Zweiundzwanzigstes Kapitel. - Reise durchs zweite Tal – Wassermangel – Aussicht auf das Aquarius-Gebirge – Lager an der Wallpay-Quelle – Der gesellige Verkehr mit den Führern – Der Ruhetag – Die erste Antilope – Die beiden Wallpays – Aufbruch von der Quelle – Die Hochebene – Music Mountains – Der Wallpay-Führer – Niedersteigen in die Wallpay-Schlucht – Lager in derselben – Warme Quelle – Aussicht in die Felsenschlucht – Besuch der Wallpays – Reise abwärts in der Wallpay-Schlucht – Die prachtvollen Felsformationen – Die Eingeborenen in der Schlucht – Der schwierige Weg – Ankunft am Diamond Creek.

Das ungünstige Wetter, das uns während des größten Teils des Tages in den Zelten festgehalten hatte, legt sich endlich in den Nachmittagsstunden, die Wolken rissen auseinander, und träge um die Kuppen der Berge herumlagernd oder schwerfällig über dem beschneiten Tal niederhängend, ließen sie hin und wieder ein kleines Stückchen des schönen blauen Himmels durchblicken. Es war noch immer kalt, doch lud die erfrischte Atmosphäre zur Bewegung im Freien ein, und doppelt gern würden wir einer solchen Einladung Folge geleistet haben, wenn nicht der schlammige, schnell schmelzende Schnee in solchem Widerspruch mit unserem schadhaften Schuhzeug gestanden hätte. Wir beschränkten uns daher darauf, ein kleines Scheibenschießen mit Büchsen und Revolvern zu eröffnen, und ich weiß jetzt kaum zu sagen, worüber ich mehr Freude empfand – ob nun über einzelne der meisterhaften Schüsse oder über das Echo, das auf jeden Knall in dröhnender Weise ringsum antwortete.

Als es zu dunkeln begann, war der Schnee bis auf kleine Anhäufungen in den Winkeln schon wieder verschwunden, und mit Freude gewahrten wir, daß Tropfen auf Tropfen von dem schwarzen Gestein niederrann. In unserer Hoffnung, am folgenden Morgen das kleine Felsenbassin mit Schnee- und Regenwasser gefüllt zu sehen, fanden wir uns aber getäuscht, denn die spärlich niederrieselnde Feuchtigkeit war schon unterwegs von den Ritzen und Spalten in dem porösen Gestein aufgesogen und der Vorrat der Quelle daher nur um ein geringes vermehrt worden. Er reichte indessen so weit, daß jedem Tier ein halber Eimer des trüben, übelschmeckenden Wassers verabreicht werden konnte, und etwas erfrischt durch dieses sowie auch durch die Ruhe, traten wir am 29. März unsere Weiterreise an.


Es war ein klarer, schöner Morgen; der Schnee hatte der wärmeren Atmosphäre vollständig weichen müssen, und nur die Höhen der Gebirge schimmerten noch teilweise in der von der Morgensonne glänzend beleuchteten, weißen Hülle. Wir erreichten bald den Rand des Tals, und um eine vorspringende Hügelkette herumreitend, hatten wir wieder einen der Märsche vor uns, die so sehr ermüden, weil man das Ziel ständig vor Augen hat, durch die Bodengestaltung aber so leicht über die eigentliche Entfernung getäuscht wird. Wir schlugen auf Iretébas Rat die nordwestliche Richtung durch das Tal ein, die uns an das nördliche Ende einer kurzen, etwa fünfzehn Meilen langen Bergkette bringen mußte. Diese Bergkette lief parallel mit allen übrigen, das heißt von Norden nach Süden, und den schwierigeren Weg über diese hinweg vermeidend, suchten wir durch Umgehung uns dem darunterliegenden, bedeutenderen Gebirgszug zu nähern.

Höher stieg die Sonne, und mit angenehmer Wärme trafen uns ihre Strahlen, als wir durch die tiefer gelegene Mitte des beckenförmigen Tals ritten; alles ringsum war öde, wüst und leer, abgestorbene Kräuter und Pflanzen bedeckten spärlich den tennenähnlichen Boden, und selten zeigte sich auf diesem der Abdruck der scharfen Nägel eines Wolfs oder eines Hasen. Nur die Mirage versuchte mit ihren Trugbildern die tote Einsamkeit zu beleben, indem sie uns bald wellenschlagende Wasserspiegel vorführte, bald die fernen Gebirge scheinbar in die wunderlichsten Formen zusammenknetete oder ausreckte.

Gegen Mittag kamen wir am Rande eines umfangreichen Seebettes vorüber; dieses war trocken wie seine Umgebung, und nur an der Färbung des Bodens und der stärkeren, aber ebenfalls abgestorbenen Vegetation vermochten wir die Wasserlinien weithin zu unterscheiden. Zur späten Nachmittagsstunde erreichten wir endlich die Basis des nördlichsten Punktes des kurzen Bergrückens; unsere Straße lief dort wieder mit Beales Spuren zusammen, und diesen folgend, gelangten wir, stark ansteigend, um die Bergkette herum und zugleich auf den westlichen Abhang derselben.

Als wir so in Beales Straße dahinzogen und vergeblich nach Merkmalen ausschauten, die uns die Nähe von Wasser verkündet hätten, verließ Iretéba die Spitze des Zuges, und sich uns nähernd, erklärte er durch leicht verständliche Zeichen, daß er nicht Lust habe, die Expedition in einer Richtung weiterzuführen, in der kein Wasser zu finden sei. Dafür wies er aber mit der Hand nach der östlichen Gebirgskette hinüber und gab zu verstehen, daß dort reichlich Wasser für uns und unsere Tiere vorhanden sei. Weitere Fragen und Erläuterungen ergaben, daß dasselbe aber noch gegen zwölf Meilen entfernt sei, und da wir schon fünfzehn Meilen zurückgelegt hatten und die leidenden Tiere sehr angegriffen schienen, so beschloß Lieutenant Ives auf Peacocks Rat, da, wo wir uns gerade befanden, die Nacht zuzubringen, und dann am folgenden Morgen mit dem Frühesten zu satteln und der Quelle zuzueilen. Für den Wasserbedarf der Menschen hatten wir gesorgt, indem wir stets einige mit Wasser gefüllte Fäßchen bei uns führten, doch für unsere Tiere gab es nichts, womit sie sich hätten laben können. Zum Glück wucherte in der Nähe nahrhaftes Gras im Überfluß, und dorthin wurde die Herde getrieben; doch war deren Durst zu überwiegend, als daß ihr die gute Weide von großem Vorteil hätte sein können.

Nachdem die Lagerordnung hergestellt war, wurde ein Teil der Mexikaner ins Gebirge entsandt, um dort nach verborgenen Quellen oder in den Vertiefungen der Felsen zurückgebliebenem Schneewasser zu forschen. Auch Dr. Newberry, Egloffstein und ich beteiligten uns an dieser Aufgabe, wobei wir aber natürlich unsere entsprechenden Arbeiten mit im Auge behielten; denn während Egloffstein mit seinen Karten mühsam nach einer steilen Felsenkette hinaufkletterte, von wo aus er einen Überblick über eine umfangreiche Landschaft gewann, begab ich mich in der Gesellschaft des Doktors in eine Schlucht und gelangte in dieser bald tief ins Gebirge.

Längere Zeit folgte ich den frischen Spuren einer wilden Katze, doch diese Jagd als fruchtlos erkennend, kletterte ich gemeinsam mit dem Doktor an den Felsenabhängen umher, wo es bald eine krause Zeder, bald eine schöne Tanne, bald malerisch übereinanderliegende Felsmassen, welche teils Trapp-, teils Granitformation zeigten, zu bewundern gab. In den Wasserrinnen entdeckten wir vielfach feinen, schwarzen Sand, der uns lebhaft an ähnlichen Sand in Kalifornien erinnerte, in dessen Nähe die Goldgräber gewöhnlich nicht vergebens nach dem edlen Metall suchen.

Unsere Wanderung brachte uns allmählich nach der Höhe hinauf; es war kurz vor Sonnenuntergang, als wir dort anlangten, und der Anblick eines herrlichen, weiten Panoramas in der schönsten Beleuchtung belohnte uns für die Mühe des beschwerlichen Steigens. Wir standen auf dem Gipfel des nördlichsten Berges, und es hinderte also nichts die Aussicht auf die sanft ansteigende Ebene, die weit im Norden von blauen Gebirgszügen begrenzt war, deren anmutige Linien auf malerische Weise das Einförmige der ausgedehnten Fläche unterbrachen.

Nur kurze Zeit weilten unsere Blicke auf dem westlichen Gebirgszug, dessen Fuß wir am Morgen erst verlassen hatten, desto länger aber betrachteten wir das östliche Gebirge, das sich, so weit das Auge reichte, von Norden nach Süden erstreckte und durch das zunächst unser Weg führen sollte. Dieses Gebirge erschien wie ein zerklüftetes Plateau, und da wir fast in gleicher Höhe mit ihm waren, vermochten wir tief in die mit Zedern und Tannen bewaldeten Schluchten hineinzublicken, die gleichsam den Übergang von den Talgründen zum Hochland bildeten. Ein schmales Tal, in dem das gewundene Bett eines Bachs deutlich erkennbar war, wand sich zwischen den beiden Gebirgszügen gegen Süden, und dessen Charakter bestärkte mich in dem Glauben, daß ich mich auf einem der Joche des Cerbat-Gebirges befinde, die Aquarius-Bergkette vor mir liege, ein Arm des Big Sandy sich tief unter mir der Bill Williams Fork zuschlängle und der Kaktuspaß in nicht allzugroßer Entfernung südlich von jenem Punkt liegen müsse.

Wir kehrten ins Lager zurück; auch die ausgesandten Mexikaner stellten sich einer nach dem anderen wieder ein, doch war kein einziger so glücklich gewesen, auch nur soviel Wasser zu finden, als nötig gewesen wäre, um ein einziges Maultier zu tränken. Nachdem wir uns deshalb zu einem frühen Aufbruch vorbereitet hatten, begaben wir uns sehr bald zur Ruhe.

Als die Sonne am 29. März den Aquariusbergen entstieg, wanderten unsere Tiere schon gesattelt im Lager umher, und bald darauf ritten wir in südöstlicher Richtung in das lange Tal hinab.

Die Unebenheiten des Bodens, die sich der Niederung zu vergrößerten, zwangen uns, am Abhang der Berge unseren Weg zu verfolgen, und erst nach Zurücklegung von einigen Meilen gelangten wir an das trockene Bett des Bachs, der das Tal in zwei Hälften teilte. Hier nun überzeugte ich mich leicht, daß das sich dort zeitweise ansammelnde Wasser nicht, wie ich am vorhergehenden Tag von den Höhen aus vermutete, südlich abfloß, sondern in entgegengesetzter Richtung sich dem obenerwähnten See zugesellte.

Dieser Umstand rief einige Zweifel bei mir hervor, ob wir wirklich die Aquariusberge vor uns hätten; als ich aber an dem ausgetrockneten Bach hinaufritt, gewahrte ich bald, daß das Tal durch eine Wasserscheide getrennt war und daß in geringer Entfernung von dem Punkt, wo die Schluchten sich zu einer Wasserrinne vereinigten, die sich gegen Norden senkte, ein zweites Bett auf gleiche Weise entstanden war, dessen Richtung entgegengesetzt verlief. Jetzt erst glaubte ich mich für überzeugt halten zu dürfen, daß wir uns nur eine oder zwei Tagesreisen nördlich vom Kaktuspaß befanden.

Wir blieben ungefähr sechs Meilen in dem Tal, das trotz der anmutigen Abwechslung von Felsen, Hügeln, Niederungen und den diese durchfurchenden Wasserrinnen in Wirklichkeit nur einer öden Wüste glich, und bogen dann in eine breite, talähnliche Schlucht, die in östlicher Richtung einen Paß durch das Gebirge zu bieten schien. Dichte Gruppen von Weidengebüschen und vereinzelte grünende Cottonwood-Bäume bezeichneten hier einen zeitweise wasserreichen Bach, doch blieben unsere Forschungen nach zurückgebliebenen Lachen oder Pfützen erfolglos, und Meile auf Meile schleppten wir uns mit unseren durstigen Tieren in der wilden Schlucht weiter, in die kein kühlendes Lüftchen seinen Weg fand, wohl aber die Sonnenstrahlen mit ihrer versengenden Glut.

Seit dem frühesten Morgen hatte ich unter den Felsmassen, die uns von allen Seiten umgaben, abwechselnd Granit und Trapp beobachtet; hier in diesem Paß aber schienen beide Formationen streng voneinander geschieden zu sein, denn links von uns erhoben sich mächtige Granitwände, während auf der anderen Seite Trapp und Basalt sich hoch aufeinander türmten. Bei unserem weiteren Fortschreiten nahmen die massiven Felsmassen mehr den Charakter von Hügeln verwitterten Gerölls an, und dichter bedeckten verkrüppelte, aber frisch grüne Zedern deren Höhen.

