Zu Carl Friedrich Lessings Porträt

Mit Lessing eröffnen wir in unserem Miniatur Salon die Reihe der jüngeren Meister. Wir haben hier zwar nicht mehr von solchen Künstlern zu reden, deren Talententwicklung in die Wiederbelebungsperiode der Malerei und der Kunst im Allgemeinen fällt und diese zum großen Teil selbst hervorgerufen hat; aber auch sie, deren Reihe Lessing eröffnet, wenn gleich nachgeboren, treten aus der großen Schar von Künstlern so gewaltig hervor und haben in genialem Aufschwünge einen so eigentümlichen Standpunkt erobert, dass sie selbst wieder Lenker und Vorbilder großer Künstlerkreise geworden sind. Steinle, Lessing und Kaulbach sind künstlerische Individualitäten, denen unbedingt kein gleichaltriger Zeitgenosse an die Seite zu stellen ist, die sogar ihre Meister selbst überflügelt haben. In ihnen spiegeln sich zugleich die drei Hauptrichtungen der Malerei: die heilige in Steinles, die historische in Kaulbachs und die romantische, Natur- und Menschenleben auffassende, in Lessings Gemälden und Zeichnungen. Alle Drei zeichnen sich aus durch vollkommene Herrschaft über die Form, sie sind Meister der Darstellung, gleichsam vollendete Redner in Farbe und Zeichnung. Sie verehren die Natur und vermögen sie treu und wahr wiederzugeben. Aber ihrer verschiedenen Richtung nach ordnen sie die Naturwahrheit der Idee mehr oder weniger unter.

Der Eine schaut begeistert empor zu dem Himmel italienischer Malerei und lässt in strenger Selbstverleugnung seine eigne Kraft der Darstellung von den alten Meistern beschränkt werden. Er kennt und liebt die Natur, und sie ist sein Eigentum geworden; aber in den heiligen Gegenständen seiner Darstellung folgt er nicht ihr allein, sondern auch einer von den Alten angenommenen geheiligten Überlieferung, besonders in der Art der Malerei selbst. Der Andre bereichert seinen an der Natur geübten Geist durch Anschauung und Studium der Meisterwerke älterer und neuerer Zeiten, und lässt dieses Studium, unbeschadet seiner scharf bestimmten Persönlichkeit, in seinen historischen Kompositionen wohl erkennen.


Der Letzte endlich ist rein ein Sohn der Natur. Von ihr großgezogen, mit ihr aufs innigste vertraut, will er nur sie als Lehrerin und Führerin behalten; sein reicher, gewaltiger Geist lebt einsiedlerisch nur mit ihr; jeden fremden Einfluss weist er entschieden ab. Nicht Italien, nicht die Niederlande, nicht Frankreich, nicht München reizen ihn. Aus sich nur will er schöpfen, Natur und Geschichte sind die stillen Gefährten des Einsiedlers, die ihm lauter und wahrer reden, als alle Schulen und Meisterwerke. Eine weitere Vergleichung dieser drei Heroen der jüngeren Künstlerwelt können wir erst dann versuchen, wenn wir von ihnen und ihren Hauptwerken einzeln gesprochen haben. Wir wenden uns daher für jetzt ausschließlich zu dem Einen, dessen Bildnis nebst einer historischen Komposition diesen Band eröffnet. In seinem höchst einfachen Lebenslauf finden wir vorbildlich seine Künstlerlaufbahn aufs treueste vorgezeichnet. In solchen Verhältnissen konnte ein Geist, wie Lessings, nur eine solche Richtung nehmen.

Die näheren Umstände seines Lebens nehmen wir aus der, soviel wir wissen, treuesten Charakteristik desselben.

Carl Friedrich Lessing ist geboren in Breslau am 15. Februar 1808, dem Todestage seines berühmten Großoheims, Gotthold Ephraim Lessing; man gibt als seinen Geburtsort gewöhnlich Polnisch Wartenberg an, die Kreisstadt einer im Regierungsbezirk Breslau liegenden Standesherrschaft. Dahin wurde nämlich sein Vater als Justizrat im Laufe des nämlichen Jahres versetzt. Das Städtchen liegt in einer ebenen, sandigen Gegend. Große, sumpfige Waldungen von Nadelholz, mit riesigen Fichten und Tannen und uralten Eichen dazwischen, ziehen sich bis nahe an das Städtchen heran über die benachbarte polnische Grenze hinüber. Im Hause und unter der steten Aufsicht des Vaters, des höchsten Beamten im Städtchen, eines energischen, strengen, kurzangebundnen, selbst hartnäckigen Mannes, wuchs er mit seinem jüngeren Bruder, der jetzt als Arzt in Sibirien lebt, auf in einfacher, unabänderlicher Hausordnung. Erst im vierten Jahre fing er zu sprechen an und blieb auch immer zurück in Allem, was der Verständigung durch die Sprache bedarf.

