem, wie jedem Anfange, die Sicherheit fehlt. Vor allen Dingen müssen wir erst wieder bei den Alten in die Schule gehen. Das wissen große Baumeister, wie Stüler, die so Herrliches und Tüchtiges schaffen, sehr wohl, und sind daher auf die geringste Erscheinung des gesammten Alterthums, sowohl des classischen, wie des germanischen, mit gewissenhafter Sorgfalt aufmerksam.

Was nun das Bauwesen betrifft, so ist endlich die Sache nach zuverlässigen Quellen übersichtlich dargestellt, indem in den Neuen Preußischen Provinzial-Blättern, Königsberg, 1849, Bd. VII, Heft 6, S. 443 flgd. die vortreffliche Abhandlung mitgetheilt ist, die wir, mit Weglassung des rein Oertlichen, im Folgenden im Auszuge mittheilen, indem wir hoffen, daß wir dadurch zur Wiederbelebung der Technik in unserm Bauwesen nicht wenig beitragen werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber das Mauerwerk des Mittelalters