Rostock 1807 - Von der Aufklärung in Rostock, und dem sittlichen Charakter der Einwohner - (13)
Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807
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Themenbereiche
Mecklenburg-Vorpommern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Gesundheit, Medizin, Homöopathie Hansestadt Rostock
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Impfung, Blattern, Rostock, Krankheit, Gesundheit, Gegner, Antagonisten, Prediger, Kindtaufe, Inokulation, Religion, Überzeugung, Herrschaft, Strafgericht, Aberglauben, Religionslehrer, Scheingründe, Vernunft, Überlegung, Vergleich, Kuhpocken, Widerspenstigkeit, Halsstarrigkeit, Tatsachen, Widerstand, Beobachtung, Absicht, Schifffahrt, Pflicht, Rettung, Fischer
Die Einimpfung der Blattern, eine der wichtigsten Entdeckungen des abgeflossenen Jahrhunderts, fand ich bei meinem Eintritt in Rostock schon durch die Bemühungen würdiger Ärzte eingeführt, und in den höheren Ständen ziemlich allgemein angenommen. Während meines hiesigen Aufenthalts hat man sich indessen immer mehr für sie interessiert, und daher auch dieses herrliche Milderungs-Mittel einer so gefährlichen Krankheit immer weiter verbreitet. Aber was wird der Leser dazu sagen, wenn ich ihm einen der hiesigen Prediger als einen der größten Antagonisten nenne, der es recht absichtlich darauf angelegt zu haben scheint, einer allgemeineren Verbreitung der Inokulation zu widerstreben? Wenigstens weiß ich es bestimmt, dass der Pastor B. *) bei Kindtaufen und andern Gelegenheiten vor ihr als einer sehr bedenklichen und unchristlichen Verfahrungsart gewarnt hat. Was soll in solchen Fällen der Unwissende und Unaufgeklärte tun dem das Wort seines Predigers immer eine goldne Wahrheit ist, und der sich durch Gründe, die er in seiner Religion zu finden glaubt, die kräftigste Überzeugung zu geben sucht? Man würde Unrecht tun, wenn man ihn deshalb tadeln wollte; aber diejenigen verdienen zu ihrer Beschämung eine öffentliche Rüge, die in ihrem ehrwürdigen Stande noch dazu beitragen können, Unwissenheit und Aberglauben auf Kosten der Wahrheit unter den Schwachen zu verbreiten, welche bei ihnen keine Vorurteile und böse Absichten vermuten. Ich weiß es übrigens bestimmt, dass manche, die sich zur Inokulation ihrer Kinder noch nicht recht entschließen konnten, durch jene Gründe vollends abgeschreckt wurden; andere aber, die sich schon entschlossen hatten, sich wieder zurückzogen und eine entgegengesetzte Meinung annahmen. Überhaupt ist der wichtigste Grund, wodurch sich die Feinde der Inokulation gegen ihre Annahme gestimmt fühlen, noch immer der, dass man dem lieben Gotte, wie sie sagen, nicht nach den Augen stechen, und ihm allein die Herrschaft über die Krankheiten lassen müsse, die sie als Strafgerichte ansehen, wobei sie sich denn auch im Fall eines üblen Ausganges bald zu beruhigen und zu trösten wissen. Der gemeine Mann macht aus solchen Äußerungen kein Geheimnis, und ich fürchte, dass noch manche unter den Vornehmem selbst so denken, wenn sie sich gleich nicht so bestimmt erklären. Worin anders ist aber der Grund eines solchen unüberlegten Räsonnements zu suchen, als in den Religionslehrern, die, wenn sie auch nicht geradezu den Aberglauben predigen, es doch versäumen, ihrer Gemeine richtigere und bessere Religionsbegriffe beizubringen? Solchen Männern wäre der gute Rat zu geben, dass sie erst sich selbst aufzuklären und ihre Begriffe zu ordnen suchten, ehe sie es wagten, nach ihren Einsichten das Volk aufzuklären. Zum Glück kann der Arzt durch bessere Gründe noch solche nichtige Scheingründe widerlegen, und findet auch Gehör, wenn er sich gehörig zu benehmen weiß. Schwerlich wird daher wohl je wieder die so wohltätige Einimpfung aus unseren Mauern verbannt, und alles der unmittelbaren Einwirkung des Himmels überlassen werden, der dem Menschen die Vernunft gab, um sie zu gebrauchen, sich vor Gefahren zu schützen, und so den Willen des Urvaters zu erfüllen.
