Mit der Eisenbahn durch Mecklenburg-Schwerin. 1853
Aus: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Herausgeber: Gutzkow, Karl. Neue Folge . Band 3
Autor: Bölte, Amely (1811-1891) Mecklenburger Schriftstellerin, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg-Schwerin, Bahnfahrt, Eisenbahn, Reisebericht, Stadtbeschreibung, Sittenbild
Die Grenze meines engeren Vaterlandes ist überschritten, öde liegt die Landschaft vor mir da, bis endlich, wie eine Oase in der Wüste, Schwerin vor mir auftaucht.
Jede, selbst die kleinste Residenz eines Fürsten, ist mit mehr Geschmack erbaut wie die übrigen Städte des Landes, und auch die Lage bietet gewöhnlich schon einige Vorteile. So geht es auch hier. Die Hauptstadt des Volks der Obotriten liegt an einem weiten See, den mit Gehölz bewachsene Höhen umgeben. Hart am Ufer hin zieht sich die Stadt und tritt dadurch vorteilhaft hervor. Das neue fürstliche Schloss spiegelt sich in den Fluten des Sees. Sein Bau, eben erst vollendet, ist noch das Gespräch des ganzen Landes. Dem goldenen Hause des Nero gleich schauen sie es an und jeder Patriot ist beflissen, dies Wunder des Zeitalters mit stolzem Selbstgefühl zu nennen. Bei seiner Einweihung waren alle befreundeten Fürsten geladen, so dass die Tafel ganz besetzt war und die Landstände allein in den untern Räumen speisen mussten. Als Ludwig Napoleon den neuen Teil des Louvre öffnete, waren alle Ouvriers geladen; das ist eben auch Frankreich. An den Küsten der Ostsee bewahrt man noch jedem Stande den ihm gebührenden Platz.
Ob dem Volk diese Ständeordnung nicht gefällt? Es wandert scharenweise aus und man hat hier und da keine Arbeiter mehr, um den Feldbau zu verrichten. Die Eisenbahn führt von Schwerin nach Ludwigslust, dem großherzoglichen Sommeraufenthalte, welcher in einer Sandwüste entstanden ist und von vielen Personen von guter Familie jetzt bewohnt wird; denn die fürstliche Großmut hat hier zahlreiche Häuser erbaut, die der unbemittelte Adel umsonst zu bewohnen so gütig ist. Es ist recht still in diesem Ludwigslust; aber angenehm feierlich still. Unter dem sich färbenden Laube schaut freundlich ein Bethanien hervor, wo adelige Frauenhände die christliche Tugend der Barmherzigkeit selbst an Personen von keiner Geburt üben.
Die Eisenbahn führt nach Wismar und Rostock, aber auch in diesen Seestädten ist es tot. Man sollte glauben, es habe sich, wie in der Verzauberten Rose, ein hundertjähriger Schlaf auf das Land gelegt. Wie wenig Handel und Verkehr sich hebt, beweisen schon die Eisenbahnaktien, die meistens noch auf 50 bleiben. Rostock hat eine Gaserleuchtung und die kleineren Städte folgen nach und nach dem Beispiel. Das ist übrigens nicht ganz so leicht; denn das Publikum sträubt sich gegen diese wie gegen jede Neuerung. Es ist den Damen nicht gemütlich, wenn sie des Abends in einen Tee gehen wollen, keine kleine Handlaterne vor sich hertragen zu lassen, und was dem Deutschen nicht gemütlich ist, das verwirft er. Das Theater in Schwerin ist jetzt in den Händen des Herrn von Flotow, der vorteilhaft dafür wirkt. Im Sommer geht die Truppe nach Doberan, dem immer noch besuchten und beliebten Badeorte, obgleich er der See fern liegt und nur eine beschränkte Zahl von Gästen in dem Badehaus an dem sogenannten Heiligen Damm ein Unterkommen findet.
Travemünde, in der Nähe von Lübeck, bietet dem wirklich Kranken größere Vorteile, nur muss er nicht auf angenehm geselligen Verkehr rechnen; denn die größte Zahl der Gäste besteht aus den Gutsbesitzern Mecklenburgs, welche lange nicht mehr über ihre Hufen hinausgedacht haben. Ein sehr schönes Mädchen aus Dresden gehörte in diesem Sommer zu den Gästen und die verständigen Mecklenburger beschlossen, sich nicht eher in diese Schönheit zu verlieben, bis sie sich über ihre Vermögensumstände unterrichtet; sie telegraphierten auf gemeinsame Kosten und fanden die Antwort ungenügend, behielten daher ihre Herzen.
Durch den Schlossbau in Schwerin ist einige Anregung zur Bildung des Geschmacks gegeben, fremde Künstler und Architekten sind zugezogen und eine Idee von Kunstsinn hat die ersten Keime getrieben. Leider ist mit Vollendung des Baus dem Talente jede weitere Bahn verschlossen und die jungen Leute, welche sich dem Fache zugewandt, müssen in Schweden nach Beschäftigung suchen, die sich namentlich auf der Bahn nach Gothenburg bietet. Die Literatur ist für Mecklenburg ein unbekanntes Feld, im ganzen Lande erscheint kein einziges erörterndes Journal, gibt es wenig Verlagsbuchhandlungen. Man liest überhaupt sehr wenig. Die Leihbibliotheken enthalten nur solche Bücher, welche wohlfeil sind und dadurch fällt die Wahl meistens auf Übersetzungen aus dem Französischen; denn nur sehr wenige bessere deutsche Romane erscheinen bis jetzt noch zu herabgesetzten Preisen.
Mit der Eisenbahn von Ludwigslust kommend, muss man die Grenze des Zollvereins überschreiten, dem Mecklenburg bis jetzt noch nicht beigetreten ist und auch schwerlich je beitreten wird, weil es seine Lokalinteressen nicht gestatten. Schwarz und Weiß, mit dem preußischen Adler daneben, bezeichnet für mich ernst genug die Trennung von meinem Vaterlande. Wir stehen jetzt aus einem neuen Boden. Der preußische Militär, als Eisenbahnbeamter, verrichtet mit einem gewissen Anstand sein Geschäft; er spricht gut, sein Schnurrbart kleidet ihn. Er öffnet die Koffer des Reisenden mit Würde und weiß dieser unangenehmen Pflicht durch die Notwendigkeit seines Gehorsams auch den unsrigen zu erzwingen, den wir der Sache freilich nicht gern gutwillig leihen. Wir fügen uns, aber, wie es der Bürger monarchischer Staaten gewöhnt ist, mit einer leisen Verwünschung gegen das Gesetz, welches nur zur Plage ersonnen scheint, und reisen weiter. Der Weg ist einförmig, nichts verkürzt uns die Zeit, aber endlich — Berlin liegt vor uns auf der Ebene weithin ausgedehnt, während jenseits der Kreuzberg mit seinem Monumente sich vorteilhaft von ihr abhebt.
Jede, selbst die kleinste Residenz eines Fürsten, ist mit mehr Geschmack erbaut wie die übrigen Städte des Landes, und auch die Lage bietet gewöhnlich schon einige Vorteile. So geht es auch hier. Die Hauptstadt des Volks der Obotriten liegt an einem weiten See, den mit Gehölz bewachsene Höhen umgeben. Hart am Ufer hin zieht sich die Stadt und tritt dadurch vorteilhaft hervor. Das neue fürstliche Schloss spiegelt sich in den Fluten des Sees. Sein Bau, eben erst vollendet, ist noch das Gespräch des ganzen Landes. Dem goldenen Hause des Nero gleich schauen sie es an und jeder Patriot ist beflissen, dies Wunder des Zeitalters mit stolzem Selbstgefühl zu nennen. Bei seiner Einweihung waren alle befreundeten Fürsten geladen, so dass die Tafel ganz besetzt war und die Landstände allein in den untern Räumen speisen mussten. Als Ludwig Napoleon den neuen Teil des Louvre öffnete, waren alle Ouvriers geladen; das ist eben auch Frankreich. An den Küsten der Ostsee bewahrt man noch jedem Stande den ihm gebührenden Platz.
Ob dem Volk diese Ständeordnung nicht gefällt? Es wandert scharenweise aus und man hat hier und da keine Arbeiter mehr, um den Feldbau zu verrichten. Die Eisenbahn führt von Schwerin nach Ludwigslust, dem großherzoglichen Sommeraufenthalte, welcher in einer Sandwüste entstanden ist und von vielen Personen von guter Familie jetzt bewohnt wird; denn die fürstliche Großmut hat hier zahlreiche Häuser erbaut, die der unbemittelte Adel umsonst zu bewohnen so gütig ist. Es ist recht still in diesem Ludwigslust; aber angenehm feierlich still. Unter dem sich färbenden Laube schaut freundlich ein Bethanien hervor, wo adelige Frauenhände die christliche Tugend der Barmherzigkeit selbst an Personen von keiner Geburt üben.
Die Eisenbahn führt nach Wismar und Rostock, aber auch in diesen Seestädten ist es tot. Man sollte glauben, es habe sich, wie in der Verzauberten Rose, ein hundertjähriger Schlaf auf das Land gelegt. Wie wenig Handel und Verkehr sich hebt, beweisen schon die Eisenbahnaktien, die meistens noch auf 50 bleiben. Rostock hat eine Gaserleuchtung und die kleineren Städte folgen nach und nach dem Beispiel. Das ist übrigens nicht ganz so leicht; denn das Publikum sträubt sich gegen diese wie gegen jede Neuerung. Es ist den Damen nicht gemütlich, wenn sie des Abends in einen Tee gehen wollen, keine kleine Handlaterne vor sich hertragen zu lassen, und was dem Deutschen nicht gemütlich ist, das verwirft er. Das Theater in Schwerin ist jetzt in den Händen des Herrn von Flotow, der vorteilhaft dafür wirkt. Im Sommer geht die Truppe nach Doberan, dem immer noch besuchten und beliebten Badeorte, obgleich er der See fern liegt und nur eine beschränkte Zahl von Gästen in dem Badehaus an dem sogenannten Heiligen Damm ein Unterkommen findet.
Travemünde, in der Nähe von Lübeck, bietet dem wirklich Kranken größere Vorteile, nur muss er nicht auf angenehm geselligen Verkehr rechnen; denn die größte Zahl der Gäste besteht aus den Gutsbesitzern Mecklenburgs, welche lange nicht mehr über ihre Hufen hinausgedacht haben. Ein sehr schönes Mädchen aus Dresden gehörte in diesem Sommer zu den Gästen und die verständigen Mecklenburger beschlossen, sich nicht eher in diese Schönheit zu verlieben, bis sie sich über ihre Vermögensumstände unterrichtet; sie telegraphierten auf gemeinsame Kosten und fanden die Antwort ungenügend, behielten daher ihre Herzen.
Durch den Schlossbau in Schwerin ist einige Anregung zur Bildung des Geschmacks gegeben, fremde Künstler und Architekten sind zugezogen und eine Idee von Kunstsinn hat die ersten Keime getrieben. Leider ist mit Vollendung des Baus dem Talente jede weitere Bahn verschlossen und die jungen Leute, welche sich dem Fache zugewandt, müssen in Schweden nach Beschäftigung suchen, die sich namentlich auf der Bahn nach Gothenburg bietet. Die Literatur ist für Mecklenburg ein unbekanntes Feld, im ganzen Lande erscheint kein einziges erörterndes Journal, gibt es wenig Verlagsbuchhandlungen. Man liest überhaupt sehr wenig. Die Leihbibliotheken enthalten nur solche Bücher, welche wohlfeil sind und dadurch fällt die Wahl meistens auf Übersetzungen aus dem Französischen; denn nur sehr wenige bessere deutsche Romane erscheinen bis jetzt noch zu herabgesetzten Preisen.
Mit der Eisenbahn von Ludwigslust kommend, muss man die Grenze des Zollvereins überschreiten, dem Mecklenburg bis jetzt noch nicht beigetreten ist und auch schwerlich je beitreten wird, weil es seine Lokalinteressen nicht gestatten. Schwarz und Weiß, mit dem preußischen Adler daneben, bezeichnet für mich ernst genug die Trennung von meinem Vaterlande. Wir stehen jetzt aus einem neuen Boden. Der preußische Militär, als Eisenbahnbeamter, verrichtet mit einem gewissen Anstand sein Geschäft; er spricht gut, sein Schnurrbart kleidet ihn. Er öffnet die Koffer des Reisenden mit Würde und weiß dieser unangenehmen Pflicht durch die Notwendigkeit seines Gehorsams auch den unsrigen zu erzwingen, den wir der Sache freilich nicht gern gutwillig leihen. Wir fügen uns, aber, wie es der Bürger monarchischer Staaten gewöhnt ist, mit einer leisen Verwünschung gegen das Gesetz, welches nur zur Plage ersonnen scheint, und reisen weiter. Der Weg ist einförmig, nichts verkürzt uns die Zeit, aber endlich — Berlin liegt vor uns auf der Ebene weithin ausgedehnt, während jenseits der Kreuzberg mit seinem Monumente sich vorteilhaft von ihr abhebt.