Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher, staatlicher und kommerzieller Beziehung: in lauter interessanten Begebenheiten, Anekdoten und Reisebildern dargestellt, nebst einer Einleitung in die Streitigkeiten der Griechischen Kirche mit der Römisch-katholischen.

Zweite, völlig umgearbeitete, vermehrte und verbesserte Auflage.
Autor: Simon, Johann Philipp (?-?), Erscheinungsjahr: 1858

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Kirchensäkularisation, Staat und Kirche, Kirchenfürsten, Katharina II., kirchliche und weltliche Macht, geistliche Güter, Gutsbesitzer, Leibeigenschaft, Deutsche, Verbannung, Sibirien, Kirchengeschichte, Russische Kirche,
Dem Grundzuge des Herzens nach, ist der gemeine Russe edel und gut, und bleibt es in der Regel, solange er auf dem Dorfe seines Herrn Frondienste tut; er verändert aber nicht selten seinen Charakter, sobald er in die Stadt kommt, wo er soviel Geld verdient, dass er Krämer, Schacherer und am Ende gar ein bedeutender Kaufmann werden kann. Wahrscheinlich ist es das Geld, dessen er wenig in seinem Dorfe sieht, welches eine so zauberische Verwandlung in fast jedem Individuum dieses Volkes hervorbringt. Aber wie wird der Leibeigene Krämer und Kaufmann? Er scheint von Natur mehr dazu geeignet zu sein, als zum Ackerbau; denn er besitzt die Eigenschaften und die Lust dazu; die Feldarbeit dagegen ist ihm eine Last, sie ist aber auch zu schwer für ihn – denn er ist kaum halb so stark von Leibeskräften, als ein deutscher Bauer. Die außerordentliche Gewandtheit bei anderen Schweren Arbeiten, welche fast jedem gemeinen Russen eigentümlich ist, ersetzt einiger Maßen seinen Mangel an Leibeskräften. Was ein deutscher Sackträger, Bauernknecht usw. hebt oder trägt, das vermögen kaum zwei bis drei Russen. Die schlechte Nahrung des gemeinen Mannes kann aber auch unmöglich Kräfte geben. Und trotzdem ertragen die Russen leichter große Strapazen als andere Nationen. Dabei behalten sie auch ihre angeborene Heiterkeit und ihre graziöse Haltung und Bewegung des gemeinen Russen zu sehen, während der Deutsche, der schwere Arbeit verrichtet, sich gebückt und schwerfällig bewegt. -

Wenn der Gutsherr oder sein Verwalter Arbeitskräfte genug hat, um seine Felder zu bebauen, so entlässt er eine Anzahl Bauern auf Obrók, d. h. Er nimmt einem nach dem andern vor und sagt: „Du erhälst einen Kapital-Wert von so und so viel Rubel Silber, davon musst Du mir so und so viel Prozente entrichten. Hier hast Du einen Pass, nun gehe wohin Du willst, sei fleißig oder faul, das geht mich nichts an, aber wehe Dir! wenn Du mir den Obrók nicht pünktlich entrichtest. So oder ähnlich soll es nach dem Gesetze geschehen. Allein die wenigsten Edelleute begnügen sich mit den Prozenten des Kapital-Wertes, den ihre Leibeigenen repräsentieren, sie verlangen in der Regel einen weit bedeutenderen Obrók. Der glückliche Bauer – glücklich preist er sich, dass er der ihm in der Regel verhassten Verwalters enthoben ist, geht nun mit seinem Passe, am Liebsten nach Moskau oder St. Petersburg. Da er sich jeder Arbeit unterwirft, so findet er gewiss bald Beschäftigung. Ist nun bei ihm die Neigung, mit Pferden umzugehen – eine große Liebhaberei des gemeinen Russen am Regesten in ihm, so ist sein Dichten und Trachten: Kutscher, Fuhrmann oder Fiacre zu werden, und wird es: - ist sein Trieb aber größer zum Handel, so wird er Hausirer und am Ende Kaufmann und sollte er auch mit verdorbenem Obst seinem Anfang machen. Im Sommer läuft er mit einem Krug voll Kwaß – ein bekanntes säuerliches, gesundes und wohlfeiles Getränk der Russen – herum und verkauft es gläserweise. Im Winter bietet er auf solche Art warmes Honigwasser feil. Da sieht man ihn zugleich trinken können; die große Flasche aber mit dem warmen Wasser hat er so eingewickelt und eingemummt, dass sie lange ihre Wärme behält. Und so treibt er allerlei. Sein Streben ist nun, immer mehr und mehr Geld zu verdienen, und in dem Grad, wie ihm das gelingt, verändert er auch in der Regel seinen Charakter und setzt sich über alles Ehrgefühl hinweg. Nur Geld und wieder Geld, das ist sein einziger Gedanke, denn er geht in der Regel mit einem noch weit größeren Plan um, als vornehmer Kaufmann zu werden. Wir verweisen den Leser auf Seite 255, wo wir noch dies und jenes über diesen Punkt sagten. Wie sparsam ein solcher Mensch leben muss, um sein Obrók und die Gewerbesteuer zu erschwingen und um sich auch Etwas zu ersparen, um etwas Besseres werden zu können! Brot, Kwaß, Salz, Zwiebeln und saure oder frische Gurken sind seine Nahrung; Schnaps, der sehr teurer ist, ist nicht für ihn. - Dass es Viele gab und noch gibt, die auf jene jämmerliche Weise ihre Handelsgeschäfte anfingen und späterhin sich zu reichen Kaufleuten sich emporschwangen, ist eine Tatsache. Und bleibt einer auch sein Leben lang kleiner Krämer, wobei täglich Geld durch seine Hände geht, sein Charakter ist und bleibt zu seinem Nachteil verändert. - Teures Brot wäre ein großes Unglück für Russland, denn der gemeine Mann isst vier bis 6 Pfund täglich und viel Salz dazu.