Aber desto lebendiger war er in Allem, was durch Anschauung gewonnen wird. Der vorherrschende Anschauungstrieb in dem Knaben wurde, wie er selbst wohl die Veranlassung seiner Sprachuntätigkeit war, durch diese stumme Einsamkeit ungewöhnlich schnell entwickelt, und zugleich mit dem Sprechen stellte sich auch das Verlangen ein, seine Anschauungen dem Auge darzustellen. Da die Knaben sich viel in Feld und Wald umhertrieben, bildete sich schon im zartesten Alter in beiden die Neigung zu ihrem späteren Berufe aus: der eine wurde ein tüchtiger Botaniker, der andere gewann in dem innigen Umgange mit der Natur das scharfe Auge für die kleinsten Charaktermerkmale in den Naturgegenständen. Sie sammelten zum Zeitvertreibe Pflanzen, wozu der Vater sie selbst, ohne es eigentlich zu wollen, angetrieben hatte, und wandten ihre Teilnahme auch den andern Erzeugnissen der Natur zu. Dabei war die ganze Erziehung durchaus auf Abhärtung und regelmäßige Tätigkeit gerichtet; der einsichtsvolle, kräftige Vater hielt jedoch hier die rechte Mittelstrasse; den Morgen, die wahre Zeit des Schaffens, mussten die Knaben in beaufsichtigter Tätigkeit hinbringen; Nachmittags konnten sie frei umherstreifen und sich ihrer Jugendkraft in Spielen und Spaziergängen mit andern Knaben bewusst werden. Der Unterricht wurde teils von Privatlehrern, teils vom Vater selbst geleitet und bestand nach damaliger löblicher Sitte in nicht viel mehr, als der mechanischen Erlernung der Sprachen, besonders der toten. Zu diesem mangelhaften Unterrichte kam die Heftigkeit und Ungeduld, die Vätern ihren Kindern gegenüber so oft eigen ist. Kein Wunder also, dass der junge Lessing sich und dem Vater viel Verdruss machte und durchaus nicht ins Heiligtum der Sprache einzudringen vermochte und Lust hatte. Mit innerem Widerwillen ging er an seine Lektion; vom Zeichnen dagegen war er nicht durch Hunger, nicht durch irgend ein Vergnügen abzubringen, und schon im ersten Knabenalter zeigten sich Spuren einer selbstständigen Darstellungskraft: denn nicht selten fand der Vater zu seiner Freude in der Kopie ein verbessertes Original wieder. Dies war aber kein Wunder; denn der Knabe bewies auch schon eine Selbstbeherrschung, eine Charakterfestigkeit, wie man sie nur bei ganz ausgezeichneten Naturen findet. Sein Vater bezeugt dies in einem schönen Worte: „Ich habe nie,“ sagt er, „mit Erscheinungen von Jugendfehlern oder Ausgelassenheiten irgend einer Art an ihm zu kämpfen gehabt, nie hat er mir eine andre kummervolle Stunde im Leben gemacht, als die der Trennung von ihm.“ Ein herrliches Zeugnis für den Menschen Lessing, sowie für den Künstler; denn was seinen Charakter ziert, ist auch der schönste Schmuck seiner Werke. So war denn die erste Erziehung des Knaben eine höchst angemessene, seine Eigentümlichkeit schnell reifende. Möchte man eine Schattenseite auffinden oder vielmehr eine abstoßende Eigentümlichkeit, so liegt sie in dem Scheuen, Zurückhaltenden, selbst Schroffen, zu der die Strenge und Heftigkeit des Vaters sein innerliches Wesen, seinen Hang zum sich Versenken steigerte. Er ist noch jetzt im reifen Mannesalter derselbe scheue, fremde, abstoßende Einsiedler, wie er sich als Knabe oft beim Auffahren des Vaters über seine Passivität mit einem gewissen Trotz und Selbstbewusstsein in sich zurückzog. Wer aber das Glück gehabt hat, in näheren Umgang mit ihm zu kommen, weiß wohl, wie das nur äußere Rinde ist und seinem liebenswürdigen Gemüte keinen Eintrag tut. Vom zwölften Jahre an lebten die beiden Lessing bei einem Oheim in Breslau, um den Unterricht des dortigen Gymnasiums zu gemessen. Auch dieser war voll Eifers zu den Naturwissenschaften, ja sogar selbst ein ausgezeichneter Naturforscher, und seine reichhaltigen Pflanzen- und Mineralien Sammlungen gaben dem Eifer des Knaben mannigfaltige, frische Nahrung. Besonders wandte sich unter des Oheims fördernder Leitung seine Liebe dem Mineralreiche zu. Die festen, starren und doch so mannigfaltigen Formen, die er hier fand, ganz entsprechend seinem eignen inneren Wesen, reizten seinen Anschauungstrieb und prägten sich ihm so tief ein, dass er sie mit der größten Sicherheit wiedergeben konnte. Wie sehr dieses auf den Landschafter Lessing einwirkte, wird Jeder, der seine Landschaften kennt, zugeben müssen, und zugleich überzeugt sein, dass nicht sklavisches Kopieren und Skizzieren der Natur, sondern im Gegenteil die freieste Herrschaft über den Gegenstand, das vollkommenste Vertieftsein in denselben, seine Hand und seinen Pinsel leiten. Die Übungen im Zeichnen wurden in Breslau unter Königs Leitung zwar fortgesetzt, aber noch immer zu den Nebenbeschäftigungen gerechnet, obgleich sein Talent deutlich genug hervortrat. Doch rückte die Zeit heran, wo ein Beruf gewählt werden musste. Erinnre man sich, dass zu jener Zeit, um das Jahr 1822, nur ganz große Talente in der Malerei eine sichere Grundlage fürs Leben finden konnten, und bedenke, dass das scheue, unbeholfene, wortkarge Wesen des Knaben, verbunden mit seinen geringen Fortschritten in der Schule, dem mitteilsamen, gewandten Vater Zweifel einflößen mussten über die geistige Befähigung des Sohnes, so wird man es natürlich finden, dass er ihn einem Fache bestimmte, in welchem sein Zeichentalent nützlich werden und er etwas Tüchtiges leisten konnte, ohne gerade geistig besonders befähigt zu sein. Unser Lessing sollte Baumeister werden und der Vater brachte ihn zu diesem Zwecke selbst nach Berlin, wo Schinkel ihn in seinem Vorhaben bestärkte. Befreit von dem ihm lästigen Gymnasialunterrichte konnte er, wenn auch mit manchem andren, weniger zusagenden Fachunterrichte behelligt, doch mit größerem Erfolge und unter entschiednerer Leitung seinem Lieblingsfache obliegen. Der bekannte Landschaftsmaler Rösel wies ihn zur Landschaft, und eine Reise nach der Insel Rügen war, seiner eignen Aussage zufolge, besonders fördernd. Der Anblick der wunderbaren Natur und des noch von der neueren Kultur unberührten Insellebens sagte seiner innersten Natur besonders zu und entschied seine Richtung auf die romantische Landschaft, in der er, unsrer Meinung nach, fast noch mehr und noch einziger hervorragt, als in der geschichtlichen Romantik. Mit Leidenschaft ergab er sich nun dem Studium der Natur, und vergaß darüber Zeit und andre Pflichten. Oft ängstigte er durch tagelanges Ausbleiben die besorgte Großmutter, bei der er wohnte, und setzte, da er auch mit Leidenschaft die Anatomie praktisch trieb, die Frau, die einen Abscheu vor allem Toten hatte, durch anatomische Präparate in Schrecken. Dadurch wurde das Verhältnis im Hause ein sehr peinliches. Aber auch mit dem Vater drohte bald ein arges Zerwürfnis, da der sich fühlende Knabe, des gelehrten Treibens in der Bauschule satt und noch mehr erbittert durch die Schande, in einem allzufrüh durch den hastigen Vater herbeigeführten Examen durchgefallen zu sein, dem Vater aufs Entschiedenste erklärte, er sei entschlossen Maler zu werden. Der Vater ahnte nicht, was in der Seele des Sohnes vorging; mit Spott glaubte er die Sache abwenden zu können. Dadurch aufs Äußerste gebracht, trat Lessing, ohne die Zustimmung desselben nochmals zu verlangen, aus der Bauschule und zeigte es dem Vater mit kurzen Worten an. Aber der Kampf mit dem gewohnten Gehorsam, seine pantheistische Lebensansicht, die den persönlichen Gott mit der Natur identifizierte, und die gesteigerte Einsamkeit, die ihn von jeder erheiternden und zerstreuenden Gemeinsamkeit ausschloss, erzeugten in ihm die Schwermut, die gerade aus seinen ersten Werken so wunderbar ergreifend hervorklingt. Bei ernsten Gemütern, die sittliche Reinheit schmückt, wird man, wenn sie von ähnlichen religiösen Ansichten ergriffen werden, immer eine schwermütige Durchgangsperiode finden. Lessings erstes Bild war der „verfallene Kirchhof,“ in dem der große Leichenstein im Vordergrunde die einzige Staffage bildet. Das ist mehr als Landschaft, das ist Menschenstimmung, verkörpertes Gemütsleben! Wie wunderbar drückt dieses Erstlingsbild die Gewitterschwüle und das nächtliche Dunkel aus, die in jener Zeit des Kampfes in seinem Gemüte herrschten. Dies Bild machte auf der Ausstellung von 1826 Aufsehen und wurde sogleich um den doppelten Preis angekauft. Der vortreffliche Vater hatte unterdessen bei der entschiednen Erklärung des Sohnes seinen Plan aufgegeben und war selbst nach Berlin gekommen, um ihm die Einstimmung zu bringen und die Verhältnisse zu ordnen. Das Bild machte auch auf ihn Eindruck und mochte wohl beitragen, sich seines Entschlusses zu freuen. Für das Fortkommen des Sohnes brauchte er jedoch nicht weiter zu sorgen. Lessing wurde mit Professor Schadow bekannt durch dessen Schüler, Carlsohn. Einige Kopien, die er ihm zu seiner Zufriedenheit lieferte, verschafften ihm seine Gunst, und da er gerade jetzt, 1827, als Direktor der neuen Akademie, mit seinen Schülern nach Düsseldorf zog, siedelte Lessing mit ihnen über, und fand hier, man kann es mit Recht sagen, seine eigentliche Kunstheimat. Seine äußeren Verhältnisse gestalteten sich hier auf das Angenehmste; ältere und jüngere Künstler strebten nach seinem Umgange, und er war, wenn auch in seiner Weise still, einsilbig, scheinbar abstoßend, doch der teilnehmendste, gefälligste Mann, und Jeder, der ihm näher trat, musste ihn lieben. Sein Charakter, um den Menschen zuerst zu schildern, sein so früh entwickelter, edler Charakter blieb sich unter allen Umständen treu. Ehrlich und offen, nie, auch mit keiner Miene, schmeichelnd oder aus Höflichkeit unwahr — was man in unsrer sonderbar gearteten, sogenannten guten Gesellschaft so selten findet — die Unabhängigkeit über Alles liebend und den Menschen nur nach seinem inneren Werte wägend, klar in Ansichten und Gefühlen; in Gedanken, Wort und Tat ein edler Mensch, so war er als zarter Jüngling, so ist er als erfahrener Mann. Stolz — nein, das ist Lessing nicht; aber voll gerechten Selbstvertrauens und gegen das Mittelmäßige oder Gemeine, unter welcher Form und in welchem Stande es ihm auch erscheine, verschlossen und abstoßend, ein echter Diamant; dessen Werke — was man nicht immer bei großen Künstlern findet — nicht den Menschen verdunkeln, sondern nur, wie eine edle Folie den Diamanten umgeben, nicht die Ergebnisse hellerer Momente, sondern eines immer gleich hell und rein lodernden Feuers sind. Diese vollkommene Harmonie verklärt den Menschen, wie seine Werke; sie ist der unendliche Zauber, der uns an seine Bilder fesselt, sie ist das geheimnisvolle Band, das uns an seine Persönlichkeit knüpft und nicht wieder loslässt. Wie im Charakter, so bleibt er auch in der Lebensweise sich gleich. Seit seiner Verheiratung ist er wohl fürs Allgemeine geselliger geworden, aber das einfache Leben der Jugend liebt er noch immer. Im Atelier, auf der Jagd oder im häuslichen Kreise ist er ganz er selbst, und lässt sich durch die hohe Stellung, die er als Lehrer und Vorbild, als Kunstheros einnimmt, in seiner Bequemlichkeit nicht stören. Er möge uns diese Zeilen verzeihen, die wir als einen Tribut dankbarer Anerkennung nicht unterdrücken konnten.

Von Lessing, als Künstler, müssten wir sehr viel oder gar nichts sagen. Fast jedes seiner Bilder ist Epoche machend und verdient eine ausführlichere Besprechung, als uns gestattet ist. Dagegen ist aber auch jedes schon an andren Orten so ausführlich besprochen und zergliedert worden, dass es kaum noch eines Wortes weiter bedürfte. Wir wollen daher nur bei einigen Werken der jüngsten Periode kurz verweilen. Zur Historie veranlasste ihn Schadow, und er bereitete sich zu dieser neuen Richtung durch sein eignes lebensgroßes Portrait, das er seinem Onkel schenkte. Von da an komponierte und malte er Historie und Landschaft abwechselnd mit gleich bedeutendem Erfolge. So eigentümlich wie in der Landschaft, ist er in den historischen Kompositionen. Er liebt nicht durch ein Gewühl von Gestalten zu imponieren; auch hier zeigt sich seine energische Gedrungenheit: wenige Gestalten sind ihm am liebsten; aber in ihnen entwickelt sich so mächtig, so siegreich der Charakter der Handlung, dass der entschiedenste Eindruck auf den Beschauer nie verfehlt wird. Dies zeigte er in seinem ersten historischen Bilde, der „Schlacht von Ikonium,“ die er im Hause Heldorf, dem Rittersitze des Grafen von Spee bei Kaiserswerth al fresco malte. Sie gehört zu einer Reihe von Darstellungen, welche das Leben Barbarossas verherrlichen. Wenige Figuren sind es nur, aber sie wirken, wie das ganze Getümmel einer Schlacht, und verherrlichen die Heldengröße und den Kriegermut jener begeisterten Periode deutscher Geschichte. Den Übergang zum Historisch-gegebenen machte er durch Darstellungen mittelalterlicher Sagen. In ihnen ist die Frucht des Eindrucks niedergelegt, den der herrliche Rhein mit seinen Burgen und Schlössern, mit seiner ganzen mittelalterlichen Staffage auf den tiefsinnigen Jüngling machte. Uhlands einzige Ballade: „Das Schloss am Meere,“ begeisterte ihn zu der unvergleichlich schönen „Mondlandschaft'„ und dem „trauernden Königspaare,“ einem Bilde, das in dem Düsseldorfer Kunstleben eine wichtige Epoche hervorrief und gleichsam typisch für eine Gattung von romantischen Bildern wurde, die nach und nach ins Sentimentale, Klägliche abfielen. In den beiden lebensgroßen Figuren liegt eine so meisterhafte Charakteristik und der Eindruck ist ein so überwältigender, dass man den 22jährigen Jüngling, der Solches schaffen konnte, in der Tat bewundern muss. Und diese reife Charakteristik tritt auch aus jener Landschaft hervor, und ist in den späteren Werken beider Gattungen nur noch mannigfaltiger geworden. Ohne Spur eines menschlichen Wesens weiß er seinen Landschaften gleichsam eine Geschichte, ein historisch-romantisches Gepräge zu geben.

