Abschnitt 4

Wien


Ich darf rühmen, daß ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch echt böotischen Auftritt hatte ich auf der italienischen Kanzlei. Hier wurde ich mit meinem alten Passe von der Polizei um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er hatte nämlich meinen Paß von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.


„Währ üß Ähr?“ fragte er mich mit einem stierglot zenden Molochsgesichte, in dem dicksten Wiener Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, solange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmütigkeit haben in mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daß ihre Aussprache etwas besser sein sollte. Ich tat ein kurzes Stoßgebetchen an die heilige Humanität, daß sie mir etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, indem ich auf den Paß zeigte.

„Wu will Ähr hün?“
„Steht im Passe: nach Italien.“
„Italien üß gruhß.“
„Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.“
„Slähftr holtr sähr fühl sulch lüderlüchches Gesündel härümmer.“

Nun, Freund, was war hier zu tun? Was war hier zu tun? Dem Menschen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden, mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zurückgeschickt hätte; denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte also eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. „Der Graf Metternich in Dresden muß wohl wissen, was er tut, und wem er seine Pässe gibt; er ist verantwortlich dafür!“ sagte ich so bestimmt, als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschädel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknüpft waren.

„Wu wüll Ähr weiter hünn?“
„Vorzüglich nach Sizilien.“
Er glotzte von neuem und fragte:
„Was wüll Ähr da machchen?“

Hätte ich ihm nun die reine, platte Wahrheit gesagt, daß ich bloß spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell auseinanderzuwandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammengesessen hätte, so hätte der Mann höchstwahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sei irgendeinem Bedlam entlaufen.

„Ich will den Theokrit dort studieren“, sagte ich.

Weiß der Himmel, was er denken mochte; er fuhr mich an und sah auf den Paß und sah mich wieder an und schrieb sodann etwas auf den Paß, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung eines andern war.

„Abber Ähr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.“

„Ich bin es nicht willens“, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, „und bekomme hier auch nicht Lust dazu.“ Er beglotzte mich noch einmal, gab mir den Paß, und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daß dieses durchaus sein Charakter sei, und daß er bei dem Kaiser in gar großem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu tun haben! Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beim ersten Anblick sehen, ohne jemals eine Stunde bei Gall gehört zu haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so viel, daß er, eben nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Präsident der italienischen Kanzlei war. Ist das der Vorgeschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich an.

Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleistube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel „Euer Gnohden“ gescholten, daß meine Bescheidenheit weder ein noch aus wußte, und erhielt sogleich einen großen Realbogen voll Latein, in ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und Unteroffizianten des Kaisers, im Namen des Kaisers, gar nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nämlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis, und man forderte mir zwei Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Hermeneutik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, daß ich dem Übermaß der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802