Zur kunsthistorischen Orientierung, von A. Springer.

Die folgenden Blätter sollen nicht und wollen nicht den Reisenden in zudringlicher Weise vom Naturgenusse ablenken und zur Kunstbetrachtung mahnen. Auf einzelnen Reisezielen und längeren Ruhepunkten, in den großen süddeutschen Städten richtet sich die Aufmerksamkeit von selbst auf das gegenwärtige und vergangene Kunstleben, und auch sonst trifft das Auge auf zahlreiche Denkmäler alter und neuer Zeit, welche den Blick fesseln und das Interesse erregen. Dieses Interesse ist heutzutage erstaunlich umfassend und umfangreich geworden. Noch vor wenigen Jahrzehnten gingen wir an „der Väter Hausrath“ gleichgiltig vorüber, hatten für die Bauten des XVI. und XVII. Jahrhunderts meist nur ein verächtliches Achselzucken bereit. Jetzt ist die „deutsche Renaissance“ ein Gegenstand der Bewunderung und eifrigen Nachahmung geworden. Aus dem Mittelalter hoben sich nur einzelne mächtige Dome, die allgemeine Teilnahme weckend und als wahre Kunstschöpfungen gepriesen, hervor; die große Mehrzahl mittelalterlicher Werke blieb unbekannt und unbeachtet. Gegenwärtig stehen auch Laien der Entwickelungsgeschichte der mittelalterlichen Kunst nicht mehr völlig fremd gegenüber. Der historische Sinn spielt in die ästhetische Betrachtungsweise vielfach hinein und hat die Summe der künstlerischen Interessen namhaft erweitert, das Verständnis auch auf entlegenere Kunstperioden ausgedehnt. Diesen historischen Sinn zu fördern und zu unterstützen ist der Zweck der folgenden Zeilen.

Süddeutschland ist ein uralter Kultur- und Kunstboden. Erst ein volles Jahrtausend später treten die norddeutschen Landschaften in die hellen Kreise geschichtlichen Lebens ein. Zahlreiche Ausgrabungen deuten auf einen frühen Verkehr mit Italien, teilweise noch in vorchristlichen Zeiten hin, nicht minder zahlreiche Spuren entdeckte man von den römischen Ansiedlungen, welche die wichtigsten Handelsstraßen und Wasserwege entlang gegründet wurden. Doch stehen die aufgefundenen Reste römischer Kunst an Größe und Bedeutung weit hinter den Denkmälern am linken Rheinufer und besonders im Moselthale zurück. Das römische Trier ergreift die Phantasie auch des Laien, die Römerwerke auf dem Boden Rhätiens und Norikums fesseln doch wesentlich nur die Aufmerksamkeit des Forschers. Früh drang das Christenthum (h. Severin im v. Jahrh.) in Süddeutschland vor, fränkische und irische Missionäre fanden hier einen fruchtbaren Boden. Klosterstiftung folgt auf Klosterstiftung und schwerlich gibt es einen andern Landstrich, wo schon am Schlusse des vorigen Jahrtausends Kloster so dicht an Kloster sich reihte wie an den Ufern der Donau, am Fuße der Alpen. Die meisten erhielten fast bis in das gegenwärtige Jahrhundert hinein ihren Glanz und ihren Reichtum aufrecht, haben eben dadurch aber, weil namentlich im vorigen Jahrhundert Neubauten vielfach die alten Anlagen verdrängten, ihr kunsthistorisches Interesse verloren. Selbst aus der karolingischen Periode, in welcher besonders Regensburg zu großer Bedeutung emporstieg, haben sich nur auf dem Gebiete der Goldschmiedearbeit und der Miniaturmalerei erhebliche Denkmäler erhalten. Von jener besitzt die Reiche Kapelle in München, von dieser die Hofbibliotheken in München und Wien die wichtigsten Proben. Doch werden wahrscheinlich nur Fachleute dieselben (Evangeliarium Karl des Kahlen und Wessobrunner Gebet in München, Otfrieds Evangelienharmonie in Wien) einzusehen die Lust hegen.


Eine stetige Kunstübung können wir erst seit dem Beginn unseres Jahrtausends verfolgen. Bekanntlich führt die Weise, welche vom X. bis zum XIII. Jahrh. in der Kunst herrscht, den Namen des romanischen Stils. Am schärfsten prägt sich derselbe in der kirchlichen Architektur aus. Die Wurzeln des romanischen Kirchengebäudes sind in der altchristlich-römischen Basilika zu suchen, deren Kern die durch eine doppelte Säulenreihe in drei Schiffe gegliederte Halle bildet. Die Basilika schließt mit einem halbkreisförmigen gewölbten Räume (Apsis) ab; ein von einem Portikus umschlossener Vorhof (Atrium) geht ihr vor. Zuweilen schiebt sich zwischen das dreischiffige Langhaus und die Apsis noch das Querschiff ein, allmählich der ganzen Anlage die deutlich ausgeprägte Kreuzform verleihend. Dieser altchristliche Kern erfuhr im Laufe der Jahrhunderte und in den verschiedenen Landschaften mannigfache Modifikationen, hervorgerufen teils durch die Anwendung eines andern Baumaterials, teils durch die Eigenthümlichkeit der Landessitten, vornehmlich aber durch das erst langsam reifende technische Geschick. Den ältesten romanischen Bauten sieht man es deutlich an, daß die Werkleute Mühe hatten, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, und von Maßen und Verhältnissen nur einen dürftigen Begriff besaßen. Eine künstlerische Durchbildung gewinnt die romanische Architektur erst im Laufe des XII. Jahrhunderts.

Es hält nicht schwer, einen romanischen Bau als solchen zu bestimmen und beiläufig seine Entstehung in der frühern oder spätem Periode (XI. oder XII. Jahrh.) zu errathen. Die Formensprache des romanischen Stils ist überall im wesentlichen dieselbe. Der Rundbogen verbindet die Pfeiler oder Säulen im Innern, schließt Fenster und Portale ab, zieht sich als Bogenfries die äußern Mauern entlang, die Säulen tragen entweder ein Würfelkapitäl oder ein der Antike nachgebildetes Blätterkapitäl, die Ornamente sind vorwiegend geometrischer (Rauten, Zickzack, Schachbrett u. s. w.) oder schematisieren das Blattwerk. Während die älteren Kirchen nur in der Krypta, der Gruftkirche und in der Apsis die Wölbung anwenden, insbesondere das Mittelschiff flachbedeckt zeigen, erscheint im XII. Jahrh. das Prinzip der Wölbung siegreich und erfahren auch die tragenden Pfeiler eine reichere Gliederung. Am Fuße der Säulen taucht das Eckblatt auf, den untersten Sockel mit den rundlichen Basisteilen (Pfühl) verbindend.

