Abschnitt 4

Venedig


Du denkst wohl, daß ich bei dem marmornen Mädchen etwas außer mir bin; und so mag es allerdings sein. Der Italiener betrachtete meine Andacht ebenso aufmerksam wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe, und ich verzweifle, selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muß Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäß, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiß nicht bestochen; ich habe bloß die Göttin angebetet, auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel Liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweihten tun. Alles scheint mir des Ganzen würdig.


In dem nämlichen Hause steht auch noch ein schöner Gipsabguß von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. In dem Zimmer, wo der Abguß der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gips von Canovas übrigen Arbeiten: eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde; die Szene, wo der Verurteilte den Becher nimmt; der Abschied von seiner Familie; der Tod des Priamus nach Virgil; der Tanz der Phäazier in Gegenwart des Ulysses, wo die beiden tanzenden Figuren vortrefflich sind; und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines großen und weisen Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmal meines Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übriggelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so würde seine Seele gewiß es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.

Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatz ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit, die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen. Sonderbar! Wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer ließen ihren Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde noch. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem Adriatischen Meere feierte? Die Briten gingen seit ziemlich langer Zeit schon etwas willkürlich und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um, und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe, seinen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Gouvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifizieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation, geschieht.

Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizei gelegen hatte und dort unterschrieben werden mußte. Ich bin überhaupt kein großer Welscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte also in der Kanzlei mit dem Ausfertiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. „Non son asino ferino“, antwortete der feine Mann, „per ruggire tedesco.“ Das waren, glaube ich, seine Worte, die freilich eine grelle Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen, daß ich wider sein Vermuten wenigstens seine Galanterie verstanden hatte, sagte ziemlich mürrisch: „Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu’il y a quelqu’ un ici, qui sache la langue de votre Souverain.“ Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort, sich zu erkundigen, sagte mir, daß mein Paß ausgefertigt sei, und in drei Minuten war ich fort. Ich erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man hier gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Österreicher scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie durch ihr Betragen zu verbessern.

Morgen will ich über Padua am Adria hinabwandeln und mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den Aetna hinüberbugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ancona bei Loretto endigt die Poststraße; sed non sine dis animosus infans. Ich weiß, daß mich Deine freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt sein wirst, daß meine Seele oft bei meinen Freunden und also auch bei Dir ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802