Schmetterlingskuchen, Heuschreckenpasteten und andere leckere Dinge – Plauderei

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Gerd Damerau, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Feinschmecker, Geschmack, Leckerbissen, Delikatessen, Wohlgeschmack, Kultur, Sitten, Bräuche, Kochbuch, Genuss, Essen,
Die meisten Menschen wissen ganz genau, was ihnen gut schmeckt, aber warum ihnen etwas gut schmeckt, können sie meistens nicht begründen. Gewohnheit, Klima und Zugehörigkeit zu einem bestimmten Erdstrich haben dabei sehr viel mitzusprechen, dann aber auch die Einflüsse der Kultur und Gesittung. Denn wenn man uns heute Gerichte vorsetzte, die unsere Vorfahren vor mehreren Jahrhunderten mit Behagen verspeisten, würden wir deren viele verschmähen, obgleich wir in demselben Lande bei dem gleichen Klima leben. Nach einem Kochbuch aus dem sechzehnten Jahrhundert aß man damals nicht nur das Fleisch von wilden Pferden, Steinböcken („ist aber ein ungesundt Essen und ein ursach viel schwerer Krankheit“) und Meerhunden, man nannte auch Därme, Lunge und Leber vom Murmentel (Murmeltier) ein „lieblich Essen“, brachte gefüllte Elendsmagen (vom Elentier) auf den Tisch, ebenso gebratene Igel, aus denen man auch Pasteten bereitete. Die stacheligen Igel erfreuen sich übrigens auch heute noch bei den Zigeunern einer großen Wertschätzung. Nach dem alten Kochbuche war aber auch das noch in der Entwicklung befindliche weiche Hirschgeweih ein „herrlichs Essen“. Sehr weit fasste man damals auch den Begriff des Geflügels. Reiher, Grünspecht, Rabe, Kuckuck, Wiedehopf, Lerche wurden zu Pasteten oder zu Ragout verarbeitet. Nur gegen den Sperling hatte man eine Abneigung und hielt seinen Genuss für ungesund.

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Junge Kraniche wurden als Leckerbissen gepriesen, ebenso die Rohrdommeln. Aber auch Freund Adebar, der Storch, wurde verspeist, und bei festlichen Gelegenheiten durfte der Pfau nicht fehlen, an dem man freilich mehr das farbenprächtige Gefieder als das Fleisch schätzte. Ihm wurde der Balg abgezogen und dann, wenn er fertig zubereitet war, wieder übergestreift, damit er in seiner ganzen Pracht auf die Festtafel gebracht werden konnte. Auch der Schwan fand Verwendung in der mittelalterlichen Küche. Als die Stadt Paris im Jahre 1549 Katharina von Medici ein Festmahl gab, hielt man Fleisch, das es in den Fleischerläden gab, ihres königlichen Magens für unwürdig. Aber einundzwanzig Schwäne wurden aufgetragen und wahrscheinlich auch verzehrt. Auch Frösche waren zu jener Zeit ein beliebtes Essen, und als man 1571 Elisabeth von Österreich ein Ehrenmahl gab, mussten tausend Frösche dazu ihr Leben lassen.

An absonderlichen Gaumengenüssen war auch im Altertum kein Mangel. Die Perser aßen Kamele und Esel, die Römer Stachel- und Purpurschnecken, Haselmäuse mit Honig und Mohnbestreuung und neben dem Vogel Strauß auch Papageien. Ihr überfeinerter Geschmack verlangte immer nach neuem Anreiz; so wurden Nachtigallenzungen zubereitet, die beliebten Muränen mit Menschenfleisch gefüttert, weil das ihren Geschmack verfeinern sollte. Daneben aber schätzte man auch die berühmte Fischtunke, zu der man die Eingeweide der Fische, manchmal auch die ganzen Fische, zwei bis drei Monate gären ließ.

