Belakane

Parzival.

I.
Belakane.


Inhalt.

In der Einleitung wird die Treue gegen Gott und Menschen der Untreue und dem Zweifel entgegengesetzt; dann gewarnt vor dem Vertrauen zu dem Unstäten. Auch die Frauen sollten ihre Gunst nur dem Getreuen zuwenden, sie selbst nur durch ihre Treue, nicht durch äußere Schönheit des Lobs der Männer theilhaftig werden. So bricht der Dichter seine Betrachtungen ab, verspricht seinen Zuhörern ein mannigfaltiges Gedicht von großem Umfange und geht nach dem Lobe seines noch ungeborenen Helden zu der Geschichte seines Vaters über. Gahmuret, der jüngere Sohn Gandeins, Königs von Anschau (Anjou), daher er auch Anschewein (Anjevin) heißt, will nach dem Tode seines Vaters nicht Ingesinde seines Bruders Galoes sein, dem nach dem Erstgeburtsrecht die Krone zugefallen war. Entschloßen, keinem andern zu dienen als der auf Erden die höchste Macht besäße, begiebt er sich, von der Mutter, dem Bruder und einer Freundin stattlich ausgerüstet, nur von edeln Kinden (Pagen), Knappen und Hausgesinde begleitet, in den Dienst des Baruchs (Kalifen) von Baldag (Bagdad), der mit zweien babylonischen Brüdern, Pompejus und Ipomidon, im Kriege begriffen ist. Seines Vaters Wappen, den Panther, hat er mit dem Anker vertauscht. Nachdem er sich hier und in vielen andern Ländern versucht, verschlägt ihn der Sturm in den Hafen von Patelamunt, wo Belakane, die Königin von Zaßamank im Mohrenlande, der Ermordung Eisenharts beschuldigt, von zweien Heeren, einem christlichen und einem heidnischen, belagert wird. Der Mohrenkönig Eisenhart von Aßagog hatte im Minnedienst Belakanens auf ihren Befehl und zum Beweise seiner Ergebenheit und Kühnheit die Rüstung weggegeben. Als er nun bloß auf Abenteuer ausritt, ward er von seinem Nebenbuhler Prothißilas, einem Fürsten Belakanens, in der Tjost, dem ritterlichen Zweikampf, erschlagen, und Belakanen traf der Verdacht, ihn verrathen zu haben. Der Schottenkönig Friedebrand, dessen Oheim Tankanis des Erschlagenen Vater war, zog, seinen Mord zu rächen, mit vier Genoßen über Meer, und bestürmte Patelamunt vor acht Thoren, während die andern acht der Mohr Raßalig von Aßagog, ein Vasall Eisenharts, bedrängte. Friedebrand selber war mit Morholden, der aus Gottfried von Straßburgs Tristan bekannt ist, wieder heimgezogen, um sein eigen Land gegen die Verwandten Hernants, den er Herlindens wegen erschlagen hatte, zu schirmen; sein Heer aber bedroht noch Patelamunt. Die Belagerer führen einen durchstochenen Ritter in der Fahne, die Belagerten das Bild ihrer Königin, welche zwei Finger der rechten Hand zum Eide ausgestreckt hält, daß sie an Eisenharts Tode unschuldig sei. Sich zur Rache anzuspornen, haben die Belagerer die gebalsamte Leiche Eisenharts nebst dessen kostbarer Rüstung unter einem prächtigen Gezelte vor der Stadt aufgestellt. So stehen die Dinge, als Gahmuret anlangt und der Königin, die ihm trotz ihrer Schwärze gefällt, seine Dienste widmet. Am Morgen reitet er zuerst in das Christenheer, besiegt und fängt dessen Anführer, die Herzoge Heuteger von Schottland und Gaschier von Normandie, entweicht aber vor Kaileten, den er an dem Strauß auf dem Helm und dem Sarapandratest (Tête de serpent) am Schilde als seinen Muhmensohn erkennt. Doch will auch dieser nicht mit ihm streiten, als er von Heuteger seinen Namen erfährt. Von da reitet er zu den Mohren, deren Fürsten Raßalig er gleichfalls gefangen nimmt. Da hiemit der Krieg entschieden ist, kehrt er in die Stadt zurück, wo ihn die Königin entwappnet, und sogleich in ihr Schlafgemach führt. So wird er König der Mohrenreiche Zaßamank und Aßagog. Gahmuret giebt seine Gefangenen und seinen Neffen Killirjakak von Champagne, den die Städter früher gefangen hatten, frei, belehnt seine Fürsten, und schenkt seinem Wirthe das von Prothißilas hinterlaßene Herzogtum. Eisenharts Leiche wird zur Erde bestattet, sein prächtiges Gezelt erhält Gahmuret, und die kostbare Rüstung, welche Raßalig, um sie dem Lande zu erhalten, seinem neuen Könige gleichfalls erbeten hatte, verspricht Heuteger von seinem Herren Friedebrand zu erwerben und ins Mohrenland zurückzuschicken. Die christlichen Fürsten fahren heim, Gahmuret bleibt zurück, sehnt sich aber bald, zumal er keine Ritterschaft findet, wieder nach der Christenheit. Heimlich schifft er sich ein und hinterläßt der Königin einen Brief, der ihr den Grund seiner Flucht meldet und für das Kind, das sie von ihm trägt, sein Geschlechtsregister ausführlich mittheilt. Jenes kommt wie eine Elster schwarz und weiß gescheckt zur Welt und wird Feirefiss Anschewein genannt. Gahmuret begegnet unterwegs noch dem Schiffe, das Eisenharts kostbare Rüstung zurückbringt. Er läßt sie sich aushändigen und fährt gen Sevilla.

1


Wem Zweifel an dem Herzen nagt,
Dem ist der Seele Ruh versagt.
Geziert ist und zugleich entstellt,
Wo Unlautres sich gesellt






5


Zu des kühnen Mannes Preis
Wie bei der Elster Schwarz zu Weiß.
Doch oft gelangt er noch zum Heil,
Denn beide haben an ihm Theil,
Der Himmel und der Hölle Schlund.






10


Wer Untreu hegt in Herzensgrund,
Wird schwarzer Farbe ganz und gar
Und trägt sich nach der finstern Schar;
Doch fest hält an der blanken
Der mit stätigen Gedanken.






15


Dieses flüchtge Gleichniss,
Den Blöden ists zu schnell gewiss,
Sie faßen nicht der Lehre Sinn.
Es huscht im Saus vor ihnen hin
Wie ein brünstiger Hase.






20


Zinn verlöthet hinterm Glase
Täuscht wie des Blinden Traumgesicht.
Sie weigern flüchtgen Anblick nicht;
Doch beständig kann nicht sein
Dieser trübe, leichte Schein,






25


Seine Freud ist kurz fürwahr.
Wer rauft mich, wo mir niemals Haar
Wuchs, in hohler Hand so bloß?
Der hat zu nahe Griffe los.

Schrei ich doch auf vor solcher Noth,
So ist mein Verstand wohl unbedroht.






2


Wie werd ich Treue finden,
Wo sie sicher muß verschwinden
Wie das Feuer in dem Bronnen,
Wie der Thau vor der Sonnen?






5


Auch kannt ich nie so weisen Mann,
Der nicht gern Kunde hätt empfahn,
Wie hienach zu leben frommt
Und was daraus für Lehre kommt.
So beschieden wird er nie verzagen






10


Bald zu fliehen, bald zu jagen,
Nun zu weichen, nun zu kehren,
Jetzt zu tadeln, jetzt zu ehren.
Wer mit dem allen umgehen kann,
An dem hat Weisheit wohlgethan,






15


Der sich nicht versitzet noch vergeht
Und sonst auch wohl Bescheid versteht.
Des wandelbaren Freundes Sinn
Führt zum Höllenfeuer hin,
Verhagelt hoher Ehren Glanz.






20


Seine Treue war so kurz von Schwanz,
Daß sie kaum den dritten Stich vergalt,
Wenn sie von Bremsen litt im Wald.

Aber nicht allein den Mann
Gehn alle diese Lehren an;






25


Dieß Ziel steck ich den Frauen:
Die meinem Rath will trauen,
Die wisse wohl, wohin sie kehre
Ihren Preis und ihre Ehre
Und welchem Mann sie sei bereit
Ihrer Lieb und Würdigkeit,






3


Auf daß sie nicht gereue
Ihrer Keuschheit, ihrer Treue.
Von Gott erfleh ich gutem Weibe,
Daß sie dem Maß getreu verbleibe.






5


Aus Scham fließt alle gute Sitte:
Dieß Heil ists, das ich ihr erbitte;
Die Falsche lohnt nur falscher Preis.
Wie lange währt ein dünnes Eis,
Wenn des Augustmonds Sonne schien?






10


So fährt auch bald ihr Lob dahin.

Viel Schöne preist die weite Welt;
Ist deren Herz nicht wohlbestellt,
Die lob ich, wie ich loben wollt
Ein blaues Glas, gefaßt in Gold.






15


Des Missgriff auch ist nicht gering,
Der in den schlechten Messing
Verwirkt den köstlichen Rubin,
All seines Glückes Vollgewinn:
Dem gleich ich rechten Frauenmuth.






20


Die weiblich denkt und weiblich thut,
Nach deren Aussehn frag ich nicht,
Noch ob ihr Herzensdach besticht:
Ist sie innerhalb der Brust bewahrt,
Bleibt volles Lob ihr ungespart.






25


Sollt ich euch nun Weib und Mann
So gründlich schildern als ichs kann,
So würd uns Zeit und Weile theuer;
Hört lieber dieses Abenteuer.
Es weiß von Lieb und Leide
Und lehrt sie kennen beide;






4


Freud und Angst sind auch dabei.
Und wären hier statt meiner drei,
Deren Jeder Kunst besäße,
Daß man meiner Kunst vergäße,






5


Es brauchte doch manch seltnen Fund,
Thäten euch die dreie kund,
Was ich euch künden will allein;
Ihre Mühe sollte sauer sein.

Die Märe, die ich erneue,






10


Meldet von großer Treue,
Von Weibes rechter Weiblichkeit,
Von echten Mannes Mannheit,
Die nie vor hartem Stein sich bog.
Sein Herz ihn nie darum betrog,






15


Er Stahl! wo er zum Streite kam,
Daß seine Hand nicht siegreich nahm
Manchen rühmlichen Preis.
Er kühner Mann, versucht und weis
(Der Held ists, den ich grüße),






20


In der Frauen Augen süße,
Und doch der Frauenherzen Sucht,
Im Unglück sichre Zuflucht!
Den ich hiezu mir auserkoren,
Im Gedicht ist er noch ungeboren,






25


Den diese Aventüre meint
Und was von Wunder drin erscheint.

Noch pflegt man, wie man sonst gepflegt,
Wo man welsch Gerichte hegt;
So hälts wohl auch bei uns ein Strich,
Ihr werdets wißen ohne mich.






5


Wer je da herscht' im Lande,
Der gebot wohl ohne Schande,
Es ist die Wahrheit sonder Wahn,
Der ältre Bruder sollt empfahn






5


Des Vaters Erbschaft allzumal.
Das schuf den jüngern Söhnen Qual,
Denn ihnen nahm des Vaters Tod
Die Rechte, die sein Leben bot.
Das Land war allen sonst gemein;






10


Der ältre hat es jetzt allein.
Das rieth jedoch ein weiser Mann,
Daß Alter Gut sollt empfahn.
Jugend hat viel Würdigkeit,
Das Alter Seufzen nur und Leid.






15


Es ist wohl nichts so trübgemuth
Als Alter bei der Armut.
Könge, Grafen, Herzogen,
Das sag ich euch für ungelogen,
Daß die des Guts enterbet sind


20


Bis auf das älteste Kind,
Das ist gar ein seltsam Ding.
Der fromme, kühne Jüngling,
Gachmuret der Weigand
Verlor so Burgen auch und Land,






25


Wo sein Vater einst mit Fug
Scepter und Krone trug
In königlicher Herlichkeit,
Bis ihn dahin nahm Ritterstreit.

Sie klagten ihn im Lande sehr.
Ohne Makel Treu und Ehr






6


Bracht er bis auf seinen Tod.
Alsbald der ältre Sohn entbot
Des Landes Fürsten her zu sich.
Sie kamen alle ritterlich,






5


Denn große Lehen sonder Wahn
Sollten sie von ihm empfahn.

Da sie zu Hof gekommen,
Eines Jeden Recht vernommen
War, daß sie die Lehn empfingen,






10


Nun höret, was sie da begingen.
Wie ihre Treue rieth den Biedern,
Das Volk zumal, die Hoh'n und Niedern,
Bescheiden haben sie gebeten,
Daß der König Gahmureten






15


Die Brudertreu bewährte
Und sich selber damit ehrte,
Daß er ihn nicht ganz verstieße
Und ihm in seinem Lande ließe
Einen Edelsitz, nur daß er hätte






20


Seiner Freiheit eine Stätte,
Darauf sein Name möchte ruhn.
Der König wollt es gerne thun:
„Ihr wißt mit Maßen zu begehren,
Ich will euch das und mehr gewähren.






