18. De Wôr in der Bullerhürn.

In der Bullerhürn und ihrer Umgebung geht es stark um, und die alten Fischer in den benachbarten Stranddörfern wissen gar manche Geschichte von der Gegend zu erzählen.

Eines Abends zogen zwei Fischer aus, um mit der Strickwade in der Bullerhürn zu fischen. Als die Geisterstunde herangenaht war, erblickten sie plötzlich einen dritten Mann neben sich, der merkwürdiger Weise seinen Kopf unter dem Arme trug. Er plätscherte dem Zuge des Netzes entgegen und trieb dadurch eine solche Menge Fische in den Sack der Strickwade, dass die Fischer die Flügel der Wade schließen mussten, um diese einzuholen. Dadurch aber schlossen sie auch den kopflosen Fremden mit in das Netz ein und allmählich wurde der Kreis um denselben immer enger. Nun wurde es aber auch den Fischern immer unheimlicher, und zuletzt sprach einer von ihnen den bekannten Gruß, welchen man den Arbeitern zuzurufen pflegt: „Gott Help!“ Kaum waren diese Worte gesprochen, so ließ das Gespenst den Kopf fallen, stürzte sich in den Sack des Netzes und verschwand mit lautem Krachen. Als die Fischer das schwere Netz völlig aufs Land zogen, fanden sie in dem Sack einen mächtigen Stein und ein großes Loch, durch welches das Gespenst samt den Fischen entwichen war.


Zwei anderen Fischern begegnete derselbe Mann ohne Kopf; diesmal aber ging er vor dem Netz her, sodass alle Fische verscheucht wurden. Da jedoch die Fischer ihr Netz ruhig weiterzogen und so taten, als sähen sie das Gespenst nicht, drehte sich dieses plötzlich um, wendete sich dem Netz entgegen und sprang zuletzt über dasselbe hinüber, um dann in dem Wasser zu verschwinden. Als die Fischer das Netz einzogen, machten sie einen prächtigen Fang.

Ein anderes Mal wurde das Gespenst von einem Fischer mit folgenden Worten angeredet: „Du olles ahnköpptes Diert, scheer di in din Höhl herin!“ Hierauf verschwand das Gespenst, worauf die Fischer wieder einen reichen Zug taten.

Nach einem alten Aberglauben darf man den Fischern niemals Glück zu ihrer Arbeit wünschen; darauf soll in der Regel ein Fehlzug folgen. Als sich daher eines Tages der Mann ohne Kopf den Fischern näherte und ihnen die „Tageszeit bot“ und viel Glück zum Zuge wünschte, dankten die Fischer nicht und ließen die Worte unbeachtet. Der Mann aber setzte sich alsbald in das Boot der Strickwadenzieher und suchte es mit den Riemen dahin zu bewegen, wo nach der Ansicht der Fischer keine Fische sein konnten. Es entspann sich nun ein kurzer stummer Kampf, in welchem die Fischer schließlich unterlagen. Als sie aber jetzt den unheimlichen Gast gewähren ließen, merkten sie bald, dass die Wade, je länger sie dem Boot folgte, desto schwerer wurde. Als sie das Netz einzogen, wobei das Gespenst plötzlich verschwand, hatten sie eine unendlich große Menge Fische gefangen.

So hat sich der kopflose Fremde noch mehrfach gezeigt, und der eine weiß noch dies, der andere noch jenes Stück von ihm zu erzählen.

Aber nur wenige Leute wissen, wer er eigentlich ist. Ein alter Fischer erzählt hierüber folgendes: Eines nachts waren die Fischer zum Fange ausgezogen, da erschien „de Wôr“, ritt durch das Netz und zerriss dasselbe. Dabei sahen die Fischer ganz deutlich einen Jäger, der auf hohem Schimmel ritt, und hörten das Gekläff seiner Hunde. Ein anderes Mal redete „de Wôr“ die Fischer an mit den Worten: „Rut ut min Gebiet! Min is, wat flüggt, wat krüppt, wat swemmt.“ Ein Fischer erwiderte darauf: „Wi fangen bloß Aal, un de buddeln,*)“ und bewog ihn dadurch zum Abzug.