Wir wollen zur leichteren Übersicht, beide Gattungen, Landschaft und historische Komposition zusammenordnen. Die Übersicht seiner Landschaften fällt uns um so leichter, da wir im Jahre 1838, kurz nach der großen Ausstellung, in einer kleinen, höchst interessanten, sämmtliche Landschaftbilder Lessings, die im Besitze einzelner Frankfurter sind, — es waren deren neun, — vergleichen konnten. Zwei derselben gehörten noch der schwermütigen Zweifelperiode an, die „Räuber“ und das „zerfallene Schloss.“ Erstere darf nicht verwechselt werden mit dem Bilde „der Räuber,“ das wie ein Nachklang des trauernden Königspaares aussieht. Alles ist in diesen Landschaften zusammengedrängt, was den Menschen an die Vernichtung des Irdischen erinnert. Und doch drückt sich in ihnen, wie auch in den „Felsen“ dem „Raubnest“ (welches das Städel'sche Kunstinstitut besitzt) und in mehreren andern, nach einer andern Richtung hin, die schwermütige Stimmung des Jünglings aus, wie in dem oben erwähnten „verfallenen Kirchhuf,“ an den sich die „Mondscheinlandschaft,“ und besonders der ,,Klosterkirchhof“ anschließen. In diesen treibt ihn die Schwermut die dunkle Seite des Lebens hervorzuheben. Grab und Tod, die Vernichtung des schönen Lebens, treten in den Vordergrund, und in der dunkelsten Gestalt, da er ja keine persönliche Fortdauer hoffen kann. Wie die Schneedecke schwer auf allen Gegenständen ruht und die Natur in den immergrünen Fichten gleichsam erdrückt, so ruht Zweifel schwer auf seinem Gemüte und verdrängt die Heiterkeit des Lebens. In den andern Landschaften ist es die riesige Kraft der Natur, der der Mensch trotzt. Er rafft sich auf aus dem Zweifel und stürzt hinaus, und je wilder die Natur wird, desto kühner stürmt er vorwärts, belauscht sie in ihren Tiefen und raubt ihr ihre wildesten Reize. In den späteren Landschaften wird er wärmer, erquickender. Die Landschaft mit dem ,,Kloster“ hoch oben, aus dem ein Priester das Viaticum einem Sterbenden ins Tal hinabbringt, ist mild, versöhnend. Die Harmonie zwischen dem Geistigen des Bildes und der äußeren Natur, wie des Priesters Haupt von einem Strahle der Morgensonne getroffen wird, während den Sterbenden unten im Thale noch kalte Finsternis deckt, ist erhabene Poesie. Ein wahrhaft idealischer Reiz ist über die ,,Abendlandschaft“ ausgegossen, und wieder ist es hier die Übereinstimmung des Äußeren mit dem Innern, was die poetische Vollendung bewirkt. Die Kirche im Mittelgrunde, hervorragend hinter einem anmutigen, bewaldeten Hügel, im klaren Schimmer der Abendsonne, während die ganze weite Ebene in verklärtem Dufte schwimmt und von dem dunkelrot aufgehenden Vollmonde neue, sanftere Beleuchtung erwartet. Es ist eine so reine, frische Stimmung in dem Bilde, dass man unbewusst diesen feierlichen Moment in dem Leben der Natur mitempfindet; man wandelt mit dem ernsten, geistlichen Paar, das seine Schritte nach dem Dörfchen lenkt, still um den Hügel herum nach der Ebene, und das Auge schweift hin über den Fluss nach den Bergen, die in sanftem Dämmerglanze herüberschauen; und sowie sich der Blick immer weiter verliert in den Stromwindungen, die aus der in Duft gefüllten Ferne aufblitzen, so versenkt sich das Gemüt in Wünsche und Hoffnungen der Zukunft und lehnt sich sehnsuchtsvoll an die einzelnen Lichtpunkte, die aus dem Dunkel hervortreten, und erbaut sich in der Phantasie ein Leben voll Wonne und Befriedigung. Das Sonnengold, das um die Berge und um den Kirchturm herum spielt und zittert, ist wie der letzte Blick, den das Auge tränend dem vergangenen schönen Tage nachsendet; und schon naht still, geheimnisvoll der sanftere Freund, der mit seinen weichen Schatten das Herz einlädt auszuruhen von dem Toben der Freude und des Schmerzes. So könnte man lausend Gedanken aus diesem Bilde wecken; und wenn sie auch nicht in der Idee des Künstlers beim Erschaffen lagen, so ist es immer ein Beweis, wie seine Schöpfung das ganze Gemüt ergreift und der Phantasie die goldnen Thore zum Reich der Träume öffnet. In diesem und den späteren Landschaftsbildern hat Lessing in Allem, was zur Ausführung der Idee gerechnet werden kann, die Meisterschaft errungen. Zeichnung, Gruppierung, Grund, Luftperspektive, Harmonie des Kolorits, Alles vereinigt sich, um die Idee schön und wahr darzustellen.

