Pommern - Greifswald, dem pommerschen Athen

Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Kultur-, Sitten- und Sozialgeschichte, Bildung, Lebensverhältnisse, Besitzverhältnisse, Greifswald, Eldena, Zar Peter der Große, Schwedenzeit, Universität
Man gelangt auf einem mannigfaltigen Wege über Eldena nach Greifswald, dem pommerschen Athen, das auch den preußischen Einfluss empfunden hat und heut zu Tage sicherlich keinen Schuster mehr zum Doktor kreieren wird. Das Universitätsgebäude war früher glänzender, als die Universität, die unter Schweden kaum über sechzig Studenten zählte, denen zwei und zwanzig Professoren Vorlesungen hielten, heut zu Tage aber über hundert und dreißig, die größtenteils aus der Umgegend herrühren und von dreizehnhundert Thalern Stipendien und Heringen studieren, mit denen das Meer hier der Armut zu Hilfe kommt. Übrigens erfreut sich Greifswald mancherlei Schenkungen und Einkünfte, wie z. B. des Klosters Eldena, die die Professoren trösten mögen, wenn sie vor leeren Bänken lesen. Professor Schuck wurde hier sogar so fett, dass Zar Peter I. vor Verwunderung über die Masse den Wunsch äußerte, sie näher zu untersuchen.

Wenn die Fama nicht lügt, so sollte auch Schack die Ehre genießen, in Gegenwart Sr. Zarischen Majestät aufgeschnitten zu werden, eine Prozedur, die dem dicken Professor so entsetzlich schien, dass er vom Schlage getroffen wurde. Ich erkundigte mich genauer nach dem Vorfall, und vernahm, Schack hätte der philosophischen Fakultät angehört, die Kollegen aber und der akademische Senat hätten, trotz der Universitätsprivilegien und der Korporation, ihren Konsens zu der von Peter dem Großen beabsichtigten anatomischen Untersuchung gegeben, da dieselbe doch auch im Interesse der Wissenschaft geschehe. Wenn dem so ist, so können sich die Göttinger Professoren Glück wünschen, dass sie nicht im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts gelebt haben.

Die Universität Greifswald wurde 1455 von dem Herzoge Wratislaw IX., wolgastscher Linie, gestiftet, eigentlich aber von dem Bürgermeister Rubenow, der den Impuls dazu von den 1435 aus Rostock hierher geflüchteten Professoren erhielt. Rubenow wurde der erste Rektor und die Rostocker Professoren malte ein pommerscher Künstler aus Dankbarkeit auf Leinwand. Wir wollen hoffen, dass sie im Leben nicht so traurig ausgesehen haben, wie in effigie. Rubenow wurde auch auf Leinwand gemalt, aber nichts desto weniger später von den getreuen Greifswalder Bürgern auf dem Rathause gesteinigt, ein Mord, der nach Cramer von dem Teufel angelegt war: „weil er befand, dass durch Stiftung der Akademie mehr Gutes wider sein höllisches Reich beschaffet werden würde, denn durch alle bisher angelegte Klöster“, eigentlich aber nur aus Eifersucht der Bürger gegen den allmächtigen Bürgermeister herrührte. Bekanntlich hatte auch der Teufel seine Hand bei der Einsetzung der Georgia Augusta im Spiel. Die Göttinger Bürger protestierten gegen die Universität und nannten den Anatomen Albrecht einen Menschenschinder. Ob sie ahnen mochten, dass es leichter sei, die Universität zu entbehren, als dieselbe zu verlieren?

Die Studenten in Greifswald gehören gewissermaßen zur Familie und haben den Vorzug, dass sie sich durch keinerlei burschikose Weise auszeichnen, was hauptsächlich auch wohl an den beschrankten Vermögensverhältnissen der hier Studierenden liegen mag. Je nachdem dieselben eine Erweiterung der Studien möglich machen, studiert man gern in Halle, oder in Berlin.

Die Bibliothek ist nicht unbedeutend, sie umfasst beinahe vierzigtausend Bande, die freilich von Universitätswegen nur durch einen jährlichen sehr mäßigen Beitrag und eine Quote der Inskriptionsgebüren vermehrt werden können, durch außerordentliche Beiträge und Schenkungen aber den angegebenen Belauf erreichten. Im theologischen und historischen — besonders im pommerschen — Fache enthält die Bibliothek Wertvolles, aber auch viel Überflüssiges, denn man findet hier ganze Zimmer mit Schriften über Pommern, unter welchen selbst Gelegenheitsgedichte nicht fehlen und Leichenpredigten. Zum nachhaltigen Studium neurer pommerscher Geschichte und Geographie sind die Manuskripte des Professors von Schwarz zu empfehlen, der im eigentlichen Sinne des Worts einen ganzen Schrank Ungedrucktes hinterlassen hat. Das Wertloseste in der Bibliothek mag von dem Professor Mayer herrühren, der für Alles eine Antwort bereit hatte und mit einem: „das will ich ihm sagen“ auf den Lippen verschied, als sein Arzt wissen wollte: „worin wohl die Glückseligkeit der Gerechten im künftigen Leben bestehen würde?“ Mayer starb an der Wassersucht, und man behauptete, seine Schriften, die mit dem Pastor Götze in Hamburg konkurrierten, seien ihm ins Blut getreten. Bedeutende wissenschaftliche Momente knüpfen sich nicht an Greifswald, aber für Pommern war diese Universität doch eine Oase in der Wüste; denn was wir an Geschichte und Altertumskunde über einen Landstrich besitzen, der erst so spät in das Christentum übertrat, das verdanken wir den Greifswalder Professoren, die nicht alle so fett, wie Schack, und so weitläufig und schreibselig waren, wie Mayer. Erzählt man sich doch von einem Gärtner, der, ohne Latein und Botanik, alle Pflanzen des Greifswalder botanischen Gartens bei rechtem Namen zu nennen wusste und allen Gärtnern zum Vorbild dienen konnte, nebenbei aber auch den Professoren, dass sie nicht so viel Gewicht auf Namen legen mögen.

Greifswald, Giebelhaus am Markt

Greifswald, Giebelhaus am Markt

Greifswald Stadtansicht

Greifswald Stadtansicht

Ruinen des KLosters Eldena

Ruinen des KLosters Eldena

Greifswald

Greifswald