Abschnitt 1

Ideen Das Buch Le Grand


Kapitel XIV


Madame, haben Sie überhaupt eine Idee von einer Idee? Was ist eine Idee? „Es liegen einige gute Ideen in diesem Rock“, sagte mein Schneider, indem er mit ernster Anerkennung den Oberrock betrachtete, der sich noch aus meinen berlinisch eleganten Tagen herschreibt und woraus jetzt ein ehrsamer Schlafrock gemacht werden sollte. Meine Wäscherin klagt, der Pastor S. habe ihrer Tochter Ideen in den Kopf gesetzt, und sie sei dadurch unklug geworden und wolle keine Vernunft mehr annehmen. Der Kutscher Pattensen brummt bei jeder Gelegenheit: „Das ist eine Idee! das ist eine Idee!“ Gestern aber wurde er ordentlich verdrießlich, als ich ihn frug, was er sich unter einer Idee vorstelle. Und verdrießlich brummte er: „Nu, nu, eine Idee ist eine Idee! eine Idee ist alles dumme Zeug, was man sich einbildet.“ In gleicher Bedeutung wird dieses Wort, als Buchtitel, von dem Hofrat Heeren in Göttingen gebraucht.

Der Kutscher Pattensen ist ein Mann, der auf der weiten Lüneburger Heide, in Nacht und Nebel, den Weg zu finden weiß; der Hofrat Heeren ist ein Mann, der ebenfalls mit klugem Instinkt die alten Karawanenwege des Morgenlands auffindet und dort schon seit Jahr und Tag so sicher und geduldig einherwan delt wie jemals ein Kamel des Altertums; auf solche Leute kann man sich verlassen, solchen Leuten darf man getrost nachfolgen, und darum habe ich dieses Buch „Ideen“ betitelt.

Der Titel des Buches bedeutet daher ebensowenig als der Titel des Verfassers, er ward von demselben nicht aus gelehrtem Hochmut gewählt und darf ihm für nichts weniger als Eitelkeit ausgedeutet werden. Nehmen Sie die wehmütigste Versicherung, Madame, ich bin nicht eitel. Es bedarf dieser Bemerkung, wie Sie mitunter merken werden. Ich bin nicht eitel – Und wüchse ein Wald von Lorbeeren auf meinem Haupte und ergösse sich ein Meer von Weihrauch in mein junges Herz – ich würde doch nicht eitel werden. Meine Freunde und übrigen Raum- und Zeitgenossen haben treulich dafür gesorgt – Sie wissen, Madame, daß alte Weiber ihre Pflegekinder ein bißchen anspucken, wenn man die Schönheit derselben lobt, damit das Lob den lieben Kleinen nicht schade – Sie wissen, Madame, wenn zu Rom der Triumphator, ruhmbekränzt und purpurgeschmückt, auf seinem goldnen Wagen mit weißen Rossen vom Campo Martii einherfuhr, wie ein Gott hervorragend aus dem feierlichen Zuge der Liktoren, Musikanten, Tänzer, Priester, Sklaven, Elefanten, Trophäenträger, Konsuln, Senatoren, Soldaten, dann sang der Pöbel hintendrein allerlei Spottlieder – Und Sie wissen, Madame, daß es im lie ben Deutschland viel alte Weiber und Pöbel gibt.

Wie gesagt, Madame, die Ideen, von denen hier die Rede ist, sind von den Platonischen ebensoweit entfernt wie Athen von Göttingen, und Sie dürfen von dem Buche selbst ebensowenig große Erwartungen hegen als von dem Verfasser selbst. Wahrlich, wie dieser überhaupt jemals dergleichen Erwartungen erregen konnte, ist mir ebenso unbegreiflich als meinen Freunden. Gräfin Julie will die Sache erklären und versichert wenn der besagte Verfasser zuweilen etwas wirklich Geistreiches und Neugedachtes ausspreche, so sei dies bloß Verstellung von ihm, und im Grunde sei er ebenso dumm wie die übrigen. Das ist falsch, ich verstelle mich gar nicht, ich spreche, wie mir der Schnabel gewachsen, ich schreibe in aller Unschuld und Einfalt, was mir in den Sinn kommt, und ich bin nicht daran schuld, wenn das etwas Gescheutes ist. Aber ich habe nun mal im Schreiben mehr Glück als in der Altonaer Lotterie – ich wollte, der Fall wäre umgekehrt –, und da kommt aus meiner Feder mancher Herztreffer, manche Gedankenquaterne, und das tut Gott; – denn ER, der den frömmsten Elohasängern und Erbauungspoeten alle schöne Gedanken und allen Ruhm in der Literatur versagt, damit sie nicht von ihren irdischen Mitkreaturen zu sehr gelobt werden und dadurch des Himmels vergessen, wo ihnen schon von den Engeln das Quartier zurechtgemacht wird: – ER pflegt uns andre, profane, sündhafte, ketzerische Schriftsteller, für die der Himmel doch so gut wie vernagelt ist, desto mehr mit vorzüglichen Gedanken und Menschenruhm zu segnen, und zwar aus göttlicher Gnade und Barmherzigkeit, damit die arme Seele, die doch nun einmal erschaffen ist, nicht ganz leer ausgehe und wenigstens hienieden auf Erden einen Teil jener Wonne empfinde, die ihr dort oben versagt ist.

vid. Goethe und die Traktätchenverfasser.

