Staatsprüfungen in China. Mit zwei Bildern

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Themenbereiche
Enthaltene Themen: China, Studenten, Prüfungen, Beförderungen, Beamte, Staatsdienst
In China steht es jedermann frei, sich zu den öffentlichen Staatsprüfungen zu melden. Zahlreich sind in Vergangenheit und Gegenwart die Beispiele für das Aufsteigen der höchsten Beamten des Reiches aus den untersten Schichten. Das Alter spielt bei den Prüfungen keine besondere Rolle. Wenn zum Beispiel ein Knabe von fünfzehn oder ein Greis von siebzig Jahren den Wunsch hegt, „ins Examen zu steigen“, so hindert sie in China keine Vorschrift daran.

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In den Bezirksstädten des Reiches finden alle zwei Jahre Prüfungen statt, nach deren befriedigendem Abschluss die unterste Stufe der Beamtenlaufbahn erreicht ist. Wer diesen ersten literarischen Grad erreicht hat, gilt als „vervollkommnetes Talent“ und darf sich zu den jeweils nach drei Jahren stattfindenden Provinzialprüfungen melden, die unter Aufsicht hoher Kommissäre und Beamten vor sich gehen und nach günstigem Abschluss zu weiterer Beförderung in bessere Ämter berechtigen. Wer dieses Examen bestanden hat, darf den Titel Tschü Yen, das heißt Provinzialgraduierter, führen. Abermals in Abständen von drei Jahren findet in Peking die nächsthöhere Prüfung statt. Zu diesen reichshauptstädtischen Prüfungen melden sich meist mehrere Tausende aus den Provinzen die dort den Titel Tschü Yen erworben haben, aber nur dreihundertfünfzig Kandidaten können das „Zeugnis der Reife“ erlangen, mit dem die höchste literarische Würde unter dem Titel Tschin T chi verbunden ist, die etwa unserem Doktorgrad entspricht. — Diesem Examen folgt unmittelbar eine weitere Prüfung, nach deren Ergebnis eine Einteilung der daran Beteiligten in drei Klassen erfolgt. Die vier Besten der ersten Klasse erhalten besondere Titel: Tschuan Yüan — Optimus, Pang Yen — Sekundus, Tan Hua — Tertius und Tschuan Yu — Quartus. Damit sind aber die geistigen Nöte noch nicht zu Ende. Die mit dem Tschin T chi ausgezeichneten Examinanden werden in drei Klassen eingeteilt. Die vier Besten der vorhergehenden Prüfungen verlieren dabei ihren Platz nicht. Die drei ersten erhalten meist eine Stellung in der Akademie, die übrigen der ersten Klasse treten in die Rangklasse von Hilfssekretären der Ministerien. Der Rest reist in die Provinz zurück, um dort nach Erledigung von Ämtern als höhere Beamte angestellt zu werden. Meist erlangt ein Drittel aller Kandidaten, die in der Reichshauptstadt geprüft wurden, den Titel „Bakkalaureus der Hanlinekademie“.

Eigenartig verläuft die neun Tage währende Provinzialprüfung. Nach Navarras Schilderung versammeln sich die Studenten vor dem Eingangstor eines von einer hohen Mauer umschlossenen Hofes, der von mehreren Hauptwegen rechtwinklig durchzogen ist. An jeder Seite dieser Wege stehen einzelne niedrige, mit Ziegeln gedeckte Bauten, die eine Zelle von kaum zwei Meter im Quadrat enthalten. Nur an einer Mauerseite befinden sich zwei Öffnungen, ein Fenster und eine Türe, die aber nicht geschlossen werden können. Im Innern der Zelle gegenüber der Türe ruht auf aus der Wand ragenden Ziegelsteinen ein Brett, das als Sitz dient. Ein zweites Brett bildet einen Tisch; beide Bretter können abgenommen und an die Wand gestellt werden, wenn der Kandidat sein Nachtlager zurechtmacht.

In der Mitte des Hofes erhebt sich ein höheres Bauwerk. Hier amtieren die Prüfungsaufseher und beobachten von dort aus, was in den Zellen und ringsum dieselben vorgeht.

In diese Zellen wird den Kandidaten durch Diener das Essen gebracht. Sie dürfen die Zelle nicht vor der Abforderung ihrer Arbeit verlassen und mit niemand sprechen. So bleiben sie unter Klausur bis zum Nachmittag des dritten Tages; erst dann, wenn ihre Arbeiten eingesammelt worden sind, dürfen sie sich ein paar Stunden im Freien erholen und zur vorgeschriebenen Zeit zurückkehren, da sie die Nacht in den Zellen zu verbringen haben. Am folgenden Morgen erhalten sie neue Aufgaben, die abermals nach drei Tagen abzugeben sind. Nun folgt die gleiche Erholungszeit wie nach dem ersten Dreitagewerk. Dann beginnt eine weitere Prüfung, die abermals drei Tage währt. Aber nicht nur die Kandidaten werden in so strenger Klausur gehalten. In dem mauerumzogenen Haupthofe befindet sich noch ein Hofraum, in dem mehrere Gebäude stehen. Dort leben während der Prüfungen die Examinatoren und ihre Gehilfen. Auch diese dürfen weder ausgehen noch Besuche empfangen, bis alle Arbeiten durchgesehen und die Ergebnisse abgeschlossen sind, worüber meist vier Wochen vergehen.

Chinesische Studenten bei der Mahlzeit
Examinationshäuschen der Staatsprüfungskandidaten in Kanton.

Studenten, Chinesische Studenten bei der Mahlzeit

Studenten, Chinesische Studenten bei der Mahlzeit

Studenten, Examinationshäuschen der Staatsprüfungskandidaten in Kanton

Studenten, Examinationshäuschen der Staatsprüfungskandidaten in Kanton