So leicht es immerhin sein mag, den romanischen Charakter eines Bauwerks zu erkennen, so fehlt es doch an durchgreifenden Merkmalen, den in Süddeutschland herrschenden Stil von dem anderwärts gebräuchlichen zu unterscheiden. Selbst wenn man die Grenzen enger zieht und prüft, ob nicht eine Teilung in eine alemannische, schwäbische, bairische und österreichische Baugruppe durchführbar sei, gelangt man zu keinen festen Resultaten. Im allgemeinen läßt sich nur feststellen, daß die Säulen als Stützen der Obermauern (die Form der sog. Säulenbasiliken) häufig wiederkehren, der Hang zu reich dekorativer, zuweilen ganz phantastischer Ausstattung sich vielfach geltend macht. Wer in der Nähe des Bodensees reist, wird nicht die drei Kirchen auf der Insel Reichenau (S. 65) unbesucht lassen, von welchen jene zu Oberzell, eine kleine Säulenbasilika, bis in das X. Jahrhundert zurückreicht, die größere Kirche zu Mittelzell zu den ältesten Pfeilerbasiliken der Landschaft gerechnet werden darf. Im Kinzigthale überrascht die Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei Alpirsbach (S. 101), eine Stiftung des XI. Jahrh., durch ihre stattlichen Verhältnisse und klare Entwickelung des Grundrisses, während das gleichfalls auf schwäbischem Boden gelegene Maulbronn (S. 82) ein treffliches Bild eines großen mittelalterlichen Klosterbaues bietet. Reich an romanischen Bauten ist Regenaburg (der sog. alte Dom, Obermünster, St. Emmeram, St. Jakob), von welchen freilich einzelne durch spätere Dekoration arg entstellt sind, wie denn überhaupt der romanische Kern vieler Kirchen erst mühsam aus jüngern Umbauten herausgeschält werden muss. Die wüsten plastischen Gebilde am Portale von St. Jakob in Regensburg werden zur Enträthselung ihres Inhaltes den Laien noch weniger reizen als die wenigstens dekorativ tüchtigen Skulpturen in der geräumigen Krypta des Domes zu Freising (S. 234). Auch auf österreichischem Boden fehlt es nicht an Werken romanischen Stils, doch tritt derselbe in seiner vollen Schönheit und glänzenden Wirkung erst in der letzten Periode seines Bestehens an einzelnen Zisterzienserkirchen (Heiligenkreuz, Lilienfeld, Zwettl) auf.

Wenn diese und zahlreiche andere, von den großen Heerstraßen zum Teil abliegende Kirchen vorzugsweise nur die Aufmerksamkeit des Fachmannes beschäftigen, so gibt es doch eine romanische Kirche, welche auch dem Laien die höchste Bewunderung abringt und die Betrachtung zu reichem Genüsse macht: den Bamberger Dom (S. 256). Dem dreischiffigen Langhaus schließt sich auf beiden Schmalseiten ein hoher über der Krypta errichteter Chor an, dem westlichen Chore schiebt sich noch ein Querschiff vor. Die stattliche Größe der Kirche, die weiten, luftigen, dabei gut zusammenstimmenden Verhältnisse, der reiche Schmuck der Portale (Fürstenthor), die Zahl und die verschiedene Ausstattung der Türme verleihen dem Bamberger Dome im Vergleich mit gleichartigen Bauten einen entschiedenen Vorrang. Am nächsten kommt ihm noch der Naumburger Dom, welcher auch aus der gleichen Zeit (XIII. Jahrh.) stammt. Das Vorkommen der Spitzbogen im Bamberger Dom darf das Auge nicht irren und das Eindringen gothischer Elemente vermuten lassen. Der gothische Stil wird nicht durch die schon früher bekannten Spitzbogen, sondern durch das System der Streben, die gegen den Seitenschub der Gewölbe andringenden Strebepfeiler und Hebebogen, die Auflösung aller festen Massen in Glieder, das reiche Füllwerk in den bloß raumerschließenden Teilen bedingt.

Die frühgothische Periode erscheint in Süddeutschland nur dürftig vertreten. Erst seit der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts dringt der gothische Stil bereits ausgebildet und vollständig entwickelt hier siegreich vor, wird namentlich durch den Baueifer in den beiden folgenden Jahrhunderten zu blühender Herrschaft gebracht. Gewaltig groß ist die Zahl der unter einander merkwürdig verschiedenen gothischen Bauten auf süddeutschem Boden. Vom Elsaß bis zur ungarischen Grenze zählt man eine stattliche Reihe von Domen, welchen sich nicht minder zahlreiche städtische Pfarrkirchen und Klosterkirchen anschließen. Dem Straßburger Münster ist das Freiburger Münster (S. 36) benachbart, zwar nicht einheitlich im Stile (Langhaus und Chor, durch ein romanisches Querschiff von einander getrennt, zeigen deutlich die Spuren des verschiedenen Alters), aber durch den vollständigen Ausbau und den mächtigen Turm mit seiner durchbrochenen Pyramide vor vielen anderen Werken ausgezeichnet. Mit Ausnahme des unvollendeten Prager Domes, in dessen Chorgrundriss das Vorbild französischer Kathedralen sich bemerkbar macht, offenbaren die süddeutschen Dome einen ziemlich selbständigen Bausinn der Werkmeister. Mögen ihnen auch die französischen Meister nicht unbekannt geblieben sein, so lassen sie sich doch keineswegs von denselben in ihren Plänen beherrschen. Der Regensburger Dom (S. 279), seit dem Jahre 1275 begonnen, erst in unsern Tagen nach langem Stillstande der Bauthätigkeit vollendet, zeigt weder die starke Betonung des Kreuzschiffes, noch die reiche Entfaltung des Chorbaues, welche an den Kathedralen des westlichen Europa regelmäßig wiederkehrt. Das Querschiff ragt nicht über die Breite des Langhauses hinaus, die Seitenschiffe ziehen sich nicht als Umgang um den mittlem Chor herum, jedes Schiff hat vielmehr seinen selbständigen Absidenschluss. Noch eine andere Eigentümlichkeit maoht sich an deutschen Domen bemerkbar. Die Hallenform, d. h. die Anlage gleich hoher Schiffe ist in dem Kathedralstile, dessen Anfang und erste Ausbildung nach Nordfrankreich verlegt werden muss, sonst nicht gebräuchlich. Der Chor im Wiener Stephansdome, ein Werk des XIV. Jahrhunderts, zeigt aber drei gleich hohe Schiffe, und auch das etwas später begonnene Langhaus überhöht nur wenig das Mittelschiff, vereinigt alle drei Schiffe unter einem Dache. Den Domen von Freiburg, Regensburg, Wien reiht sich das Münster zu Ulm (S. 95) würdig an, zwar nur eine Pfarrkirche (daher die reichere Choranlage, zur Aufnahme des zahlreichen Domklerus bestimmt, fehlt und ein Thurm an der Façade genügen muß), aber durch den Baueifer der stolzen Bürgerschaft mit den größten gothischen Kirchen Deutschlands an Umfang und Höhe wetteifernd. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß das Ulmer Münster ursprünglich nur drei gleich breite Schiffe besaß, die Seitenschiffe erst nachträglich durch eine eingezogene Säulenreihe geteilt wurden.

Mit diesen Dom- und Münsterbauten ist die Summe der beachtenswerthen gothischen Kirchen auf süddeutschem Boden noch lange nicht erschöpft. In den schwäbischen Städten regte sich in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters eine gewaltige Baulust. Eßlingen (S. 92) besitzt in seiner Liebfrauenkirche trotz der kleinen Dimensionen ein prächtiges, in allen Schmuckteilen reiches Werk, welches in dem zierlichen durchbrochenen Turme wirksam ausklingt. (Andere noch im Mittelalter vollendete durchbrochene kleinere Türme befinden sich in Bebenhausen bei Tübingen, in Thann im Elsaß, zu Maria-Straßengel in Steiermark.) Weitere hervorragende gothische Kirchen lernen wir in der schwäbischen Landschaft im Münster zu Überlingen am Bodensee (S. 68), In der Kreuzkirche zu Omünd (S. 91), in der Hauptkirche zu Nordlingen (S. 239), der Georgskirche zu Dinkelsbühl (S. 240), der Stiftskirche in Tübingen (S. 99) u. a. kennen. Eine wohlbekannte Baugruppe bilden die Nürnberger Kuchen (S. 244/47). Weder St. Sebald noch St. Lorenz sind zwar einheitlich durchgeführt, Langhaus und Chor in beiden Kirchen im Stile verschieden; immerhin üben der Chor und die reich dekorierte Brauttür in St. Sebald und die Façade der Lorenzkirche einen großen Eindruck. Wie wenig man sich im XIV. Jahrh. bereits um die Tradition kümmerte, zeigt die von älteren kirchlichen Anlagen ganz abweichende Façade der Frauenkirche (S. 245). Auf bairischem Boden fesseln einzelne gewaltige Backsteinbauten, wie die Frauenkirche in München (S. 158), die Martinskirche in Landshut (S. 233), welche wieder für eine ganze Reihe von Kirchen (Braunau) das Vorbild abgab, unsere Aufmerksamkeit. Eine reiche Pflege fand der gothische Stil seit der Regierung Karls IV. in Böhmen. Nicht nur in der Hauptstadt, wo außer dem Dom, der Teynkirche und der Synagoge besonders die kühne Gewölbeconstruktion der Karlshofer Kirche das Interesse des Baukundigen erregt, sondern auch in Landstädten, wie Kolin, Kuttenberg, Pilsen, Eger, erheben sich stattliche, zum Teil auf den älteren Kathedralstil zurückgehende Werke.

Nach Italien zu bezeichnet die Pfankirche in Bozen, nach dem Osten die Elisabethkirche in Kaschau die Grenzen der Verbreitung der deutschen Gothik. Die Mehrzahl besonders der städtischen Pfarr- und Klosterkirchen sind nicht so sehr durch ihre Konstruktion bemerkenswert, welche sich in der nüchternen Hallenform bewegt und durch mannigfache An- und Umbauten den ursprünglichen Kern verdeckt, als durch den Reichtum und die Tüchtigkeit der Einzeldekoration. Den Architekten drängt der Kunsthandwerker in den Hintergrund zurück. Die verschiedenen Füllungen an den Wänden, das Maß- und Strebewerk, die Portale u. s. w. werden mit bewundernswürdigem Fleiße gearbeitet, mit den zierlichsten und feinsten Ornamenten bedeckt, außerdem aber im Innern der Kirchen plastische Kunstwerke in Metall, Stein und Holz gehäuft.

Die deutsche Skulptur und ebenso die deutsche Malerei finden seit dem XV. Jahrhundert in Süddeutschland einen gesegneten Boden. Namentlich die Bildhauerkunst dankt der fleißigen Übung in der gothischen Periode eine solide Grundlage, eine ehrenvolle Tüchtigkeit in allem Handwerksmäßigen. Sie bricht daher auch nicht plötzlich mit der Tradition, sondern fügt die allmählich auftauchenden naturalistischen Züge in das alte Formengerüst ruhig ein. Bleiben doch die Aufgaben für die Bildhauer Jahrhunderte lang die gleichen: die aus Stein gemeißelten Grabsteine, die aus Holz geschnitzten Altäre, die aus Erz gegossenen Taufbecken u. s. w. Die Verwendung des Erzes zu monumentalen Arbeiten kommt am spätesten auf; in diesem Kreise erscheint daher die Abweichung vom mittelalterlichen Stile am auffallendsten, während in den gemeißelten und holzgeschnitzten Werken die Anklänge an die Gothik bis in das XVI. Jahrhundert hineinreichen. Stein- und Holzskulpturen bleiben auch entschieden die volkstümlichsten Kunstzweige. Nicht bloß in den Alpengegenden z. B. Ammergau fand die Holzschnitzerei seit frühesten Zelten eifrige Pflege, auch in den süddeutschen Städten bot insbesondere die Herstellung der großen Altäre, des Chorgestühls u. s. w. Schnitzern reiche Beschäftigung. Bei den Altären galt Bemalung der Skulpturen als Regel. Diese Polychromie war bedingt teils durch die Natur des Materials, welches keinen reinen Farbenton besitzt, teils durch die unmittelbare Nachbarschaft der Gemälde, da dem geschnitzten Altarschrein gewöhnlich gemalte Flügel angeschlossen wurden. Man kann solche Altäre bald noch an dem ursprünglichen Aufstellungsorte (Rothenburg, Blaubeuren, Gmünd, St. Wolfgang in Oberösterreich u. a. O.), bald in Museen (Bayrisches Nationalmuseum in München, German. Museum in Nürnberg) studieren. Einzelne Künstlernamen haben sich erhalten. Von hervorragendster Bedeutung sind Jörg Syrlin, 1458 zum erstenmal genannt, der Schöpfer des Chorgestühls im Münster zu Ulm, und Veit Stoß aus Krakau (? 1438-1532), dessen für uns noch erkennbare Tätigkeit in Nürnberg fast ausschließlich in die letzten Jahrzehnte seines langen Lehens fällt. Ulm und Nürnberg, außerdem Augsburg treten als Vororte süddeutscher Kunstthätigkeit im XV. und XVI. Jahrhundert auf. Nicht als ob die andern Reichsstädte auf die Kunstpflege vollständig verzichtet hätten. Die Lokalforschung spürt vielmehr täglich neue Namen in derselben auf. Nur in jenen drei Städten aber stoßen wir auf mehr geschlossene Folgen von Künstlern und weckt die künstlerische Tätigkeit nicht bloß ein lokales Interesse. In Ulm lernen wir als Hauptmeister in der Malerei den Bartholomäue Zeitblom, den Tochtermann des alten Hans Schuelein kennen. Er arbeitete in den Jahren 1484-1517, und wenn auch seine Bilder (Stuttgarter, Augsburger Gallerie, Münchner Pinakothek) keine schönen, nicht einmal mannigfaltige Kopftypen zeigen, die Zeichnung hart erscheint, so erfreut doch die Klarheit und Kraft der Färbung. Es gilt von Zeitbloms Werken wie von den altdeutschen Gemälden überhaupt, daß der koloristische Eindruck der günstigste ist, mag auch die feinere harmonische Durchbildung der Töne fehlen. Ebenso gelingen Einzelgestalten und wenig bewegte Gruppen besser, als dramatische Aktionen, deren Schilderung leicht zu Übertreibungen und zur Einflechtung grober naturalistischer Züge verleitete. Die Augsburger Schule wird am besten durch Hans Burgkmair (1473-1531), einen mit feinem Sinne für landschaftliche Schönheit begabten Meister, und den altem Holbein (1460-1524) vertreten. Besonders der letztere gehört, seitdem ihm mehrere, früher seinem Sohne zugeschriebene Gemälde wieder zurückgegeben wurden, zu den interessantesten, freilich auch räthselhaftesten Meistern der altdeutschen Kunst. Seit den neunziger Jahren des XV. Jahrhunderts läßt sich seine Tätigkeit verfolgen. Lange Zeit überschreitet seine persönliche Begabung nicht die Grenzen des herrschenden Stils. Auch Holbeins Madonnen und Frauengestalten fehlt die reine Anmuth, in bewegten Scenen, z. B. in den Passionsbildem, macht sich gleichfalls eine Vorliebe für das Derbe und Grobe geltend. (Die beste Gelegenheit diese ältere Weise des Künstlers zu studieren, bietet die Augsburger Gallerie.) Erst am Ende seiner Laufbahn, ohne daß wir bisher ausreichende Zwischenstufen der Entwickelung nachweisen könnten, schuf Holbein im Sebastiansaltare (Münchner Pinakothek) ein Werk, welches ihn weit über die Fachgenossen erhebt. Er hat sich in die neue Italien entlehnte Ornamentik eingelebt, die Frauenköpfe umkleidet er mit zierlicher Anmuth, den nackten Körper modelliert er überraschend richtig, die ganze Schilderung hält er bei aller lebendigen Naturwahrheit in maßvollen Grenzen. Nach Vollendung dieses Gemäldes (1516) verschwindet Holbein vom Schauplatze. Nur die Kunde von seinem Tode einige Zeit vor 1526 im fernen Elsaß ist noch auf uns gekommen. Die Wirksamkeit seines Sohnes, des jungern Hans Holbein (1497-1643), kann vollkommen nur in Basel, wohin er in ganz jungen Jahren gewandert war, und in England, wo er die letzte Zeit seines Lehens zubrachte, erkannt werden. Doch besitzen auch süddeutsche Gallerien einzelne hervorragende Werke von seiner Hand. Außer der Madonna des Bürgermeisters Meyer, dem Originale des herühmten Dresdener Bildes, in Darmstadt sind namentlich die beiden Frauenporträts in der Wiener Belvederegallerie hervorzuheben.

Von dem Bilde des alten kunstreichen Nürnberg wird auch die Laienphantasie gefangen genommen. Die Dichtung hat das rege Leben und Treiben der Stadt, in welcher Handel, Gewerbe, Wissenschaften und Künste blühten, verklärt, die Volksmeinung, die in Liebe und Hass leicht überströmt, die Bedeutung Nürnbergs sogar über Gebühr emporgehoben, indem sie es auch als das Ideal einer mittelalterlichen Stadt pries. In Wahrheit beginnt Nürnbergs künstlerischer Aufschwung in der letzten Zeit des Mittelalters und seine Blüte steigt im XVI. Jahrhundert am höchsten. Volkstümlich wie kein anderer ist der Nürnberger Künstlerkreis geworden. Die Namen Michael Wohlgemuth, Veit Stoß, Adam Krafft, vor allen aber Albrecht Dürer und Peter Vischer klingen jedermann, auch wenn er sich sonst mit alter deutscher Kunst nicht beschäftigt hat, vernehmlich im Ohre. Wohlgemuth (1434-1519) gilt als der Typus des ehrlichen Malermeisters, der schlicht und recht sein Handwerk treibt. Die neuere Forschung hat zwar diese Anschauung teilweise beseitigt und Wohlgemuth eine viel größere persönliche Tüchtigkeit zugesprochen. Doch trifft diese Änderung des Urteils mehr den Kupferstecher als den Maler. Auch Adam Krafft der Steinmetz (c. 1450-1507) fußt teilweise noch auf dem Handwerksboden und folgt den Spuren der ältern Tradition. Seine religiösen Dartellungen (Schreyer’sches Grabmal außen an St. Sebald, die sieben Stationen auf dem Wege zum Johannis-Kirchhof u. s. w.) zeigen in der Komposition die im ganzen XV. Jahrhundert übliche Vermischung malerischer und plastischer Elemente, in der Behandlung der Einzelfiguren, des Faltenwurfs, die gewöhnlichen naturalistischen Härten. Nur einzelne Köpfe (z. B. der todte Christus und Maria auf dem 7. Stationsrelief) erscheinen von einer feineren persönlichen Empfindung durchströmt. Am freiesten von den herkömmlichen Schranken offenbart er sich in dem naturfrischen Relief des städtischen Wagemeisters (Stadtwage) und in den drei kleinen lebendig gefaßten Statuetten, welche das mächtige im spätesten gothischen Stile komponierte Sakramentshäuschen oder Tabernakel in der Lorenzkirche tragen. Hinter Krafft’s Werken stehen die meisten Leistungen der Nürnberger und der verwandten deutschen Bildhauerschulen zurück, auch die Arbeiten des fleißigen Tilman Riemenschneider