Die „Landschaft im Charakter des Nahethales“ (im Besitze des Herrn von Saint-George in Frankfurt) müssen wir ganz besonders in jeder Beziehung vollendet nennen. Mag das nun individuelles Gefühl sein, wie sich denn bei solchen Meisterwerken schwer eine Wahl treffen lässt, da oft nur die augenblickliche, also wechselnde Seelenstimmung den Ausschlag gibt; es liegt in diesem Bilde ein unaussprechlicher Zauber, eine Wahrheit und Lebendigkeit, die überraschend sind. Es erinnert hier gar nichts an das Künstliche, die Komposition, es ist täuschende Natur. Und mit wie wenig Mitteln ist diese Wirkung hervorgebracht. Ein trüber Regenhimmel, Berg und Tal feucht von dem eben vorübergezogenen Regen, der ganze Hintergrund noch eingehüllt in Regenschauer, und die ganze Wirkung konzentriert in dem Lichtglanze, der sich von der Sonne beleuchteten Wolke auf dem feuchten Grün und in dem Wasserspiegel reflektiert. Es ist Alles so frisch und lebendig, und man fühlt sich getrieben, nun der Regen vorüber ist, hinauszuwandeln in die erfrischte Natur und den würzigen Duft einzuatmen aus Wald und Flur und Blumen. Und so wie die Idee zart und duftig ist, so finden wir eine wunderbare Feinheit der Farben und Töne und eine noch größere Weichheit und Abrundung als in der Abendlandschaft. Später wandte sich Lessing zur Darstellung des Waldcharakters. Hier kennen wir zwei Landschaften; die eine im Besitz des Städel'schen Kunstinstitutes: „die Mittagsrast,“ ein Ritter mit seinem Rosse ruhend an schattiger Waldkapelle, die Natur kaum atmend in der Julimittagshitze; die andere, für Herrn John in Frankfurt gemalt, einen kunstliebenden Privaten, der eine ausgewählte Sammlung neuerer Gemälde besitzt: „der Wald,“ ein kühnes, gewaltiges Bild, das wir in seiner Art der Hussitenpredigt an die Seite stellen können. Eine Ureiche bildet den Hauptpunkt und wohl auch das Hauptmotiv des Bildes. Das riesige, allem Sturm und Wetter trotzende Leben der Eiche darzustellen, war wohl des Künstlers Absicht, und sie lebt vor unsern Augen, wir sehen, wie sie mit Riesenkraft durch Felsen hindurch tief in den Boden sich klammert und stolz ihr Haupt dem Lichte entgegenstreckt. Es ist, als sähen wir den Geist des Baumes vor uns und müssten uns beugen vor seiner gewaltigen Kraft. Die Idee, in der herrlichen Eiche ein Muttergottesbild anzubringen, ist vortrefflich; es ist ja der Geist Gottes, der aus dem Baume mächtig spricht; wer auch die Betenden, die vor demselben knien, ritterliche Gestalten, sein mögen — wir sehen darin den Menschen, Gott anbetend in der Natur. Es ist wohl selten ein Baum so großartig und wahr aufgefasst worden. Leider sind uns in den letzten Jahren, im Landschaftlichen, nur wenig neuere Gemälde von Lessing zu Gesichte gekommen; seine Kraft hat sich vorzugsweise der Ausführung großer, historischer Kompositionen zugewendet, und wir werden in dieser Richtung noch auf Ausgezeichnetes der letzten Jahre kommen. Vorher seien uns noch einige allgemeine Bemerkungen erlaubt. Wenn es der hohe Beruf der Kunst im Allgemeinen ist, das Schöne, Ideale in die Wirklichkeit des äußeren Seins herüberzutragen: wenn also die sogenannten bildenden Künste, Malerei, Skulptur, Architektur, die Urformen des Ideals, sei es aus dem Geiste oder aus der Natur, in den Verhältnissen des Lichtes und Raumes zur Erscheinung hervorzurufen bestimmt sind: so gibt sich von selbst der Standpunkt, von dem aus der Künstler in seinen Werken beurteilt zu werden verdient, in