Abschnitt 8

Die Nordsee


Wir Deutschen sind doch wahre Peter Schlemihle! Wir haben auch in der letzten Zeit viel gesehen, viel ertragen, z.B. Einquartierung und Adelstolz; und wir haben unser edelstes Blut hingegeben, z.B. an England, das noch jetzt jährlich eine anständige Summe für abgeschossene deutsche Arme und Beine ihren ehemaligen Eigentümern zu bezahlen hat; und wir haben im Kleinen so viel Großes getan, daß, wenn man es zusammenrechnete, die größten Taten herauskämen, z.B. in Tirol; und wir haben viel verloren, z.B. unsern Schlagschatten, den Titel des lieben Heiligen Römischen Reichs – und dennoch, mit allen Verlüsten, Opfern, Entbehrungen, Malheurs und Großtaten hat unsere Literatur kein einziges solcher Denkmäler des Ruhmes gewonnen, wie sie bei unseren Nachbaren, gleich ewigen Trophäen, täglich emporsteigen. Unsere Leipziger Messen haben wenig profitiert durch die Schlacht bei Leipzig. Ein Gothaer, höre ich, will sie noch nachträglich in epischer Form besingen; da er aber noch nicht weiß, ob er zu den 100000 Seelen gehört, die Hildburghausen bekömmt, oder zu den 150000, die Meiningen bekömmt, oder zu den 160000, die Altenburg bekömmt, so kann er sein Epos noch nicht anfangen, er müßte denn beginnen: „Singe unsterbliche Seele, hildburghäusische Seele – meining’sche Seele oder auch altenburgische Seele – gleichviel, singe, singe der sündigen Deut schen Erlösung!“ Dieser Seelenschacher im Herzen des Vaterlandes und dessen blutende Zerrissenheit läßt keinen stolzen Sinn und noch viel weniger ein stolzes Wort aufkommen, unsere schönsten Taten werden lächerlich durch den dummen Erfolg, und während wir uns unmutig einhüllen in den Purpurmantel des deutschen Heldenblutes, kömmt ein politischer Schalk und setzt uns die Schellenkappe aufs Haupt.


Eben die Literaturen unserer Nachbaren jenseits des Rheins und des Kanals muß man mit unserer Bagatelliteratur vergleichen, um das Leere und Bedeutungslose unseres Bagatelllebens zu begreifen. Da ich selbst mich erst späterhin über dieses Thema, über deutsche Literaturmisere verbreiten will, so liefere ich einen heitern Ersatz durch das Einschalten der folgenden Xenien, die aus der Feder Immermanns, meines hohen Mitstrebenden, geflossen sind. Die Gleichgesinnten danken mir gewiß für die Mitteilung dieser Verse, und bis auf wenige Ausnahmen, die ich mit Sternen bezeichne, will ich sie gern als meine eigne Gesinnung vertreten.

Der poetische Literator

Laß dein Lächeln, laß dein Flennen, sag uns ohne Hinterlist,
Wann Hans Sachs das Licht erblickte, Weckherlin gestorben ist.

„Alle Menschen müssen sterben“, spricht das Männlein mit Bedeutung.
Alter Junge, dessengleichen ist uns keine große Zeitung.

Mit vergeßnen, alten Schwarten schmiert er seine Autorstiefeln,
Daß er dazu heiter weine, frißt er fromm poet’sche Zwiefeln.

*Willst du kommentieren, Fränzel, mindestens verschon den Luther,
Dieser Fisch behagt uns besser ohne die zerlaßne Butter.



Dramatiker

1

*„Nimmer schreib ich mehr Tragödien, mich am Publikum zu rächen!“
Schimpf uns, wie du willst, mein Guter, aber halte dein Versprechen.

2

Diesen Reiterleutnant müsset, Stachelverse, ihr verschonen;
Denn er kommandiert Sentenzen und Gefühl’ in Eskadronen.

3

Wär Melpomene ein Mädchen, gut, gefühlvoll und natürlich,
Riet’ ich ihr: Heirate diesen, der so milde und so zierlich.

4

Seiner vielen Sünden wegen geht der tote Kotzebue
Um in diesem Ungetüme ohne Strümpfe, ohne Schuhe.

