Abschnitt 4

Rom, den 2ten März


Erlaube mir über die Straßen im allgemeinen eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration! Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefordert wird und er sich kaum aus dem Kot herauswinden kann, um dieses Geld zu bezahlen. Die Straßen sind einer der ersten Polizeiartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit entspringt, für die Straßen zu sorgen; und die Untertanen sind nur dann zum Zuschuß verpflichtet, wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die Befugnis, die Natur und Zweckmäßigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es notwendig ist, und auf rechtliche Verwendung derselben zu dringen. Das ergibt sich aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenngleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte, so sehr es auch ein Meisterwerk des bürgerlichen sein mag. Bei den Straßen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit großen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich sein wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge das schädliche Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut, als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathemtisch zu beweisen, daß die Gewohnheit des Spurfahrens, zumal der schweren Wagen, die beste, festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muß. Ist einmal der Einschnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, soviel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus und machen das Übel ärger. Fängt man an, ein zweites Gleis zu machen, so ist dieses bald eben so ausgeleiert; und so geht es nach und nach mit mehrern, bis die ganze Straße ohne Hilfe zugrunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einigermaßen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entstehen, sondern jedes Rad versieht sozusagen die Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Straße bessern. Man würde ebensosehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlaß mit dem Rammel beständig auf die nämliche Stelle schlagen wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte, und das nämliche gilt sodann von den Hufen der Tiere, was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bösen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannoverischen hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Maßregeln genommen, ihn zu verhüten. Aber ich muß machen, daß ich nach Rom komme.


Die Italiener müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge haben. Zwei etwas stattlichere Spaziergänger als ich begegneten mir mit ihren großen Knotenstöcken bei Nepi, vermutlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. „Signore è Tedesco e va a Roma!“ sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häufig diese Straße machen, denn ich hatte noch keine Silbe gesprochen, um mich durch den Akzent zu verraten. Sie rieten mir, ja nicht in Nepi zu bleiben, sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, wenn man sich bei dem ersten Anblick so ziemlich gewiß in einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung mußte der mir links liegende Berg durchaus der Soracte sein, obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, daß ich nicht links die alte flaminische Straße gehalten hatte; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen und wäre immer längs der Tiber hinuntergewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isoliert; das wußte ich aus Anmerkungen über den Horaz, und deswegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine Entfernung von Rom bekannt war. Hinten schließt er sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die Apenninen selbst hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch einmal ein recht schulmeisterlich hermeneutisches Ansehen geben und Dir hierbei eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht weißt Du sie schon, tut nichts; eine gute Sache kann man zweimal hören. Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schließen. Der Sorakte hat, weil er, mit der großen Bergkette der Apenninen verglichen, doch nicht außerordentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohltäte, Kastanien zu braten und sich zum Kamin und Becher zu halten. Das finde ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben damals in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloß die Spitze des beschneiten Sorakte sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Übrigens tue ich dem Horaz keine kleine Ehre, daß ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist schade, daß die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.

Nepi könnte ein herrlicher Ort sein, wenn die Leute hier etwas fleißiger sein wollten; aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daß ich mich notwendig in seinen Wagen setzen mußte, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine tote Ziege und einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beiseite gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füßen gehörig in Ordnung und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich ihn nur obenhin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz spaßhaft ist es freilich nicht, wie ich nachher erfahren habe, aber eine solche Furcht ist doch sehr possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bei dem Mann an, bis wir an die Geierbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und nach wieder erholte. Am Volkstore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: „Qualche cosa della grazia pella guardia!“ So so; das fängt gut an, ich mußte wohl einige Paoli herausrücken. Da hielten wir nun vor dem großen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den drei großen Straßen ich auf gut Glück hinuntergehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad mich fragte, wo ich wohnen würde? „Das weiß ich nicht“, sagte ich; „ich muß ein Wirtshaus suchen.“ Er bot mir an, mich mit in sein Haus zu nehmen. Er habe zwar kein Wirtshaus, ich solle es aber bei ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerei darin, dachte, hier oder da ist einerlei, setzte mich wieder nieder und ließ mich mit fortziehen. Man brachte mich, dem heiligen Franziskus mit den Stigmen gegenüber, in den Palast Strozzi, wo mein Wirt eine Art von Haushofmeister zu sein scheint.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802