wie fern es ihm nämlich gelingt, das Ideal in irgend einer bestimmten Richtung zur Anschauung zu bringen. Lessings Genie bewegt sich durchaus in dem Gebiete der kräftigsten, reinsten Romantik, deren Kern und Wesen durch eine starke, männliche Sehnsucht sich kund gibt. Ungetrübt und in unbeschreiblich mächtigem Reiz tritt dieser Charakter hervor in seinen Landschaftskompositionen; wir möchten behaupten, dass überhaupt die Landschaftsmalerei das beste Feld der Romantik darbiete und diese in ihr am herrlichsten sich entfalte. Die geschaffene, komponierte, nicht kopierte Landschaft — nur diese haben wir im Auge — durchweht eigentümlich ein Sehnen des Geistes nach seiner Freiheit, seinem Ideale, während die historische Malerei in der weitesten Ausdehnung ihres Begriffes bis zur heiligen die Freiheit des Geistes selbst zu verkörpern sich bemüht, indem sie die Tat von der Seite auffasst, wo sich das Ideal am stärksten, wie in einem Brennpunkte, konzentriert. Daraus erklärt sich wohl die wehmütige, weiche Stimmung, die uns meist bei den herrlichsten Landschaften befällt, eine Wehmut, wie beim Erwachen aus einem Traume, der uns in eine paradiesische Gegend zauberte. Die Gefühle werden angeregt, und in dem Augenblicke, wo wir genießen wollen, fühlen wir die Unmöglichkeit voller Befriedigung. Dadurch, dass sich in dem historischen Bilde die Tat in einer bestimmten Gestalt verkörpert, erhält dieselbe etwas in sich Abgeschlosseneres, während bei der Landschaft immer noch etwas Unerfülltes bleibt, das sich der Darstellung entzieht und in dem Beschauer die Sehnsucht erweckt. Daher verlangt die Historienmalerei die größte Einfachheit; der Ausdruck, als der unmittelbare Träger des Geistes, muss über Alles andere herrschen; er muss den Punkt im Bilde einnehmen, von dem alles Nebenwerk erst seine Bedeutung, sein Licht erhält, und nichts Andres darf die Aufmerksamkeit des Beschauers in dem Grade fesseln, dass die Einheit und somit die Stärke des Eindrucks gestört werde. In der Landschaft dagegen nehmen uns, bei aller Verteilung des Lichtes und der Schatten, bei aller besonderen Markierung der Gegenstände, doch immer alle Einzelheiten in Anspruch, und eine Landschaft wird erst dann einen harmonischen, wohltuenden Eindruck machen, wenn wir alle ihre Teile mit Wohlgefallen betrachten und in eine solche Täuschung versetzt werden, dass wir selbst in der Natur, und zwar in ihrer vergeistigten, idealen Form herumwandelnd, uns in ihre Reize versenken können. In dem historischen Bilde entwickelt sich an dem Ausdruck, der Form, Gruppierung, die Idee des Geistes, der die Tat hervorruft, und wir fühlen uns erhoben, gestärkt, beruhigt, wenn wir die Idee erfassen können. In der Landschaft saugt sich das Gefühl an jedem Blättchen fest, und wird nur dann von dem Bilde befriedigt, wenn die Stimmung des Gemütes, die das Ganze hervorruft, bei allen einzelnen Teilen harmonisch fortklingt; es bemächtigt sich dann seiner eine Sehnsucht, ein Drang, den Geist ganz zu erfassen, der ihn aus der Natur anweht, und seine Phantasie lässt ihn den Zauber des Ideals in der Natur fühlen. Es gibt wohl jetzt keinen Maler, dem es in höherem Grade, wie Lessing, gelungen ist, diese vollkommene Befriedigung in seinen Landschaften zu geben; weniger kann dies von seinen historischen Bildern gesagt werden, wo seine fast zu selbstständige Natur sich dem geschichtlich Gegebenen zu wenig anbequemt und namentlich jede Hilfe des Porträts verschmäht.