Zwölf Meilen waren geritten, als wir in dem nördlichen Winkel eines kleinen Tals die gesuchte Quelle entdeckten, die in starkem Strahl zwischen Granitblöcken hervorsprudelte. Diese floß als kleiner Bach bis in die Mitte der Niederung, wo sie im losen Boden versank; zwischen den Felsen dagegen bildete sie ein tiefes Bassin, und wir beschlossen in der Nähe desselben unser Lager aufzuschlagen. Schon auf der letzten Meile hatten die Tiere die Nähe des Wassers gewittert und ihre Schritte beschleunigt, als sie aber den Bach erblickten, war an kein Zurückhalten mehr zu denken; mit einer Leichtigkeit, als ob sie von ihren Lasten befreit gewesen wären, stürzten sie zum Wasser, und zum erstenmal seit vier Tagen tranken sie, ohne daß ihnen die kärgliche Labung zugemessen wäre oder daß man sie von dieser ganz zurückgescheucht hätte. Ebenso lange hatte aber auch niemand von uns das verstaubte Gesicht und die Hände mit erfrischendem Wasser benetzen oder reinigen können, und wie bei unserer Ankunft die Tiere dichtgedrängt am Bach standen, so bildeten sich, nachdem jeder im Lager sich häuslich eingerichtet hatte, vor der Quelle in gleicher Weise Gruppen von Menschen, die gar nicht müde wurden, sich gegenseitig ganze Eimer voll Wasser über Kopf und Körper zu gießen. Andere legten sich vor der Quelle nieder, um von dem prachtvollen, kühlen Trank zu schlürfen und danach von neuem mit Baden und Waschen zu beginnen, oder sie tauchten die Kleidungsstücke, die nicht augenblicklich in Gebrauch waren, in den rieselnden Bach, breiteten sie dann zum Trocknen in der Sonne aus und nannten ein solches Verfahren hinterher »große Wäsche halten«.

Wer in seinem Leben noch niemals die köstlichste aller göttlichen Gaben entbehrte, wer noch nie die Qualen eines anhaltenden Durstes erduldete und durch Trockenheit der Zunge und des Gaumens die Sprache verlor, wer noch nie diese Leiden an seinen Mitmenschen und an Tieren beobachtete, ohne helfend einschreiten zu können, der vermag es nicht zu fassen, was die Natur ihren Geschöpfen in diesem Element darreichte. Leute, die an ein Leben des Überflusses gewöhnt sind, ja Leute, die ihren Nebenmenschen als Lehrer und Vorbild dienen sollen, heften ihre Blicke auf den mit Wein und Leckerbissen beladenen Tisch und ergehen sich in frommen Dankesworten für die schönen, süßen Gaben, ohne dabei des Wassers zu gedenken. Diese sogenannten Heiden aber in Afrikas Steppen, wenn sie halb verschmachtet vor der rettenden Quelle niedersinken, richten ihre Blicke gegen Osten, und ehe sie die bebende, halbverdorrte Lippe ins Wasser tauchen, murmeln sie mit heiserer Stimme und andächtigem Herzen: »Gott ist groß!« Wie ich jetzt unsere Ankunft bei der Quelle beschreibe, tritt mir deutlich alles vor die Seele, was ich damals beim Anblick des kristallklaren Wassers empfand. Die Not hatte freilich ihren höchsten Gipfel noch nicht erreicht, doch die Freude und die Dankbarkeit, mit der wir die Quelle begrüßten, waren groß, und es mag dies als Entschuldigung dafür hingenommen werden, daß ich so lange bei der Beschreibung von Umständen verweile, deren Erwähnung von vielen – und vielleicht mit Recht – als überflüssig und ermüdend getadelt wird.

Obgleich das Wasser der Quelle in geringer Entfernung versank, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß dasselbe auf unterirdischem Weg die Richtung nach Bill Williams Fork einschlug, also in keiner Beziehung zum Yampai-Bach stand, der sich in den Colorado Chiquito, also in entgegengesetzter Richtung, ergießt. Das Felsenbassin, das ich oben erwähnte, war übrigens nur ein natürliches Reservoir, das sich am Fuße einer Abstufung im Gestein befand und das weiter oberhalb entspringende Wasser aufnahm. Oberhalb der Abstufung befand sich das vielfach gewundene Bett eines Bachs, das ebenfalls nur auf einer kurzen Strecke Wasser hielt und seinen Überfluß hinab in das Felsenbecken sandte.

Ich nehme also an, daß jene Quelle die Fortsetzung eines höhergelegenen Bachs ist, der aber nur in nassen Jahreszeiten sein Bett ausfüllt, bei anhaltender Dürre dagegen langsam unter der Oberfläche des Bodens fortrieselt und nur da zutage tritt, wo Felsen seinen unterirdischen Lauf hemmen. Selbst die schwachen Adern, die sichtbar den Spalten der Granitfelsen entsprangen, halte ich für Wasser desselben Bachs, das sich in das geborstene Gestein hineindrängte und dann auf der anderen Seite einen Ausweg suchte.

Der Abend fand uns in gemütlicher Unterhaltung mit den Indianern, mit denen wir uns immer besser verständigen lernten. Iretéba äußerte die Absicht, von dort aus wieder nach seinem heimatlichen Tal zurückzukehren, und es erforderte einige Überredung von unserer Seite, ihn in seinem Entschluß wankend zu machen. Es war diesmal mehr Anhänglichkeit von ihm als Aussicht auf erhöhten Lohn, was ihn dazu veranlaßte, unseren Wünschen nachzugeben. Mit seinen beiden Mohave-Gefährten und mit dem Yuma dagegen stand es anders; die drei ausgelassenen Burschen schienen nämlich für weiter nichts als für Tabak Sinn zu haben, und wenn Iretéba es gestattet hätte, würden sie für solchen mit uns bis ans Ende der Welt gereist sein. Sie waren ebenfalls beliebt bei der ganzen Expedition, und da wurde es ihnen denn nicht schwer, sich von jedem einzelnen Mitglied fast täglich etwas Tabak zu erbitten oder für kleine Dienstleistungen zahlen zu lassen. Sie waren mit allem zufrieden, selbst ein Stückchen, so groß wie eine Erbse, verschmähten sie nicht, und da sie ihren Vorrat stets verheimlichten, dabei aber vorzogen, ihn zusammenzuhalten und dafür mitunter einige Züge aus unsern Pfeifen zu tun, so gelangten sie allmählich auf systematische Weise in Besitz von mehr Tabak, als irgendeiner von uns noch übrigbehalten hatte. Erst am Tag ihres Abschieds zeigten sie uns jubelnd und triumphierend ihre Schätze, wohl wissend, daß es niemandem einfallen würde, sie auch nur um ihren mit Mühe zusammengebettelten Reichtum zu beneiden.

