Muettersiedlungen
Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Rottmann (?-?) Stadtoberfürsorger zu Berlin, Erscheinungsjahr: 1921
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sozialfürsorge, Mutter und Kind, Frauenhäuser, Müttersiedlungen, Erwerbslose, Verein, Lebensunterhalt, Hilfe, Haushalt
„Mutter und Kind gehören zusammen.“ Aus dieser Erkenntnis hat der Verein „Mutter und Kind“, Berlin-Weißensee, Müttersiedlungen ins Leben gerufen, um Müttern Gelegenheit zu geben, mit ihrem vaterlosen Kinde zusammen zu sein und gleichzeitig ihrem Erwerb nachgehen zu können. Mit privaten Mitteln, die ihm von zahlreichen Freunden zur Verfügung gestellt werden, sucht der Verein seine Aufgabe zu verwirklichen. Wer die vielgestaltigen Nöte der Vaterlosen und ihrer Mütter, besonders in der Großstadt, kennt, der wird mit den Zielen des Vereins einverstanden sein. Die Mutter möchte doch gern arbeiten und sich für ihr Kindchen mühen, um es zu einem brauchbaren Menschen zu erziehen, doch niemand sorgt für das Kind, während sie ihrer Arbeit nachgehen muss. Um dem guten Willen vieler Mütter, der unzweifelhaft vorhanden ist, entgegenzukommen, hat der Verein Müttersiedlungen gegründet. Eine ausgedehnte Werbetätigkeit im ganzen Reiche soll überall Anteil an diesen sozialen Einrichtungen erwecken. Wenn Platz vorhanden ist, nimmt der Verein Mutter und Kind auf, aber die eigenen Vereinssiedlungen können vorläufig nur wenigen Unterkunft bieten.
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Jeder Siedlung, die fünf bis sieben Räume umfasst, steht eine Siedlungsleiterin vor. Sie besorgt den Haushalt, betreut die Kinder während der Abwesenheit der anderen Mütter und führt die Geschäfte der Siedlung. Grundsätzlich bestreiten die Mütter die Kosten für ihren Lebensunterhalt selbst. Jede Mutter Zahlt jetzt für sich und ihr Kind für Verpflegung, Wohnung, Licht, einschließlich Milch und Nährmittel, rund 340 Mark. Im Vergleich zu den Kosten der heutigen Teuerung ist dies ein wirklich kleiner Betrag. Je umsichtiger die Siedlungsleiterin zu wirtschaften versteht, je geringer wird der Betrag sein, den jede Mutter zu den Kosten des gemeinsamen Haushaltes beizusteuern hat. Der Siedlungsleiterin fällt es nicht immer leicht, und manchmal fragt sich‘s, ob die ihr zur Verfügung stehenden Mittel auch ausreichen. In solchen schwierigen Zeiten hilft der Geschäftsführer der Müttersiedlung dann und wann mit einem Darlehn aus. Grundsätzlich werden nur Darlehn gegeben, um die Mütter, die doch alle einen schweren Kampf zur Erhaltung ihres Kindes zu führen haben, daran zu gewöhnen, mit ihren eigenen Geldmitteln zu rechnen.
Während die Mütter ihrem Erwerb nachgehen, werden die Kleinen von der Siedlungsleiterin oder von einer Mutter, die gerade keine Tätigkeit ausübt, beaufsichtigt. Unsere Siedlungskinder, die doch auch Großstadtkinder sind, sehen blühend auf; sie sind gut genährt. Kehrt die Mutter von ihrer Arbeit zurück, so übernimmt sie ihr Kind selbst, holt sich auch wohl das Kindchen einer Freundin ins Zimmer, wenn dessen Mutter noch verhindert ist, es selbst zu betreuen. Schlimm ist's, wenn die Arbeitsstelle, die Fabrik oder das Büro geschlossen wird und Arbeitslosigkeit droht. Aber auch da ist Rat geschafft worden. Vorübergehend Erwerbslose können ihr Brot verdienen. Eine Mutter erhielt durch Vermittlung des Vereins in einem großen Berliner Geschäftshaus Arbeit, und es stellte sich heraus, dass sie eine ausgezeichnete Gardinennäherin war; erwerbslose Mütter halfen bei dieser Arbeit und schafften sich so Erwerb. Viel Mühe und Sorge kostet es, und auch manches Unerfreuliche muss der Geschäftsführer erleben; doch bei vorsichtiger Auswahl und Zusammenbringen geeigneter Charaktere kann viel erreicht werden, so dass in der Müttersiedlung alle in gutem Einvernehmen leben.
Einer großen Zahl von Kindern, die sonst dem Elend preisgegeben wären, kann eine glückliche Jugend bereitet werden. Sollen sie unserem Vaterland erhalten bleiben, dann müssen wir dauernd zu helfen suchen. Vor mehreren hundert Jahren gab es Findelhäuser. Doch das sind nicht die rechten Stätten für die Heranwachsenden Kinder. Die Mutter muss selbst die Verantwortung für ihr Kind tragen, die soll ihr nicht genommen werden. Und die Kinder dürfen die Mutterliebe nicht entbehren. Da wollen und können die Müttersiedlungen helfen.
Es ist gelungen, die Müttersiedlungen durch die schwere Kriegszeit zu bringen; nun muss es auch möglich sein, die bestehenden zu erhalten und weitere Siedlungen erst noch einzurichten. Material und Kostenberechnung liefert die Geschäftsstelle des Vereins Mutter und Kind, Berlin-Weißensee, Caselerstraße 4 a, gern an alle Kommunen und Industrieunternehmungen, die Müttersiedlungen einrichten wollen. Wer an dem Werk mithelfen will, erhält dort jede gewünschte Auskunft.
Möchten recht viele für diese große soziale Arbeit gewonnen werden!
Gemeinsame Heimarbeit in der Stube einer erwerbslosen Mutter. Phot. Atlantic Phot.Co., Berlin.
Während die Mütter ihrem Erwerb nachgehen, werden die Kleinen von der Siedlungsleiterin oder von einer Mutter, die gerade keine Tätigkeit ausübt, beaufsichtigt. Unsere Siedlungskinder, die doch auch Großstadtkinder sind, sehen blühend auf; sie sind gut genährt. Kehrt die Mutter von ihrer Arbeit zurück, so übernimmt sie ihr Kind selbst, holt sich auch wohl das Kindchen einer Freundin ins Zimmer, wenn dessen Mutter noch verhindert ist, es selbst zu betreuen. Schlimm ist's, wenn die Arbeitsstelle, die Fabrik oder das Büro geschlossen wird und Arbeitslosigkeit droht. Aber auch da ist Rat geschafft worden. Vorübergehend Erwerbslose können ihr Brot verdienen. Eine Mutter erhielt durch Vermittlung des Vereins in einem großen Berliner Geschäftshaus Arbeit, und es stellte sich heraus, dass sie eine ausgezeichnete Gardinennäherin war; erwerbslose Mütter halfen bei dieser Arbeit und schafften sich so Erwerb. Viel Mühe und Sorge kostet es, und auch manches Unerfreuliche muss der Geschäftsführer erleben; doch bei vorsichtiger Auswahl und Zusammenbringen geeigneter Charaktere kann viel erreicht werden, so dass in der Müttersiedlung alle in gutem Einvernehmen leben.
Einer großen Zahl von Kindern, die sonst dem Elend preisgegeben wären, kann eine glückliche Jugend bereitet werden. Sollen sie unserem Vaterland erhalten bleiben, dann müssen wir dauernd zu helfen suchen. Vor mehreren hundert Jahren gab es Findelhäuser. Doch das sind nicht die rechten Stätten für die Heranwachsenden Kinder. Die Mutter muss selbst die Verantwortung für ihr Kind tragen, die soll ihr nicht genommen werden. Und die Kinder dürfen die Mutterliebe nicht entbehren. Da wollen und können die Müttersiedlungen helfen.
Es ist gelungen, die Müttersiedlungen durch die schwere Kriegszeit zu bringen; nun muss es auch möglich sein, die bestehenden zu erhalten und weitere Siedlungen erst noch einzurichten. Material und Kostenberechnung liefert die Geschäftsstelle des Vereins Mutter und Kind, Berlin-Weißensee, Caselerstraße 4 a, gern an alle Kommunen und Industrieunternehmungen, die Müttersiedlungen einrichten wollen. Wer an dem Werk mithelfen will, erhält dort jede gewünschte Auskunft.
Möchten recht viele für diese große soziale Arbeit gewonnen werden!
Gemeinsame Heimarbeit in der Stube einer erwerbslosen Mutter. Phot. Atlantic Phot.Co., Berlin.