Abschnitt 2

Terracina


Vor Velletri holte mich ein Franzose ein; nicht mein gestriger, sondern ein anderer, der bei der Condeischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwei Minuten waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. Nach seinen Briefen mußte er ein sehr braver Offizier gewesen sein, der selbst bei Perugia ein Detachement kommandierte, und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennenlernen. Wir aßen zusammen in Velletri und schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Zisterne wollten wir übernachten, aber das Wirtshaus hatte die schlechteste Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Übrigens fiel mir ein, daß dieses vermutlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein großes, leeres Haus; der Wirt war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wiederzuerhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft, das ist nun so römische Wirtschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht außerordentlich freundlich aus. Der Wirt war abwesend; es waren viele Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein großes Zutrauen einflößen können. Die alte, gutmütige Haushälterin gab uns indessen eine große Decke; wir verrammelten unsere Türe mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm hineinkommen könnte, legten uns beide, der französische Oberstleutnant und ich, in die breite, mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quakenden Frösche schlafen ließen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdrießlicher; vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick gegeben hat. Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmäßig immer weiter, der Franzmann aber versteckte sich in ein altes, leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbeigehen lassen. Wenn man naß ist, muß man laufen, ich ließ ihn ruhen und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.


Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg; aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger sein und zogen sie unüberlegt genug geradefort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß; ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt und ging die große gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinaufging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch, aber es kam ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer Regensturm, und ich konnte nicht die zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straße bis über dem Gürtel im Wasser und wußte nicht, was vor mir sein würde. Einige Male waren leere Plätze links und rechts, und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Mut vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle und zog eine parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vorteile meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich, als wenn die alte Generalhexe eben einen Hauptprozeß machte, und ich konnte froh sein, daß ich noch so gut mit einem bißchen Schmutz davongekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem großen, stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoszierte ich oben den Ort auf dem weißen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupitertempels und um den neuen Palast des Papstes, sondern weidete mich an der unter mir liegenden Gegend, den herrlichen Orangegärten, die ich hier zuerst ganz im Freien ausgezeichnet schön fand, und der üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palmbäume fand ich hier schön, da in Rom nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrliche Allee der schönsten und größten Aprikosenbäume in die Stadt.

Mein Franzose kam, und es fand sich, daß der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich mußte ihn also doch nach Neapel hinübertransportieren helfen. Zu Abend traf ich im Wirtshause ein paar ziemlich reiche Mailänder, die mit schöner Equipage von Neapel kamen, und wir aßen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daß ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer Siziliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und angenehm, und die Norditaliener schienen die schöne Neapel quovis modo, literarisch, ästhetisch und physisch, genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802