(† 1531) aus Würzburg (Hauptwerk im Bamberger Dom, S. 256). Ein leider unbekannter Meister, von dem wir nur eine einzige in Holz geachnitzte Figur kennen, überragt ihn und alle gleichzeitigen Bildhauer, der Schöpfer der betenden Madonna (jetzt im Germanischen Museum, S. 252). Krafft’s Thätigkeit kann man in seiner Vaterstadt vollständig überblicken. Von dem berühmten Erzgießer Peter Vischer (1455-1529) bewahrt Nürnberg wenigstens das Hauptwerk: das Sebaldusgrab. Indem architektonischen Gerüst, welches den Silbersarg des Heiligen einschließt, bemerkt man noch den Kampf zwischen gothischen und Renaissanceformen. Schöpfungen dagegen einer durchaus freien, nicht bloß auf Naturwahrheit, sondern auch auf heitere Anmuth oder würdigen, maßvollen Ernst bedachten Phantasie sind die kleinen figürlichen Darstellungen: die Kindergestalten, die Propheten und Apostel. Für die weitere Entwickelung Peter Vischor’s, welchem sich später in der Leitung der Gießhütte seine Söhne zugesellten, für das immer stärkere Eindringen der italienischen Renaissance in den heimischen Stil, bietet Nürnberg nicht mehr ausreichende Beispiele. Nur in dem Gänsemännchen des Pancraz Labenwolf (1492-1563) lernt man die fortdauernde lebendige Auffassung der Natur, gepaart mit einem frisch naiven Sinne kennen. Noch weniger genügt ein Besuch Nürnbergs zum vollständigen Verständniß unseres größten Malers, Albrecht Dürer (1471-1528), mag auch die Phantasie durch das Verweilen auf den Plätzen, wo er gelebt und gewirkt, eine wirksame Anregung empfangen. Außer seinen Holzschnitten und Kupferstichen muß man seine Handzeichnungen zur Hand nehmen, um den so merkwürdig vielseitigen, durch Tiefe und Reichtum seiner künstlerischen Gedanken gleich großen Meister vollkommen zu würdigen. Den größten Schatz an letzteren bewahrt die Albertina in Wien, deren Studium dem ernsteren Kunstfreunde zugleich den reichsten Genuß verschafft. Die Handzeichnungen bieten allein auch die ausreichende Handhabe um Dürers künstlerische Entwicklung von seinen frühesten Anfängen, die in sein Knabenalter fallen, bis in das letzte Lebensjahr ununterbrochen zu verfolgen. Nicht dasselbe kann man von Dürer’s Gemälden behaupten, welche sich ungleichmäßig auf die verschiedenen Perioden seines Schaffens verteilen. Eigentlich tritt Dürer’s Tätigkelt als Maler nur zweimal in seinem Leben so mächtig in den Vordergrund, daß sie das Urteil vorwiegend bestimmt: während und unmittelbar nach seiner venezianischen Reise (1505-1609) und dann wieder in den letzten Lebensjahren. Den Venezianern hat er einzelne Kompositionsmotive und eine klare warme, kräftig harmonische Färbung abgelauscht, am Abend seines Lebens das markig Charaktervolle, das alle seine Gestalten auszeichnet, auch zu vollkommener Plastik durchgebildet. Die süddeutschen Gallerien bewahren noch immer die wichtigsten Proben seiner Kunst: München besitzt aus ganz früher Zeit den Paumgärtnerschen Altar und das leider übermalte Selbstporträt, wahrscheinlich etwas später gemalt, als das Datum auf dem Bilde (1500) angibt, und sodann sein Meisterwerk: die sog. vier Temperamente, die Doppeltafeln mit Petrus und Johannes, Paulus und Markus. Anspielend auf die religiösen Wirren in seiner Umgebung hat er hier ewig gültige Charaktertypen geschaffen, den Grundgedanken der reformatorischen Bewegung: Prüfung und Verteidigung der Wahrheit in die künstlerische Form rein und lebendig übertragen. In Wien fesselt die Aufmerksamkeit vor allem das Allerheiligenbild, auch Dreifaltigkeit genannt, ausgezeichnet sowohl durch die reiche Gruppierung, wie durch die bei aller Lebhaftigkeit durchaus harmonische Färbung. Auch das kleine Madonnenbild vom J. 1512 verdient wegen der feinen Behandlung und des innigen Ausdrucks im Marienkopfe Beachtung. Das von Dürer in Venedig vollendete Rosenkranzbild, im Kloster Strahow in Prag bewahrt, ist leider so sehr verdorben, daß nicht viel mehr als die Komposition kenntlich erscheint. Von den reichen Dürerschätzen, welche ehemals Nürnberg bewahrte, ist fast nichts daselbst zurückgeblieben. Das früher im Germanischen Museum ausgestellte Porträt des Hieronymus Holzschuher v. J. 1526, das vollendetste Bildnis, welches wir von Dürer’s Hand besitzen, befindet sich jetzt in Berlin.

Für das Studium der Maler, welche sich um Dürer gruppieren und teilweise unmittelbar an ihn anlehnen, wie Hans Schäuffelein († 1540), Sebald (— c. 1550) und Barthel Beham (†1540), Alb. Altdorfer († 1538), Hans Baidung Grien († 1545), Christoph Amberger († 1562) u. s. w. bieten die süddeutschen öffentlichen Sammlungen, außer der Münchner Pinakothek auch die Galerien in Donaueschingen und Sigmaringen mannigfache Gelegenheit. Wer dazu nicht die Muße findet, den religiösen und historischen Schilderungen kein tieferes Interesse abgewinnt, wird gut tun, wenigstens die Leistungen dieser Meister im Porträtfache zu beachten. Unbeirrt von dem sonst herrschenden Hange durch übermäßig reiches Detail die Haupthandlung zu verwischen, nicht gehemmt durch die unzulängliche Kraft, ideale Formen zu schaffen, haben die Künstler auf dem Gebiet der Porträtmalerei ihre frische lebendige Auffassung der Natur am besten zur Geltung gebracht.

