Kisfaludy Alexander (1772-1844) ungarischer Offizier und Dichter

Der ältere des glänzenden Doppelgestirnes am poetischen Himmel Ungarns, der sich mehr als irgend Jemand seiner Zeit um die Aufnahme der ungarischen Literatur bei der Frauenwelt verdient gemacht, Alexander Kisfaludy, wurde den 22. September 1772 zu Sümeg in der Szalader Gespanschaft von altadeligen, vermöglichen Eltern geboren. Seine Studien machte er zu Raab und Preßburg mit Erfolg, obwohl er, mächtig angezogen von der unter Kaiser Joseph II. wieder erwachten ungarischen Nationalliteratur, den bei weitem größten Teil seiner Zeit der Lektüre vaterländischer Dichter widmete. Sein patriotischer Sinn fand bald in den zumal wichtigen und aufregenden Verhandlungen des ewig denkwürdigen Preßburger Reichstages von 1791, aufwelchem die konstitutionellen Grundlagen des Reiches mit der Zustimmung des eben so gerechten als weisen Leopold II. neu befestigt wurden, reiche Nahrung, und schon hier und zu dieser Zeit stellte sich der neunzehnjährige Jüngling die Lebensaufgabe, an dem großen Werke der Regeneration seines Vaterlandes auf dem Wege der Literatur mitzubauen. Die Mitglieder der königlichen Leibgarde zu Wien standen lange schon in den Vorderreihen der literarischen Kämpen, daher, und um für weitere Ausbildung, hauptsächlich in den neueren Sprachen und Literaturen, mehr Gelegenheit und Mittel zu gewinnen, bat er seinen Vater, die nötigen Schritte zu tun, um in dieses Korps aufgenommen zu werden; dieser jedoch, Vater zugleich von sechs Söhnen, wahrnehmend, dass Alexander, den prosaischen Richtungen des Lebens abhold, durch solche Standeswahl mehr diesen entgehen, als sich eine Zukunft zu schaffen die Absicht habe, versäumte geflissentlich die nötigen Schritte zur Erfüllung dieses Wunsches, nahm vielmehr den Sohn 1792 zu sich, um ihn, unter eigener Aufsicht, in die juridische Praxis einzuführen. Dieser gehorchte, die Tage gehörten dem Studium des Verböcz, die Nächte hingegen den Musen, und zwei Trauerspiele: »Ulyß und Penelope“ und „Senecas Tod,“ waren die Frucht dieser geheimen Stunden, bis er, des Duldens und Bergens müde, seine Abneigung gegen das Studium der Rechte entschieden erklärend, den Vater von Neuem bat, seine Wahl des Soldatenstandes zu genehmigen. Dieser gab endlich nach und Alexander trat in das Husarenregiment damals Erzherzog Alexander Leopold, jetzt Joseph, ein, welches in Siebenbürgen lag. Schon nach acht Monaten zum Lieutenant im Regimente, aber zugleich auch bei der Leibgarde ernannt, wählte Kisfaludy die letztere Stelle und bezog Wien 1793 freudigen Herzens. Stolz, einer Schaar anzugehören, welche der Literatur so viele teure Namen schenkte, benutzte Kisfaludy die längst ersehnte Gelegenheit einer Selbstausbildung mit Eifer und vertiefte sich nicht nur in die Studien der deutschen, französischen und italienischen Literatur, und besuchte fleißig das Burgtheater, wobeier zugleich malte und Musik trieb, sondern knüpfte auch gesellige Verhältnisse mit den geachtetsten Männern der Wissenschaft und Kunst, Ungarn und Deutschen, an, welche auf seine Ausbildung günstig zurückwirkten. Nach des Gardekapitäns, Fürsten Anton Esterhazy, Tod 1794, ging jedoch das Kommando an den zweiten Kapitän über, auf dessen Antrag Kisfaludy mit fünf anderen Kollegen zur Linie übersetzt wurde. Dies, und ein Missverständnis das sein kaum begonnenes Verhältnis mit des königlichen Rates und Szalader Vizegespans Szegedi Tochter Rosa bei Gelegenheit seines Abganges nach Italien trübte, störte dermaßen die Ruhe seines höchst empfindlichen Gemütes, dass er, erbittert gegen sein Schicksal, im Kampfe den Tod zu suchen entschlossen war. Mit dieser Phase seines Lebens beginnt erst recht eigentlich der Dichter Kisfaludy, denn die ersten Lieder seines „Himfy,“ der ihn nachher so berühmt machte, sind dieser Seelenstimmung entsprossen. Nach Mailand beordert, war er Mitglied der Besatzung der Citadelle, welche, von Bonaparte zur Übergabe gezwungen, kriegsgefangen nach Süd-Frankreich abgeführt ward. Unseren Dichter führte sein Stern in die Provence, nach Vaucluse und Avignon, wo sein Dichtergemüt in der Luft, welche einst die petrarchischen Lieder bewegt, neue Begeisterung schöpfte und seine eigenen Lieder sich täglich mehrten. Von St. Raffeau nach Genua auf dem Mittelmeere gebracht, hatte er einen Untergang drohenden Sturm zu bestehen, den er in seinem Himfy malerisch schilderte. In Klagenfurt angelangt, erhielt er das Kommando des Garnisonsspitals, und als sich die Franzosen der Stadt näherten, wurde ihm die Rettung mehrer hundert mit Montirung bepackter Fässer anvertraut, ein Auftrag, dessen er sich rühmlich entledigte. 1797 ward er zum Regimente Olivier Wallis übersetzt, welches in Würtemberg stand, 1798 zum Oberlieutenant befördert, focht 1799 am Rhein, nahm an den blutigen Schlachten bei Osterach, Stockach, Winterthur und Zürich Anteil. Um diese Zeit durch eine rühmliche Wunde auf das Krankenlager geworfen, schrieb er nach fünfjähriger Abwesenheit der Unvergesslichen, worauf ein lebhafter Briefwechsel folgte, der die Liebenden wieder vereinte. Genesen, entsagte er dem Militärstande, kehrte in sein Vaterland zurück und führte alsbald die Heißersehnte als Frau heim. Nun ließ er einen Band seiner Liebeslieder unter dem Titel »Himfy's Liebe,“ ohne sich als Verfasser zu nennen, erscheinen. Nie vor ihm machte ein ungarisches Buch solche Sensation: diese überschwängliche Ubertät an Gefühl und Fantasie, dabei diese einnehmende Simplizität des Ausdrucks, die edle und doch volkstümliche Sprache, die Leichtigkeit und der Wohlklang seines Verses, die einem Volksschema nachgebildete, singbare Form, entzückten allgemein; der Gelehrte, und das liebende Mädchen, der Vornehme und die niederen Klassen verstanden und empfanden ihn auf gleiche Weise. Dieser Erfolg bewog ihn, sich unter der Vorrede einer neuen Ausgabe zu nennen und zugleich einen zweiten Band der „Glücklichen Liebe“ folgen zu lassen, der, wenn nicht an Succeß, an Gehalt und Mannigfaltigkeit gewiss den ersten noch übertraf. Selten wurde Reflexion so glücklich der Lyra beigesellt. Die Begeisterung für den nun schon namentlich gekannten Dichter wurde durch das gleichzeitige Erscheinen seiner Sagen aus der ungarischen Vorzeit wo möglich noch gesteigert: Kisfaludys Ruhm kulminierte. Zu dieser Zeit fing Kazinezys Schule, die sich durch bewusste künstlerische Behandlung des Stoffes und der Formen charakterisierte, durch das Anschließen sämtlicher neuen jungen Kräfte an zu erstarken, bald tauchte auch Aleranders jüngerer Bruder Karl im vollen Glanze seines allseitigen Talentes auf; dieser, entscheidend und mustergebend im Drama und der Erzählung, Berzsenyi in der Ode, Kölcsey in der Romanze und dem Liede, Ceuczor und Börösmarty im Epos, Kazinezy selbst in der schönsten Prose, die das ungarische Ohr je vernommen, zauberten in wenigen Jahren eine Epoche herauf, deren Glorie die reiche, aber anspruchlose Natur von Aleranders Muse zu überstrahlen begann; dazu kamen seine verunglückten dramatischen Arbeiten, seine neueren Sagen, in deren Mehrzahl sich nur der Abglanz seiner früheren Vortrefflichkeit zeigte, so dass unter dem Zusammenwirken all dieser Umstände sein lyrisch-didaktisch-episches Gedicht „Gyula“ in zehn Gesängen, in welchem sein, etwas gekränktes Selbstgefühl noch einmal, aber mit aller Kraft wieder aufstrebte, nicht mehr den Eindruck machte, dessen es zwanzig Jahre früher sicher gewesen wäre. Alexander fühlte, dass er überflügelt sei und zog sich, obwohl von dem Direktorium der im Iahre 1830 errichteten ungarischen National-Akademie zum wirklichen Mitgliede ernannt, nach und nach vom Schauplatze der Literatur zurück, noch entschiedener aber, als er den großen Preis vom Jahre 1833 nach einem heftigen Kampfe seiner Anhänger in der Akademie, mit einem jungen Nebenbuhler, Vörösmarty, teilen musste. Zu dieser Zeit verschied seine Rosa, deren Namen er unsterblich gemacht hatte; und er schloss, alt, kinderlos und vereinzelt, wie er auf seinem Landsitze war, eine zweite Ehe mit einem jungen, aber seiner nicht unwürdigen Frauenzimmer, das jedoch nach wenigen Jahren auch starb. Während der Zeit seiner zweiten Ehe schrieb er noch ein Gedicht von großem Umfange, das er „Schwanengesang“ nannte und welches seinem Willen gemäß erst nach seinem Tode erscheinen sollte, der den 28. Oktober 1844 erfolgte. In Kisfaludy schwand einer der letzten ungarischen Aristokraten von gutem Schrot und Korn dahin; er hatte die Schwachheit, die Nation ausschließlich in den privilegierten Klassen zu suchen und die Konstitution sich im Sinne der aristokratischen Opposition vom Iahre 1790 zu denken; die Beibehaltung der vier Stände, Steuerfreiheit des Adels und Kantonismus der Munizipien waren ihm die wesentlichen Grundpfeiler der ungarischen Reichsverfassung. Dieses Glaubensbekenntnis wurde aber durch Großherzigkeit, alten patriarchalischen Sinn und wahre Humanität gemildert. Seine Sitten waren zwar adelich, aber auch edel; sein Charakter offen, gerade und würdig in Gehalt und Form. Obwohl seine Poesie, edel und wahr wie seine Gesinnungen und Gefühle, dabei unwillkürlicher Erguß einer reichen poetischen Ader, hinter der Pracht und korrekten Form der Erzeugnisse der neuesten Periode zurückbleibt, wird es doch keine Zeit der ungarischen Literatur geben, wo sie die Wirkung ihrer Kraft und ihres Zaubers auf empfindsame Gemüter verlieren sollte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Neuer Plutarch - Band 5