Der durch Gären erzielte Geschmack ist ja auch heute noch beliebt. Das Sauerkraut zum Beispiel ist nicht nur ein „deutsches Essen“, sondern es erobert sich immer weitere Gebiete und wird neuerdings auch in Amerika mehr und mehr geschätzt. Und die vielen Käsesorten sind im Grunde auch nichts Anderes als die einem Gärungsprozess unterworfene Milch. Dagegen finden wir die Sitte, Fische gären zu lassen, schon etwas sonderbar. Aber viele Polarvölker bereiten noch jetzt ihre Fische in der Weise zu, dass sie sie für einige Zeit in die Erde eingraben und sie erst für genussfähig halten, wenn sie in Fäulnis überzugehen beginnen. Geradezu berüchtigt sind die Lachsgruben in Alaska, deren „Wohlgeruch“ meilenweit zu spüren ist und dem nur Einheimische gewachsen sind. Im hohen Norden erfreut man seinen Gaumen überhaupt an den für unsere Begriffe merkwürdigsten Dingen. Die Eskimo finden Geschmack an faulen Seehundsköpfen, die Samojeden verzehren den Kopf des Renntiers am liebsten roh, und die Tschuktschen essen mit Behagen die Renntierfliegen und ihre Larven, die sie aus den Fellen der Renntiere herausdrücken und ebenso zu Munde führen wie wir die Waldbeeren.

Alles, was in das Reich der Käfer, Insekten und Amphibien gehört, gilt bei uns als nicht genießbar, wenn es auch hin und wieder Menschen gibt, die Maikäfersuppe essen und wohlschmeckend finden. Andere Völker haben in dieser Beziehung andere Anschauungen. Wilde Heuschrecken sind zum Beispiel nicht nur aus der Bibel als Nahrungsmittel bekannt, in Algier verspeist man sie auch noch heutzutage, und zwar in Form von Pasteten. Dazu werden sie erst mit Rum begossen, dann in Mehl gewälzt und in Fett gebacken. In China gelten die Raupen des Bohnenschwärmers als fetter Leckerbissen. Im August, wenn diese Raupen in großen Mengen auf den Bohnenfeldern zu finden sind, werden sie von den Kindern gesammelt, dann auf ein Hölzchen gespießt und, nachdem man die Haut umgestülpt hat, so dass das Innere nach außen kommt, abgewaschen und in Öl gebacken. Die Chinesen haben auf ihrem Küchenzettel außerdem Hunde- und Schlangenfleisch, sie essen Ratten und Mäuse, Frösche und Fischlaich und die Eier umso lieber, je älter sie sind. Haifischflossen werden zu einer Suppe gekocht, und die Nester der Salangane, einer Vogelart die zum Nestbau einzig ihren Speichel benutzt und die damit geformten Näpfchen an Felswände und Mauern klebt, gelten als beliebtester Leckerbissen. Kocht man in Japan ein Liliengemüse, in China Lilienkompott und Chrysanthemum suppe, die auch von Europäern sehr geschätzt wird, so kennt man in Australien als Besonderheit einen Schmetterlingskuchen. Er wird nicht etwa nach der Form so genannt, sondern sein Hauptbestandteil sind die Bugongfalter. Sie treten zeitweise in solchen Mengen auf, dass sich die Luft verfinstert, und einmal musste in Sydney der Gottesdienst ausfallen, weil die Falter die Kirche besetzt hielten und erst entfernt werden mussten. Die australischen Eingeborenen empfinden diese Schmetterlingsscharen nicht als Landplage. Sie schaufeln sie zusammen, rösten sie über dem Feuer, bis beim Schütteln Flügel, Beine und Fühlhörner abfallen, stoßen dann die Schmetterlingskörper und bereiten aus dem Mehl einen Kuchen, den sie sehr schätzen. Einen ähnlichen Geschmack wie diese Australier hat ein ostafrikanischer Eingeborenenstamm, dessen Brotmehl aus getrockneten Mücken besteht. Die Mexikaner haben für die Insekten ebenfalls eine besondere Verwendung in der Küche. Sie gebrauchen an Stelle von Paprika rote Ameisen als Gewürz.

