Rostock 1807 - Von den Einwohnern - die physische Beschaffenheit der Kinder

Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Einwohner, Kinder, Kindersterblichkeit, Kinderkrankheiten, Amme,
Ehe ich mich zu einer andern Materie wende, habe ich noch Einiges über die physische Beschaffenheit der Kinder beizufügen, die ich hier nicht übersehen darf, da diese einen so wichtigen Teil der bürgerlichen Gesellschaft ausmachen, die durch sie von Zeit zu Zeit ihren fortdauernden Verlust ersetzen, und sich gewissermaßen komplettieren muss. Ich unterscheide hier aber mit gutem Vorbedacht die in einer gesetzmäßigen Ehe geborenen Kinder von den unehelichen. In der körperlichen Beschaffenheit der letztern, so wie in ihrer Behandlung, liegt unstreitig der Grund von der großen Sterblichkeit unter denselben, und diese ist gewiss bedeutend genug, um einen nachteiligen Einfluss auf das Ganze zu haben. Ich glaube, ohne Bedenken annehmen zu können, dass kaum der vierte Teil von ihnen das Ende der ersten Kinderjahre erreicht. Die außer der Ehe geschwängerten Mütter sind überwiegend aus den unteren Ständen. Diese suchen denn gewöhnlich Ammendienste, um nicht ganz außer Brot zu kommen; denn ihre Liebhaber geben ihnen entweder nicht so viel, dass sie selbst davon mit ihrem Kinde leben können, oder sie verlassen die Unglückliche, der sie die Ehe zugesagt, oder andere Versprechungen getan hatten, wohl ganz. Die Mutter bringt also ihr Kind bei andern Leuten unter, und gibt es, wie man hier sagt, entweder auf die Brust, oder auf den Löffel. Im ersten Fall stillt die substituierte Mutter ihr eigenes Kind zu gleicher Zeit, und natürlich reicht sie dem fremden Kinde erst dann die Brust, wenn das ihrige schon gesättigt ist. Damit muss es zufrieden sein; und will es das nicht, so gibt man ihm die wohlfeilste Kost, Kartoffeln und Mehlbrei, um es nur satt zu machen und in Ruhe zu erhalten. Wird ein solches Kind aber bloß auf den Löffel ausgetan, so erhält es die zuletzt genannten Speisen allein. Wie nachteilig eine solche Ernährungsart ist, weiß ein jeder meiner Leser. Dazu kommt noch in den meisten Fällen ein hoher Grad von Schmutz und Unreinlichkeit, der vollends alles verdirbt. Wie ist es denn möglich, dass ein Kind unter so ungünstigen Verhältnissen noch sein Leben erhalten, vielweniger gedeihen und zunehmen kann? Mehrenteils bekommen sie bald dicke Bäuche mit Verstopfung, oder übel-riechende und erschöpfende Diarrhöen, zehren sich im Gesicht, an Armen und Beinen bis zu Skeletten ab, schreien und wimmern Unaufhörlich, dass man von Stein sein müsste, wenn man nicht durch den Anblick eines solchen Jammerbildes innigst gerührt werden sollte. Ich gestehe, dass ich oftmals vor dem Anblicke zurückbebte und alle Fassung verlor, wenn mir etwa von ungefähr eine solche lebendige Leiche irgendwo aufstieß, oder wenn man mir diese Schreckensbilder ins Haus brachte, um ihren letzten Lebenshauch noch einige Tage aufzuhalten. Aber bei dem besten Willen und den ausgesuchtesten Arzneien ist man kaum vermögend, nur dieses zu leisten, und ihnen den Übergang in ein besseres Leben zu erleichtern: an eine völlige Genesung ist hingegen nur äußerst selten zu denken, weil die übrige Behandlung allen Bemühungen des Arztes schnurstracks entgegen wirkt. Wenn Mütter, die sich ohne dringende Ursache entschließen können, ihre eigenen Kinder einer Amme zu vertrauen, nur noch einen Funken von Gefühl in ihrer kalten Brust bergen, nur nicht ganz taub gegen die Stimme der Natur geworden sind; o so sollte der Anblick eines solchen Jammerbildes sie doch noch wohl zu dem Entschluss umstimmen können, ihre Kinder selbst zu stillen, um nicht mittelbar die Ursache von dem kläglichsten Tode eines anderen Kindes zu sein, das vielleicht ein Opfer der naturwidrigen Erziehung ihres eigenen Kindes wird. Aber so etwas sehen solche gleichgültige Mütter nicht; sonst würden sie unmöglich Bequemlichkeit und Vergnügen der süßen Mutterpflicht, ihre Kinder selbst zu stillen, vorziehen.

Der größte Teil von den in einer gesetzmäßigen Ehe erzeugten Kindern genießt dagegen, nicht nur in der Regel eine sehr gute Gesundheit — denn einzelne Ausnahmen kommen hier wie überall vor — sondern zeichnet sich auch durch eine diesem Alter eigentümliche Schönheit aus. Unter allen Schönheiten ist zwar die charakteristische der Kinder am allervergänglichsten, weil sie durch so viele Veränderungen ihrer Form nur allmählich sich ihrer Entwicklungs-Periode nähern können; indessen muss es bei uns einem jeden sehr auffallen, dass die kurze Schönheit der ersten Kindheit häufig bald sich in eine sehr entgegengesetzte, abstechende Form umwandelt, die denn in den Jahren des Mannbarwerdens jener gefallenden Göttin zuweilen zwar die Rückkehr gestattet, oft aber auch nie sich wieder von ihr verdrängen lässt. Ich finde es in der Tat merkwürdig, dass, obgleich die meisten Kinder hier wirklich schön, oder doch wenigstens sehr liebenswürdig sind, wir nur so wenig schöne Gesichter und Körper unter den jungen Knaben und Mädchen vor ihrer Blütezeit haben. Bei den letzteren verscheucht die mächtige Natur zwar häufiger die verdunkelnden Nebel, als bei jenen; allein doch geschieht das nicht immer. Die Ursache dieser Erscheinung suche ich zum Teil in dem Klima, dem Wachstum der Kinder und ihrer Kleidung; zum Teil aber leite ich sie auch noch aus einer andern Quelle ab, von der ich in den folgenden Kapiteln mehr werde sagen können.

Wenn gleich übrigens eine regelmäßige griechische Schönheit in unserm nördlichen Klima ihr Vaterland nicht findet: so können wir uns doch einer schon beim ersten Anblicke sich deutlich genug darstellenden festen und dauerhaften Gesundheit freuen, so lange wir der Natur ihre Rechte einräumen, und weder auf die eine, noch die andere Art ihr in den Weg treten. Vergebens sucht man hin und wieder durch eine Stuben-Erziehung dem rauen Klima zu trotzen; denn sie gibt doch nur immer Treibhaus-Produkte, deren erzwungene Schönheit den natürlichen Liebreiz entbehrt, und um so schneller, wie jede durch Kunst getriebene Pflanze, verblüht. Am meisten schadet man aber dadurch insgemein der Gesundheit, die, wenn sie mit den Reizen einer Venus nicht bestehen kann, vor jenen doch gewiss immer den Vorzug verdient. Wie sehr indessen die Natur ihre Verehrer auch in dieser Hinsicht belohnt, sehen wir insbesondere deutlich an den vornehmen Bewohnern des platten Landes. Sind ihre Kinder auch gewissermaßen aus einem edleren Blute entsprossen, als die ihrer sklavischen Untertanen: so scheint dieses doch auf ihre nicht selten schöne Form keinen so großen Einfluss zu haben, als die Freiheit, welche sie genießen, und die ungezwungene angemessene Tätigkeit, bei welcher sie sich ganz der Natur, als ihrer Führerin überlassen. Sie spendet ihnen dafür nicht bloß ihre Rosen und Lilien, sondern schmückt sie noch überdies mit den gefälligen, entwickelten Formen, wodurch sie sich vor dem geringeren Bewohner ihrer Fluren, dessen Eigentum zwar Gesundheit, aber nicht Schönheit ist, die keine Gefährtin eines lästigen, naturwidrigen Zwanges sein kann, so sehr auszeichnen. Weder Seele, noch Körper können sich unter den schweren Fesseln eines demütigenden Geschickes entwickeln: nur wo die Freiheit triumphiert, gedeihen beide zur schönsten Blüte.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Hansestadt Rostock, Große Wasserstraße mit Kerkhoffhaus (1470) Sommer 1968

Hansestadt Rostock, Große Wasserstraße mit Kerkhoffhaus (1470) Sommer 1968

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Rostock, Stadthafen, Segelschulschiff

Rostock, Stadthafen, Segelschulschiff "Wilhelm-Pieck", 1968

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Rostock vor dem Steintor

Rostock vor dem Steintor