Und so kommt zu vollen Ehren tiefe Lehr’ aus grauen Jahren,
Daß die Seelen der Verstorbnen müssen in die Bestien fahren.

Östliche Poeten

Groß mérite ist es jetzo, nach Saadis Art zu girren,
Doch mir scheint’s égal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.

Sonsten sang, beim Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.

Alter Dichter, du gemahnst mich, als wie Hamelns Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all die lieben kleinen Sänger.

Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Daß sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zuviel, die Armen, und vomieren dann Ghaselen.

Glockentöne

Seht den dicken Pastor dorten unter seiner Tür im Staate,
Läutet mit den Glocken, daß man ihn verehr’ in dem Ornate.
Und es kamen, ihn zu schauen, flugs die Blinden und die Lahmen,
Engebrust und Krampf, besonders hysteriegeplagte Damen.
Weiße Salbe weder heilet noch verschlimmert irgend Schäden,
Weiße Salbe findest jetzo du in allen Bücherläden.
Geht’s so fort, und läßt sich jeder Pfaffe ferner adorieren,
Werd ich in den Schoß der Kirche ehebaldigst retournieren.
Dort gehorch ich einem Papste und verehr ein praesens numen,
Aber hier macht sich zum numen jeglich ordiniertes lumen.

Orbis pictus

Hätte einen Hals das ganze weltverderbende Gelichter,
Einen Hals, ihr hohen Götter: Priester, Histrionen, Dichter!
In die Kirche ging ich morgens, um Komödien zu schauen,
Abends ins Theater, um mich an der Predigt zu erbauen.
Selbst der liebe Gott verlieret sehr bei mir an dem Gewichte,
Weil nach ihrem Ebenbilde schnitzen ihn viel tausend Wichte.
Wenn ich euch gefall, ihr Leute, dünk ich mich ein Leineweber,
Aber, wenn ich euch verdrieße, seht, das stärkt mir meine Leber.
„Ganz bewältigt er die Sprache“; ja, es ist, sich totzulachen,
Seht nur, was für tolle Sprünge lässet er die arme machen.
Vieles Schlimme kann ich dulden, aber eins ist mir zum Ekel,
Wenn der nervenschwache Zärtling spielt den genialen Rekel.
*Damals mochtst du mir gefallen, als du buhltest mit Lucindchen,
Aber, o der frechen Liebschaft! mit Marien wollen sünd’gen.
Erst in England, dann in Spanien, jetzt in Brahmas Finsternissen,
Überall umhergestrichen, deutschen Rock und Schuh zerrissen.
Wenn die Damen schreiben, kramen stets sie aus von ihren Schmerzen,
Fausses couches touchierter Tugend – ach, die gar zu offnen Herzen!
Laßt die Damen mir zufrieden; daß sie schreiben, find ich rätlich:
Führt die Frau die Autorfeder, wird sie wenigstens nicht schädlich.
Glaubt, das Schriftentum wird gleichen bald den ärgsten Rockenstuben,
Die Gevatterinnen schnacken, und es hören zu die Buben.
Wär ich Dschingis-Khan, o China, wärst du längst von mir vernichtet,
Dein verdammtes Teegeplätscher hat uns langsam hingerichtet.
Alles setzet sich zur Ruhe, und der Größte wird geduldig,
Streicht gemächlich ein, was frühre Zeiten blieben waren schuldig.
Jene Stadt ist voller Verse, Töne, Statuen, Schilderein,
Wursthans steht mit der Trompete an dem Tor und schreit: „Herein!“
„Diese Reime klingen schändlich, ohne Metrum und Zäsuren“;
Wollt in Uniform ihr stecken literarische Panduren? –
„Sag, wie kommst du nur zu Worten, die so grob und ungezogen?“
Freund, im wüsten Marktgedränge braucht man seine Ellenbogen.
„Aber du hast auch bereimet, was unleugbar gut und groß.“
Mischt der Beste sich zum Plebse, duldet er des Plebses Los.
Wenn die Sommerfliegen schwärmen, tötet ihr sie mit den Klappen,
Und nach diesen Reimen werdet schlagen ihr mit euren Kappen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Zweiter Teil