89. Die weiße Frau im Herthasee. I.

In der Nähe des Herthasees in der Stubbnitz sieht man oft, besonders in hellen Mondscheinnächten, eine schöne Frau hervorkommen, die sich nach dem See hinbegibt, um sich darin zu baden. Sie ist von vielen Dienerinnen umgeben, die sie zu dem Wasser hinbegleiten. In diesem verschwinden sie alle, und man hört nur das Plätschern darin. Nach einer Weile kommen sie sämtlich wieder heraus, und man sieht sie in großen, weißen Schleiern zu dem Walde zurückkehren. Für den Wanderer, der dies sieht, ist das alles sehr gefährlich. Denn es zieht ihn mit Gewalt nach dem See, in dem die weiße Frau badet, und wenn er einmal das Wasser berührt hat, so ist es um ihn geschehen: das Wasser verschlingt ihn. Man sagt, dass die weiße Frau alle Jahre einen Menschen in die Flut verlocken müsse.

Temme Nr. 38. — Auf der Halbinsel Jasmund herrscht der Aberglaube, dass, wer eine von den im Herthasee wachsenden Wasserrosen oder Mummeln pflückt, in die Tiefe des Wassers gezogen wird.