Heinrich Hermann Adolf Fick - Siegfried und Mimer.

An einem frischen Morgen zog Jung Siegfried, dem es in der väterlichen Burg zu Xanten nicht mehr behagte, fort in die Ferne. Er wanderte rheinaufwärts und kam zum Siebengebirge. In den wilden Bergschluchten und Felsklüften gefiel es ihm gar wohl; denn Furcht kannte Jung Siegfried nicht. Als er munter voranschritt, sah er an einer Stelle Rauch emporwirbeln. Er ging darauf zu und stand bald vor einer Schmiede, in deren Esse ein lustiges Feuer loderte.

Hier wohnte Mimer, ein gewandter und berühmter Waffenschmied, aber auch ein sehr arger Mann. Siegfried trat ein und sagte, er wolle auch ein Schmied werden. Da lachten die Gesellen, als sie den jungen Fant sahen. Siegfried, darüber erzürnt, fuhr mit seinem Stecken drein, daß die Burschen bald gegen die Wände und in die Ecken flogen. Nun erschrak Mimer und nahm Siegfried in seine Schmiede auf. Als dieser aber zum Amboß trat und den schweren Hammer in die Hand nahm, schlug er mit einem Streiche die schwerste Eisenstange entzwei, und der mächtige Amboß fuhr tief in den Grund. Von nun an fürchteten Mimer und seine Gesellen den gewaltigen Jüngling sehr, und sie sannen auf ein Mittel, ihn los zu werden. Darum sprach der arglistige Mimer eines Tages zu Siegfried: »Die Kohlen sind uns zu Ende gegangen, du mußt heute nach der hohen Wand am Rheine ausziehen und Kohlen brennen.« Siegfried tat, wie ihm geheißen war. Bald war er an der Stelle, die ihm Mimer bezeichnet hatte; er riß eine junge Eiche aus, um sie als Schürbaum zu gebrauchen. Dann schichtete er einen Meiler und zündete ihn an. Als er nun so im Schatten einer Linde lag, um ein wenig zu ruhen, da schoß ein greulicher Lindwurm auf ihn zu. Siegfried, nicht faul, wehrte sich tapfer mit seinem Schürbaume, so daß er das Untier zuletzt erschlug. Da riefen ihm die Vögel von den Wipfeln zu: »Bade dich in seinem Blute und Fett, Jung Siegfried, so wirst du hörnern sein!« Siegfried tat, wie ihm geheißen war; indem er aber badete, fiel ihm ein Lindenblatt auf die linke Schulter, darum wurde er an dieser Stelle nicht hörnern. Als er mit dem Baden fertig war, riß er dem Ungetüm das Haupt ab und kehrte wohlgemut zu der Schmiede zurück. Als Mimers Gesellen ihn von weitem ankommen sahen, wußten sie nicht, wohin sie sich vor Angst verkriechen sollten. Mimer selbst trat dem Drachentöter mit gleisnerischer Freundlichkeit entgegen. Siegfried jedoch harrte nicht seines Grußes, sondern erschlug den Falschen und alle seine Knechte. Darauf schmiedete er sich Schild und Schwert und zog von dannen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen