August Witzschel - Elisabeth speist die Armen.

In vielen deutschen Ländern und auch in Thüringen war eine allgemeine Hungersnot, und diese währte schon bis in das dritte Jahr, Auch strafte Gott die Menschen um ihrer Sünde willen mit Krankheit und bösen Seuchen, und großes Wasser ergoß sich, wie es seit vielen Jahren nicht gesehen worden war.

In dieser Zeit der Trübsal und Angst war der Landgraf Ludwig fern von seinem Lande; er verweilte in Geschäften an des Kaisers Hof in Italien. Aber die heilige Elisabeth war daheim in aller Weise bedacht, die Not und das Unglück der armen und kranken Leute zu lindern und zu mildern. Sie erbaute unter der Wartburg ein Spital und nahm achtundzwanzig hilfsbedürftige Menschen darin auf, und wenn einer derselben starb, trat sogleich ein anderer an seine Stelle. Auch ließ sie unter ihrer Aufsicht an vierhundert Arme täglich Almosen und milde Gaben durch ihre Dienerschaft verteilen.


Als nun der Landgraf von seiner Reise wieder heimgekehrt war, so suchten einige von seinen Amtleuten und der Dienerschaft, welche die Milde und Barmherzigkeit der edlen Fürstin ungern sahen und mit scheelen Augen betrachtet hatten, dieselbe bei ihrem Herrn und Gemahl übel zu bereden und klagten über ihre Unwirtschaftlichkeit und große Freigebigkeit. Aber der tugendsame Fürst antwortete ihnen: »Lasset sie um Gottes willen nur geben und armen Leuten nach ihrem Gefallen Gutes tun, wenn uns nur die Wartburg und die Neuenburg verbleiben. Ich weiß Wohl aus der Heiligen Schrift, daß Gott dem Herrn drei Dinge besonders wohlgefällig sind und auch bei den Menschen gut bestehen: Einträchtigkeit unter Brüdern, Liebe und Treue unter den Nebenmenschen und Mann und Frau, die beide einträchtig sind.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen