Abschnitt 1

Erste Abtheilung.
Geschichte des Goldes


I. Capitel.
Entdeckung des Goldes in der Provinz S. Paulo.


Die Geschichte der Entdeckung des Goldes in der Provinz S. Paulo wie in den andern Provinzen Brasiliens überhaupt, steht in so enger Verbindung mit der von dem. ersten Eindringen der Küstenbewohner in das Innere dieses Landes, daß beide nicht wohl von einander zu trennen sind; doch werde ich so viel wie möglich alles Unnöthige beseitigen und die mir gemachte Aufgabe unmittelbar im Auge behalten. Eine geschicktere Feder als die meinige würde das geschichtlich Trockne dieses Gegenstandes eben so unterhaltend als ergötzlich auszuschmücken wissen, da mir aber das Talent einer solchen Darstellung mangelt, so werde ich mich nur an die einfachen Thatsachen halten. Man erwarte daher nur eine schlichte Zusammenstellung dessen, was ich über vorliegenden Gegenstand aus gedruckten und ungedruckten Nachrichten gesammelt, und was ich zum Theil selbst erlebt und beobachtet habe.

Beinahe hundert Jahre waren seit der Entdeckung Brasiliens durch Pedro Alvares de Cabral, im Jahre 1500, verflossen, ohne daß man nur eine Ahndung von den Schätzen gehabt, die in seinem Schooße verborgen lagen; denn da man die ursprünglichen Völkerschaften Brasiliens auf der niedrigsten Stufe der Cultur fand, auch in ihrem Aeußern ohne jene kostbaren Trachten, wodurch die Urbewohner Mexico’s zur Zeit der ersten Entdeckung sogleich den Golddurst der Spanier erregten; so fehlte auch der Hauptwegweiser, der zu dieser Entdeckung hätte früher führen können. Deshalb verzögerte sich dieselbe bis zu der Zeit, wo häufigere Streifzüge zum Menschenfange in das Innere des Landes unternommen wurden; und diese waren um so häufiger, je mehr die Bevölkerung zunahm. Besonders gingen dieselben aus der Capitania de S. Vicent aus, die später den Namen S. Paulo erhielt. Hier befreundeten :sich auch bald die neuen europäischen Ansiedler mit den benachbarten Wilden und vermischten sich mit ihnen, so daß dadurch eine eigne Race Menschen entstand, die man Paulisten nannte, welchen Namen jetzt alle Bewohner der Provinz S. Paulo führen. Eben so werden auch die Bewohner von Minas jetzt Mineiros genannt werden, ohne dieß im eigentlichen .Sinne zu seyn. 1)

Diese Menschen waren es nun, die zuerst das Gold auf ihren Streifzügen entdeckten, und namentlich schreibt man, nach einer in dem Rathhause von S. Paulo existirenden Urkunde, einem gewissen Alfonso Sardinha diese Entdeckung im Jahre 1590 an der Serra de Jaragua zu; eben so die des Eisens auf dem Marro de Arrasoyaba und des Silbers in dem Districte von Byrosoyaba, dessen Vorhandenseyn man indessen bezweifeln muß, da bis jetzt noch nichts diese Sage bewahrheitet hat.

Das Gerücht der Entdeckung des Goldes verbreitete sich gleich dem Feuer in den entzündlichen trocknen Grassteppen. Gold! Gold! Gold! wurde die Losung, und Leute aus allen Ständen, Vornehme und Geringe, Reiche und Arme verließen ihren friedlichen Heerd, ihr Gewerbe, Haus und Hof; Frau und Kinder, Alles war von dem reizenden Gedanken eingenommen, die goldnen Berge, Seen und Flüsse aufzusuchen, von denen hundert fabelhafte Gerüchte in Umschwung kamen. Unsäglichen Mühseligkeiten und Gefahren setzte man sich aus, um die schöne Aussicht schnellen und großen Reichthums zu verwirklichen.

Mit jedem Jahre wuchs der Andrang, meistens zügelloser Menschen, zu diesen Unternehmungen, die bald durch Neid und Mißgunst sich feindselig gegenüber standen und störende Spaltungen der Partheien verursachten, die selbst zu verderblichen Bürgerkriegen ausarteten.

Man kann wohl behaupten, daß in keinem Theile der Welt bergmännische Entdeckungen so große Bewegungen unter den Menschen aller Classen hervorgebracht haben, als die in Brasilien; denn sogar bis über das Meer nach Portugal erstreckte sich die allgemeine Aufregung, und oft waren nicht Schiffe genug da, die golddürstige Menge nach den jenseitigen Besitzungen zu tragen. Aber auch nirgends wurden wohl bergmännische Nachforschungen mit mehr Eifer und unter größern Gefahren und Mühseligkeiten unternommen, denn die rohen, unersättlichen Streifzügler drangen bis in die wilden Sertoês des jetzigen Minas, Goyaz und Matto grasso, ja selbst bis in das Gebiet von Peru, – die Einen, um wilde Urbewohner zu fangen und sie in die Sclaverei zu fuhren, die Andern, um Gold zu suchen. Am häufigsten wurden aber beide Zwecke vereinigt, ungeachtet zu der Zeit, da man das Gold entdeckt hatte, der Sclavenhandel mit den Wilden schon verboten war, und diese in alle Rechte freier Menschen eingetreten waren. 2)

Der einzige Aufwand, den diese Streifzüge, Bandeiras 3) genannt, erforderten, war die Anschaffung von Pulver und Blei; denn ohne das geringste Gepäck und ohne Lebensmittel pflegten diese Menschen in die Wildnisse baarfuß vorzudringen. Ihre ganze Bekleidung bestand in baumwollenen Beinkleidern, einem kurzen darüberhängenden Hemde, einem ledernen Gürtel um die Lenden und bisweilen noch in einem ledernen Wamms (gibbaô) und Perneiras. 4) Auf dem Kopfe trugen sie einen hohen, breitrandigen Strohhut, und über den Schultern hing eine lederne Tasche für Lebensmittel, nebst einem Ochsenhorn (guampa) als Trinkgefäß, und eine Cuya 5) als Eßteller. Zur Bewaffnung trugen die Einen Flinten, die Andern Aexte, jeder aber ein großes Messer. Auf diese Art zogen sie vorwärts, einzig von der Jagd, dem Fischfange, wilden Früchten und Honig lebend. Sollte der Zug mehrere Jahre dauern, so nahm man wohl Sämereien, besonders Mais und Bohnen, so wie einiges Geräthe mit, um das Land zu bebauen, und um da, wo länger verweilt würde, eine Pflanzung anzulegen; war dieses geschehen, so zog man auch wohl lustig und fröhlich weiter und kehrte zur Erndtezeit dahin zurück, jedoch nicht aus Noth, sondern aus Sehnsucht nach dem Genusse gewohnter Speisen; denn in diesem gesegneten Lande bedarf es nicht des Säens, um zu erndten; die Natur läßt hier den Menschen nicht darben, reichlich beschenkt sie ihn mit dem, was er zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse vonnöthen hat. Mit Gewehr, Pulver und Blei, mit Fallen, Schlingen, Angeln, mit Bogen und Pfeilen, einer Axt und Spaten versehen, verschafft er sich alles, was zur Leibesnahrung gehört, Fleisch, Fische, Palmkohl, Wurzeln, Früchte, Honig, ja selbst geistige Getränke. 6) Steppenländer und Urwälder reichen ihm Lebensunterhalt, und letztere besonders in größter Mannigfaltigkeit. Denn man vergleiche nur die Völker der Urwälder mit denen der Steppenbewohner, und man wird hinreichende Beweise finden, daß jene weit weniger Industrie und Culturfähigkeiten haben, als diese.
Solchen Streifzüglern nun verdankt man die Entdeckung des Goldes in Brasilien, welche aber wegen des Reichthums der andern Provinzen weit mehr Aufsehn erregt hat, als die Entdeckungen in der Provinz S. Paulo, wovon nur sehr wenig bekannt worden ist. –




1) Noch jetzt leben in der Provinz S. Paulo viele Vornehme Familien, die stolz darauf sind, von den alten Paulisten und Volkshäuptern abzustammen; denn dadurch halten sie sich für geadelt. Genugsam beweist ihr kleiner Körperbau, das schlichte Haar, die blasse Gesichtsfarbe, die kleinen durchdringenden schwarzen Augen ihre Abkunft von Amerikanischer Race. Ihr Muth, ihre Furchtlosigkeit bei Gefahren, ihre Behendigkeit und ihr Unternehmungsgeist, ihre Abneigung vor anstrengenden Arbeiten, ihre Rachsucht u. s. w., zeugen von ihrer wilden Abstammung von mütterlicher Seite, so wie ihr Scharfsinn und die Lebhaftigkeit ihres Geistes ihre Portugiesische Abkunft väterlicher Seits beurkunden.
2) In dem Gesetze vom 30. Juli 1609 und 10. Septbr. 1611 wurde der Menschenhandel aufs Strengste verboten. Leider litt aber von jeher Portugal, so wie Brasilien, an der Krankheit des Ungehorsams, und die, welchen die Vollziehung des Gesetzes obliegt, sind nicht selten in dem Grade ohne Energie und guten Willen, daß das mit großer Weisheit verfaßte Gesetz bald in Vergessenheit geräth, oder so viele gesetzliche Ausnahmen erleidet, daß das Grundgesetz am Ende ganz verschwindet.
3) Bandeiras heißen eigentlich Fahnen. Wahrscheinlich führten jene Streifzüge diesen Namen, weil sie gewöhnlich unter einem Anführer gemacht wurden, welcher die Kosten bestritt und unter dessen Fahne oder Schutz sich die Uebrigen begaben. Solcher unternehmenden Köpfe gab es sehr viele, und Abentheurer und Müssiggänger gesellten sich in Menge zu ihnen, um an den Expeditionen Theil zu nehmen,
4) Perneiras sind braungefärbte lederne Ueberhosen, welche kein Gesäß haben und camaschenartig. bis über die Füße reichen. Sie sind gewöhnlich von den Fellen des Brasilianischen Hirsches, oder von wilden Schweinen. Noch jetzt sind diese in den Sertoês üblich, und besonders unter den Vacqueiros (Viehaufseher), die ganz in Leder gekleidet mit einer langen Lanze zu Pferde sitzen, und große, ungeheure Sporen (gilenos) an den nackten Füßen tragen.
5) Die Cuya's sind Näpfchen, entweder ans der Frucht der Crescentia Cuyeté, oder aus Horn gemacht. Erstere sind oft mit bunten Malereien und letztere mit Basreliefs verziert.
6) Eigene Erfahrungen in den Grassteppen und Urwäldern der Sertoês der beiden Hauptflüsse Indaia und Abaete (an der Gränze von Minas und Goyaz), haben mich oft belehrt, wie man, ohne Vorrath von gewohnten Lebensmitteln, dennoch nie Mangel leidet. Von jeder Communication mit cultivirten Gegenden auf 20 Legoas, durch grobe Wälder

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pluto Brasiliensis