25


Was nennt ihr nicht den Bruder mein
Gachmuret Anschewein?
Anschau heißet dieß mein Land:
Wir beide sein davon genannt.“

Also sprach der König hehr.
„Mein Bruder wiße, daß er mehr




7


Stäter Hülfe bei mir finde,
Als ich sagen könnte so geschwinde.
Er soll mein Ingesinde sein.
Ich laß euch nicht im Zweifel sein,






5


Ob uns dieselbe Mutter trug.
Er hat wenig, ich genug:
Drum soll ihm spenden meine Hand,
Daß nicht mein Heil dafür zu Pfand
Steh vor dem, der nimmt und giebt,






10


Beides ganz wie ihm geliebt.“

Als die Fürsten all umher
Vernahmen, daß der König hehr
Dem Bruder ganzer Treue pflag,
Das war den Herrn ein lieber Tag;






15


Auch dankt' es ihm ein Jeder sehr.
Da säumte Gahmuret nicht mehr
Zu reden, wie das Herz ihm sann.
Zum König hub er gütlich an:
„Herr und lieber Bruder mein,






20


Wollt ich Ingesinde sein
Eines Mannes auf der Welt,
So wärs hier wohl um mich bestellt.
Nun meßet daran meinen Preis,
Seid ihr doch getreu und weis,






25


Und rathet nach der Dinge Stand;
Darnach geht hülfreich mir zur Hand.
Ein Harnisch nur gehört mir an;
Hätt ich mehr darin gethan,
Das in der Ferne Lob mir brächte,
So hofft ich, daß man mein gedächte.“






8


Gachmuret sprach weiter: „Noch
Sechszehn Knappen hab ich doch,
Davon ich sechs geharnischt finde.
Gebt ihr mir dazu vier Kinde






5


Von guter Zucht, von hoher Art,
So wird an ihnen nichts gespart,
Das ich erwerben mag mit Händen.
Ich will mich in die Fremde wenden.
Ich hab auch früher Land durchfahren.






10


Wenn das Glück mich will bewahren,
So erwerb ich guten Weibes Gruß.
Wenn ich dafür ihr dienen muß
Und ich dessen würdig bin,
So räth mir Herz und bester Sinn,






15


Daß ich der rechten Treue pflege.
Gott leite mich des Heiles Wege!
Wir fuhren einst gesellt umher
(Damals trug die Krone hehr
Noch unser Vater Gandein),






20


Wir litten Kummer viel und Pein
Manchmal um ein liebes Lieb.
Ihr wart ein Ritter und ein Dieb,
Ihr konntet dienen, konntet hehlen;
Ach, könnt auch ich nun Minne stehlen;






25


Weh mir, hätt ich Eure Kunst
Und bei der Schönen wahre Gunst!“

Mit Seufzen sprach der König da:
„O weh, daß ich dich jemals sah,
Da du so mit leichtem Scherz
Mir zerschnitten hast das Herz






9


Und zerschneiden wirst im Scheiden.
Mein Vater hat uns beiden
Hinterlaßen Gut genug:
Dir sei daran der gleiche Fug.




5


Ich bin dir von Herzen hold:
Licht Gesteine, rothes Gold,
Rosse, Waffen, Volk, Gewand,
Des nimm so viel von meiner Hand,
Daß du nach deinem Willen fährst






10


Und deine milde Hand bewährst.
Deine Tapferkeit ist auserkoren:
Wärst du von Gilstram geboren
Oder kämst von Rankulat daher,
Lieber könnt ich nimmermehr






15


Dich haben, als ich dich gewann:
Du bist mein Bruder sonder Wahn.“

„Herr, mich zu loben ist euch noth,
Da eure Zucht es euch gebot.
Nun sollt ihr mir auch Hülfe leihn.






20


Wollt Ihr und auch die Mutter mein
Mir geben eures fahrenden Gutes,
So steig ich aufwärts frohes Muthes.
Empor ist meines Herzens Streben:
Warum hat es dieses Leben,






25


Daß so mir schwillt die linke Brust?
Wohin, ach, jagt mich ihr Gelust?
Ich wills erfahren, wenn ich kann;
Nun naht der Abschied mir heran.“

Der König Alles ihm gewährte,
Er gab ihm mehr als er begehrte:






10


Fünf Rosse schön und auserkannt,
Die Besten in des Königs Land,
Stark, kühn und rasch von Feuer;
Viel Goldgefäße theuer






5


Und manchen Kloß von Golde schwer.
So milde war der König hehr,
Er füllt' ihm des vier Reiseschreine;
Darein auch muste viel Gesteine.
Da sie gefüllet lagen,






10


Knappen, die des pflagen,
Waren wohl bekleidet und beritten.
Sie weinten laut mit Jammerssitten,
Als er vor seine Mutter ging,
Und sie herzend ihn umfing.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Parzival und Titurel