August Stöber - Der Kinderkreuzzug.

Im Jahre 1212 erschien in mehreren Teilen Frankreichs und Deutschlands ein schöner, unbekannter Knabe, der saß auf einem mit glänzenden Fahnen geschmückten Wagen, durchfuhr die Lande und rief überall die Kinder auf, nach Jerusalem zu ziehen und das heilige Grab aus den Händen der Ungläubigen zu retten. Allenthalben schlossen sich die Kinder an, wie sehr auch Eltern, Verwandte und Obrigkeit sich widersetzten. Sie behaupteten, Gott habe sie dazu berufen, und wenn sie in stets wachsenden Scharen durch Stadt und Land zogen, sangen sie das Kreuzfahrerlied, daraus eine Strophe lautete:

Nu wallet hin geliche,
Daz wir das Himmelriche
Erwerben sicherliche
Bei duldiglicher Zehr.


Gott will mit Heldes Handen
Dort rächen seinen Anden
Sieh Schar von mannigen Landen
Den heilig Geist hehr.

Auch ältere Personen gesellten sich zu ihnen. Aus Straßburg allein zogen über 1600 mit, die sich um ein bei dieser Gelegenheit aufgerichtetes Kreuz versammelt hatten. Die deutsche Kinderschar zog über die Alpen nach Italien, um sich daselbst einschiffen zu lassen. Unter der Anführung eines Knaben waren auf diese Weise, Männer und Weiber mitgerechnet, 7000 in Genua angelangt. Viele waren schon während der beschwerlichen Reise über die Schweizerberge umgekommen; andere wurden in der lombardischen Ebene von den Bewohnern als Knechte und Mägde zurückbehalten. In Rom sahen sie das Zwecklose und Törichte ihres Unternehmens ein; die Kinder und Greise wurden von ihrem Gelübde losgesprochen und zogen elendiglich in ihre Heimat zurück. Die Erwachsenen mußten jedoch ihr Versprechen halten.

Von denen, die das Meer erreicht hatten, sah keines sein Vaterland wieder, Schiffer nahmen sie zwar auf, um sie angeblich nach Palästina zu führen, schifften aber mit ihnen nach Afrika und verkauften sie dort als Sklaven.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen