Musik und Theater in Mecklenburg

Autor: Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock., Erscheinungsjahr: 1855
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Friedrich Chrysander, Mecklenburg, Musik, Theater, Kunst, Schwerin, Rostock, Flotow
Aus: Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler. Herausgegeben von Professor Ludwig Bischoff. – Verlag der M DuMont-Schauberg’schen Buchhandlung. Dritter Jahrgang. Köln, 1855.

So lautet der allgemeine Titel, unter welchem der Herr Verfasser, unseren Lesern bereits durch seine kleine Schrift über Oratorien bekannt (vergl. I. Jahrg., Nr. 27 vom 31. Dez. 1853), fünf bis sechs Abhandlungen über Drama und Oper in Mecklenburg, namentlich in Schwerin, und über den Choralgesang in den mecklenburgischen Kirchen in einem besonderen Abdruck erscheinen lässt. Wir haben schon öfter in diesen Blättern darauf hingewiesen, dass die noch sehr vernachlässigte Geschichte der Musik hauptsächlich durch Spezial-Geschichten gefördert werden müsse. Diese können zweierlei Art sein; erstens Geschichte einzelner Gattungen der Tonkunst bis in ihre kleinsten Verzweigungen, z. B. nicht bloß der Oper, sondern der ernsten Oper, der komischen Oper, des Singspiels oder Vaudevilles — nicht bloß der Kirchenmusik, sondern des Choralgesanges, der musikalischen Messe, des Kirchenliedes, des Oratoriums — nicht bloß der Instrumental-Musik, sondern der Sinfonie, des Quartetts usw. usw. Zweitens Geschichte der Musik in einzelnen Ländern, Provinzen, Städten.

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Für beide Arten der musikalischen Geschichtsschreibung hat die deutsche Literatur teils Bedeutendes (z. B. Winterfeld über das Kirchenlied, Becker über Hausmusik), teils schätzenswerte Beiträge aufzuweisen. Zu den letzteren rechnen wir in der neuesten Zeit Ernst Pasques „Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Darmstadt“, in der Zeitschrift „Die Muse“, herausgegeben von Dräxler-Manfred in Darmstadt; ferner „Die erste stehende deutsche Oper“ (in Hamburg) von Dr. E. O. Lindner (Berlin, bei Schlesinger), und drittens die vorliegende Arbeit von Friedrich Chrysander*).

*) Auf die beiden erstgenannten Schriften werden wir zurückkommen.

Die letztere zerfällt in dem, was das Theater betrifft, in drei Artikel. Der erste umfasst die Geschichte des mecklenburgischen Theaters „von den ersten Anfängen bis zur Zeit der Reformation“ und folgt dabei meistenteils Bärensprungs „Versuch einer Geschichte des Theaters in Mecklenburg-Schwerin bis 1835“, zieht aber das verwandte Gebiet der Musik mit in die Betrachtung. Dieselbe Quelle ist ferner bei dem zweiten Artikel: „Von der Zeit der Reformation bis auf die Errichtung des Hoftheaters in Schwerin 1835“, hauptsächlich benutzt.

Aus dem dritten Artikel: „Theater seit 1835“, welcher ganz selbstständig vom Verfasser bearbeitet ist, geben wir folgende, die neueste Zeit berührende Stellen zur Empfehlung des Ganzen. Zunächst den Anfang:

„In den letzten zwanzig Jahren hat die dramatische Kunst keine reiche Geschichte durchlaufen, wenigstens keine bedeutende. Man erlebte zwar, dass manche neue Richtung eingeschlagen, manche hergebrachte Weise als veraltet erklärt wurde; aber das Neue war nach gar kurzer Zeit schon wieder vergessen, und das so genannte Veraltete bewährte sich noch immer als das Beste. So im Drama, so in der Oper. Wer kennt nicht die dramatischen Schwingen des jungen Deutschlands seit 1830! Aber wo gelten sie noch etwas? Es war ein Geschlecht, welches schon mit lahmen Flügeln zur Welt kam. Nicht besser waren ihre Fortsetzer, und es erging ihnen auch nicht besser. Sie alle gehören zur großen Schar der Romantiker, wenn sie auch noch so sehr gegen das Tieck-Schlegel'sche Häuflein zu Felde lagen; zu jenen unbefriedigten, ruhelosen Geistern, die weder an dem Vorhandenen, auch an dem Vollendetsten nicht, eine reine Freude haben konnten, noch eine solche durch ihre eigenen Schöpfungen hervorzubringen vermochten. Am besten standen sich in dieser Zeit die, welche die Kunst wie einen Zweig der höheren Industrie betrachteten: Meyerbeer, Auber, Raupach, die Birch-Pfeiffer und die tausend kleinen Leute, welche diesen Vorbildern redlich nacheiferten. Wer sich hierüber genauer unterrichten will, dem darf besonders "die Geschichte der deutschen National-Literatur im 19. Jahrhundert" von Julian Schmidt (Leipzig, 1853, 2 Bände) empfohlen werden; die sonstigen Handbücher über diese Zeit haben alle mehr oder weniger ihre großen Mängel.

„Ein glückliches Mitglied der industriellen Kunstrichtung stammt aus Mecklenburg: Friedrich von Flotow, der einzige Mecklenburger, welcher sich als Opern-Komponist halbwegs einen europäischen Namen erworben hat. Flotow hat sich ganz der französischen Richtung ergeben; seine Abhängigkeit von Auber ist schimpflich, da die Deutschen längst etwas Besseres hatten. Man verlernt bei ihm ganz wieder, dass Beethoven gelebt hat. Seine musikalische Begabung ist ziemlich groß, sein Leichtsinn aber noch größer; die Musik fliegt glatt weg, doch diese Glätte ist nicht die ruhige Fläche einer sicheren Tiefe, sondern die flotte Strömung des Lebemannes. Die Figuren seiner Opern sind höchstens zur Hälfte wahr, die Musik derselben ebenfalls. Seine Behandlung der deutschen Sprache, wie seine Melodiebildung sind gleich tadelnswert. Flotow verbrachte seine eigentliche Jugend zum Zwecke musikalischer Studien in Paris; ein warnendes Zeichen für Andere: denn was die Deutschen in den pariser Schulen lernen können, ist ihnen entweder überflüssig oder nachteilig. Schon am 20. März 1835 wurde in Schwerin die zweiaktige Flotow'sche Oper "Peter" uraufgeführt; die übrigen folgten dann seiner Zeit nach. Nur die letzte, „Rübezahl“, steht uns noch bevor. Vielleicht aber gelangt diese Oper gar nicht auf die hiesige Bühne; denn so beliebt der genannte Komponist früher war, ist man auch hier seit einiger Zeit seiner Weise satt geworden, und es war Vielen lieb, dass eine der Flotow'schen ziemlich entgegengesetzte Kompositions-Weise, die Wagner'sche nämlich, beharrlich vertreten wurde.

„1837 wurden die Vorstellungen am 12. Januar mit Halms Griseldis eröffnet; zwei neue Mitglieder von Bedeutung, Gliemann aus Rostock und Ellmenreich aus der Immermann'schen Schule von Düsseldorf traten hierin zuerst auf. Der erfolgte Tod des Großherzogs, späterhin die Reisen und Proklamationen des neuen Großherzogs Paul Friedrich zogen die Aufmerksamkeit in diesem Jahre sehr von der Bühne ab. . . . Es ist unnötig, mehr zu sagen über ein Theater-Jahr, welches die Zeitgenossen selbst so unbeachtet hingehen ließen. Gleichsam als Vorspiel des nun folgenden regeren Theaterlebens behandelte man jetzt die Frage, ob auch Geistliche sich am Besuche des Theaters beteiligen dürften. Wollten sich ihrerseits die Schauspieler nur fleißiger in der Kirche sehen lassen, so wäre Aussicht vorhanden, dass auch die Prediger forthin mit größerem Vergnügen und mit geringerer Bedenklichkeit dem Theater zusteuerten. Die Schweigsamkeit der Kritik in dieser und der nächstfolgenden Zeit hatte hauptsächlich ihren Grund in der Besorgnis, bei dem fürstlichen Beschützer der Bühne Anstoß zu erregen. Man begnügte sich daher, wenn Theatersachen öffentlich abgehandelt wurden, mit allgemeinen Hindeutungen, die doch auch wieder von geringer Wirkung sein mussten. — —

„Mit 1839 wurden die mannigfachen Kunstbestrebungen, welche sich seit einigen Jahren in Mecklenburg regten, schon sichtbarer. Malerei, Baukunst, Musik, Altertumskunde suchten jede in ihrer Weise sich auszubilden. Das Theater aber, weil es die Öffentlichkeit durchaus und immer erfordert, hatte dadurch auch vor allen die rege Gemein-Beteiligung voraus. Zudem lag es in dem damaligen Geiste sowohl der Künstler, wie der Mäcenate, recht baldige und recht glänzende Erfolge zu erzielen; zu beiden ist wiederum nichts geeigneter, als das Theater. Daher werden wir begreiflich finden, wie Zeitgenossen sagen konnten: „Vor allen ist der dramatischen Kunst große Beförderung zu Teil geworden; unser Theater steht augenblicklich auf einer Höhe, dass es sich ohne Scheu mit dem Theater anderer größerer Städte messen kann; . . . . namentlich übertreffen die dramatischen Leistungen des Hoftheaters in diesem Herbste (1838) alle früheren Bühnenleistungen in Mecklenburg.“ Das Letztere nimmt man lieber so genau nicht; man weiß schon, wie viel oft von solchen Zeitungs-Meinungen abgeht, wenn sie auf Wahrheit reduziert werden. Für Mecklenburg ist bis auf den heutigen Tag die alte Schönemann'sche Bühne mit Eckhof und Ackermann noch immer das Bedeutendste gewesen. — —

„1854. Unter den neu aufgeführten Stücken durfte die berühmte „Waise“ von Lowood natürlich nicht fehlen; doch wurde auch „Der Erbförster“ von Otto Ludwig in teilweise vorzüglicher Besetzung und mit Beifall gegeben. In der Oper hatten wir einen ähnlichen Gegensatz: „Lohengrin“ von Wagner und „Indra“ von Flotow; die erste trug über diese den Preis davon, den ihr auch Niemand streitig machen wird, wenn es sich um eine Vergleichung dieser beiden Produktionen handelt. Sonst kann man wohl nicht zweifeln, dass Lohengrin ein weniger glückliches Bühnenstück ist, als der Tannhäuser. Es sind die Wagner'schen Opern hier diesen Winter alle drei und so oft zur Aufführung gelangt, dass Viele ihrer überdrüssig wurden. Es offenbarte sich in dieser allzu häufigen Vorführung kein guter Takt; denn es bleibt immerhin für die Mehrzahl eine schwere, drückende Musik, der sie sich nicht oft hingeben kann; nach gehöriger Abwechslung ist dies eher zu erwarten. Ich spreche hier nicht meine persönliche Liebhaberei aus, die überall nicht in Betracht kommen kann und in diesem Falle auch ganz andere Wünsche hätte, sondern das Urteil des Publikums im Großen und Ganzen, das doch immer respektiert werden muss, so lange man, wie bis jetzt, wöchentlich fünf Vorstellungen gibt und desselben also nicht entraten kann. Auch nehmen diese Opern einen Aufwand an Zeit und Mitteln in Anspruch, wodurch die anderen notwendig kümmerlicher bedacht werden müssen. Dass die Wagner'schen Opern auf unserer Bühne verhältnismäßig früh und rasch hinter einander aufgetreten sind, ist ganz in der Ordnung; man möchte wünschen, dass unsere Bühne überall mit den beachtenswerten dramatischen Produktionen auf diese Weise gleichen Schritt hielte. Waren nun trotz des löblichen Eifers, der uns das Neue in möglichster Güte vorführte, im Fache der Oper Mozarts „Don Juan“ und „Figaro“ die beiden Produktionen, welche das Publikum in dieser Saison am meisten erfreuten, am wohltuendsten berührten, so meine ich, liegt hierin ein ganz deutlicher Wink, was zu tun sei. An dem, was nun einmal klassisch, festzuhalten, ist die erste Pflicht: an Mozart, Beethoven, Weber; auch Gluck muss wieder festen Fuß fassen. Denn diese vergnügen alle und erfüllen die strengsten Forderungen, welche ein geläuterter Geschmack stellen kann. An diese Meisterwerke reihe sich alles Übrige, auch das Neueste, und suche sich neben ihnen zu bewähren. Im Drama liegt ein ähnliches Verhältnis vor und ist ein ähnliches Verfahren in Anwendung zu bringen. Verständnis der Sache und ein warmes Herz für die Kunst sind dabei allerdings ganz besonders nötig, sie vermögen aber auch gar viel, selbst bei geringen Mitteln. Wo aber der Sinn für das Edle erstorben ist, da wird man sich freilich begnügen, bloß das vorzuführen, was eben auf dem lauten Markte Effekt macht, sei es sonst auch von welcher Beschaffenheit es wolle. Wer kann leugnen beim Überblick der hier aufgeführten Stücke, dass auch unser Theater eine erstaunliche Menge geringer Ware auslegt, der das wenige Gute sehr schwer die Wage hält? Wir sind mit allen bekannten Auswüchsen der schlechten, allgemeinen Theater-Zustände eben so wenig verschont geblieben, als andere Bühnen. Bedauerlich und schädlich ist es, wenn eine handwerksmäßige Gleichgültigkeit Platz greift und man den Thespis-Karren so auf gut Glück gehen lässt. Gerade in trüber Zeit ist eine wackere Haltung um so verdienstvoller, je seltener sie zu sein pflegt. Nur dann kommen die guten Erfolge, wenn man eine beharrliche Kraft an die Verwirklichung edler Zwecke setzt; und mit dem Gelingen wächst die Einsicht.“

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Flotow, Friedrich von. (1812-1883) Mecklenburger Uradel. Opernkomponist

Flotow, Friedrich von. (1812-1883) Mecklenburger Uradel. Opernkomponist