Abschnitt 1

Die Bäder von Lucca


Kapitel V


Signora Lätitia, eine funfzigjährige junge Rose, lag im Bette und trillerte und schwatzte mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf einem niedrigen Schemel vor ihr saß und der andre, in einem großen Sessel lehnend, die Gitarre spielte. Im Nebenzimmer flatterten dann und wann ebenfalls die Fetzen eines süßen Liedes oder eines noch wundersüßeren Lachens. Mit einer gewissen wohlfeilen Ironie, die den Marchese zuweilen anwandelte, präsentierte er mich der Signora und den beiden Herren und bemerkte dabei, ich sei derselbe Johann Heinrich Heine, Doktor juris, der jetzt in der deutschen juristischen Literatur berühmt sei. Zum Unglück war der eine Herr ein Professor aus Bologna, und zwar ein Jurist, obgleich sein wohlgewölbter, runder Bauch ihn eher zu einer Anstellung bei der sphärischen Trigonometrie zu qualifizieren schien. Einigermaßen in Verlegenheit gesetzt, bemerkte ich, daß ich nicht unter meinem eigenen Namen schriebe, sondern unter dem Namen Jarcke; und das sagte ich aus Bescheidenheit, in dem mir zufällig einer der wehmütigsten Insektennamen unserer juristischen Literatur ins Gedächtnis kam. Der Bologneser beklagte zwar, diesen berühmten Namen noch nicht gehört zu haben – welches auch bei dir, lieber Leser, der Fall sein wird –, doch zweifelte er nicht, daß er bald seinen Glanz über die ganze Erde verbreiten werde. Dabei lehnte er sich zurück in seinem Sessel, griff einige Akkorde auf der Gitarre und sang aus „Axur“:

„O mächtiger Brahma!
Ach, laß dir das Lallen
Der Unschuld gefallen,
Das Lallen, das Lallen –“

Wie ein lieblich neckendes Nachtigallecho schmetterte im Nebenzimmer eine ähnliche Melodie. Signora Lätitia aber trillerte dazwischen im feinsten Diskant:

„Dir allein glüht diese Wange,
Dir nur klopfen diese Pulse;
Voll von süßem Liebesdrange
Hebt mein Herz sich dir allein!“

Und mit der fettigsten Prosastimme setzte sie hinzu: „Bartolo, gib mir den Spucknapf.“

Von seinem niedern Bänkchen erhob sich jetzt Bartolo mit seinen dürren hölzernen Beinen und präsentierte ehrerbietig einen etwas unreinlichen Napf von blauem Porzellan.

Dieser zweite Galan, wie mir Gumpelino auf deutsch zuflüsterte, war ein sehr berühmter Dichter, dessen Lieder, obgleich er sie schon vor zwanzig Jahren gedichtet, noch jetzt in ganz Italien klingen und mit der süßen Liebesglut, die in ihnen flammt, alt und jung berauschen; – derweilen er selbst jetzt nur ein armer, veralteter Mensch ist, mit blassen Augen im welken Gesichte, dünnen weißen Härchen auf dem schwankenden Kopfe und kalter Armut im kümmerlichen Herzen. So ein armer, alter Dichter mit seiner kahlen Hölzernheit gleicht den Weinstöcken, die wir im Winter auf den kalten Bergen stehen sehen, dürr und laublos, im Winde zitternd und von Schnee bedeckt, während der süße Most, der ihnen einst entquoll, in den fernsten Landen gar manches Zecherherz erwärmt und zu ihrem Lobe berauscht. Wer weiß, wenn einst die Kelter der Gedanken, die Druckerpresse, auch mich ausgepreßt hat und nur noch im Verlagskeller von Hoffmann und Campe der alte, abgezapfte Geist zu finden ist, sitze ich selbst vielleicht ebenso dünn und kümmerlich, wie der arme Bartolo, auf dem Schemel neben dem Bette einer alten Inamorata und reiche ihr auf Verlangen den Napf des Spuckes.

Signora Lätitia entschuldigte sich bei mir, daß sie zu Bette liege, und zwar bäuchlings, indem ein Geschwür an der Legitimität, das sie sich durch vieles Feigenessen zugezogen, sie jetzt hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme, auf dem Rücken zu liegen. Sie lag wirklich ungefähr wie eine Sphinx; ihr hochfrisiertes Haupt stemmte sie auf ihre beiden Arme, und zwischen diesen wogte ihr Busen wie ein rotes Meer.

„Sie sind ein Deutscher?“ frug sie mich.

„Ich bin zu ehrlich, es zu leugnen, Signora!“ entgegnete meine Wenigkeit.

„Ach, ehrlich genug sind die Deutschen!“ – seufzte sie – „aber was hilft es, daß die Leute ehrlich sind, die uns berauben! sie richten Italien zugrunde. Meine besten Freunde sitzen eingekerkert in Milano; nur Sklaverei –“

„Nein, nein“, rief der Marchese, „beklagen Sie sich nicht über die Deutschen, wir sind überwundene Überwinder, besiegte Sieger, sobald wir nach Italien kommen; und Sie sehen, Signora, Sie sehen und Ihnen zu Füßen fallen, ist dasselbe –“ Und indem er sein gelbseidenes Taschentuch ausbreitete und darauf niederkniete, setzte er hinzu: „Hier knie ich und huldige Ihnen im Namen von ganz Deutschland.“

„Christophoro di Gumpelino!“ – seufzte Signora tiefgerührt und schmachtend – „stehen Sie auf und umarmen Sie mich!“

Damit aber der holde Schäfer nicht die Frisur und die Schminke seiner Geliebten verdürbe, küßte sie ihn nicht auf die glühenden Lippen, sondern auf die holde Stirne, so daß sein Gesicht tiefer hinabreichte und das Steuer desselben, die Nase, im roten Meere herumruderte.

„Signor Bartolo!“ rief ich, „erlauben Sie mir, daß auch ich mich des Spucknapfes bediene.“

Wehmütig lächelte Signor Bartolo, sprach aber kein einziges Wort, obgleich er, nächst Mezzophante, für den besten Sprachlehrer in Bologna gilt. Wir sprechen nicht gern, wenn Sprechen unsre Profession ist. Er diente der Signora als ein stummer Ritter, und nur dann und wann mußte er das Gedicht rezitieren, das er ihr vor fünfundzwanzig Jahren aufs Theater geworfen, als sie zuerst in Bologna, in der Rolle der Ariadne, auftrat. Er selbst mag zu jener Zeit wohlbelaubt und glühend gewesen sein, vielleicht ähnlich dem heiligen Dionysos selbst, und seine Lätitia-Ariadne stürzte ihm gewiß bacchantisch in die blühenden Arme – Evoe Bacche! Er dichtete damals noch viele Liebesgedichte, die, wie schon erwähnt, sich in der italienischen Literatur erhalten haben, nachdem der Dichter und die Geliebte selbst schon längst zu Makulatur geworden.

Fünfundzwanzig Jahre hat sich seine Treue bereits bewährt, und ich denke, er wird auch bis an sein seliges Ende auf dem Schemel sitzen und auf Verlangen seine Verse rezitieren oder den Spucknapf reichen. Der Professor der Jurisprudenz schleppt sich fast ebensolange schon in den Liebesfesseln der Signora, er macht ihr noch immer so eifrig die Cour wie im Anfang dieses Jahrhunderts, er muß noch immer seine akademischen Vorlesungen unbarmherzig vertagen, wenn sie seine Begleitung nach irgendeinem Orte verlangt, und er ist noch immer belastet mit allen Servituten eines echten Patito.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Dritter Teil