Seit unserer Abreise vom Colorado war übrigens eine bedeutende Veränderung in dem Äußeren unserer braunen Freunde vorgegangen. Als vollständig unbekleidete Krieger hatten sie ihre Heimat verlassen, und jetzt prangten alle mehr oder minder in Kleidungsstücken, die ihnen von dem einen oder dem anderen der Expedition geschenkt worden waren. Die schönen, regelmäßigen Gestalten verloren natürlich in einem Schmuck, der nicht nach den Regeln der Zivilisation, sondern nach indianischem Geschmack verwendet war, und komisch-steif und gezwungen erschienen die Bewegungen der sonst so gelenken, wohlgeformten Glieder. In den meisten Fällen waren ihnen die Kleidungsstücke zu eng und zu kurz, und es bedurfte vielfach des Auftrennens von Nähten, ehe ein Rock auf dem breiten Rücken passen wollte. Übrigens nahmen es die harmlosen Burschen nicht so sehr genau mit dem Anzug, und ich erblickte sogar einmal die Arme und einen Teil des Oberkörpers in einer Hülle, die ursprünglich für die Beine bestimmt war.

So eigentümlich verunstaltet unsere Führer auch erschienen, so blieben ihre offenen, fröhlichen und gutmütigen Gesichter doch unverändert, und diese Leute zeichneten sich durch eine Gefälligkeit und Dienstfertigkeit aus, die man nur zu oft an der weißen Bevölkerung vermißt. Wenn wir z. B. an Ruhetagen Ausflüge in die nahen Gebirge zu unternehmen beabsichtigten und zu diesem Zweck Begleitung wünschten, so waren unsere Indianer stets auf den ersten Wink bereit, sich jedem von uns anzuschließen und unverdrossen mit ihren nackten Füßen den Tag über zwischen scharfem Gestein und Dornen umherzusteigen. Doch auch im Lager wußten sie sich nützlich zu machen; sie schleppten Holz und Wasser herbei, und zwar nicht allein für unsere beiden Köche, sondern auch für die Soldaten und Mexikaner arbeiteten sie, und an jedem Feuer und unter jeder Gesellschaft schienen sie sich gleich heimisch zu fühlen; überall wurde ihnen Speise im Überfluß gereicht, und nie richteten sie vergebens das Wort »smoke« an jemanden, der das brennende Tonpfeifchen zwischen den Zähnen hielt. Diese Indianer, die erst in den letzten Jahren, während ihres mehrfachen Verkehrs mit den Weißen, einen Begriff vom Tabakrauchen erhalten hatten, schienen durchaus nicht der Wirkung unterworfen zu sein, den das brennende, narkotische Kraut auf diejenigen ausübt, die erst anfangen, sich der gerade nicht lobenswerten Gewohnheit zu ergeben. Ganz verschieden von allen übrigen amerikanischen eingeborenen Rauchern atmen sie den blauen Dunst in ihre Lungen ein und geben ihn dann nach einiger Zeit wieder in Wolken von sich, wobei sie es nicht an Zeichen des größten Wohlbehagens und der Wollust fehlen lassen. Sogar Kinder von acht Jahren sah ich begierig die ihnen dargereichte Pfeife ergreifen und mit einer Art Heißhunger den Tabakrauch verschlingen.

Mit Rücksicht auf den Zustand unserer Herde wurde beschlossen, den 31. März an der Quelle liegenzubleiben. Es war wiederum ein klarer, sehr warmer Tag, und angelockt von der wilden Umgebung, brach schon am frühen Morgen ein Teil unserer Leute auf, um nach Wild in den sich kreuzenden Schluchten umherzuspüren. Da Egloffstein schon Iretéba zu seinem Begleiter gewonnen hatte, so wählte ich den zutraulichen Hamotamaque zum Gefährten und erstieg das Hochland in südlicher Richtung, wo ich auf Antilopen zu stoßen erwartete. Ich fand mich indessen in meinen Hoffnungen getäuscht; zwar erblickte ich frische Spuren größeren Wildes, doch beschränkte sich meine Beute nur auf kleine Vögel, die ich meiner Sammlung einverleibte, unter diesen einen Lerchenhabicht, eine Art Bachstelze und einen Finken. Auch einige Amphibien erhielt ich durch meines Begleiters Hilfe, und besonders interessant waren mir einige graue Frösche, die nahe der Quelle in den Felsspalten umhersaßen und durch abgebrochenes Krächzen ihre Schlupfwinkel verrieten.

Als ich ins Lager zurückkehrte, traf ich fast zu gleicher Zeit mit einem der Soldaten ein, dem es gelungen war, eine Antilope zu erlegen, die er dann mittels eines Maultiers herbeischaffte. Es war ein schönes Exemplar der Antilocapra Americana, von der Professor Baird in Washington jetzt zwei verschiedene Spezies nachweist, die man sonst nur für eine gehalten hat. [Fußnote]Die zweite »Antilopenart«, auf die ich mich in obigem Text beziehe, ist die weiße Ziege der Rocky Mountains oder »Bergziege«. Auf meinen Jagdzügen durch das westliche Nordamerika bin ich nie auf eine solche gestoßen, wohl aber auf Bergschafe und Antilopen. Das Tier wurde zerlegt und ausgeteilt, und das Fleisch reichte doch so weit, daß für die ganze Expedition zwei kleine Mahlzeiten erzielt werden konnten. Es war eine Art Festessen, dessen wir uns erfreuten, denn obgleich die dortige Gegend nicht arm an Wild ist, so wird bei dergleichen Expeditionen doch verhältnismäßig selten ein Hirsch oder eine Antilope erbeutet. Das Geräusch, mit dem ein starker Train reist, kann wohl als Grund dafür angegeben werden, und sich jagend aus dem Bereich desselben zu weit zu entfernen, ist in jenen Wildnissen für den einzelnen nicht immer ratsam, indem einesteils die Gefahr des Verirrens wohl zu bedenken ist, dann aber auch, weil die Eingeborenen auf jede Gelegenheit lauern, abstreifende Jäger ihrer Kleidung und Waffen wegen aus einem Hinterhalt zu überfallen und zu erschlagen.

Als wir gegen Abend gemächlich vor den Zelten umherlagen, drangen plötzlich von einer entfernteren Höhe die lauten, kreischenden Stimmen von einigen Indianern zu uns herüber. Dieselben richteten augenscheinlich Fragen an unsere Führer, die in ähnlicher Weise antworteten und die Fremden zugleich aufforderten, zu uns in das Lager herabzukommen, was jene aber zur nicht geringen Belustigung der Mohaves aus Furcht vor den weißen Menschen ablehnten. Da die dortigen Gebirgsindianer eine genaue Kenntnis des Landes besitzen mußten – eine Kenntnis, die von größter Wichtigkeit für unsere Expedition sein konnte –, so drangen wir in unsere Führer, einige dieser Wilden herbeizuschaffen. Alsbald begaben sich denn auch Iretéba und Hamotamaque auf den Weg, und es dauerte keine Viertelstunde, bis sie sich auf der Höhe bei den scheuen Gebirgsbewohnern befanden. Wir beobachteten die Gesellschaft durch ein Fernrohr und waren überrascht vom großen Unterschied im Äußeren dieser Mitglieder von benachbarten Stämmen. Wie hagere, zu früh gealterte Kinder nahmen sich die fremden Indianer gegen unsere stämmigen Mohaves aus, und an den Bewegungen der ganzen Gruppe vermochten wir zu erkennen, daß Iretéba sich eifrig bemühte, das Gefahrlose eines Besuchs im Lager auseinanderzusetzen, und daß man seinen Worten keinen Glauben schenken wollte. Nach langem Hin- und Herreden entschlossen sich endlich zwei von ihnen, unseren Führern zu folgen, während drei oder vier auf der Höhe sitzen blieben, um das Schicksal, dem die beiden nach ihrer Ansicht gewiß tollkühnen Gefährten entgegengingen, kennenzulernen.

Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck komischer Geringschätzung stellte uns Iretéba die Fremdlinge als Wallpay- oder Huallepay-Indianer vor, während Hamotamaque, Colhokorao und Juckeye sich augenscheinlich auf Kosten der beiden kleinen, verlegenen und furchtsamen Gestalten belustigten. Es waren ein junger und ein alter Mann und so unsauber aussehende Gesellen, wie man sie nur in den Gebirgswildnissen zu finden vermag. Ihre Kleidung bestand aus einem hirschledernen Jagdhemd und ebensolchen Halbstiefeln, die, vielfach zerrissen und stellenweise notdürftig geflickt, von sehr langem Dienst zeugten. Ihre Figuren waren unter der mittleren Größe, jedoch regelmäßig gebaut und besonders die Muskeln an den Beinen ungewöhnlich stark hervortretend. Ihre Züge boten durchaus den indianischen Typus, und in den scheuen Blicken war der Ausdruck des Mißtrauens nicht zu verkennen. Der jüngere von den beiden, ein Bursche von ungefähr achtzehn Jahren, gewann, nachdem er sich überzeugt hatte, daß keiner von uns ihm übelwollte, sehr bald seine Fassung wieder und ließ sich sogar willig finden, uns auf der ferneren Reise als Führer zu begleiten, doch vermochte selbst Iretéba ihn nicht dazu zu bewegen, sogleich die erste Nacht bei uns im Lager zu bleiben.

Mit Einbruch der Nacht entfernten sich die Wallpays, und wir glaubten dadurch hinlänglich Grund zu haben, die Hüter zur Wachsamkeit aufzumuntern, denn trotz der Geschenke, die diese Wilden erhalten hatten, würden sie doch einen günstigen Augenblick benutzt haben, einige unserer Tiere in die nächsten Schluchten zu treiben oder auch des Fleisches wegen zu erschießen.

Wir gaben uns die größte Mühe, ein Wortverzeichnis des Wallpay-Stammes zu sammeln, doch Ireteba, der unsere Absicht wohl verstand, erklärte uns, daß die Wallpay-Sprache auch die der Mohaves sei, und er glaubte solches nicht besser beweisen zu können, als daß er einzelne Mohave-Worte, die wir schon kannten, wiederholte und sie dann für Wallpay-Bezeichnungen ausgab. Obgleich die Prüfung, der wir die Wallpays unterwarfen, dasselbe Ergebnis lieferte, so bin ich doch nicht gänzlich davon überzeugt, daß Stämme, die in ihrem Äußeren wie auch in ihren Sitten und Bräuchen eine so große Verschiedenheit zeigen, in ihrer Sprache kaum durch einen Dialektunterschied getrennt sein sollten.

Die gute Aufnahme, die die Fremdlinge am vorhergehenden Tag bei uns gefunden hatten, brachte in der Frühe des 1. April mehrere dieses Stammes zu uns ins Lager. Wir waren schon mit dem Rüsten zum Aufbruch beschäftigt, doch hinderte mich dies nicht, den neuen Ankömmlingen, die sich schüchtern in unserer Nähe auf den Boden kauerten, meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Diese glichen, was die Gestalt und Unsauberkeit anbetrifft, vollkommen unseren ersten Wallpay-Bekannten, nur daß einzelne sich noch widerlicher und abschreckender ausnahmen.

So erblickte ich einen alten Mann, dessen zum Skelett vertrocknete Gestalt kaum mehr Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen trug; in dicken Runzeln umgab die rindenähnliche Haut die dürren Knochen und verhältnismäßig starken Gelenke; die unsteten, blitzenden Augen lagen tief verborgen hinter faltenreichen Lidern; struppiges Haar umgab den auf dünnem Hals ruhenden Schädel, und einzelne schwarze Borsten entsproßten der breiten Oberlippe und dem spitzen Kinn. Beim Anblick dieses Menschen wurde man unwillkürlich an Kröten erinnert, und ich kann wohl sagen, daß ich unter den Eingeborenen Nordamerikas niemals einen Menschen erblickte, der mir mehr Ekel und infolgedessen auch mehr Bedauern eingeflößt hätte als dieses lebende Wallpay-Skelett, das mit Bogen und Pfeilen bewaffnet vor mir stand und mit der lüsternen Gier eines hungrigen Wolfs seine Augen auf den Maultieren haften ließ, die eins nach dem anderen mit dem Gepäck belastet wurden.

Wir verließen endlich die Quelle, und geführt von Iretéba, der gemeinsam mit dem jungen Wallpay-Burschen uns an den Colorado zu führen versprochen hatte, gelangten wir in eine von Trappmassen gebildete Schlucht. Diese öffnete sich auf eine weite, wellenförmige Ebene, die strichweise mit lichten Zedernwaldungen bedeckt war. Wir befanden uns dort gegen 4000 Fuß über dem Meeresspiegel und nahe an 3000 Fuß über dem Colorado. Diesen Strom, der in jener Breite (36–37° n. Br.) einen weiten Bogen gegen Osten beschreibt, wiederzufinden und den Charakter des Landes, das er dort durchschneidet, kennenzulernen, war zunächst unsere Aufgabe, und wir lenkten deshalb unsere Schritte gegen Norden.

Obgleich wir schon eine bedeutende Höhe erreicht hatten, so erblickten wir doch noch – und zwar vorzugsweise in östlicher Richtung – die plateauähnlichen Überreste einer Hochebene, die in früheren Zeiten unstreitig jene Fläche ganz bedeckt hatte. Diese Überreste erhoben sich gegen tausend Fuß über ihrer Basis und bestanden aus zahlreichen horizontalen Lagen festen Gesteins und nachgiebigerer Erdmassen.

Leider kamen wir ihnen nicht nahe genug, um uns genaue Kenntnis vom Charakter derselben verschaffen zu können; wir benannten diese daher nach ihrer äußeren Erscheinung, und zwar Music Mountains. Dadurch nämlich, daß an den Abhängen die Erdschichten mit Zederngebüsch bedeckt, die Lagen des Gesteins aber nackt waren und diese parallelen Linien sich in merkwürdig regelmäßigen Zwischenräumen wiederholten, wurde wirklich an den schroffen Abhängen eine auffallende Ähnlichkeit mit Notenpapier hergestellt, die in dem Maße zunahm, als wir uns von denselben entfernten.

Bis um die Mittagszeit hatte die von uns eingeschlagene Richtung uns ununterbrochen, aber nur in geringem Grade bergan geführt, dann aber begannen zahlreiche Schluchten in nordwestlicher Richtung das Hochland zu durchschneiden und das Einförmige der Umgebung auf eine für das Auge gefällige Weise zu unterbrechen. Niedrige Tannen und krause Zedern bezeichneten weithin die Schwellungen und Senkungen des Bodens, und wenn wir uns zufällig in der verlängerten Linie einer Hauptschlucht befanden, dann war es, als ob uns ein Blick in das Innerste der Erde gestattet gewesen wäre, denn tiefer und tiefer senkten sich die felsigen Uferwände hinab, bis sie in der Ferne chaotisch in violettem Nebeldunst ineinander verschwammen.

Bis zum Rand der Ebene hatten unsere fünf Indianer gemeinschaftlich die Richtung des Weges angegeben, als wir aber in die erste Schlucht hinabstiegen, die sich gegen Nordwesten zu stark senkte, eilte der kleine Wallpay behende eine kurze Strecke voraus, um auf dem kiesigen Boden nach zurückgelassenen Spuren von Eingeborenen zu suchen. Ich beobachtete den Burschen aufmerksam und zweifelte nicht daran, daß er einen für uns unkenntlichen Pfad verfolgte, denn oft schritt er längere Zeit, ohne links oder rechts zu schauen, dahin, oft blieb er stehen und prüfte mit den Augen höchst bedächtig die Umgebung, forderte die jungen Mohaves auf, in verschiedenen Richtungen den Boden zu untersuchen, oder trabte auch selbst emsig hin und her, ähnlich einem Schweißhund, der die leitende Spur verloren hat. Mochte unser Führer auch vielfach vom Pfad abgekommen sein, so fand er diesen doch stets wieder, und wir gelangten allmählich bis dahin, wo derselbe mehr betreten war und daher auf die Nähe von Schlupfwinkeln der Eingeborenen deutete. Wider Erwarten fanden wir diese zerklüftete Wildnis von Hirschen reich belebt, doch konnten wir es nicht wagen, in dem Labyrinth von Schluchten jagend umherzustreifen, und nicht ohne Mühe vermochten unsere Tiere auf dem sich stark senkenden Pfad mit den leichtfüßigen Eingeborenen Schritt zu halten. Sechzehn Meilen waren wir seit dem frühen Morgen gereist und hatten, auf dem letzten Teil dieser Strecke niedersteigend, einen Höhenunterschied von 1500 Fuß überwunden. Während dieser Zeit umgaben uns fast unausgesetzt mächtige Hügel von Kohlenkalk, der gleichsam die starke Decklage des umfangreichen Hochlandes bildete, das sich etwas gegen Nordwesten senkte.

Wir erreichten gegen Abend eine klare, aber lauwarme Quelle, die, umgeben von Rohr und Schilf, eine ungewöhnlich bequeme Gelegenheit zur Ruhe für die Nacht bot. Das Wasser eilte als kleiner Bach einige hundert Schritt in die Schlucht hinein, versank dort im Sand, doch der Richtung desselben nachblickend, gewahrte ich einige Cottonwood-Bäume und verkrüppelte Eichen, die vom erneuten Hervortreten desselben zeugten. Auf dem von der Quelle befruchteten Boden waren die Spuren einer kleinen Maispflanzung sichtbar, und kaum glaubte ich meinen Augen trauen zu dürfen, als ich einen Pfirsichbaum entdeckte, der einsam am Fuße eines nahen Hügels dem feuchten Boden seine Nahrung entnahm. Vielfach ergingen wir uns in Vermutungen über die Art und Weise, auf welche der Pfirsichkern, dem das Bäumchen entkeimte, seinen Weg in diese abgeschlossenen Regionen gefunden hatte, und wir nahmen an, daß er durch die Apachen vom Rio Grande dorthin gebracht und absichtslos, vom Zufall geführt, gepflanzt worden sei.

Vor uns, in der Entfernung von etwa einer Meile, wurde die Schlucht von hohen, senkrechten Felswänden eingeengt, die dieselben regelmäßigen horizontalen Schichten und Lagen zeigten, die ich bei der Beschreibung der Music Mountains schon erwähnte. Die eigentliche Öffnung des geheimnisvollen Cañons, in den unser Weg am folgenden Tag hineinführen sollte, wurde noch durch einige vorspringende Hügel verdeckt, und so erstieg ich denn die nächste Höhe, um mir von dort aus eine Zeichnung von diesem so interessanten Punkt zu sichern.

Ein Gewirr von regelmäßigen und unregelmäßigen Linien, erstere aber in überwiegender Zahl, drängte sich dort in ein merkwürdiges und zugleich schönes Bild zusammen. Wie mächtige Wälle mit senkrechten Mauern schoben sich die zerklüfteten Plateaus aneinander vorbei, in bunten Farben schimmerten ihre fast waagrecht linierten Abhänge, und dunklere Schatten verrieten die Stellen, an denen es tief in den Schoß der Erde hinabging. Zedernbüsche schmückten ringsum die wellenförmig aneinanderhängenden Hügel, aber hinter diesen erhob sich das nackte Gestein in den prachtvollsten Formationen und, verursacht durch die verschiedenen Entfernungen, in den zartesten und immer mehr verschwimmenden Schattierungen. Lautlose Stille herrschte in dieser öden, aber schönen Wildnis, doch zu dem Aufmerksamen sprach es aus totem Gestein wie aus grünenden Zedern und keimenden Halmen in leichtverständlicher Weise: »Erhaben ist die Natur in allen ihren Formen!«

Ich stieg wieder zur Quelle hinab und wählte zu meinem Weg die nächste Richtung, die zufällig an einem steilen Abhang hinunterführte; das steinige Erdreich gab unter meinen Füßen nach, und untermischt mit verwitterten Trümmern von Kalkstein, rollten Fragmente von Sandstein, Marmor, weichen, schieferartigen Felsen und weiter unterhalb von Granit und Quarz vor mir hinab.

Der Himmel hatte sich allmählich in einen dichten Schleier von Regenwolken gehüllt, so daß wir unsere Zelte gegen die etwa niederströmenden Wasser zu sichern begannen; mit der Dunkelheit aber, die sich pechschwarz in die Schluchten senkte, stellte sich auch ein starker Wind ein, dessen ursprüngliche Richtung wir, geschützt von allen Seiten, nicht zu erraten vermochten, der aber den Niederschlag der Wolken verhütete.

Wir waren eben im Begriff, uns hinter unsere Zeltwände zurückzuziehen, als plötzlich nicht weit vom Wachtfeuer der Hüter ein anderes Feuer aufflammte und eine Rotte um dasselbe herumkauernder Eingeborene beleuchtete. Iretéba erkannte diese als Wallpay-Indianer und eilte auf Lieutenant Ives' Wunsch sogleich zu ihnen hin, um ihnen eine Einladung zu überbringen. Die Wilden schienen eine solche erwartet zu haben, und über unsere Absichten durch die Anwesenheit der Mohaves und des jungen Wallpay beruhigt, traten sie mit Iretéba furchtlos zu uns heran. Es waren dieselben kleinen, unsauberen und wild aussehenden Gestalten, wie ich sie weiter oben beschrieb; auch erblickte ich wieder die auffallend stark ausgebildeten Muskeln an den Beinen, was mir übrigens nicht mehr außerordentlich vorkam, seit ich mehr von dem heimatlichen Boden dieser Menschen kennengelernt hatte, auf dem diese von Kindesbeinen an darauf angewiesen sind, beständig mühsam kletternd sich ihren Unterhalt zu verschaffen.

Der aus sechs oder sieben Mitgliedern bestehende Besuch schien uns seine freundlichen Gesinnungen darlegen zu wollen, denn gleich nach ihrer Ankunft reichten die häßlichen Schluchtenbewohner uns von ihrem schon zubereiteten Meskal, [Fußnote]Meskal: ein aus dem Fleisch und den Fasern der Wurzeln der Agave bereiteter, wohlschmeckender Teig. der natürlich genommen und auch versucht wurde. Der Geschmack der in Tafelform gepreßten Kuchen erinnerte an Feigen und hatte durchaus nichts Widerliches. Im Vergleich aber mit der Masse eines solchen Kuchens war der darin enthaltene Nahrungsstoff nur sehr gering zu nennen und bestand aus einem honigähnlichen Saft, mit dem die zähen Wurzelfasern reich getränkt waren und den man mittels Kauens und Saugens von den ungenießbaren Bestandteilen trennen mußte. Bereitwilliger wurden zwei Hirsche hingenommen, die einer der Wallpays während des Tages erlegt hatte und die er uns zum Verkauf anbot.

Der Größte und Ansehnlichste der wilden Bande, der in seiner äußeren Erscheinung seinen Kameraden in nichts nachgab, schickte sich endlich an, eine Rede zu halten, eine Rede, die unsere Mohaves höchlichst ergötzte, für uns aber nur ein anhaltendes Zetergeschrei war. Der freundliche Iretéba teilte uns mit, daß die Rede sehr schön und gut sei, daß sie die wärmsten Freundschaftsversicherungen und Schwüre der treuesten Aufopferung enthalte, daß er aber keinem von uns wünsche, in irgendeinem verborgenen Winkel unvermutet mit dem Redner und seiner Gesellschaft zusammenzutreffen, indem er dann nicht dafür einstehen könne, daß diese dann nicht ihre spitzen Pfeile auf verderbliche Weise anwenden würden. Ferner versicherte er, daß er, obschon mit den Wallpays befreundet, oder vielmehr von ihnen gefürchtet, auf der Heimreise nicht eher die Augen zum Schlaf schließen möchte, als bis er sich außerhalb des Bereichs dieses räuberischen Stamms befände.

Bis tief in die Nacht hinein blieben die Gäste vor unseren Feuern sitzen und bezeugten durch viel Reden und Schnattern, welches Interesse ihnen unsere Gegenwart einflöße. Die dargereichten Pfeifen ergriffen sie auf ungeschickte Weise und rauchten daraus augenscheinlich mehr, um uns dadurch zu gefallen, als aus Liebhaberei. Beim besten Willen aber vermochten sie nicht ein tief gewurzeltes Mißtrauen gänzlich zu verstecken, ein Mißtrauen, das aus dem Bewußtsein entsprang, weiße Reisende verräterisch hintergangen, angefallen und auch ermordet zu haben. Auf der anderen Seite waren aber auch wieder einzelne von ihnen, wenn sie Expeditionen begegneten, von diesen ergriffen und zu unfreiwilligen Führern gemacht worden, ein Verfahren, das ihre feindseligen Gefühle noch mehr angeregt hatte. Natürlich waren dergleichen Gefangene bei der ersten Gelegenheit stets wieder entsprungen und hatten die Gewaltsamkeit der Weißen, die in solchen Fällen gewöhnlich von der bittersten Notwendigkeit herbeigerufen war, mit einigen unter die Maultierherde entsandten Pfeilen vergolten, die dann mit Büchsenkugeln beantwortet wurden. Unter solchen Verhältnissen konnten diesen unbändigen Menschen ihre Scheu und ihr Mißtrauen kaum verdacht werden, und mit ihren beschränkten Ansichten über die Zwecke unseres Erscheinens unter ihnen zeigten sie noch viel Mut, indem sie sich uns überhaupt näherten. Daß sie die nächtliche Stunde zu einer Zusammenkunft wählten, geschah nicht ohne Vorbedacht, denn ähnlich den wilden Raubtieren glaubten sie bei einem unfreundlichen Empfang in der Dunkelheit leichter entschlüpfen und ungestraft ihre Geschosse zurück an unsere Feuer senden zu können.

