Rostock 1807 - Einwohner - Vergnügungen, Gesellschaften
Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Unterhaltung, Winter, Gesellschaften, Glücksspiel, Spielgesellschaften,
Den Sommer hindurch divertiert man sich also überhaupt in gesellschaftlichen Zirkeln mehr außerhalb des Hauses, als in der Stadt: so wie aber der Herbst eintritt, und der Winter sich nur entfernt zu nähern anfängt, gestatten die längeren Abende, die noch dazu oft sehr rau und unangenehm sind, nicht mehr die Fortsetzung dieser Vergnügungen. An ihre Stelle treten nun die gesellschaftlichen Zusammenkünfte in der Stadt, die dann auch wirklich ihre entschiedenen Vorzüge haben. Ich kann nicht umhin, das Wesentliche dieser Gesellschaften, die man nur selten im Sommer veranstaltet, für den Ausländer, der etwa meine Bemerkungen lesen sollte, aber auch für den Einheimischen auszuheben, den ich bei dieser Gelegenheit auf Manches aufmerksam machen kann, was ihn interessieren muss.
Der größte Teil der Gesellschaft versammelt sich um fünf Uhr in dem Hause des spendenden Wirtes; unterhält sich, wie gewöhnlich, vom Wetter und von Stadtneuigkeiten. Ist die Anzahl der Gäste groß genug, um die Spielpartien zu arrangieren: so bricht man bald die Unterhaltung ab, und eilt zum Spiel. Ehedem galt nur das l’Hombre allein; jetzt zieht man das Whist und andere neue Kartenspiele vor. Sehr viele, die den ganzen Tag vielleicht ihr Zimmer, wenigstens ihre Wohnung, nicht verlassen hatten, sitzen nun wieder drei bis vier Stunden am Spieltische, und lassen so manchen Tag vorübergehen, ohne der frischen Luft zu genießen. In den traurigen Novembertagen möchte sich dies allenfalls noch entschuldigen lassen: aber wenn man auch in der schönsten, hier leider so kurzen, Jahreszeit das Spiel jedem andern reinem Vergnügen in der offenen Natur vorzieht; so kann ein unparteiischer Beobachter das unmöglich gut heißen. In manchen Fällen scheint man diesen Fehler dadurch verbessern zu wollen, dass man an einem schönen Sommerabend den Spieltisch in einem Garten, oder überhaupt im Freien aufschlägt: aber welcher Spieler kann wohl bei dieser Beschäftigung die Schönheiten der Natur empfinden? Die häufig sich um diese Zeit erhebenden kühlen Winde, auch wohl die Feuchtigkeit der Erde, können überdem einem nicht recht festen Körper bei dem Stillsitzen während des Spiels unmöglich sehr zuträglich sein. Man spielt gewöhnlich mit vielem Interesse, und ziemlich hoch: der Eifer beim Spiel verdrängt daher nicht selten alle andere Rücksichten; man achtet nicht auf seine übrigen Empfindungen, und schadet durch diese Zerstreuung dann seiner Gesundheit. Aber auch das Spiel der Affekten, das man oft nur zu sehr erregt sieht, die leidenschaftliche Begierde, mit der man sich an den Spieltisch setzt, die Freude über den Gewinn, der verbissene Ärger über den erlittenen Verlust, dieses alles muss beim Spiel, man mag es nun im Zimmer, oder im Freien treiben, auf den Körper größtenteils einen sehr positiven Nachteil äußern; und dann das ewige Sitzen, das Anstrengen der Augen beim Lichte, welches den Spielern besonders für ein so zartes Organ eine nicht genug zu fürchtende Gefahr zu drohen scheint. Wer sollte das alles für gleichgültig und unbedeutend halten können? Indessen die Ärzte und Diätetiker haben alle diese nachteiligen Folgen schon oft genug gerügt; aber dennoch fesselt das Spiel durch einen geheimen Zauber seine Verehrer so sehr, dass sie, taub und blind gegen alle Vorstellungen und Gründe, nur allein Sinn für ein Vergnügen haben, das ihnen oft, aber zu spät, in physischer, ökonomischer und moralischer Hinsicht so teuer zu stehen kommt.
Bei uns ist das Spiel so allgemein eingeführt, dass man in gesellschaftlichen Zirkeln hierauf vorzüglich Rücksicht nimmt, und die Karten zu dem wichtigsten Gegenstande der Unterhaltung wählt. Männer und Frauen sieht man gemischt unter einander dem Merkur ihre Opfer bringen, und selbst Jünglinge und junge Mädchen schließt man von dieser so sehr geschätzten Ergötzlichkeit nicht aus. Ja sogar Kindern räumt man mit zuvorkommender Bereitwilligkeit eigene Spieltische ein, an denen sie Gelegenheit finden, ihre Talente zu zeigen; und mit Bedauern sah ich bisweilen, wie Eltern sich so herzlich über die Geschicklichkeit ihrer Kinder freuten, die in allen übrigen Kenntnissen vielleicht weiter zurück waren, als in der Kunst des Kartenspiels. Dieser eingewurzelte Hang zum Kartenspiel verdirbt alle unsere Gesellschaften. Wer es so mit Kunst und Eifer treibt, wie man es hier allgemein findet, kann unmöglich während der Zeit sich in unterhaltende Gespräche einlassen; die ganze Gesellschaft sitzt in den mit Spieltischen angefüllten Zimmern auch gewöhnlich so ruhig und stumm, dass ein müßiger Zuschauer sich fürchtet, seinen Mund zu öffnen. Wer daher diesem Vergnügen keinen Geschmack abgewinnen kann, muss sich überwiegend mit der schrecklichsten Langeweile plagen; weil er nur selten jemanden findet, mit dem er ein Gespräch anknüpfen kann. Mancher entschließt sich daher auch wohl zur Erlernung dieser Modetorheit, um nicht eine so überflüssige Rolle zu spielen; und wer dies nicht will, tut am besten, wenn er erst gegen die Zeit des zu Ende gehenden Spiels in der Gesellschaft erscheint.
So sehr also alle gesellschaftliche Konversation, die doch billig einem so stummen Vergnügen mit Recht vorgezogen werden sollte, in unseren Zusammenkünften stockt; so wenig findet man auch nur eine Spur von jenen unterhaltenden Gesellschaftsspielen, womit doch wenigstens die Jugend sich die Zeit vertreiben, und in Frohsinn und Munterkeit ihren Abend zubringen könnte. Vor etwa 10 Jahren sah man so etwas noch zwischen durch: aber seit der Zeit hat sich Rostock in diesem Stücke so geändert, dass man an dergleichen gar nicht mehr denkt; ob uns gleich von allen Seiten solche Gesellschaftsspiele in Almanachen und Broschüren angekündigt, und selbst zum Verkauf genug angeboten werden. Möchte man doch einmal wieder anfangen, Jünglinge, Mädchen und Kinder auf diese eben so unterhaltende, als oftmals lehrreiche Art in den Gesellschaften zu beschäftigen, wo sie nun beinahe allen Frohsinn, selbst die Sprache verlieren, und weder für ihren Geist, noch für ihren Körper irgend einen Gewinn finden. So lange indessen die Eltern selbst in dem Kartenspiel noch ihre höchste Glückseligkeit suchen, wird dies wahrscheinlich ein frommer Wunsch bleiben, dessen Realisierung ihnen bei dem jährlich abgehenden Verlust von Mitspielern die größte Besorgnis für die Zukunft erregen würde.
Da ich doch einmal vom Kartenspiel rede: will ich noch etwas über die Hazardspiele sagen, die bei uns seit einigen Jahren sehr kultiviert werden. Sie sind zwar verboten; aber nichts, desto weniger werden sie während der Messe, in den Antoni- und Trinitatis-Terminen, zur Zeit der hiesigen Jahrmärkte, und bei anderen Veranlassungen geduldet. Man begnügt sich dann aber nicht mit einer Farobank, sondern man findet deren sodann gewöhnlich 6, 8, 12, für alle Stände und Klassen, so dass Herren, Bediente und Kutscher, Handwerker und Liebhaber aus allen Ständen ihr Geld anbringen können, welches denn auch gewöhnlich geschieht. Die schon angeführten Nachteile des Kartenspiels treffen dieses noch um so mehr; da hier auch der Verlust bei weitem größer ist, und das Spiel weit länger, oft ganze Nächte hindurch, fortgesetzt wird. Da diejenigen, welche die Bank halten, überwiegend den größten Gewinn davon tragen, und sich zum Teil bereichern: so haben mehrere Gesellschaften sich seit einiger Zeit zur Übernahme von Farobanken verbunden, die denn jede sich ihnen darbietende Gelegenheit öffentlich und insgeheim zur Vergrößerung ihrer Kassen benutzen, um davon nachher desto reichlicher leben zu können.
Hat man nun aber in den gewöhnlichen Gesellschaften drei oder vier Stunden am Spieltisch getötet: so ist die Anfüllung des Magens der nächste Zweck, den man zu befriedigen sucht. Kaum hat man den Spieltisch verlassen: so rangiert sich alles zum Essen, wo man Anfangs noch die Unterhaltung über den Gang des Spiels, über die gemachten Fehler oder Hauptstreiche fortsetzt, auch, wohl andere Gespräche über die neuesten Vorfälle anknüpft, hauptsächlich aber doch darauf bedacht ist, den eigentlichen Zweck, um dessentwillen man sich zu Tisch gesetzt hat, zu erfüllen. Bei der gewöhnlich mäßigen Anzahl von Speisen bedarf man dazu keiner sehr langen Zeit, und mehren teils eilt man noch so sehr, dass man nach einer oder anderthalb Stunden sich schon wieder erhebt. Dann geht gewöhnlich die ganze Gesellschaft sogleich auseinander, und jeder freuet sich, wenn er keine Ursache hat, seinen Verlust im Spiel zu bereuen, dass er den Abend so angenehm zugebracht hat.
Man wird mich vielleicht auslachen, wenn ich hier die Frage aufwerfe: wie man eine so geschmacklose Unterhaltung ein Vergnügen nennen kann. Aber ich kann es nicht unterlassen, sie doch wenigstens allen meinen Mitbürgern vorzulegen. Eine förmliche Beantwortung derselben würde mich auf eine Materie führen, die ich noch in der Folge wenigstens berühren muss. Ich breche daher hier ab, um nur noch ein paar Worte über, den diätetischen Gewinn, den wir aus unsern Gesellschaften ziehen können, beizufügen. Dieser ist aber so negativ, dass ich in dieser Rücksicht gewiss kein Lobredner unserer gewöhnlichen Gesellschaften sein werde. Sitzen und Spielen, und Sitzen und Essen, dies ist die Angel, um welche sich unsere Zusammenkünfte drehen. Was bei einer im Ganzen untätigen Lebensart hieraus entspringen kann, ist von der Beschaffenheit, dass ein Hypochondrist schon allein davon den Tod nehmen könnte. Ich schweige daher, und mache einem jeden, der sich zu dieser Klasse zählt, darauf aufmerksam, dass ich noch in dem sechsten Kapitel etwas hierüber sagen werde.
Obgleich die hiesigen Gesellschaften dem zufolge, was ich bisher darüber gesagt habe, eben keine große Abwechslung gewähren: so scheint man sie selbst doch nicht so einförmig und langweilig zu finden, als sie es im Ganzen mit geringen Ausnahmen sind. Man ist mit der Unterhaltung, die das Spiel und die Mahlzeit erlauben, zufrieden, und fühlt sich sehr glücklich in dem Zirkel seiner Verwandten und Freunde. Außerdem haben in den Abendstunden die wenigsten bestimmte, und noch weniger dringende Geschäfte; man würde folglich zu Hause Langeweile haben, und geht dafür lieber in eine Gesellschaft, wo man doch zwei wichtige Bedürfnisse befriedigen kann. Ich glaube, dass dieses im Ganzen die triftigsten Gründe sind, die man für unsere zahlreichen Wintergesellschaften anführen kann; von welchen ich noch anmerken muss, dass sie bei den ansehnlichen Familien-Verbindungen und Verwandtschaften, die Rostock mit so manchen Reichsstädten gemein hat, überwiegend auch sehr groß, obgleich in dem Verhältnis doch jetzt nicht mehr so steif und genierend sind, als sie es ehedem waren. Oft übertreiben sogar die Herren dieses ungenierte Wesen und setzen dabei alle dem schönen Geschlecht schuldige Delikatesse an die Seite; wenn sie mit ihren brennenden Tabakpfeifen (einer sehr allgemeinen Liebhaberei der hiesigen Einwohner) sich in die Zirkel der Damen mischen, und auch in den feinsten Gesellschaften nicht ohne Stiefeln erscheinen mögen.
Außer den gewöhnlichen Veranlassungen gibt es aber auch noch manche andere, die man nicht gern vorüber gehen lässt, oft bei den Haaren herbeizieht, und, wo man nur kann, benutzt, um nur ja nicht viel zu Hause zu sein, und die langen Winterabende nicht so ganz ungenutzt vorbei gehen zu lassen. Man wird es daher gewiss nicht unwahrscheinlich finden, dass in dieser Jahreszeit bei uns fast täglich Gesellschaften angestellt werden. Die Freunde derselben wissen ihre Einrichtung auch immer so zu treffen, dass sie nur selten einen unbesetzten Abend haben. Die ungewöhnlichen Veranlassungen zum Schmausen findet man aber auf folgende Art. Ein fremder Kaufmann kommt in Geschäften nach Rostock; man bittet daher eine Gesellschaft zusammen, um ihm Unterhaltung zu verschaffen; die einzelnen gebetenen Familien revangieren sich, und so sind gleich mehrere Tage besetzt. Oder man feiert einen Geburtstag, oder ein Verlobungsschmaus zieht eine Menge von nachfolgenden Schmäusen aus ihrem Nichts hervor, die denn in der Regel noch glänzender sind, als die gewöhnlichen. In der Fastenzeit gibt man die sogenannten Fastnachtsschmäuse, die überwiegend schon des Mittags anfangen, und dennoch bis zu der sonst gewöhnlichen Stunde fortdauern, von denen daher ein jeder für zwei zu rechnen ist. Außerdem sind die Mittagsgesellschaften nur sehr selten, ob man ihnen gleich ehedem den Vorzug gegeben haben soll; und nur bei sehr wichtigen Gelegenheiten, z. B. bei den Wahlen der Bürgermeister und Ratsherren, bei den Quartalsversammlungen der hiesigen Sozietät u. s. w., pflegt man sie noch beizubehalten.
Noch gibt es gewisse jährlich bestimmte Schmäuse, wie unter anderen die Wasser- und Quartier-Schmäuse, an denen nur die Männer Teil nehmen; und außerdem werden auch hin und wieder ähnliche Mannsgesellschaften veranstaltet, in welchen man denn gewöhnlich recht tapfer zu trinken pflegt. Endlich kommen die Männer allein bisweilen in den hiesigen Klubs, oder in andern öffentlichen Häusern zusammen, um gemeinschaftlich zu spielen, zu essen und zu trinken; allein wegen der großen Familienverbindungen, und weil ein jedes irgend bedeutendes Haus auch wenigstens ein großes Zimmer zur Aufnahme von Freunden haben muss, sind die Versammlungen in den öffentlichen Häusern nur selten.
Das schöne Geschlecht muss zwar den Männern ihre Absonderung gestatten, ohne sich selbst wieder in eigenen Gesellschaften von ihnen trennen zu können; indessen hat man doch schon seit einigen Jahren den Versuch gemacht. Sollte man es aber wohl glauben, dass das Spiel dazu die Veranlassung gegeben hat? Diese Damengesellschaften führen zwar nur den Namen der Tee-Assembleen, aber es sind wahre Thées jouante. Eine Anzahl von Häusern hat sich dazu engagiert, wöchentlich, einmal das ganze Jahr hindurch sich des Nachmittags um 4 Uhr der Reihe nach zu versammeln, einen Tee einzunehmen, und dann bis 8 Uhr und länger ihre Spielpartien zu machen. Es sind aber keine völlig geschlossenen Gesellschaften, sondern man bittet noch gewöhnlich viele andere Frauenzimmer dazu. Auch haben nicht bloß verheiratete Frauen den Zutritt, sondern die unverheirateten Mädchen, und selbst Kinder nehmen daran ebenfalls Teil. Ich muss es einem Jeden überlassen, den Wert dieser weiblichen Spielgesellschaften zu beurteilen; mir schienen sie nur zu wichtig, als dass ich sie hätte mit Stillschweigen übergehen können. So viel glaube ich übrigens ergibt sich aus allen den zahlreichen und mancherlei Arten von Gesellschaften, dass sie mehr aufs Spiel und Schmausen, als auf wahre Unterhaltung berechnet sind.
Ich habe mich zwar schon lange genug bei diesem Gegenstande aufgehalten, den ich nicht so kurz abfertigen zu können glaubte; weil er nicht nur ein allgemeines Interesse findet, sondern auch wirklich für die Charakteristik der hiesigen Einwohner in mehr als einer Hinsicht sehr wichtig ist: indessen kann ich ihn nicht verlassen, ohne etwas von der Nachahmungssucht des Mittelstandes auch in dieser Beziehung zu sagen. Dieser an sich respektable Stand scheint sich den Vornehmeren immer mehr gleich stellen zu wollen, und fängt daher auch schon an, durch ähnliche Zusammenkünfte die Grundlage zu seinem künftigen Verderben zu legen. Bisher ist zwar nur erst der Anfang gemacht, indem die vornehmeren und angesehneren Handwerker Gesellschaften bitten, die ganz auf den Fuß eingerichtet sind, als die der Standespersonen, und ihnen auch an Eleganz, Zahl der Speisen und Getränke gleich kommen, nur dass sie verhältnismäßig dabei noch weiter gehen: aber wahrscheinlich werden sie bald ihre Nachfolger finden; denn niemand will gern dem anderen nachstehen, und sich seinen Abstand vorwerfen lassen. Dies wird indessen, wenn mich meine Vermutung nicht trügt, den Ruin mancher Familie unausbleiblich zur Folge haben, und die nachteiligen Folgen des immer mehr einreißenden Luxus auf eine nicht erfreuliche Art vor Augen legen.
Der größte Teil der Gesellschaft versammelt sich um fünf Uhr in dem Hause des spendenden Wirtes; unterhält sich, wie gewöhnlich, vom Wetter und von Stadtneuigkeiten. Ist die Anzahl der Gäste groß genug, um die Spielpartien zu arrangieren: so bricht man bald die Unterhaltung ab, und eilt zum Spiel. Ehedem galt nur das l’Hombre allein; jetzt zieht man das Whist und andere neue Kartenspiele vor. Sehr viele, die den ganzen Tag vielleicht ihr Zimmer, wenigstens ihre Wohnung, nicht verlassen hatten, sitzen nun wieder drei bis vier Stunden am Spieltische, und lassen so manchen Tag vorübergehen, ohne der frischen Luft zu genießen. In den traurigen Novembertagen möchte sich dies allenfalls noch entschuldigen lassen: aber wenn man auch in der schönsten, hier leider so kurzen, Jahreszeit das Spiel jedem andern reinem Vergnügen in der offenen Natur vorzieht; so kann ein unparteiischer Beobachter das unmöglich gut heißen. In manchen Fällen scheint man diesen Fehler dadurch verbessern zu wollen, dass man an einem schönen Sommerabend den Spieltisch in einem Garten, oder überhaupt im Freien aufschlägt: aber welcher Spieler kann wohl bei dieser Beschäftigung die Schönheiten der Natur empfinden? Die häufig sich um diese Zeit erhebenden kühlen Winde, auch wohl die Feuchtigkeit der Erde, können überdem einem nicht recht festen Körper bei dem Stillsitzen während des Spiels unmöglich sehr zuträglich sein. Man spielt gewöhnlich mit vielem Interesse, und ziemlich hoch: der Eifer beim Spiel verdrängt daher nicht selten alle andere Rücksichten; man achtet nicht auf seine übrigen Empfindungen, und schadet durch diese Zerstreuung dann seiner Gesundheit. Aber auch das Spiel der Affekten, das man oft nur zu sehr erregt sieht, die leidenschaftliche Begierde, mit der man sich an den Spieltisch setzt, die Freude über den Gewinn, der verbissene Ärger über den erlittenen Verlust, dieses alles muss beim Spiel, man mag es nun im Zimmer, oder im Freien treiben, auf den Körper größtenteils einen sehr positiven Nachteil äußern; und dann das ewige Sitzen, das Anstrengen der Augen beim Lichte, welches den Spielern besonders für ein so zartes Organ eine nicht genug zu fürchtende Gefahr zu drohen scheint. Wer sollte das alles für gleichgültig und unbedeutend halten können? Indessen die Ärzte und Diätetiker haben alle diese nachteiligen Folgen schon oft genug gerügt; aber dennoch fesselt das Spiel durch einen geheimen Zauber seine Verehrer so sehr, dass sie, taub und blind gegen alle Vorstellungen und Gründe, nur allein Sinn für ein Vergnügen haben, das ihnen oft, aber zu spät, in physischer, ökonomischer und moralischer Hinsicht so teuer zu stehen kommt.
Bei uns ist das Spiel so allgemein eingeführt, dass man in gesellschaftlichen Zirkeln hierauf vorzüglich Rücksicht nimmt, und die Karten zu dem wichtigsten Gegenstande der Unterhaltung wählt. Männer und Frauen sieht man gemischt unter einander dem Merkur ihre Opfer bringen, und selbst Jünglinge und junge Mädchen schließt man von dieser so sehr geschätzten Ergötzlichkeit nicht aus. Ja sogar Kindern räumt man mit zuvorkommender Bereitwilligkeit eigene Spieltische ein, an denen sie Gelegenheit finden, ihre Talente zu zeigen; und mit Bedauern sah ich bisweilen, wie Eltern sich so herzlich über die Geschicklichkeit ihrer Kinder freuten, die in allen übrigen Kenntnissen vielleicht weiter zurück waren, als in der Kunst des Kartenspiels. Dieser eingewurzelte Hang zum Kartenspiel verdirbt alle unsere Gesellschaften. Wer es so mit Kunst und Eifer treibt, wie man es hier allgemein findet, kann unmöglich während der Zeit sich in unterhaltende Gespräche einlassen; die ganze Gesellschaft sitzt in den mit Spieltischen angefüllten Zimmern auch gewöhnlich so ruhig und stumm, dass ein müßiger Zuschauer sich fürchtet, seinen Mund zu öffnen. Wer daher diesem Vergnügen keinen Geschmack abgewinnen kann, muss sich überwiegend mit der schrecklichsten Langeweile plagen; weil er nur selten jemanden findet, mit dem er ein Gespräch anknüpfen kann. Mancher entschließt sich daher auch wohl zur Erlernung dieser Modetorheit, um nicht eine so überflüssige Rolle zu spielen; und wer dies nicht will, tut am besten, wenn er erst gegen die Zeit des zu Ende gehenden Spiels in der Gesellschaft erscheint.
So sehr also alle gesellschaftliche Konversation, die doch billig einem so stummen Vergnügen mit Recht vorgezogen werden sollte, in unseren Zusammenkünften stockt; so wenig findet man auch nur eine Spur von jenen unterhaltenden Gesellschaftsspielen, womit doch wenigstens die Jugend sich die Zeit vertreiben, und in Frohsinn und Munterkeit ihren Abend zubringen könnte. Vor etwa 10 Jahren sah man so etwas noch zwischen durch: aber seit der Zeit hat sich Rostock in diesem Stücke so geändert, dass man an dergleichen gar nicht mehr denkt; ob uns gleich von allen Seiten solche Gesellschaftsspiele in Almanachen und Broschüren angekündigt, und selbst zum Verkauf genug angeboten werden. Möchte man doch einmal wieder anfangen, Jünglinge, Mädchen und Kinder auf diese eben so unterhaltende, als oftmals lehrreiche Art in den Gesellschaften zu beschäftigen, wo sie nun beinahe allen Frohsinn, selbst die Sprache verlieren, und weder für ihren Geist, noch für ihren Körper irgend einen Gewinn finden. So lange indessen die Eltern selbst in dem Kartenspiel noch ihre höchste Glückseligkeit suchen, wird dies wahrscheinlich ein frommer Wunsch bleiben, dessen Realisierung ihnen bei dem jährlich abgehenden Verlust von Mitspielern die größte Besorgnis für die Zukunft erregen würde.
Da ich doch einmal vom Kartenspiel rede: will ich noch etwas über die Hazardspiele sagen, die bei uns seit einigen Jahren sehr kultiviert werden. Sie sind zwar verboten; aber nichts, desto weniger werden sie während der Messe, in den Antoni- und Trinitatis-Terminen, zur Zeit der hiesigen Jahrmärkte, und bei anderen Veranlassungen geduldet. Man begnügt sich dann aber nicht mit einer Farobank, sondern man findet deren sodann gewöhnlich 6, 8, 12, für alle Stände und Klassen, so dass Herren, Bediente und Kutscher, Handwerker und Liebhaber aus allen Ständen ihr Geld anbringen können, welches denn auch gewöhnlich geschieht. Die schon angeführten Nachteile des Kartenspiels treffen dieses noch um so mehr; da hier auch der Verlust bei weitem größer ist, und das Spiel weit länger, oft ganze Nächte hindurch, fortgesetzt wird. Da diejenigen, welche die Bank halten, überwiegend den größten Gewinn davon tragen, und sich zum Teil bereichern: so haben mehrere Gesellschaften sich seit einiger Zeit zur Übernahme von Farobanken verbunden, die denn jede sich ihnen darbietende Gelegenheit öffentlich und insgeheim zur Vergrößerung ihrer Kassen benutzen, um davon nachher desto reichlicher leben zu können.
Hat man nun aber in den gewöhnlichen Gesellschaften drei oder vier Stunden am Spieltisch getötet: so ist die Anfüllung des Magens der nächste Zweck, den man zu befriedigen sucht. Kaum hat man den Spieltisch verlassen: so rangiert sich alles zum Essen, wo man Anfangs noch die Unterhaltung über den Gang des Spiels, über die gemachten Fehler oder Hauptstreiche fortsetzt, auch, wohl andere Gespräche über die neuesten Vorfälle anknüpft, hauptsächlich aber doch darauf bedacht ist, den eigentlichen Zweck, um dessentwillen man sich zu Tisch gesetzt hat, zu erfüllen. Bei der gewöhnlich mäßigen Anzahl von Speisen bedarf man dazu keiner sehr langen Zeit, und mehren teils eilt man noch so sehr, dass man nach einer oder anderthalb Stunden sich schon wieder erhebt. Dann geht gewöhnlich die ganze Gesellschaft sogleich auseinander, und jeder freuet sich, wenn er keine Ursache hat, seinen Verlust im Spiel zu bereuen, dass er den Abend so angenehm zugebracht hat.
Man wird mich vielleicht auslachen, wenn ich hier die Frage aufwerfe: wie man eine so geschmacklose Unterhaltung ein Vergnügen nennen kann. Aber ich kann es nicht unterlassen, sie doch wenigstens allen meinen Mitbürgern vorzulegen. Eine förmliche Beantwortung derselben würde mich auf eine Materie führen, die ich noch in der Folge wenigstens berühren muss. Ich breche daher hier ab, um nur noch ein paar Worte über, den diätetischen Gewinn, den wir aus unsern Gesellschaften ziehen können, beizufügen. Dieser ist aber so negativ, dass ich in dieser Rücksicht gewiss kein Lobredner unserer gewöhnlichen Gesellschaften sein werde. Sitzen und Spielen, und Sitzen und Essen, dies ist die Angel, um welche sich unsere Zusammenkünfte drehen. Was bei einer im Ganzen untätigen Lebensart hieraus entspringen kann, ist von der Beschaffenheit, dass ein Hypochondrist schon allein davon den Tod nehmen könnte. Ich schweige daher, und mache einem jeden, der sich zu dieser Klasse zählt, darauf aufmerksam, dass ich noch in dem sechsten Kapitel etwas hierüber sagen werde.
Obgleich die hiesigen Gesellschaften dem zufolge, was ich bisher darüber gesagt habe, eben keine große Abwechslung gewähren: so scheint man sie selbst doch nicht so einförmig und langweilig zu finden, als sie es im Ganzen mit geringen Ausnahmen sind. Man ist mit der Unterhaltung, die das Spiel und die Mahlzeit erlauben, zufrieden, und fühlt sich sehr glücklich in dem Zirkel seiner Verwandten und Freunde. Außerdem haben in den Abendstunden die wenigsten bestimmte, und noch weniger dringende Geschäfte; man würde folglich zu Hause Langeweile haben, und geht dafür lieber in eine Gesellschaft, wo man doch zwei wichtige Bedürfnisse befriedigen kann. Ich glaube, dass dieses im Ganzen die triftigsten Gründe sind, die man für unsere zahlreichen Wintergesellschaften anführen kann; von welchen ich noch anmerken muss, dass sie bei den ansehnlichen Familien-Verbindungen und Verwandtschaften, die Rostock mit so manchen Reichsstädten gemein hat, überwiegend auch sehr groß, obgleich in dem Verhältnis doch jetzt nicht mehr so steif und genierend sind, als sie es ehedem waren. Oft übertreiben sogar die Herren dieses ungenierte Wesen und setzen dabei alle dem schönen Geschlecht schuldige Delikatesse an die Seite; wenn sie mit ihren brennenden Tabakpfeifen (einer sehr allgemeinen Liebhaberei der hiesigen Einwohner) sich in die Zirkel der Damen mischen, und auch in den feinsten Gesellschaften nicht ohne Stiefeln erscheinen mögen.
Außer den gewöhnlichen Veranlassungen gibt es aber auch noch manche andere, die man nicht gern vorüber gehen lässt, oft bei den Haaren herbeizieht, und, wo man nur kann, benutzt, um nur ja nicht viel zu Hause zu sein, und die langen Winterabende nicht so ganz ungenutzt vorbei gehen zu lassen. Man wird es daher gewiss nicht unwahrscheinlich finden, dass in dieser Jahreszeit bei uns fast täglich Gesellschaften angestellt werden. Die Freunde derselben wissen ihre Einrichtung auch immer so zu treffen, dass sie nur selten einen unbesetzten Abend haben. Die ungewöhnlichen Veranlassungen zum Schmausen findet man aber auf folgende Art. Ein fremder Kaufmann kommt in Geschäften nach Rostock; man bittet daher eine Gesellschaft zusammen, um ihm Unterhaltung zu verschaffen; die einzelnen gebetenen Familien revangieren sich, und so sind gleich mehrere Tage besetzt. Oder man feiert einen Geburtstag, oder ein Verlobungsschmaus zieht eine Menge von nachfolgenden Schmäusen aus ihrem Nichts hervor, die denn in der Regel noch glänzender sind, als die gewöhnlichen. In der Fastenzeit gibt man die sogenannten Fastnachtsschmäuse, die überwiegend schon des Mittags anfangen, und dennoch bis zu der sonst gewöhnlichen Stunde fortdauern, von denen daher ein jeder für zwei zu rechnen ist. Außerdem sind die Mittagsgesellschaften nur sehr selten, ob man ihnen gleich ehedem den Vorzug gegeben haben soll; und nur bei sehr wichtigen Gelegenheiten, z. B. bei den Wahlen der Bürgermeister und Ratsherren, bei den Quartalsversammlungen der hiesigen Sozietät u. s. w., pflegt man sie noch beizubehalten.
