Abschnitt 2

Laibach


Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirtshaus, die Post, ich glaube die Pfarre und einige kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit; das ist ein Resultat meiner Erfahrung, als ich mit Extrapost reiste; nun denke Dir, wenn ein Kerl mit dem Habersack käme! Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben und zehren wie ein reicher Erbe – das wäre wider Polizei und die Ehre des Hauses. Zu dem Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte, um meine Schuldigkeit ganz getan zu haben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drei tüchtige Nasenstüber, daß er seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinunter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo man aber doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb polnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt haben, denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen können, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Gegend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte, ich marschierte also auf gutes Glück geradezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen der schlechten Gastfreundschaft traf ich wieder ein Wirtshaus, das klein und erbärmlich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab. Da saßen drei Mädchen, von denen aber keine eine Silbe deutsch sprach, und sangen, bei einem kleinen Lichtchen, ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches krainisches Wiegentrio vor, um sie einzuschläfern. Endlich kam der Wirt, der etwas deutsch radbrechte; dieser gab mir freundlich Brot, Wurst und Wein und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh, daß man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war unstreitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb bei dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainische Wirtschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlechteste war, und die doch nicht viel besser schien, als man sie bei den Letten und Esten in Kurland und Livland findet. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen.


Bei Popetsch steht rechts von der Post, oben auf der Anhöhe, ein stattliches Haus, und hinter demselben zieht sich am Berge eine herrliche Partie von Eichbäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosentale sah. Im Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.

Nicht weit von Laibach fallen die Save und Laibach zusammen, und über die Save ist eine große hölzerne Brücke. Die Lage des Laibacher Schlosses hat von fern viel Ähnlichkeit mit dem Grazer; und auch die Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beiden Seiten des Flusses, eben so wie Graz an der Mur. Die Brücken machen hier, wie in Graz, die besten Marktplätze, da sie sehr bequem auf beiden Seiten mit Kaufmannsläden besetzt sind; eine große Annehm lichkeit für Fremde! Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut als in Graz, aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am Eingange links und rechts Kaffee- und Billardzimmer.

Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der abwechselnd hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zuweilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und seine ganze Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Graz aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll. Herr Schantroch, der mit mir an der nämlichen Wirtstafel speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu sein, als er ein mittelmäßiger Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden haben, und Schantroch soll als Prinzipal alles tun, was in seinen Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagesordnung des Stadtgesprächs waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein unanständiges, brüskes Betragen ausgezeichnet haben sollte, und dieser war, nach seinem Familiennamen zu urteilen, leider unser Landsmann. Die Kaffeehäuser sind in Graz und hier weit besser als in Wien, und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist weit artiger und verhältnismäßig anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob man zur Finsternis verdammt wäre. Du siehst, daß man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vaterlandes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre genug macht. Einige Barone aus der Provinz, die in meinem Gasthofe speisten, sprachen von den hiesigen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Untertanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen, denn das erstere ist nur ein Euphemismus; und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhörer, daß alles noch ein großes, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrückung und alter Sklaverei.

Was Küttner von dem bösen Betragen der Franzosen in einigen andern Grenzgegenden gesagt hat, muß wohl hier nicht der Fall gewesen sein. Alle Eingeborenen, mit denen ich gesprochen habe, reden mit Achtung von ihnen und sagen, sie haben weit mehr von ihren eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr Entschuldigung, als man ihnen vielleicht gönnen will. Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterliche Lage solcher Leute vor, wenn sie zumal in kleine Parteien geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen nicht, wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse, keinen Mundvorrat mehr, nun kämpfen sie ums Leben überall, wo sie Vorrat treffen. Gutwillig gibt man ihnen nichts oder wenig, und die Bedürfnisse vieler sind groß. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer imstande, sich in den Grenzen der Besonnenheit zu halten. Die einen wollen nichts geben, die andern nehmen mehr, als sie brauchen. Daß dieses so ziemlich der Fall war, beweist der Erfolg. Es wurden hier einige Hunderte eingefangen und auf das Schloß zu Laibach gesetzt. Nun waren sie ordentlich und ruhig und sagten: „Wir wollen weiter nichts als Essen; wir konnten doch nicht verhungern.“

Das Erdbeben, von dem man in Graz fürchterliche Dinge erzählte und sagte, es habe Laibach ganz zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiume, Triest und Görz soll man es stärker gespürt haben, doch hat es auch dort sehr wenig Schaden getan. Der Verkehr ist hier ziemlich lebhaft; die Transporte kommen auf der Save von Ungarn herauf in die Gegend der Stadt und werden zu Lande weitergeschafft. Vorzüglich gehen die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat. Zwischen der Save und der Laibach, wo beide Flüsse sich vereinigen, soll in den Berggegenden ein großer Strich Marschland liegen, an den die Regierung schon große Summen ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer, denen man die Unternehmungen die ser Art wohl am meisten trauen darf, hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine gewisse Zeit frei von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen, aus welchen Gründen, kann man nicht wohl begreifen, und so bleibt der Landstrich öde und leer, und das Wasser tut immer mehr Schaden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802