*) Er ist seit der Zeit gestorben. Möchte er doch nur keinen ähnlichen Nachfolger haben!
Nach reifer Überlegung und sorgfältigem Vergleich aller angestellten Beobachtungen unternahm ich es im vorigen Jahre (1800.) auch die Inokulation der Kuhpocken bei uns einzuführen *). So wenig man bis dahin von dieser wichtigen Entdeckung gehört hatte: so benahm man sich doch dabei so gut, dass ich gewiss sehr unrecht handeln würde, wenn ich den Älteren einige Halsstarrigkeit oder Widerspenstigkeit vorwerfen wollte. Man hörte meine Gründe für diese neue Methode mit Aufmerksamkeit an, erfreute mich durch ein unbeschränktes Vertrauen, folgte den Eingebungen der Vernunft wie den Tatsachen der Erfahrung, und ließ sich mein Unternehmen gern gefallen, wodurch ich sie wahrhaft zu beglücken die Absicht hatte. Mehrere von meinen Herren Kollegen konnten sich noch nicht sogleich überzeugen, haben es aber in der Folge getan, und eben so wenig Widerstand gefunden, als ich. O gewiss der hiesige Einwohner lässt sich sehr leicht durch Gründe überzeugen; wenn er nur sieht, dass man es ehrlich mit ihm meint, und aus reinen Absichten handelt.
*) S. meine Schrift: Beobachtungen über die Kuhpocken, nebst einigen Bemerkungen, von A. F. Nolde. Erfurt 1802.
Von der einem jeden obliegenden Pflicht, sich eines verunglückten Bruders anzunehmen, und für die Erhaltung seines in Gefahr schwebenden Lebens zu sorgen, hat man sich immer mehr zu überzeugen angefangen; und es gereicht den hiesigen Einwohnern, besonders den zur Schifffahrt gehörenden Personen und den Fischern, gar sehr zur Ehre, dass sie schon so manchen Beweis ihrer Menschenliebe und Pflichterinnerung, wenn der Erfolg sie auch nicht allemal durch eine glückliche Rettung erfreute, gegeben haben. Aber man hat auch schon sich von den Fehlern der alten Methode, nach welcher man solche, besonders im Wasser verunglückte Menschen, zu behandeln pflegte, sehr entfernt. Man hat überhaupt so manche sonst in dieser Rücksicht von den Ärzten angegebene Vorurteile verlassen, und auch hierin an Aufklärung und richtiger Beurteilung gewonnen. Dass man noch nicht mit größerem Fleiß, als es bisher geschah, die Einwohner vor den Gefahren, denen ihr Leben ausgesetzt sein kann, zu sichern gesucht hat, liegt in der Tat nicht an dem Willen der meisten von ihnen, sondern an der fehlerhaften Verfassung und an der Aufmerksamkeit derer, denen die Regierung und Oberaufsicht obliegt.