*) Buddeln = wühlen im Meeresboden.

Einst ging ein Mann von Wiek nach Gramtitz, und als er in die Gegend der Büllerhürn kam, war es gerade Mitternacht. Da hörte er plötzlich hinter sich den Hufschlag eines Pferdes. Erschreckt stand er still, aber im selben Augenblick war auch der Hufschlag verstummt. Vergeblich versuchte er nun, sich umzudrehen, um zu erforschen, was hinter ihm vorging; eine unsichtbare Gewalt schien ihn daran zu verhindern. Nach einer Weile wurde er vom Fußsteige weggedrängt und auf die Mitte des Weges geschoben. Gleichzeitig hörte er zu beiden Seiten donnernde Hufschläge, wie von zahlreichen Pferden; sehen konnte er jedoch nichts. So ging es eine große Strecke lang weiter, bis der Spuk dicht vor Gramtitz verschwand.

Mitgeteilt von Lehrer A. Pennse in Bussin, welcher zur Erklärung des Wortes „Büllerhürn“ folgendes bemerkt. Als ich nach der Bedeutung des Wortes fragte, erhielt ich als Antwort, „hürn“ sei gleich „Hörner“, und damit seien die eingerammten Pfähle gemeint, welche wie Hörner aus dem Wasser hervorragten. Wenn nun der Wind das angebundene Schiff hin- und herschleuderte, dass es jumpte (schaukelte), so sei das nicht ohne Krachen, Ächzen, Poltern und „Bullern“ vor sich gegangen. — Nach einer anderen Überlieferung soll die Büllerhürn früher ein Wald gewesen sein, welcher „Bullerhardt“ hieß. Der Wald diente lange Zeit als „Hürde“, Umfriedigung oder Schutzwall gegen das Andringen des tosenden, „bullernden“ Meeres. Allmählich aber soll der Wald vom Meere verschlungen sein; er versumpfte im Laufe der Jahre, und aus dem schlammigen Boden wuchsen dann große Mengen Rohrkolben empor, welche auch „bullern“, wenn der Wind sie gegen einander schlägt, und deshalb „Bullerbeisen“ heißen. — Auch erzählt man, dass Claus Störtebecker in der Büllerhürn eine Höhle oder „Hüln“ besessen habe, die aber nach seinem Tode nicht wiedergefunden sei; deshalb könne der Seeräuber keine Ruhe im Grabe finden und müsse in der Meeresbucht spuken oder „bullern“. Vgl. unten Nr. 205. Alle diese volkstümlichen Deutungen sind hierhergesetzt, um zu zeigen, wie geschäftig die Volksphantasie bei solchen Deutungsversuchen ist. In Wirklichkeit wird der erste Teil des Namens mit dem Heulen, Rauschen oder „Bullern“ der See zusammenhängen. Für den zweiten Teil erinnere ich an den Ufervorsprung Königshürn auf Jasmund, an die Bucht Klemmhürn auf Hiddensee, an die Waldung Schellhorn, die Lieperhörn und an die Flurnamen Grot Hürn und Unhürn bei Bergen: alle diese Namen scheinen von dem hornförmig gebogenen Gelände entlehnt zu sein. Auch der Name der Roggeniker Berge in der westlichen Granitz wird von Beyersdorf in den Balt. Stnd. 33, 1, S. 56 auf slavisch rogu Horn, Bergecke zurückgeführt. Dass das hohle Rauschen der See früher als „Bullern“ bezeichnet wurde, dafür bringt Pennse folgendes Schlummerlied bei:

Schumm schumm, schumm schumm, Hinsching,
Wur bullert dull de See!
Varring halt uns Finsching,
Em dohn de Hänn' weh.
Uns' Lüddingmsall em pusten.
Uns' Lüdding sall em slahn.
Slap in, min Schriegerracker,
Wenn he will weche gahn.