Es gibt aber zwei Eigenschaften, die dem russischen Volke im hohen Grade eigentümlich sind und die es nie verleugnet, wir meinen die große Liebe zu seinem rechtmäßigen Zaren und Vaterland und der Glaube an seine orthodoxe Kirche. Mag man es deshalb in Westeuropa nennen wie man will, diese Eigenschaften werden das meiste dazu beitragen, dass Russland noch eine große Rolle in der Weltgeschichte spielen wird: die Liebe zum Herrscher und der Volksgehorsam sind die Macht des Reiches. Es gibt aber zwei Denkmäler in der Geschichte, die zu beweisen scheinen, dass dies Volk diese Eigenschaften doch schon verleugnet habe; allein der schien trügt. Wir verweisen den Lesen über diesen Punkt auf Seite 376.

Mit welcher Treue, mit welcher Aufopferung hing es andererseits
immer und damals an seinem christlichen Glauben fest, als es von zwei barbarischen Völkern, von den Mongolen, die im 13. Jahrhundert von Osten und von den heidnischen Littauern, die im vierzehnten von Westen her auf es eingedrungen, grausam geknechtet war! Wahrlich, eine solche Nation muss noch ein großes Volk Gottes werden, wenn es den Erlöser der Welt dereinst nicht mehr unter den unfruchtbaren Formen seines Kultus, sondern im Geiste und in der Wahrheit anbeten wird. Es ist aber gewiss kein Zufall in seinem Geschicke, das es im Fortschreiten der Zivilisation um ein Jahrhundert hinter den germanischen und romanischen Völkern zurückgeblieben ist. Die Geschichte beweist uns, dass die Zivilisation kein ausschließliches Eigentum eines Volkes ist, sondern dass sie sich, auf den Schwingen des Christentums getragen, mit ihren Wohltaten allmählich über alle Völker des Erdballs verbreitet. Mit dieser Gnade Gottes wir auch die moralische Kraft des russischen Volkes wachsen, und es mag leicht eine Herrschaft über solche Nationen gewinnen, die in ihrem gelehrten Wissen und Überfluss von Wohltaten, welche Gott ihnen durch die Zivilisation im edelsten Sinne verliehen, von sich rühmen, dass sie schon reich und gar satt seien und nichts mehr bedürften, denn Gott entzieht oft dem sein Licht, der Missbrauch davon macht, der es nicht als ein Geschenk der Gnade achtet. Wie das dem Einzelnen schon oft geschehen ist, so ist es auch schon ganzen Völkerschaften gegangen.

Wir versprachen, hier und da in eine Sache tiefer einzugehen, was manchmal, leider nicht geschehen konnte, da der Raum des Werkes schon ohne dies um zirka 4 Bogen über das versprochene erweitert wurde. Vielleicht, dass wir den zweiten Band des Buches erscheinen lassen, in dem dann alles pünktlich aufgenommen werden soll.

Zar Peter der Grosse

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Abchasen - kaukasisches Bergvolk

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Alexander I. Kaiser von Russland

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Alexander III. (1845-1894) Kaiser von Russland

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Anatolische Türken

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Armenisches Büffelgespann

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Garde Tscherkesse

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Kaukasische Garden

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Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

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Kosaken und Tscherkessen

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Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

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Ganz privat - Teestunde am Samowar

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