Abschnitt 2

Graz


Bei Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus den Bergen herabkämen. Der Schnee ward hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, bloß weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen hatte. Aber das Quartier war so traurig, als ich es kaum auf der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz nach Graz zum Examen ging, und der mich durch seine drolligen Schilderungen der öffentlichen Verhältnisse in Steiermark für das schlechte Wirtshaus entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für die Tiroler, ob er gleich ein Steiermärker war, und lobte Klagenfurth nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging ich vollends hierher.


Graz ist eine der schönsten großen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher geben die herrlichsten Aussichten und müssen in der schönen Jahreszeit eine vortreffliche Wirkung tun. Das Schloß, auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert ist. Als ich oben in das Schloßtor trat, stand ein Korporal dort und pfiff mit großer Andacht eines der besten Stücke aus der Oper „Die Krakauer“, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Revolution in Warschau war. Da ich die Oper dort genossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst mitgemacht hatte, so kannst Du denken, daß diese Musik hier in Graz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte mich oft so sehr beschäftigt, daß ich manchmal in Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegenklirrten. Das Spital, gleich unten am Schloßberge, ein stattliches Gebäude, ist von Joseph dem Zweiten; und das neue, sehr geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer kurzen, echt lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich habe sein Urteil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue Bearbeitung des alten Stücks „Der Teufel ist los.“ Der Text hält freilich, wie in den meisten Opern, keine Kritik aus. Schade, daß man nicht in dem Tone fortgefahren ist, den Weiße ange schlagen hatte. Es hätten eine Menge zu niedriger Redensarten ausgemerzt werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab Reminiszenzen, war aber sehr gefällig und schon mehr italienisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn seit Guardasonis schöner Periode irgendwo gehört habe. Das Personale ist ziemlich gut besetzt und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das einzige, was mir mißfiel, waren die Furien und Teufel, welche durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.

In einer Prolepse muß ich Dir, nicht ganz zur Ehre unserer Mitbürger, sagen, daß ich auf meiner ganzen Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe als bei uns in Leipzig. Hier in Österreich und durch ganz Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige, bequeme Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser von mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut haben kann. Bei uns wird das Publikum in einem schlechten Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Szene oder diesen Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt. An Feuersgefahr scheint man ebensowenig gedacht zu haben und sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und Ausflucht zusammen.

Die Grazer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das ist nun überall so sein Geist, etwas gröber oder feiner; ausgenommen vielleicht in großen Städten und größern Residenzen, wo sich die Menschen etwas mehr aneinander schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Mur herunter gibt es links und rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem Himmel sei Dank, immer mehr und mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, spricht man sowohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. An der Wirtstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den Abenteuern, die es dabei gäbe. Ich glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jetzt nur noch in Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang wieder mehrere. Vor einigen Jahren ward eine Bärin, die Junge hatte, erlegt und auf einen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der toten Mutter und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo sie sich endlich ruhig fangen ließen. Die Gärten und der Lindenberg waren verschneit, so daß ich diese Vergnügungsörter nur von weitem sah.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802