Rostock 1807 - Von den Einwohnern - die physische Beschaffenheit der Kinder - Bewegung: Wiegen, Kriechen, Gehen, Spielen
Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807
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Themenbereiche
Mecklenburg-Vorpommern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Gesundheit, Medizin, Homöopathie Hansestadt Rostock
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Kinder, Erziehung, Bekleidung, Windeln, Bewegung, Kriechen, Gehen, Laufen, frische Luft
Das Wiegen gehört wohl eigentlich unter die Rubrik der Bewegung, wenigstens weiß ich es nicht besser zu rangieren. In Rostock liebt man diese Art, die kleinen Kinder zu bewegen, noch sehr: allein ich muss doch auch zu gleicher Zeit gestehen, dass man in der Regel die Sache nicht übertreibt; und unter dieser Bedingung kann man das Wiegen immer gehen lassen, besonders wenn man sich der hängenden Wiegen bedient, welche eine leichtere und sanftere Bewegung gestatten, seit einiger Zeit auch unter den Vornehmeren ziemlich benutzt werden. Nur muss ich hierbei die so nötige Einrichtung empfehlen, dergleichen Wiegen mit einem Anhalter zu versehen, damit sie nicht überschlagen, welches für das Kind seht leicht gefährlich werden kann. Außerdem ist das Tragen auf dem Arm wohl kaum für eine Bewegung zu halten. Die meisten Kinder fangen hier gegen das Ende des ersten Jahres, viele auch später, an zu gehen. Sie lernen es aber nur bei den Eltern der unteren Klasse auf eine der Natur gemäße Art, das heißt durch Kriechen und eigene Versuche, sich aufrecht zu halten, und von einer Stelle zur andern zu bewegen. Wer seinen Kindern aber eine Wärterin halten kann, pflegt sie mit einem Fallhut und Laufzaume zu versehen, an welchem sie denn nun unter oft sehr karrikaturmäßigen Bewegungen das Gehen lernen. Oftmals nimmt man ein bloßes Schnupftuch, oder ein breites Band dazu, welches man über die Brust und unter die Arme durchzieht und hinten zusammenhält. Die Laufbänke habe ich nur selten gesehen. Aber alle diese Methoden, den Kindern das Gehen beizubringen, taugen eigentlich gar nichts. Das Kind drückt sich die Brust zu sehr, gewöhnt sich einen sonderbaren Gang an, ist vor dem Fallen nicht gesichert, und fällt wenigstens desto häufiger, wenn man es sich nun selbst überlässt. In den neuesten Zeiten habe ich aber auch unter den Vornehmeren nicht selten gefunden, dass sie ihre Kleinen auf eine naturgemäßere Art das Gehen lernen lassen. Das Aufheben der Kinder bei einem Arm, besonders wenn die Wärterinnen zwei Kinder zugleich unter ihrer Aufsicht haben, kann ich immer nicht ohne Widerwillen ansehen, und es ist auch gewisse keine gleichgültige Sache.
Den etwas größeren Kindern des gemeinen Mannes fehlt es nicht an Bewegung. Sie liegen beinahe den ganzen Tag auf der Straße und spielen unter einander. Die Eltern erlauben ihnen das gern: weil sie dann ihre häuslichen Geschäfte ungestört verrichten können, und sich kaum anders um ihre Kinder bekümmern zu dürfen glauben, als wenn sie ein Geschrei auf der Straße hören, worauf sie gewöhnlich herbei laufen, und wenn ihre eigenen Kinder daran Teil nehmen, darein schelten, oder alles mit einer körperlichen Züchtigung auf der Straße abmachen. Eltern von etwas feinerem Gefühl schicken ihre Kinder, sobald sie nur gehen können, in die kleinen Schulen, in der Meinung, dass sie dort, unter Aufsicht sind, und ihnen selbst bei den häuslichen Geschäften nicht zur Last fallen. Bei der Klasse von Müttern, die ohne alle weitere Unterstützung sich ihre Nahrungsmittel selbst herbeischaffen und bereiten müssen, auch wohl außer ihrem Hause auf Arbeit gehen, kann man diesen Grund wohl gelten lassen. Aber wenn auch selbst Mütter aus den höheren Ständen ihre noch ganz kleinen Kinder gleich in die Schule schicken, um sie auf einige Stunden los zu werden und während der Zeit einmal frei atmen zu können: so weiß ich in der Tat nicht, was ich dazu sagen soll. Haben sie doch Domestiken, die ihnen zur Hand gehen können, und Zeit genug, ihre Vergnügungen abzuwarten: so sollte ich denken, sie müssten auch Zeit genug haben, auf ihre kleinen Kinder zu sehen. Welche Mutter wirklich aus dem Grunde ihre Kinder in die Schule schickt, um sich von ihrer Aufsicht einige Stunden dispensiert zu sehen, der werfe ich geradezu vor, dass sie keinen Begriff von Erziehung hat.
In den Schulen, die für solche kleine Kinder bestimmt sind, wird nun eigentlich gar nicht darauf gesehen, dass sie etwas lernen. Darum ist es den Eltern eben nicht zu tun, und dieses tadle ich auch in dem Alter nicht. Aber nicht nur werden sie in solchen Schulen ganz von der ihnen so nötigen Leibesbewegung abgehalten, und zur sitzenden Lebensart gewöhnt, welches nicht sein sollte: sondern sie müssen noch überdem mehrere Stunden des Tages in einem engen Zimmer gedrängt sitzen, und eine eingeschlossene, verdorbene Luft einatmen; werden der Gefahr ausgesetzt, Ungeziefer zu bekommen, und sogar krank zu werden, wenn sie besonders aus der freien Luft in diese engen, dunstigen Stuben kommen, wovon mir mehrere Beispiele bekannt sind, oder sich zu erkälten, wenn die Witterung rau und unangenehm ist. Von diesen Schulen aus verbreiten sich noch insgemein die ansteckenden Krankheiten, Blattern, Masern, Scharlachfieber, Keuchhusten, Krätze usw., weil hier viele noch einer Ansteckung fähige Kinder unter anderen sitzen, die ihnen das Miasma mitteilen. Dieses in die Schule Schicken der kleinen Kinder hat also viele und sehr wichtige Abfälle, unter welchen ich gegenwärtig nur besonders auf den Mangel an Bewegung aufmerksam machen will. Ich werde in der Folge auf diesen Gegenstand noch bei andern Gelegenheiten zurück kommen, und lasse es daher hier bei den angemerkten Erinnerung bewenden.
Den etwas größeren Kindern des gemeinen Mannes fehlt es nicht an Bewegung. Sie liegen beinahe den ganzen Tag auf der Straße und spielen unter einander. Die Eltern erlauben ihnen das gern: weil sie dann ihre häuslichen Geschäfte ungestört verrichten können, und sich kaum anders um ihre Kinder bekümmern zu dürfen glauben, als wenn sie ein Geschrei auf der Straße hören, worauf sie gewöhnlich herbei laufen, und wenn ihre eigenen Kinder daran Teil nehmen, darein schelten, oder alles mit einer körperlichen Züchtigung auf der Straße abmachen. Eltern von etwas feinerem Gefühl schicken ihre Kinder, sobald sie nur gehen können, in die kleinen Schulen, in der Meinung, dass sie dort, unter Aufsicht sind, und ihnen selbst bei den häuslichen Geschäften nicht zur Last fallen. Bei der Klasse von Müttern, die ohne alle weitere Unterstützung sich ihre Nahrungsmittel selbst herbeischaffen und bereiten müssen, auch wohl außer ihrem Hause auf Arbeit gehen, kann man diesen Grund wohl gelten lassen. Aber wenn auch selbst Mütter aus den höheren Ständen ihre noch ganz kleinen Kinder gleich in die Schule schicken, um sie auf einige Stunden los zu werden und während der Zeit einmal frei atmen zu können: so weiß ich in der Tat nicht, was ich dazu sagen soll. Haben sie doch Domestiken, die ihnen zur Hand gehen können, und Zeit genug, ihre Vergnügungen abzuwarten: so sollte ich denken, sie müssten auch Zeit genug haben, auf ihre kleinen Kinder zu sehen. Welche Mutter wirklich aus dem Grunde ihre Kinder in die Schule schickt, um sich von ihrer Aufsicht einige Stunden dispensiert zu sehen, der werfe ich geradezu vor, dass sie keinen Begriff von Erziehung hat.
In den Schulen, die für solche kleine Kinder bestimmt sind, wird nun eigentlich gar nicht darauf gesehen, dass sie etwas lernen. Darum ist es den Eltern eben nicht zu tun, und dieses tadle ich auch in dem Alter nicht. Aber nicht nur werden sie in solchen Schulen ganz von der ihnen so nötigen Leibesbewegung abgehalten, und zur sitzenden Lebensart gewöhnt, welches nicht sein sollte: sondern sie müssen noch überdem mehrere Stunden des Tages in einem engen Zimmer gedrängt sitzen, und eine eingeschlossene, verdorbene Luft einatmen; werden der Gefahr ausgesetzt, Ungeziefer zu bekommen, und sogar krank zu werden, wenn sie besonders aus der freien Luft in diese engen, dunstigen Stuben kommen, wovon mir mehrere Beispiele bekannt sind, oder sich zu erkälten, wenn die Witterung rau und unangenehm ist. Von diesen Schulen aus verbreiten sich noch insgemein die ansteckenden Krankheiten, Blattern, Masern, Scharlachfieber, Keuchhusten, Krätze usw., weil hier viele noch einer Ansteckung fähige Kinder unter anderen sitzen, die ihnen das Miasma mitteilen. Dieses in die Schule Schicken der kleinen Kinder hat also viele und sehr wichtige Abfälle, unter welchen ich gegenwärtig nur besonders auf den Mangel an Bewegung aufmerksam machen will. Ich werde in der Folge auf diesen Gegenstand noch bei andern Gelegenheiten zurück kommen, und lasse es daher hier bei den angemerkten Erinnerung bewenden.
Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche
Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche
Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße
Hansestadt Rostock - Stadtansicht
Rostock - Kröpeliner Tor
Rostock vor dem Steintor
Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967