Dies gilt insbesondere von der so nötigen Fürsorge für dem Anschein nach Verstorbene, die nach den zahlreichen Beispielen, welche man auch in neueren Zeiten noch zu sammeln Gelegenheit gehabt hat, der fürchterlichen Gefahr, lebendig begraben zu werden, exponiert sind. Ich weiß es aus Erfahrung, dass diese Beispiele allgemeine Sensation unter den hiesigen Einwohnern gemacht haben, und dass fast alle sich vor dieser schrecklichen Möglichkeit mehr als vor den Tode selbst fürchten, auch in ihren Familien und letzten Anordnungen besonders darauf dringen, dass man sie nicht einer solchen Gefahr aussetzen solle. Wenn dies aber der allgemeine Wille ist, und wenn ein großer Teil der Einwohner auch die Mittel kennt, wodurch man ein solches Verbrechen gegen die Menschheit verhüten kann: so verdient doch wohl die Aufmerksamkeit derer, die den Staat regieren, mit Recht angeklagt zu werden, dass sie hierauf bis jetzt noch keine genügende Rücksicht genommen haben.
Auf gleiche Weise ist man ziemlich allgemein von dem Vorurteile zurückgekommen, dass die Toten am besten in den Kirchen ruhen. Man, sollte dies zwar kaum glauben, wenn man noch immer sieht, dass die Toten in und neben den Kirchen in der Stadt begraben werden, öffentliche Gottesäcker, aber außerhalb der Stadt noch nicht, so wie in den übrigen Städten Mecklenburgs, bei uns angelegt sind. Indessen wird man hierüber gewiss ganz anderes urteilen, wenn man sich nur an die zahlreichen Unterschriften zur Anlegung eines öffentlichen Kirchhofes vor dem Tor erinnert, die ein hiesiger Patriot, der Herr Kaufmann Susemihl, vor einiger Zeit nur allein in einer Gemeine zu sammeln Gelegenheit hatte. Durch die gleich darauf ausgebrochenen Unruhen ist zwar dieses wohltätige Unternehmen unterbrochen worden: aber auch selbst der eifrigste Patriotismus muss den Zeitumständen nachgeben; und wahrscheinlich wird man es nicht bei diesem Versuche bewenden lassen, sondern nach völlig hergestellter Ruhe und Ordnung das wenigstens einzeln durchzusetzen suchen, was die Obrigkeit mit den Repräsentanten der Bürgerschaft schon längst im Großen und Allgemeinen hätte ausführen sollen.
*) Er ist seit der Zeit gestorben. Möchte er doch nur keinen ähnlichen Nachfolger haben!
Nach reifer Überlegung und sorgfältigem Vergleich aller angestellten Beobachtungen unternahm ich es im vorigen Jahre (1800.) auch die Inokulation der Kuhpocken bei uns einzuführen *). So wenig man bis dahin von dieser wichtigen Entdeckung gehört hatte: so benahm man sich doch dabei so gut, dass ich gewiss sehr unrecht handeln würde, wenn ich den Älteren einige Halsstarrigkeit oder Widerspenstigkeit vorwerfen wollte. Man hörte meine Gründe für diese neue Methode mit Aufmerksamkeit an, erfreute mich durch ein unbeschränktes Vertrauen, folgte den Eingebungen der Vernunft wie den Tatsachen der Erfahrung, und ließ sich mein Unternehmen gern gefallen, wodurch ich sie wahrhaft zu beglücken die Absicht hatte. Mehrere von meinen Herren Kollegen konnten sich noch nicht sogleich überzeugen, haben es aber in der Folge getan, und eben so wenig Widerstand gefunden, als ich. O gewiss der hiesige Einwohner lässt sich sehr leicht durch Gründe überzeugen; wenn er nur sieht, dass man es ehrlich mit ihm meint, und aus reinen Absichten handelt.
*) S. meine Schrift: Beobachtungen über die Kuhpocken, nebst einigen Bemerkungen, von A. F. Nolde. Erfurt 1802.
