Abschnitt 1

Venedig


Die Leute meinten hier wieder, ich sei nicht gescheit, als sie hörten, ich wollte zu Fuße von Triest über die Berge nach Venedig gehen, und sagten, da würde ich nun wohl ein bißchen totgeschlagen werden; aber ich ließ mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nämlichen großen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zweistündigem Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstraße. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah und ich mich in der Wildnis doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, weil sie, wie die Genuesischen, der Zufluchtsort allen Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz Venedig aber jetzt in österreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizei leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rücksicht schon den Vorteil der Veränderungen. An dem Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluß aus der Erde hervor, der vermutlich auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiß Virgils Felsen des Timavus; und ich sah stolz umher, daß ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Tal zwischen Santa Eroce und Montefalcone, macht noch jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand vermutlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der geraden Straße nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmal über die Berge hinüber ist, welche freilich etwas kahl sind, hat man die schönsten Weintäler. Der Wein wird schon nach italienischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne Gruppierungen.


Von Görz nach Gradisca sind die Berge links ziemlich sanft, und man hat die großen Höhen in beträchtlicher Entfernung rechts, und wenn man über Gradisca nach Palma Nuova herauskommt, ist man ganz in der schönen Fläche des ehemaligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görtz nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen; aber östreichische Offiziere versicherten mich, es seien gute sieben Meilen, und ich fand Ursache, der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische Grenzfestung, und nun hausen die Kaiser lichen hier. Sie exerzierten eben auf dem großen Platze vor dem Tore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut verteidigt wird. Man kann nach allen Seiten vortrefflich rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.

In Udine feierte ich den neunundzwanzigsten Januar meinen Geburtstag; und höre, wie! Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen und also vor allen Dingen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte bekannt und war überdies der Geburtsort unserer braven Grassi in Dresden und Wien. Die große, feierlich tönende Abendglocke verkündete mir in der dunkeln Ferne – denn es war schon Nacht, als ich ankam – eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formio war ich im Dunkeln vorbeigegangen. Am Tore zu Udine stand eine österreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirtshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirtshaus war nicht zu finden. Überall, wo ich hineintrat, saßen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer großen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bei Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Übersetzung gemacht haben müsse, denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat dieses Bild nicht. In dem ersten und zweiten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zubleiben, im dritten wollte man mich nicht behalten. „Ruhig!“ dachte ich. „Du gehst auf die Wache, morgen wird sichs schon finden.“ Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quartier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sei kein Platz mehr da. Das sah ich auch selbst ein. Es machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich als alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überließ Brot und Wein dem Überbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhabenden meinen Fall und schloß mit der Meinung, daß ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache sein. Die Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe ihnen ebenso; die Welschen schlügen die Deutschen tot nach Noten, wo sie könnten. Man schickte mich zum Platzmajor. Gut! Dieser forderte meinen Paß, fand ihn richtig, revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den folgenden Morgen bei der Polizei melden, die ihn auch unterschreiben müsse, und machte einige Knasterbemerkungen über die Notwendigkeit der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. „Das ist alles recht gut“, sagte ich, „aber ich kann kein Quartier finden.“ „Ach das wird nicht fehlen“, meinte er. „Aber es fehlt“, meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbrauen und schickte den Gefreiten mit mir und meinem Tornister alla nave. Der Gefreite wies mich ins Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sei durchaus kein Zimmer mehr leer; es sei alles besetzt. Ich tat groß und bot viel Geld, aber es half nichts. „Sie sollten es für den vierten Teil haben“, antwortete mir eine alte, ziemlich gedeihliche Frau, „aber es ist kein Platz.“ – „Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde, und es ist draußen kalt.“ Die Italienerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. „Ich gehe nicht“, sagte ich, „wenn man mir nicht einen Menschen mitgibt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt.“ Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und forderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Herren sagte lachend: „Warten Sie, vielleicht bin ich noch so glücklich, Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen, aber ich habe hier einige Bekanntschaft.“ Der Offizier ging einige hun dert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bett waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. „Ma Signore“, sagte die Wirtin, „questa casa non è locanda; non si mangia qui.“ Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht und war auf dem Pflaster noch eine Stunde herumtrottiert; ich konnte mich also nicht entschließen, spät in der Finsternis noch einmal auszugehen. Der Offizier war fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich „Felicissima notte“; ich ging ärgerlich zu Bett und schlief herrlich. Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizei gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl viermal verändert worden; man wies mich hierhin und dorthin, und ich fand sie nirgends.

Der Henker hol’ Euch mit der Polizei!
Es ist doch lauter Hudelei.

So dachte ich in meinem Ärger, kaufte mir eine Semmel und einige Äpfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein Quartier, steckte meinen Paß ohne die Polizei wieder in die Brieftasche und reiste zum Tore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber – denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus finden und fastete – erholte ich mich wieder zu Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bei einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fuße mit ihrem kleinen Jungen von ungefähr zwei Jahren von Livorno und ging nach Graz. Du weißt, ich liebe schöne, reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe fing soeben an, etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stammeln, und hatte sein großes Wesen mit und auf meinem Tornister. Der Wirt brachte uns Polenta, Eierkuchen und zweierlei Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst, dabei war kein Fleisch, das war also an meinem Geburtstage gefastet und nach den besten Regeln der Kirche.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802