Es gibt eigentlich kaum etwas, das nicht gegessen wird. In Bolivien essen die eingeborenen Indianer mit Vorliebe gemästete Katzen, in Brasilien kommen nicht nur Papageien, Eidechsen und Ochsenfrösche auf den Fleischmarkt, man schätzt dort auch das Fleisch junger Affen sehr hoch. Seltsam kommt es uns Europäern ferner vor, dass man in Brasilien den Käse nicht wie bei uns zu Butter und Brot, sondern mit süßer Fruchtmarmelade isst.

Aber nicht nur, was da fleucht und kreucht und der Erde entsprießt, dient dem Menschen zur Nahrung, auch mineralische Stoffe betrachtet er als Leckerbissen. So gibt es in der Steiermark viele Menschen, die Arsenik zum Vergnügen essen und deren Körper durch die Gewöhnung, ohne Schaden zu nehmen, solche Mengen des Giftstoffes ertragen kann, die andere Menschen sofort in das bessere Jenseits befördern würden. Weit verbreitet ist auch die Sippe der Erdesser. In allen Erdteilen begegnet man ihnen. In Mazedonien wird eine Brotart auf den Markt gebracht, die aus einer weißen Erde gebacken ist, und in verschiedenen Ortschaften auf der Insel Sardinien wird dem Brotteig aus Eichelmehl geschlämmte feine Tonerde zugesetzt. In Kalkutta werden auf den Märkten kleine Scheiben aus gebranntem Ton verkauft, die hauptsächlich von den Frauen gegessen werden. In Senegambien gibt es eine seifenartige weiße Erde, die von den Eingeborenen zum Zubereiten der Speisen wie bei uns die Butter verwendet wird. Europäer, die damit zubereiteten Reis aßen, fanden ihn wohlschmeckend und bekömmlich. Bei vielen Menschen artet das Erdessen zu einer wahren Leidenschaft aus, die dann meistens zu einem qualvollen Tode führt.

Nichts ist verschiedener als der Geschmack. Und wenn wir uns über die Gaumengenüsse anderer Völker wundern und sie sonderbar finden, so dürfen wir nicht vergessen, dass „abgehangenes“ Wild, unausgenommene Schnepfen und zerfließender Käse auch nicht jedermanns Beifall finden, bei uns gelten sie aber doch als Leckerbissen.

Feinschmecker / Scherenschnitt von Hugo Kocher.

Bacchisches Gelage

Bacchisches Gelage

Feinschmecker

Feinschmecker

Tafel 46 Nachtigall (4/5 nat. Größe)

Tafel 46 Nachtigall (4/5 nat. Größe)

Tafel 05 Edelfink, Männchen (3/4 nat. Gr.) Im Hintergrunde brütendes Weibchen im Neste.

Tafel 05 Edelfink, Männchen (3/4 nat. Gr.) Im Hintergrunde brütendes Weibchen im Neste.

Tafel 15 Goldammer (altes Männchen der nordöstl. Form), 3/4 nat. Gr.

Tafel 15 Goldammer (altes Männchen der nordöstl. Form), 3/4 nat. Gr.

Carolinische Schildkröte

Carolinische Schildkröte

Krokodil

Krokodil

Ohrauge

Ohrauge

Eidechse mit netzförmigen Rücken

Eidechse mit netzförmigen Rücken

Lurchen, Riesenfrösche, Links, Agakröte auf der Lauer, Ihr Leib misste ein Viertelmeter. Rechts, Hornfrosch eine Maus verschlingend

Lurchen, Riesenfrösche, Links, Agakröte auf der Lauer, Ihr Leib misste ein Viertelmeter. Rechts, Hornfrosch eine Maus verschlingend

weibliche und männliche Cochenille-Laus

weibliche und männliche Cochenille-Laus

Europäischer Flussaal (Anguilla anguilla)

Europäischer Flussaal (Anguilla anguilla)