Bereits im Kreise dieser Maler macht sich ein Umschwung der künstlerischen Anschauungen bemerkbar. Die überlieferte Weise genügte nicht mehr. Die Kenntnis der italienischen Kunst, durch die seit dem Ende des XV. Jahrhunderts auftauchende Gewohnheit der Künstlerreisen nach Italien stetig erweitert, durchbrach die alten Schranken und empfahl die Nachahmung der neuen Muster. Anmutige Früchte hat der italienische Einfluss nicht gezeitigt. Die deutschen (und ähnlich die niederländischen) Maler blieben in ihren Empfindungen doch Nordländer, sie studierten die italienische Kunst, konnten aber die italienische Natur nicht in sich aufnehmen. Mochten auch die italienischen Maler In ihren Werken dem Idealismus huldigen, so verleugneten sie doch niemals den nationalen Zug. Luft und Boden arbeiten stets mit und verleugnen damit den ideal gedachten Schöpfungen ein unmittelbares Leben. Dieses konnten Fremde ihren Bildern nicht einhauchen und so blieben sie stets bei aller persönlichen Tüchtigkeit in der äußern Manier befangen. Das Künstlergeschlecht, welches in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts emporkam, brachte die italienische Manier noch ausschließlicher In die Höhe, dazu auch durch die Wendung, welche die Kunstpflege allmählich genommen, bestimmt. Während die ältere Kunst in den mittleren Volkskreisen ihre wesentliche Heimat besaß, traten jetzt einzelne Fürsten, außer bayrischen Herzogen namentlich Kaiser Rudolf II., als eifrige Gönner und Sammler auf. Der Holzschnitt fand noch im Volke Anklang und weite Verbreitung, der Kupferstich stand vorwiegend als Ornamentstich im Dienste der Kunsthandwerker, besonders der Metallarbeiter, die Malerei suchte die Gunst der kunstfreundlichen Höfe zu gewinnen. An diesen galt aber die italienische Kunst als Muster, wie die italienische Bildung überhaupt. Italienische Kunstwerke und Italienische Künstler begannen über die Alpen zu wandern, die heimischen Künstler, ohnehin bereits den Renaissanceformen zugeneigt, empfingen dadurch einen neuen Antrieb, in italienischen Schulen, in Rom, Florenz, Venedig die Vollkommenheit in ihrem Fache zu erringen. Es wäre unbillig, die Niederländer und Deutschen welche diesen Weg einschlugen, wie Bartholomäus Spranger, Georg Hufnagel, Christoph Schwarz, Joh. van Aken, Joh. Rottenhammer, aus unsrer Künstlerwelt einfach zu streichen. Sie haben zum Teil besonders in technischer Beziehung Tüchtiges geleistet. So sehr wir auch sonst aber beflissen sind, historische Rettungsversuche zu wagen, so weit ist unsere Neigung, das historische Urteil an die Stelle des ästhetischen zu schieben, vorläufig noch nicht gedrungen, um auch für diese Manieristen ein unmittelbares Gefallen zu erzwingen. Wer sich für dieselben interessiert, findet namentlich in der Wiener Galerie, welche teilweise die Kunstschätze Kaiser Rudolfs geerbt hat, und auch sonst in österreichischen Sammlungen reiche Gelegenheit zum Studium.

Dagegen ist die verwandte Bewegung, welche sich auf dem Gebiete der Architektur und der dekorativen Künste vollzogen hat, neuerdings in überraschend hohem Maße volkstümlich geworden. Die deutsche Renaissance erfreut sich seit zwei Jahrzehnten einer allgemeinen Beliebtheit und spielt in unserm Kunstleben eine große Rolle. Den früher unbeachteten, geringgeschätzten Bauten im deutschen Renaissancestil widmet auch der Laie gegenwärtig Aufmerksamkeit, eine Musterung der alten Denkmäler hält er häufig für ein würdiges Reiseziel. Der Name: deutsche Renaissance deutet bereits eine Doppelwurzel, aus welcher der Baustil sprosste, an. Ohne Kenntnis der Architektur, in welche in Italien auf Grund der wiedererwachten Studien der Antike im XV. Jahrhundert zur Herrschaft gelangte, wäre die deutsche Renaissance nicht entstanden. Sie entlehnte derselben zahlreiche Einzelteile, die Säulenordnungen, die Pilaster, mannigfache Gesimse und insbesondere omamentale Motive. Sie sank aber in den meisten Fällen nicht zur sklavischen Nachahmung der italienischen Muster herab, sondern bewahrte auch der heimischen Überlieferung in vielen Punkten Treue und bemühte sich dieselbe mit den neu erworbenen Formen einheitlich zu verbinden. Das gothische Zierwerk zwar, das Maß- und Stabwerk, die Füllung der Flächen mit geometrischen Figuren, musste unwiderruflich weichen, auch der Spitzbogen verlor seine Geltung. In den konstruktiven Teilen aber, in der Gliederung und Einrichtung der baulichen Anlagen blieben die alten Gewohnheiten meistens in Kraft. Die Genesis der deutschen Renaissance klärt am besten über ihr Wesen auf. Schon in den ersten Jahren des XVI. Jahrhunderts hatte sich das italienische Renaissanceornament, vorwiegend fein und zierlich geschwungener Ranken- und Blätterschmuck, im Kreise der zeichnenden Künstler, bei Malern, Kupferstechern und Holzschneidern Geltung verschafft; auch die Kunde von den Säulenordnungen, für welche die Regeln bei Vitruv gesucht wurden, drang rasch über die Alpen. Nächst den Zeichnern und Malern eigneten sich die Meister der dekorativen Skulptur frühzeitig den italienischen Stil an. Wir begegnen ihm auf Grabmälern, Gittern, Brunnen, an holzgeschnitzten Werken und Metallarbeiten. Am spätesten trat er in der Architektur auf und auch hier zunächst an den ornamentalen Teilen, wie Portalen, Fenstereinfassungen, Wandgliedern. Die strenge Schule blieb den Baumeistern lange fern. Wollte der Bauherr das Werk in reinem italienischen Geschmacke errichtet schauen, so mußte er einen italienischen Architekten berufen. In der Tat kamen manche derselben über die Alpen gewandert und machten Pläne, welche dann von heimischen Werkleuten ausgeführt wurden. Deutlich erkennt man an den deutschen Bauten den Wiederschein dieser Verhältnisse. Im Kreise der Kunsthandwerker gewann die Bewegung und der künstlerische Fortschritt die größte Kraft; kein Wunder, daß die hier geschaffenen Formen eine allgemeine Geltung erlangten und auch von den monumentalen Künsten, von der Architektur übernommen wurden. In der Tat begegnen wir in den Ornamenten der Architektur zahlreichen Anklängen an Metallarbeit. Die unteren Teile der Säulenschäfte erscheinen wie mit Metallbeschlägen geziert; auch sonst wird getriebene Eisenarbeit nachgeahmt oder wie in den aufgerollten und scharf ausgeschnittenen Bändern, dem sog. Lederornament, der Stein gleichsam als weicher, elastischer Stoff behandelt. Im Aufrisse zeigt der hohe Giebel den deutlichen Anklang an das mittelalterliche Haus, während die italienische Renaissance vom Dachbau absieht, ebenso ist der mit Vorliebe reich dekorativ behandelte Erker eine nordische Eigentümlichkeit. Die Entstehung der deutschen Renaissance erklärt den Mangel eines einheitlichen Typus, eines Normalstils. Je nach den verschiedenen Voraussetzungen besitzt dieselbe in den einzelnen Landschaften einen verschiedenen Charakter. Die Renaissance in Norddeutschland, im Fachwerkbaue und im Ziegelbaue so glänzend entwickelt, hatte einen andern Charakter als die Renaissance in den südlichen Landschaften, auf welche die größere Nähe Italiens stärker einwirkte. Dies trifft insbesondere bei den imposanten Kirchenbauten (z. B. der Michaelskirche in München) zu. Unter dem Einfluss des Jesuitenordens errichtet, tragen dieselben das Gepräge, welches den Jesuitenbauten überhaupt aufgedrückt ist. Aber auch auf die profanen Bauten hat die Nachbarschaft Italiens, die in höfischen und vornehmen Kreisen heimische italienische Bildung namhaft eingewirkt. Einzelne Werke sind nur durch den Boden auf welchem sie stehen deutsch, gehören dem Stile nach ausschließlich der italienischen Renaissance an, so die Fuggerschen Badezimmer in Augsburg (S. 169), das sog. Belvedere Kaiser Ferdinands I. in Prag u. s. w.