Noch gibt es gewisse jährlich bestimmte Schmäuse, wie unter anderen die Wasser- und Quartier-Schmäuse, an denen nur die Männer Teil nehmen; und außerdem werden auch hin und wieder ähnliche Mannsgesellschaften veranstaltet, in welchen man denn gewöhnlich recht tapfer zu trinken pflegt. Endlich kommen die Männer allein bisweilen in den hiesigen Klubs, oder in andern öffentlichen Häusern zusammen, um gemeinschaftlich zu spielen, zu essen und zu trinken; allein wegen der großen Familienverbindungen, und weil ein jedes irgend bedeutendes Haus auch wenigstens ein großes Zimmer zur Aufnahme von Freunden haben muss, sind die Versammlungen in den öffentlichen Häusern nur selten.
Das schöne Geschlecht muss zwar den Männern ihre Absonderung gestatten, ohne sich selbst wieder in eigenen Gesellschaften von ihnen trennen zu können; indessen hat man doch schon seit einigen Jahren den Versuch gemacht. Sollte man es aber wohl glauben, dass das Spiel dazu die Veranlassung gegeben hat? Diese Damengesellschaften führen zwar nur den Namen der Tee-Assembleen, aber es sind wahre Thées jouante. Eine Anzahl von Häusern hat sich dazu engagiert, wöchentlich, einmal das ganze Jahr hindurch sich des Nachmittags um 4 Uhr der Reihe nach zu versammeln, einen Tee einzunehmen, und dann bis 8 Uhr und länger ihre Spielpartien zu machen. Es sind aber keine völlig geschlossenen Gesellschaften, sondern man bittet noch gewöhnlich viele andere Frauenzimmer dazu. Auch haben nicht bloß verheiratete Frauen den Zutritt, sondern die unverheirateten Mädchen, und selbst Kinder nehmen daran ebenfalls Teil. Ich muss es einem Jeden überlassen, den Wert dieser weiblichen Spielgesellschaften zu beurteilen; mir schienen sie nur zu wichtig, als dass ich sie hätte mit Stillschweigen übergehen können. So viel glaube ich übrigens ergibt sich aus allen den zahlreichen und mancherlei Arten von Gesellschaften, dass sie mehr aufs Spiel und Schmausen, als auf wahre Unterhaltung berechnet sind.
Ich habe mich zwar schon lange genug bei diesem Gegenstande aufgehalten, den ich nicht so kurz abfertigen zu können glaubte; weil er nicht nur ein allgemeines Interesse findet, sondern auch wirklich für die Charakteristik der hiesigen Einwohner in mehr als einer Hinsicht sehr wichtig ist: indessen kann ich ihn nicht verlassen, ohne etwas von der Nachahmungssucht des Mittelstandes auch in dieser Beziehung zu sagen. Dieser an sich respektable Stand scheint sich den Vornehmeren immer mehr gleich stellen zu wollen, und fängt daher auch schon an, durch ähnliche Zusammenkünfte die Grundlage zu seinem künftigen Verderben zu legen. Bisher ist zwar nur erst der Anfang gemacht, indem die vornehmeren und angesehneren Handwerker Gesellschaften bitten, die ganz auf den Fuß eingerichtet sind, als die der Standespersonen, und ihnen auch an Eleganz, Zahl der Speisen und Getränke gleich kommen, nur dass sie verhältnismäßig dabei noch weiter gehen: aber wahrscheinlich werden sie bald ihre Nachfolger finden; denn niemand will gern dem anderen nachstehen, und sich seinen Abstand vorwerfen lassen. Dies wird indessen, wenn mich meine Vermutung nicht trügt, den Ruin mancher Familie unausbleiblich zur Folge haben, und die nachteiligen Folgen des immer mehr einreißenden Luxus auf eine nicht erfreuliche Art vor Augen legen.