Lieblich wölbte sich der klare Himmel über uns, als wir in der Frühe des 2. April unsere Tiere sattelten; an den Abhängen der Berge spielten die Strahlen der Sonne, und langsam schlichen die Schatten niederwärts. Wir verfolgten unseren Weg in der Schlucht und wurden auf einer kurzen Strecke von dem Bach begleitet, der aufs neue dem sandigen Boden entrieselte und zu beiden Seiten dürftige Vegetation nährte. Kohlenhaltiger Kalkstein bildete die Hauptformation unserer Umgebung, doch erblickte ich auch Sandstein und Granit, und als wir nach Zurücklegung von zwei Meilen in südlicher Richtung gegen Westen in die Hauptschlucht einbogen, hatten wir zu beiden Seiten hohe, senkrechte Felswände, auf denen die regelmäßig übereinandergeschichteten Gesteinsarten sich deutlich abzeichneten. Wir befanden uns dort noch immer in einer Höhe von ungefähr dreitausend Fuß über dem Meeresspiegel, und etwa achthundert Fuß hoch waren die steilen Ufer, welche die breite Schlucht einfaßten. Der sandige, trockene Weg führte stark abwärts, und in geringerem Grad senkten sich mit demselben die kolossalen Schichten und Lagen gegen Nordwesten.

Als wir so dahinritten und der Höhenunterschied zwischen unserer Straße und dem Plateau sich mit jeder Meile bedeutend vergrößerte, die gigantischen und zugleich erhabenen Felsmassen immer dichter um uns zusammenrückten, neue Formationen und neue Farben dem Boden gleichsam entstiegen und sich zu prachtvollen und wie drohend überhängenden Gebilden vereinigten, da fühlte ich nicht die sengende Glut der Sonne, deren Kraft sich in dem engen Felsenkessel verdoppelte; ich hatte nur Gedanken und Blicke für die erhabene Szenerie, die scheinbar im wildesten Durcheinander von Meisterhand zu einem so schönen Ganzen geordnet war. Tiefer hinab führte unsere Straße, höher empor ragten die Felsen, schmaler wurde der Streifen des blauen, sonnigen Himmels, der so freundlich auf uns niederblickte, und mit jedem Schritt veränderten sich die Bilder, die ich nur der Erinnerung einzuprägen vermochte. Da standen Tempel mit wunderbaren Architekturen, lange Säulenhallen und mächtige, aber zierlich geformte Pyramiden; da öffneten sich weite Gewölbe, Bogenfenster und Tore, aber unten in der Schlucht, im trockenen Bett eines zeitweise niederschäumenden Gießbachs, befanden sich dürrer Sand und glattgewaschenes Geröll, und zwischen diesem sowie in den Felsritzen ragten stachlige Kakteen hervor – fast die einzige Vegetation in dieser unwirtlichen, ich möchte sagen unterirdischen Wildnis. Und doch lebten Menschen hier, Menschen, die in der tiefen Einsamkeit alle menschlichen Neigungen verloren zu haben scheinen, Menschen, die sich nicht sehnen nach geselligem Verkehr mit anderen Nationen und nur von der Not nach dem Hochland hinaufgetrieben werden, um dort zu jagen. Im sonnigen Felsenwinkel spärlich gewonnener Mais, Fische des Colorado und etwas Wild bilden den Unterhalt dieser elenden Geschöpfe, und träg und teilnahmslos wie das sie umgebende Gestein bringen sie ihr Leben ähnlich den Tieren dahin.

Wir ritten in geringer Entfernung an einem Lager von etwa dreißig dieser bedauernswürdigen Wallpay-Indianer vorbei, die sich in einer Nebenschlucht ihre Heimat gegründet hatten, doch obgleich wohl nur einzelne von ihnen von der Existenz von weißen Menschen wußten, rührte sich doch keiner, um unseren Zug genauer zu betrachten; ja man hätte sogar glauben können, daß dergleichen Expeditionen dort täglich vorbeigezogen wären, so wenig Aufmerksamkeit schenkten sie uns.

Dieselbe Beobachtung machte ich übrigens auch, als wir an mehreren Hütten dicht vorbeikamen, in denen die Bewohner so regungslos liegenblieben, als ob sie unsere Gegenwart gar nicht geahnt hätten. Die Hütten bestanden aus Lauben von Reisig und Baumrinde, die sich an die überhängenden Uferwände anlehnten und kaum dicht genug waren, um einigen Schutz gegen die Sonnenstrahlen zu gewähren. Wir begegneten einer alten Frau, die langsam und mühselig unter einer Bürde von Wurzeln und Kräutern dahinkroch; es war eine mitleiderregende Erscheinung, dieses alte, runzlige, krankhaft keuchende Geschöpf; ich reichte ihr ein Stück Brot hin, doch ohne es anzunehmen oder meine Absicht zu verstehen, schaute sie mich mit ausdruckslosen Augen von der Seite an und zog dann murrend und scheltend ihres Weges.

Nachdem Iretéba uns angewiesen hatte, der Schlucht immer weiter nachzufolgen, kehrte er in einer der elenden Hütten ein, um, wie er zu verstehen gab, Erkundigungen über die dortige Gegend einzuziehen. Von der bezeichneten Richtung abzuweichen, war allerdings nicht möglich, doch stießen wir bei unserem weiteren Vordringen auf so ernste Hindernisse, namentlich auf herabgerollte Felsblöcke und Abstufungen im Weg selbst, daß wir schon daran zu zweifeln begannen, ob wir je in dieser Richtung den Colorado erreichen würden. Bei der Vorsicht, mit der wir uns nur auf dem gefährlichen Boden vorwärtsbewegen konnten, bei der Unruhe, die wir hinsichtlich unserer Tiere empfanden, die, ohne vorher gerastet zu haben, gewiß nicht mit ihren Lasten die Wallpay-Schlucht hätten wieder verlassen können, ging viel von den Eindrücken verloren, welche die imposanten Felsmassen notwendigerweise auf jeden ausüben mußten. Ermüdet hingen die meisten in den Sätteln und schauten vor sich nieder; fünfzehn Meilen hatten wir aber auch schon seit dem frühen Morgen zurückgelegt und waren auf dieser Strecke gegen zweitausend Fuß abwärts gezogen. Nach unserer Berechnung konnten wir uns also nicht mehr hoch über dem Spiegel des Colorado befinden, und bei jeder Biegung hofften wir endlich den ersehnten Strom zu erblicken. Plötzlich schien die Schlucht durch einen mächtigen Felsenwall abgesperrt zu sein, doch lieblich schimmerte uns aus einem dunklen Winkel grünendes Weidengebüsch entgegen, und wie aufmunternd drang das laute Rauschen eines Gießbachs zu uns herüber! Wir eilten, so gut es nur gehen wollte, darauf zu, und einige Minuten später tranken im Schatten von Weiden und Cottonwood-Bäumen Menschen und Tiere in langer Reihe aus den diamantklaren Fluten eines Gebirgsflüßchens.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2