Die Vorliebe für den italienischen Stil offenbart sich stärker bei den Schlossanlagen als bei den privaten städtischen Bauten, insbesondere hielten die Reichsstädte an den alten Überlieferungen fest. Eine stattliche Reihe von Schlössern, welche den Burgcharakter aufgegeben und den Palastcharakter angenommen haben, — und darin zeigt sich der Unterschied zwischen Mittelalter und Renaissance am deutlichsten — laden in Süddeutschland zum Besuche ein. Allen voran steht das Juwel der deutschen Schlossarchitektur, der Otto-Heinrichs-Bau in Heidelberg (S. 11), bedeutender noch durch den wohl durchdachten reichen plastischen Schmuck, als durch die Maßverhältnisse und die architektonische Gliederung. Als nach einigen Menschenaltern (1601) der Friedrichsbau in Angriff genommen wurde, hatten sich bereits die heimischen Werkleute in den neuen Stil eingelebt. Der jüngere Bau trägt in der Ornamentik deutliche Spuren des deutschen Ursprungs. Neben dem Heidelberger Schlosse treten die meisten fürstlichen Bauten insbesondere was die Schauseiten betrifft zurück. Das Tübinger Schloss (S. 99) mahnt noch teilweise an die alte Burgeneinrichtung, die frische aber auch derbe Kraft der Renaissance kommt namentlich an den Portalen zur Geltung. Von großem Reize, wie bei den meisten Schlossanlagen, ist am alten Stuttgarter Schlosse (S. 72) der innere Hof mit seinen Arkaden und Einbauten, während freilich für das Bild der Ausstattung der großenteils verwahrlosten Prachträume die Phantasie die Farben liefern muss. Die stetig aufsteigende Macht der bayrischen Herzoge spiegelt der Glanz ihrer Residenz (S. 127) wieder.

Nicht immer konnte nach einem einheitlichen Plane vorgegangen werden. Die berühmte Burg Landshut z. B. (S234) zeigt deutlich die Spuren der verschiedenen Bauperioden, überhaupt eine unregelmäßige Anlage. Die Ausschmückung der Räume wurde vorwiegend der Malerei überwiesen und bekundet schon dadurch den italienischen Einfluss. Derselbe tritt uns noch deutlicher entgegen in der Residenz in Landshut, deren Hofarchitektur vollständig nach dem Muster italienischer Paläste gegliedert und dekoriert erscheint. Das größte Interesse nimmt die alte Residenz in München in Anspruch, ein Werk des spätern Kurfürsten Maximilian, in den Jahren 1602-1619 errichtet und ebenso umfassend angelegt, wie durch plastischen und (großenteils verblichenen) malerischen Schmuck ausgezeichnet. Auf österreichischem Boden erscheint besonders die Prager Baugruppe beachtenswert. Auffallend früh hatte sich in Prag der neue Stil eingebürgert und durch die Rudolfinische Zeit hindurch bis in das XVII. Jahrhundert in verhältnismäßiger Reinheit erhalten. Die große Loggia, welche sich in dem von Wallenstein erbauten Palaste gegen den Garten öffnet, ist das Endglied einer stattlichen über ganz Böhmen verbreiteten Tätigkeit. Um der deutschen Renaissance vollkommen gerecht zu werden, müßte man eigentlich eine vollständige Aufzählung der einzelnen Bauten versuchen, denn nicht allein jede Landschaft, sondern in den verschiedenen Landschaften wieder fast jedes einzelne Werk zeigt Eigentümlichkeiten der Bauübung, deren Studium erst den richtigen Genuß gewährt und zugleich von dem großen Reichtum der Renaissancekunst Zeugnis ablegt. Oft ist es ein Portal oder ein Erker, oft die Hofanlage oder die Einrichtung der inneren Räume, welche sich durch besondere Schönheit auszeichnen.