Sie sehen also, Madame, Sie dürfen meine Schriften lesen, diese zeugen von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, ich schreibe im blinden Vertrauen auf dessen Allmacht, ich bin in dieser Hinsicht ein echt christlicher Schriftsteller, und, um mit Gubitz zu reden, während ich eben diese gegenwärtige Periode anfange, weiß ich noch nicht, wie ich sie schließe und was ich eigentlich sagen soll, und ich verlasse mich dafür auf den lieben Gott. Und wie könnte ich auch schreiben ohne diese fromme Zuversicht, in meinem Zimmer steht jetzt der Bursche aus der Langhoffschen Druckerei und wartet auf Manuskript, das kaum geborene Wort wandert warm und naß in die Presse, und was ich in diesem Augenblick denke und fühle, kann morgen mittag schon Makulatur sein.

Sie haben leicht reden, Madame, wenn Sie mich an das Horazische „nonum prematur in annum“ erinnern. Diese Regel mag, wie manche andere der Art, sehr gut in der Theorie gelten, aber in der Praxis taugt sie nichts. Als Horaz dem Autor die berühmte Regel gab, sein Werk neun Jahre im Pult liegen zu lassen, hätte er ihm auch zu gleicher Zeit das Rezept geben sollen, wie man neun Jahre ohne Essen zubringen kann. Als Horaz diese Regel ersann, saß er vielleicht an der Tafel des Mäcenas und aß Truthähne mit Trüffeln, Fasanenpudding in Wildbretsauce, Lerchenrippchen mit Teltower Rübchen, Pfauenzungen, indianische Vogelnester, und Gott weiß! was noch mehr, und alles umsonst. Aber wir, wir unglücklichen Spätgebornen, wir leben in einer andern Zeit, unsere Mäzenaten haben ganz andere Prinzipien, sie glauben, Autoren und Mispeln gedeihen am besten, wenn sie einige Zeit auf dem Stroh liegen, sie glauben, die Hunde taugten nicht auf der Bilder- und Gedankenjagd, wenn sie zu dick gefüttert würden, ach! und wenn sie ja mal einen armen Hund füttern, so ist es der unrechte, der die Brocken am wenigsten verdient, z.B. der Dachs, der die Hand leckt, oder der winzige Bologneser, der sich in den duftigen Schoß der Hausdame zu schmiegen weiß, oder der geduldige Pudel, der eine Brotwissenschaft gelernt und apportieren, tanzen und trommeln kann – Während ich dieses schreibe, steht hinter mir mein kleiner Mops und bellt – Schweig nur, Ami, dich hab ich nicht gemeint, denn du liebst mich und begleitest deinen Herrn in Not und Gefahr und würdest sterben auf seinem Grabe, ebenso treu wie mancher andere deutsche Hund, der, in die Fremde verstoßen, vor den Toren Deutschlands liegt und hungert und wimmert – Entschuldigen Sie, Madame, daß ich eben abschweifte, um meinem armen Hunde eine Ehrenerklärung zu geben, ich komme wieder auf die Horazische Regel und ihre Unanwendbarkeit im neunzehnten Jahrhundert, wo die Poeten das Schürzenstipendium der Muse nicht entbehren können – Ma foi, Madame! ich könnte es keine vierundzwanzig Stunden, viel weniger neun Jahre aushalten, mein Magen hat wenig Sinn für Unsterblichkeit, ich hab mir’s überlegt, ich will nur halb unsterblich und ganz satt werden, und wenn Voltaire dreihundert Jahre seines ewigen Nachruhms für eine gute Verdauung des Essens hingeben möchte, so biete ich das Doppelte für das Essen selbst. Ach! und was für schönes, blühendes Essen gibt es auf dieser Welt! Der Philosoph Pangloß hat recht; es ist die beste Welt! Aber man muß Geld in dieser besten Welt haben, Geld in der Tasche und nicht Manuskripte im Pult. Der Wirt im „König von England“, Herr Marr, ist selbst Schriftsteller und kennt auch die Horazische Regel, aber ich glaube nicht, daß er mir, wenn ich sie ausüben wollte, neun Jahr zu essen gäbe.

Im Grunde, warum sollte ich sie auch ausüben? Ich habe des Guten so viel zu schreiben, daß ich nicht lange Federlesens zu machen brauche. Solange mein Herz voll Liebe und der Kopf meiner Nebenmenschen voll Narrheit ist, wird es mir nie an Stoff zum Schreiben fehlen. Und mein Herz wird immer lieben, solange es Frauen gibt, erkaltet es für die eine, so erglüht es gleich für die andere; wie in Frankreich der König nie stirbt, so stirbt auch nie die Königin in meinem Herzen, und da heißt es: „La reine est morte, vive la reine!“ Auf gleiche Weise wird auch die Narrheit meiner Nebenmenschen nie aussterben. Denn es gibt nur eine einzige Klugheit, und diese hat ihre bestimmte Grenzen; aber es gibt tausend unermeßliche Narrheiten. Der gelehrte Kasuist und Seelsorger Schupp sagt sogar: „In der Welt sind mehr Narren als Menschen –“

vid. Schuppii lehrreiche Schriften, S. 1121.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Zweiter Teil