Von der einem jeden obliegenden Pflicht, sich eines verunglückten Bruders anzunehmen, und für die Erhaltung seines in Gefahr schwebenden Lebens zu sorgen, hat man sich immer mehr zu überzeugen angefangen; und es gereicht den hiesigen Einwohnern, besonders den zur Schifffahrt gehörenden Personen und den Fischern, gar sehr zur Ehre, dass sie schon so manchen Beweis ihrer Menschenliebe und Pflichterinnerung, wenn der Erfolg sie auch nicht allemal durch eine glückliche Rettung erfreute, gegeben haben. Aber man hat auch schon sich von den Fehlern der alten Methode, nach welcher man solche, besonders im Wasser verunglückte Menschen, zu behandeln pflegte, sehr entfernt. Man hat überhaupt so manche sonst in dieser Rücksicht von den Ärzten angegebene Vorurteile verlassen, und auch hierin an Aufklärung und richtiger Beurteilung gewonnen. Dass man noch nicht mit größerem Fleiß, als es bisher geschah, die Einwohner vor den Gefahren, denen ihr Leben ausgesetzt sein kann, zu sichern gesucht hat, liegt in der Tat nicht an dem Willen der meisten von ihnen, sondern an der fehlerhaften Verfassung und an der Aufmerksamkeit derer, denen die Regierung und Oberaufsicht obliegt.
Dies gilt insbesondere von der so nötigen Fürsorge für dem Anschein nach Verstorbene, die nach den zahlreichen Beispielen, welche man auch in neueren Zeiten noch zu sammeln Gelegenheit gehabt hat, der fürchterlichen Gefahr, lebendig begraben zu werden, exponiert sind. Ich weiß es aus Erfahrung, dass diese Beispiele allgemeine Sensation unter den hiesigen Einwohnern gemacht haben, und dass fast alle sich vor dieser schrecklichen Möglichkeit mehr als vor den Tode selbst fürchten, auch in ihren Familien und letzten Anordnungen besonders darauf dringen, dass man sie nicht einer solchen Gefahr aussetzen solle. Wenn dies aber der allgemeine Wille ist, und wenn ein großer Teil der Einwohner auch die Mittel kennt, wodurch man ein solches Verbrechen gegen die Menschheit verhüten kann: so verdient doch wohl die Aufmerksamkeit derer, die den Staat regieren, mit Recht angeklagt zu werden, dass sie hierauf bis jetzt noch keine genügende Rücksicht genommen haben.
Auf gleiche Weise ist man ziemlich allgemein von dem Vorurteile zurückgekommen, dass die Toten am besten in den Kirchen ruhen. Man, sollte dies zwar kaum glauben, wenn man noch immer sieht, dass die Toten in und neben den Kirchen in der Stadt begraben werden, öffentliche Gottesäcker, aber außerhalb der Stadt noch nicht, so wie in den übrigen Städten Mecklenburgs, bei uns angelegt sind. Indessen wird man hierüber gewiss ganz anderes urteilen, wenn man sich nur an die zahlreichen Unterschriften zur Anlegung eines öffentlichen Kirchhofes vor dem Tor erinnert, die ein hiesiger Patriot, der Herr Kaufmann Susemihl, vor einiger Zeit nur allein in einer Gemeine zu sammeln Gelegenheit hatte. Durch die gleich darauf ausgebrochenen Unruhen ist zwar dieses wohltätige Unternehmen unterbrochen worden: aber auch selbst der eifrigste Patriotismus muss den Zeitumständen nachgeben; und wahrscheinlich wird man es nicht bei diesem Versuche bewenden lassen, sondern nach völlig hergestellter Ruhe und Ordnung das wenigstens einzeln durchzusetzen suchen, was die Obrigkeit mit den Repräsentanten der Bürgerschaft schon längst im Großen und Allgemeinen hätte ausführen sollen.
Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche
Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße
Rostock - Kröpeliner Tor
Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts
Rostock vor dem Steintor
Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche
Hansestadt Rostock - Stadtansicht
Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967
Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967
Rostock - Petrikirche mit Petritor
Rostocker Wallanlagen und Kröpeliner Tor, 1968