Dem Freunde der Renaissance kann man nur anraten, seine Wanderungen nicht auf die großen Städte und die Hauptheerstraßen einzuschränken. Mit geschärftem Blicke wird er fast in jeder Landschaft interessante Bauten entdecken. So bieten z. B. die tiroler Städte und Flecken noch zahlreiche bisher wenig beachtete Proben der Renaissance. Ähnliches gilt von andern Landschaften und nicht bloß von Schlössern und Herrensitzen, sondern in noch höherem Grade von bürgerlichen Häusern. Freilich wird sich in den meisten Fällen nur die nackte Architektur dem Auge des Liebhabers zeigen; der innere Hausrat, dessen Gegenwart so wesentlich die Reize eines Renaissancehauses erhöht und zum Verständniß desselben beiträgt, ist regelmäßig verschwunden, hat wenn es gut ging, in den Sammlungen Platz gefunden, und auch hier erst in unsern Tagen. Der Bestand der älteren Gerätesammlungen oder wie wir jetzt sagen würden, kunstgewerblichen Museen bringt uns vorwiegend die Schätze der fürstlichen Kunstkammern, die im XVI. Jahrhundert aufkamen, vor die Augen. Hier herrschten die Goldschmiedarbeiten vor und die aus kostbaren Holzarten hergestellten mit Elfenbein und Metall eingelegten Möbel. Der Hausrat des bürgerlichen Renaissancehauses war einfacher gehalten. Der Holztäfelung der Wände entsprachen trefflich die geschnitzten Schränke von verschiedener Größe und Form, für Metallgeräte wurde mit Vorliebe Messing verwandt, dessen blanker Glanz und gleichsam gedrechselte Formen trefflich zur Holzeinrichtung stimmten, die grobe Natur des Steinguts wurde durch Farbe, plastischen Schmuck und bunte Gestalt glücklich verdeckt. Wo sich noch „der Väter Hausrat“ an der ursprünglichen Stelle befindet, da wird man die vollkommene Harmonie zvrischen der innern Ausstattung des Hauses und der architektonischen Anordnung erkennen und daß das Haus von innen nach außen gewachsen sei, deutlich empfinden. Die Betrachtung der bloßen Façaden genügt nicht, besonders nicht, wenn sich Renaissancehäuser sporadisch zwischen modernen Bauten erhalten haben. Einen reineren Eindruck gewähren vollständige Häuserfluchten, Straßen und Plätze, welche von der modernen Baulust unberührt geblieben sind. Nürnberg stand ehedem unter den deutschen Renaissancestädten obenan. Noch kann man zwar viele einzelne stattliche Patrizierhäuser aus dem XVI. und dem Anfange des XVII. Jahrhunderts aufzählen, aber die allgemeine Physiognomie der Stadt beginnt sich zu ändern. Dagegen bietet Rothenburg ob der Tauber (S. 224) mit seinem Rathhause, Türmen, Brunnen und wohl conservierten Bürgerhäusern ein gutes Bild einer deutschen Renaissancestadt. Hier wie in den meisten Reichsstädten treten auch die aus der heimischen Tradition herübergenommenen oder dem besondern nationalen Sinne entlehnten Züge der deutschen Renaissance in Konstruktion und Dekoration am kräftigsten auf und erscheint der italienische Einfluss viel weniger maßgebend als bei den Schlossbauten. Erst im XVII. Jahrhundert dringt der italienische Stil, wie die Façade des Nürnberger Rathhauses und das durch die Pracht der innem Ausstattung (Goldner Saal) berühmte Augsburger Rathhaus beweisen, auch in die städtische Architektur. In Augsburg hatte überhaupt, durch den regen Verkehr mit Venedig begünstigt, die italienische Kunstweise leichter Eingang gefunden und z. B. die Sitte der Façadenbemalung heimisch gemacht.

Die unheilvolle Zeit des dreißigjährigen Krieges hemmte die stetige Entwickelung der deutschen Kunst und brach viele Blütenzweige unsrer Bildung ab. Einzelne Kunstzweige siechten für zwei Jahrhunderte dahin, der ehemals so volksthümliche Holzschnitt geriet in vollständige Vergessenheit, die Malerei wurde nur dürftig gepflegt und sank zu noch größerer Abhängigkeit von fremden Mustern herab als in dem vorangehenden Zeitalter. Seit dem dreißigjährigen Kriege datiert die Herrschaft des Fremden in allen Sachen des Geschmackes. Viel Erfreuliches bringt daher die Betrachtung unseres Kunstlebens in der zweiten Hälfte des XVII. und der ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts nicht. Die regste Tätigkeit entfaltet sich auf süddeutschem und österreichischem Boden und wenn man nur die prinzipielle Geringschätzung des Barockstiles überwindet, findet man hier zahlreiche und mannigfache Proben der wiedererstandenen Baulust. In Italien war gegen den Schluß des XVI. Jahrhunderts eine entscheidende Wendung in der Architektur eingetreten. Die einzelnen Renaissanceformen behielt man bei, in ihrer Durchbildung und ihrer Verbindung ließ man sich von neuen Anschauungen leiten. Der alte echte Renaissancestil erschien zu kalt und einfach, nicht wirkungsvoll genug. Die Glieder werden derber, mächtiger gebildet, die gerade Linie durch Kurven ersetzt, die Hilfe der Licht- und Schattenwirkung in Anspruch genommen. Die Façade empfängt eine geschweifte Form, Säulen treten vor und ziehen das ganze Gebälk nach, Giebel und Gesimse werden stark ausgeladen, die Profile verstärkt, das Ornament bis zur Überwucherung der konstruktiven Glieder, an das Maßlose streifend verwendet. Dieser Barockstil, in seinem Wesen dem gleichzeitig auftauchenden Manierismus in der Malerei und Skulptur und dem stärker betonten Naturalismus verwandt, fand in den süddeutschen Landschaften Eingang. Wir sehen ihn bei den zahlreichen Kirchen- und Klosterbauten verwendet, welche nach dem dreißigjährigen Kriege mit gesteigerter Pracht errichtet wurden, und lernen ihn in allen seinen glänzenden Effekten, aber auch in seinen Schwächen in den vielen Palästen kennen, welche sich aus der Zeit von 1680 bis 1740 erhalten haben. Nur in einzelnen Fällen (Nymphenburg, Mannheim) wird das Versailler Schloss nachgeahmt, überwiegend herrscht der italienische Barockstil, wie er namentlich durch Borromini ausgebildet worden. Hervorragende Muster des Barockstils findet man in Würzburg, München, Wien und insbesondere in Prag, wo man einen förmlichen Kursus der Barockarchitektur durchmachen kann und am ehesten noch mit ihren Eigenheiten sich befreundet.

Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, infolge der österreichisch-preußischen Kriege erlahmt die Bautätigkeit. Dagegen wird der Versuch gemacht, durch die Gründung von Akademieen (Wien, Karlsschule in Stuttgart) die Malerei wieder zu beleben. Ohne nachhaltigen Erfolg. Am Anfange unseres Jahrhunderts mußten die Kunstjünger nach Rom pilgern, um hier an den Vorbildern der Antike und der alten italienischen Kunst ihre Phantasie neu zu beleben und Sinn und Auge zu bilden. Wie im weitern Verlaufe der Entwickelung München unter König Ludwig durch die Schöpfungen eines Cornelius und seiner Genossen zu einer Kunststadt von europäischem Rufe sich emporschwang und nach einer wiedereintretenden Stagnation in den vierziger und fünfziger Jahren jetzt zu neuer Blüte ansetzt, wie sich daran Wien besonders im Kreise der Architektur und neuerdings in kunstgewerblicher Beziehung auch Stuttgart anschließt, ist so bekannt, daß es einer weitem Erwähnung an dieser Stelle wohl nicht bedarf.