Dienstag, 26. Hagberg hatte mir versprochen, mich in die Bibliothek abzuholen.

Dienstag, 26. Hagberg hatte mir versprochen, mich in die Bibliothek abzuholen. Ich wartete bis ein Uhr. Er kam nicht. Ging, Heine aufzusuchen. Madame Rothschild hatte mir eine falsche Adresse gegeben. Er war ausgezogen. Da ich nun schon in der Rue des petits Augustins und somit am andern Ufer der Seine, entfernt vom Mittelpunkte der Stadt war, beschloß ich, den Jardin des plantes noch einmal zu besuchen. Kam so der Kirche Notre Dame näher und betrachtete mir sie wieder. Sie ist unleugbar schön. Die Breite der Fassade sticht vorteilhaft gegen die Dürftigkeit jener der Stephanskirche in Wien ab. Was letztere auszeichnet, ist der Turm und das Innere. Das Hauptschiff von Notre Dame will mir auch jetzt noch nicht gefallen. Die vier Nebengänge aber, von denen die zwei äußersten sich um den Hochaltar herumschlingen, machen einen wunderbaren Eindruck. Was mir am Hauptschiff nicht gefällt, ist das etagenmäßige Uebereinandergebautsein von Säulen, Säulchen und Wänden.

Außer einigen Gaffern, gleich mir, waren nicht drei oder vier Menschen darin. Die Depots von zu vermietenden Stühlen machen einen widerlichen Eindruck.


Erinnerte mich des Palais de justice, und daß ich noch keine Gerichtssitzungen gesehen. Herrliches Gebäude, die mittlere Halle großartig. Ging zuerst in die Kriminalsitzungen (oder ist es bloß police correctionelle?). Da war alles so voll, daß ich kaum an der Thüre festen Fuß fassen konnte. Ein concierge, huissier oder dergleichen, um bessern Platz zu verschaffen, war nicht zu sehen. Es handelte sich um eine öffentliche Gewaltthätigkeit. Eine Flinte und ein sackartiges Bündel lagen als corpus delicti auf der Tafel. Drei Richter. Links vom Zuseher der procureur du roi. Rechts die Beschuldigten, die ich aber vor Gedränge nicht sehen konnte. Der Advokat war mitten in seiner Rede. Er sprach gut. Der Beschädigte, zur Angabe seines Schadens aufgefordert, weigerte sich, einen Ausspruch zu thun. Er verfolge eine Sache der öffentlichen Moral, sagte er, nicht des Vorteiles.

Der Richter resümierte den Fall, ich konnte es aber über dem Anstoß ewig neu Zudrängender nicht aushalten. Ich ging in ein anderes Zimmer, wo das Gedräng geringer war, ich daher auch sehr leicht guten Platz fand. Dafür war aber auch der Gegenstand minder interessant. Der Diebstahl einer Uhr. Zwei übel aussehende Bursche und zwei garstige Weibsbilder, in der Reihe von Stadtsoldaten getrennt dasitzend, waren die Angeklagten. Hier war der Richter eben in seiner Rede an die Geschwornen. Er sprach aber ziemlich schlecht, stotternd, sich selbst unterbrechend und verbessernd. Die Jury entfernte sich, und da sie gar nicht wiederkommen wollte, ging ich endlich auch. Mein gutes Glück führte mich durch die mittlere, säulengetragene Halle zur Abteilung der Ziviljustiz, Ich hörte ein paar Prozesse plaidieren. In einer Stunde waren zwei Fälle abgethan, um die man bei uns zehn Jahre gestritten hätte, oder wenn auch nicht abgethan, doch der Entscheidung nahe gebracht, obgleich mir ersteres schien. Beim zweiten Prozesse unterbrach der Richter den zuletzt sprechenden Advokaten. Sie wüßten schon genug, sagte er, der eben enthüllte Umstand entscheide die Sache.

Die Advokaten sprachen nicht alle gut. Das Ganze nimmt sich würdig aus. Die schwarzen Talare und Mützen der Richter und Anwälte, die anständige Dekorierung der Richtersitze. Man fühlt, um was es sich handelt. Das Publikum nimmt aber auch den lebhaftesten Teil an den Prozeduren. Besonders die peinlichen Gerichte zum Ersticken voll. Leute der niedrigsten Stände, die ihr Gefallen und Mißfallen bestimmt, obgleich anständig und leise zu erkennen geben. Ein paar Schusterjungen mit bloßem Kopf traten ein, von niemandem gehindert, hörten eine Weile dem plaidierenden Advokaten zu und gingen dann ebenso ruhig wieder fort. Was für eine Wirkung muß das nebst der Journallektüre auf die Bildung der Masse haben. Das gemeine Volk spricht aber auch so gut, graziös möchte ich sagen, daß man lediglich auf die Marktplätze gehen muß, um eigentliche Pöbelsprache zu hören.

Mittags mit Brant und Many zu Very bestellt. Vortreffliche Küche. Interessiert mich nicht sehr. Bezahlen dafür aber auch für zwei Portionen Suppe, ebensoviel filet de bœuf, eine Portion Turbot, ein Poulard mit Salat und zwei Portionen Pudding, der noch dazu nicht ganz gar gekocht war, endlich zwei Flaschen Chablis, 25 Francs.

Da die Mars, die gewöhnlich nicht mehr auftritt, im Theater Odeon zum Benefiz eines Acteurs spielt, im Fiaker hinaus. Kamen um halb neun Uhr eben zurecht, um eine Mlle. Reisner auf der Blasbalgharmonika ( accordéon) recht hübsch spielen zu hören. Dann sang ein Herr abscheulich zwei Romanzen.

Hierauf Mlle. Mars in der Gageure imprévue. Hat meine Erwartungen nicht erreicht. Mad. Löwe in ihrer guten Zeit war mir lieber. Ueberhaupt will mir, was ich von der haute comédie gesehen, nicht recht ein. Der Franzose ist in allen Künsten nur da ausgezeichnet, wo er sich unbekümmert seiner Natur überläßt; wie ihm einmal das Wort Kunst in den Kopf steigt, macht er die wunderlichsten Schnirkel. Mlle. Mars gibt den vornehmen Ton noch abgeschliffener und farbloser, als er ist. Man glaubt Flöhe husten zu hören, und man greift im Leeren herum; wie einer, dem die Luft ausgeht. Uebrigens kann man von einem Male kein Urteil fällen, auch war Stück und Umgebung ziemlich langweilig.

Mlle. Mars dagegen sehr gut in Valerie, was bei uns Gabriele heißt. Die Sechzigjährige so zart, warm, weich, furchtsam, liebenswürdig. Das Entzücken nach vollbrachter Augenkur dagegen schwach und für jeden Fall unter der Aufgabe.

Im Nachhausegehen gerieten wir auf einen Weg an den Kais, den zu gehen verboten ist. Die Schildwache, die uns zurückwies, fing ihre Rede mit Messieurs an. Ein deutscher Krieger hätte sich kräftiger ausgedrückt.