Abschnitt 2

Die Bäder von Lucca


Kapitel VI


Der Professor applaudierte mit possenhaft schwir renden Gitarrentönen, Signora trillerte, das Hündchen bellte, der Marchese und ich klatschten in die Hände wie rasend, und Signora Franscheska stand auf und verneigte sich dankbar. „Es ist wirklich eine schöne Komödie“, sprach sie zu mir, „aber es ist schon lange her, seit sie zuerst aufgeführt worden, und ich selbst bin schon so alt – raten Sie mal, wie alt?“

Sie erwartete jedoch keineswegs meine Antwort, sprach rasch: „Achtzehn Jahr“ – und drehte sich dabei wohl achtzehnmal auf einem Fuß herum. „Und wie alt sind Sie, Dottore?“

„Ich, Signora bin in der Neujahrsnacht achtzehnhundert geboren.“

„Ich habe Ihnen ja schon gesagt“, bemerkte der Marchese, „es ist einer der ersten Männer unseres Jahrhunderts.“

„Und wie alt halten Sie mich?“ rief plötzlich Signora Lätitia, und ohne an ihr Evakostüm, das bis jetzt die Bettdecke verborgen hatte, zu denken, erhob sie sich bei dieser Frage so leidenschaftlich in die Höhe, daß nicht nur das rote Meer, sondern auch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien zum Vorschein kam.

Indem ich, ob dieses gräßlichen Anblicks, erschrocken zurückprallte, stammelte ich einige Redensarten über die Schwierigkeiten, eine solche Frage zu lösen, indem ich ja Signora erst zur Hälfte gesehen hätte; doch da sie noch eifriger in mich drang, gestand ich ihr die Wahrheit, nämlich daß ich das Verhältnis der italienischen Jahre zu den deutschen noch nicht zu berechnen wisse.

„Ist der Unterschied groß?“ frug Signora Lätitia.

„Das versteht sich“, antwortete ich ihr, „da die Hitze alle Körper ausdehnt, so sind die Jahre in dem warmen Italien viel länger als in dem kalten Deutschland.“

Der Marchese zog mich besser aus der Verlegenheit, indem er galant behauptete, ihre Schönheit habe sich jetzt erst in der üppigsten Reife entfaltet. „Und Signora!“ setzte er hinzu, „so wie die Pomeranze, je älter sie wird, auch desto gelber wird, so wird auch Ihre Schönheit mit jedem Jahre desto reifer.“

Die Dame schien mit dieser Vergleichung zufrieden zu sein und gestand ebenfalls, daß sie sich wirklich reifer fühle als sonst, besonders gegen damals, wo sie noch ein dünnes Ding gewesen und zuerst in Bologna aufgetreten sei, und daß sie noch jetzt nicht begreife, wie sie in solcher Gestalt soviel Furore habe machen können. Und nun erzählte sie ihr Debüt als Ariadne, worauf sie, wie ich später entdeckte, sehr oft zurückkam, bei welcher Gelegenheit auch Signor Bartolo das Gedicht deklamieren mußte, das er ihr damals aufs Theater geworfen. Es war ein gutes Gedicht, voll rührender Trauer über Theseus’ Treulosigkeit, voll blinder Begeisterung für Bacchus und blühender Verherrlichung Ariadnes. „Bella cosa!“ rief Signora Lätitia bei jeder Strophe, und auch ich lobte die Bilder, den Versbau und die ganze Behandlung jener Mythe.

„Ja, sie ist sehr schön“, sagte der Professor, „und es liegt ihr gewiß eine historische Wahrheit zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns ausdrücklich erzählen, daß Oneus, ein Priester des Bacchus, sich mit der trauernden Ariadne vermählt habe, als er sie verlassen auf Naxos angetroffen; und wie oft geschieht, ist in der Sage aus dem Priester des Gottes der Gott selbst gemacht worden.“

Ich konnte dieser Meinung nicht beistimmen, da ich mich in der Mythologie mehr zur historischen Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: „In der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem Theseus sie auf Naxos sitzenlassen, sich dem Bacchus in die Arme geworfen, sehe ich nichts anderes als die Allegorie, daß sie sich, in jenem verlassenen Zustande, dem Trunk ergeben hat, eine Hypothese, die noch mancher Gelehrte meines Vaterlandes mit mir teilt. Sie, Herr Marchese, werden wahrscheinlich wissen, daß der selige Bankier Bethmann, im Sinne dieser Hypothese, seine Ariadne so zu beleuchten wußte, daß sie eine rote Nase zu haben schien.“

„Ja, ja, Bethmann in Frankfurt war ein großer Mann!“ rief der Marchese; jedoch im selben Augen blick schien ihm etwas Wichtiges durch den Kopf zu laufen, seufzend sprach er vor sich hin: „Gott, Gott, ich habe vergessen, nach Frankfurt an Rothschild zu schreiben!“ Und mit ernstem Geschäftsgesicht, woraus aller parodistische Scherz verschwunden schien, empfahl er sich kurzweg, ohne lange Zeremonien, und versprach, gegen Abend wiederzukommen.

Als er fort war und ich im Begriff stand, wie es in der Welt gebräuchlich ist, meine Glossen über ebenden Mann zu machen, durch dessen Güte ich die angenehmste Bekanntschaft gewonnen, da fand ich zu meiner Verwunderung, daß alle ihn nicht genug zu rühmen wußten und daß alle besonders seinen Enthusiasmus für das Schöne, sein adelig feines Betragen und seine Uneigennützigkeit in den übertriebensten Ausdrücken priesen. Auch Signora Franscheska stimmte ein in diesen Lobgesang, doch gestand sie, seine Nase sei etwas beängstigend und erinnere sie immer an den Turm von Pisa.

Beim Abschied bat ich sie wieder um die Vergünstigung, ihren linken Fuß küssen zu dürfen, worauf sie, mit lächelndem Ernst, den roten Schuh auszog sowie auch den Strumpf; und indem ich niederkniete, reichte sie mir den weißen, blühenden Lilienfuß, den ich vielleicht gläubiger an die Lippen preßte, als ich es mit dem Fuß des Papstes getan haben möchte. Wie sich von selbst versteht, machte ich auch die Kam merjungfer und half den Strumpf und den Schuh wieder anziehen.

„Ich bin mit Ihnen zufrieden“ – sagte Signora Franscheska, nach verrichtetem Geschäfte, wobei ich mich nicht zu sehr übereilte, obgleich ich alle zehn Finger in Tätigkeit setzte –, „ich bin mit Ihnen zufrieden, Sie sollen mir noch öfter die Strümpfe anziehen. Heute haben Sie den linken Fuß geküßt, morgen soll Ihnen der rechte zu Gebot stehen. Übermorgen dürfen Sie mir schon die linke Hand küssen und einen Tag nachher auch die rechte. Führen Sie sich gut auf, so reiche ich Ihnen späterhin den Mund usw. Sie sehen, ich will Sie gern avancieren lassen, und da Sie jung sind, können Sie es in der Welt noch weit bringen.“

Und ich habe es weit gebracht in dieser Welt! Des seid mir Zeugen, toskanische Nächte, du hellblauer Himmel mit großen silbernen Sternen, ihr wilden Lorbeerbüsche und heimlichen Myrten und ihr, o Nymphen des Apennins, die ihr mit bräutlichen Tänzen uns umschwebtet und euch zurückträumtet in jene besseren Götterzeiten, wo es noch keine gotische Lüge gab, die nur blinde, tappende Genüsse im verborgenen erlaubt und jedem freien Gefühl ihr heuchlerisches Feigenblättchen vorklebt.

Es bedurfte keiner besonderen Feigenblätter, denn ein ganzer Feigenbaum mit vollen ausgebreiteten Zweigen rauschte über den Häuptern der Glücklichen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Dritter Teil