Rostock 1807 - Kurze Übersicht der bürgerlichen Verfassung in Rostock (02)

Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Hanseatische Verhältnisse, Hanse, Hansa, Privilegien, Staatsverfassung, Französische Revolution, Handelsverkehr, Wohlstand, Reichtum, Erbvertrag, Patrioten, Verfassung, Volkscharakter,
Die Erinnerung an die altern hanseatischen Verhältnisse, und die damals genossenen Vorzüge, so wie der fortdauernde Genuss der zwar allmählich mehr eingeschränkten, aber doch noch immer nicht völlig aufgehobenen, und nicht unrichtigen Privilegien, die man oft nur nach einem etwas zu großen Maßstab zu würdigen, und gar zu eifrig zu erhalten bemüht ist, entfernt, aller in dem Laufe der Zeiten eingetretenen Veränderungen ungeachtet, die übrigen Stände fortdauernd so sehr von der gemeinschaftlichen Teilnahme an dem Flor und den individuellen Verhältnissen der Stadt, dass ein unaufhörliches Streben und Gegenstreben die Beschützer der hiesigen Staatsverfassung beinahe veranlagt, sich wirklich als einen für sich bestehenden Teil des Ganzen, gleichsam als einen Staat im Staate, zu betrachten, und mit desto größeren Nachdruck ihre wahren oder vermeintlichen Rechte zu verteidigen. Dazu kommt der beträchtliche Handelsverkehr, den die Nähe der See der Stadt selbst gewährt, und der ihr abermals durch besondere hierauf sich beziehende Privilegien ausschließlich gesichert ist. So wie dieser während des amerikanischen sowohl, als während des letzten französischen Revolutionskrieges den Wohlstand der hiesigen Einwohner vermehrt, und manchem Kaufmann verhältnismäßig Reichtum zugeführt hat, unter dessen Aegide er sich ein gewisses Ansehen zu geben wusste; eben so haben insbesondere die übrigen Städte, die sich von allen diesen Vorzügen ausgeschlossen sehen, und manchmal sogar in eben dem Verhältnis litten, wie Rostock sich emporschwang, Veranlassung genug gehabt, die Zunahme des hiesigen Handels, mit allen sich daraus ergehenden Folgen, nicht so ganz gleichgültig anzusehen, und ihrer Verhältnisse eingedenk, wenigstens beneidenswert zu finden. Es war wohl nichts natürlicher, als dass unter diesen Umständen die Stadt Rostock sich selbst einen zu großen Wert beilegte, und diesen gegen alle angebliche Einschränkungen um so mehr aufrecht zu erhalten suchte, je mehr man eine Schmälerung desselben fürchten zu müssen glaubte; und davon war denn wieder eine unausbleibliche Folge, auf die man bei jeder Untersuchung der hiesigen Staatsverwaltung so leicht geführt wird, dass die Inhaber derselben mehr darauf bedacht waren, ihre äußeren Verhältnisse zu soutenieren, als der Inneren Verfassung eine größere Festigkeit und Vollkommenheit zu geben.

Zwar konnte man einigermaßen sich mit der angenehmen Hoffnung schmeicheln, dass der im Jahr 1788 abgeschlossene neue Erbvertrag *) Sr. Durchlaucht des jetzt regierenden gnädigsten Herzogs und Landesfürsten mit der Stadt Rostock, welcher nicht nur die Erbverträge von 1573 und 1584 zum Teil bestätigte, sondern auch manches nach den damaligen Verhältnissen näher bestimmen sollte, die äußeren Verhältnisse der Stadt außer allen Zweifel setzen, und ihre Grenzen genau bestimmen würde: aber teils unternahm die Stadt dieses ohne Einwilligung und Mitwirkung der übrigen Stände, die sich dadurch in ihrem Verhältnis zur Stadt gekränkt fühlten, und ihr Ansehen geschmälert sahen; teils ward der abgeschlossene Erbvertrag selbst in der Folge dem hohen Regierhause ein Beweis, wie man auf der andern Seite die etwas egoistische Absicht gehabt hatte, der Stadt durch die nachsichtsvolle Gnade des Durchlauchtigsten Herzogs nicht nur einen gewissen imponierenden Glanz zu geben, sondern auch andere Vorteile zu verschaffen, deren Nachteil für die übrigen Stände, erst bei ihren mannichfaltigen Berührungspunkten mit der Stadt nach und nach einleuchtend zu werden anfing. Vielleicht hatte man sich auf ein so wichtiges Unternehmen auch nicht lange genug vorbereitet, welches Unbestimmtheit und Unvollkommenheit in manchen Punkten erzeugte. Kurz, anstatt die jedem Patrioten wüschenswerte Ruhe von außen durch diesen Vertrag zu begründen, schien man gerade auf diesen Punkt am wenigsten Rücksicht genommen; dadurch aber nicht nur den Neid noch mehr angefacht, und die äußeren Verhältnisse verwirrt, sondern auch selbst den Grund zu allen den unangenehmen Folgen gelegt zu haben, die man wahrscheinlich würde vermieden haben, wenn man mit mehr Genügsamkeit und weniger Herrschsucht nur den Hauptzweck verfolgt hätte, Ruhe von außen zu erhalten, und unter dem wohltätigen Einfluss derselben den inneren Gebrechen der hiesigen Verfassung abzuhelfen, um sie dadurch auf eine höhere Stufe einer nicht bloß chimärischen Vollkommenheit zu erheben.

*) S. den grundsätzlichen neuen Erb-Vertrag des durchlauchtigsten regierenden Herzogs und Herrn, Herrn Friedrich Franz etc. mit ihrer erbuntertänigen Stadt Rostock, vollzogen zu Rostock den 13ten Mai 1788. Gedruckt in der Adlerschen Officin.

Vielleicht habe ich mich hier als Arzt schon zu weit in die politischen Verhältnisse der Stadt Rostock zu den übrigen integrierenden Teilen des Landes eingelassen, und ich breche daher ab. Gleichwohl konnte ich diesen Punkt, den ich nur sehr ungern berührt habe, wegen der wichtigen Folgen, die er auf die innere Organisation der hiesigen Verfassung gehabt hat, und noch fortdauernd hat, nicht ganz mit Stillschweigen übergehen. Denn hätte man, auch bei den mannigfaltigen aus jenem Erbvertrag fließenden Differenzen vielleicht in einem anderen Staate und unter dem Einfluss vielumfassender Köpfe die inneren Verhältnisse zugleich wahrnehmen und verbessern können: so war dies in Rostock von dem eigentümlichen Volkscharakter, von dem Phlegma und der Indolenz des Mecklenburgers, oder des ihm nachgearteten Ausländers am wenigsten zu erwarten. Die Erfahrung hat es auch gelehrt, dass man in allen solchen Fällen nur allein auf den Punkt der äußeren Verhältnisse sein Augenmerk richtete; aber indem man in der gewöhnlichen Sprache der Stadt nichts vergeben wollte, ihr dadurch in der Tat sehr viel vergab, dass man das Wichtigste, Ordnung in der inneren Organisation, aus den Augen verlor, die Parteien noch mehr gegen einander aufbrachte, und auf die Art beinahe noch mehr, als ehedem, die Gelegenheit zu nützlichen und heilsamen Anstalten, auch in physisch-medizinischer Rücksicht, aus den Händen verlor. Ich kann mich wenigstens, was ich hier nur beiläufig zum Beweise anführen will, nicht erinnern, dass in diesem Zeitraum von 13 Jahren nur irgend etwas, wirklich Ausgezeichnetes für das physische Wohl der Einwohner beschlossen und ausgeführt wäre; und dass man in anderer Hinsicht ebenfalls nicht weiter vorgerückt ist, scheinen die noch kürzlich in unseren Mauern ausgebrochenen Unruhen mir wenigstens überzeugend genug zu beweisen.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Hansestadt Rostock - Stadtansicht

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Hansestadt Rostock, Große Wasserstraße mit Kerkhoffhaus (1470) Sommer 1968

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Rostock - Kröpeliner Tor

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Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Rostock vor dem Steintor

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Mecklenburger Gensdarmen

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