Daraus mag sich erklären, warum ihm manche den eignen Sinn und Beruf zur Historie abgesprochen und ihn auch hier in die Romantik verwiesen haben. Wir können, besonders seit sein Huss erschienen, diese Ansicht nicht mehr teilen, wenn wir gleich zugeben wollen, dass er auch hier einen ganz eignen Weg wandelt. Er sucht mehr den allgemeinen Charakter einer Zeit aufzufassen, als die einzelnen Momente, seine Bilder sind mehr psychologisch, als tatsächlich. Ob das nun ein Abweg sei, kann noch sehr bestritten werden; gewiss aber ist er ein ungleich schwierigerer Weg und die Aufgabe unendlich höher, als sie sich manche andren Historienmaler stellen, die sich nicht nur in Kostüme, — dies tut auch Lessing, so weit es sich mit seinem Schönheitsgefühle verträgt — sondern auch in Physiognomien und Wahl der Personen streng an das Gegebene, so weit dies reicht, zu halten bemüht sind. Übrigens ist auch die eigentliche Periode Lessings in dieser Richtung erst jetzt gekommen, und wir sind überzeugt, dass er durch außerordentliche Werke seine Gegner zum Schweigen bringen wird. Sprechen wir nur von dem, was er bis jetzt vollendet hat. Wir haben hier, wenn wir die oben als Übergangsbilder bezeichneten romantischen Darstellungen bei Seite lassen, die durch das „trauernde Königspaar“ hervorgerufen wurden, (z.B. „der Räuber und sein Sohn,“ „Lenore;“) die „Schlacht von Ikonium,“ die „Hussitenpredigt,“ „Ezzelino,“ „Friedrich Barbarossa,“ die „Gefangennehmung des Papstes Paschalis II.“ und ,,Huss in Constanz“ zu nennen. Von dem Freskobilde, die „Schlacht von Ikonium“ haben wir oben schon gesprochen. „Ezzelino“ schmückt den ersten Jahrgang unsres Salons und hat dort eine Skizze der Begebenheit veranlasst. Seitdem ist dieses vortreffliche Bild auf alle Weisen vervielfältigt und so bekannt geworden, dass es keines Wortes mehr bedarf. Die „Gefangennehmung des Papstes“ besprechen wir als Erläuterung des Stahlstiches, den wir diesmal von Lessing geben. Die „Hussitenpredigt,“ eine der ältesten Kompositionen, hat bei der großen Teilnahme, die man dem Bilde schenkte, auch weite Verbreitung durch den Stich gefunden. Es schmückte die Ausstellung 1833 und kam nebst „Lenore“ in den Besitz des jetzigen Königs von Preußen, Hier sehen wir schon die ganze Eigentümlichkeit Lessings. Der Prediger soll keine der in diesem merkwürdigen Kriege hervorragenden Personen sein, es ist die Personifikation des zu einem gewissen Grade von Fanatismus gesteigerten, todesfreudigen Glaubenseifers. Die reiche Gruppe der im Kreise um den auf erhöhtem Boden stehenden, den Kelch haltenden Prediger gescharten Männer, Frauen und Kinder, teils stehend, teils kniend, drücken alle Grade des Ergriffenseins, der Teilnahme an der Predigt aus, und wie hier die mannigfaltige Geistesschrift in den Gesichtern immer von Neuem reizt, so in dem Kolorit, der Stellung, der Gestaltung, die harmonierende Mannigfaltigkeit. Auch die Wahl des Gegenstandes ist bedeutungsvoll. Das Ringen nach Geistesfreiheit ist das Grundthema, das hier, im „Ezzelino“ und im „Huss“ behandelt wird. In dem protestantischen Elemente lebt er, nicht in dem kirchlich beschränkten, sondern in dem, was auch das Element aller Reformationen in Kirche und Staat ist. Wo immer der Geist sich der äußeren Fesseln zu entschlagen strebt, das weht ihn heimatlich, wie seine eigne innerste Natur, an. Wie meisterhaft stellt er dies in seinem „Ezzelino“ dar und wie ist in diesen drei Figuren so erschöpfend eine psychologische Aufgabe gelöst.

Kommen wir nun auf seinen „Huss in Konstanz,“ sein größtes historisches Bild, das die Städel'sche Galerie besitzt. Es hat die ausführlichste Beurteilung in vielen Blättern und Büchern gefunden. Auch großer Zank hat sich über demselben erhoben; man hat es auf der einen Seite in die kirchliche Polemik hereingezogen, auf der andern benutzt, um zu zeigen, dass Lessing kein Historienmaler sei und der Brüsseler Schule (de Keyser, Gallait, de Bièfve) nicht gleich komme. Ersteres ist eben ein trauriges Zeichen unsrer von Leidenschaften durchwühlten Zeit, von dem immer deutlicher hervortretenden Mangel an Ehrlichkeit und Offenheit. Lessing hat weder die katholische Kirche erniedrigen, noch die protestantische verherrlichen, sondern ein Charakterbild jener merkwürdigen Zeit geben wollen. Auch die letztere Vergleichung mit den Niederländern trifft nicht (vom Technischen ganz abgesehen), nach dem, was wir oben von der besondern Richtung Lessings im Historischen gesagt haben. Nach dieser Richtung hat Lessing nicht eine Konzilsitzung gewählt, nicht den Kaiser Sigismund, nicht den Pfalzgrafen Ludwig, den Beschirmer des Konzils, nicht den Papst Johann XXIII. angebracht (der übrigens schon den 21. März 1415 entfloh und am 29. Mai abgesetzt wurde, worauf vom 29. Mai 1415 bis 11. Nov. 1417 gar kein anerkannter Papst war), auch Hussen's philosophisch-religiöse Gegner, Michael de Causis, Peter d'Ailly, Gerson, fehlen. Huss war nach kurzer Anklage und Vernehmung, bei einem Versuche verkleidet zu entfliehen, schon am 28. Nov. 1414 ergriffen und eingekerkert worden; als der Kaiser am 25. Dez. erschien, nahmen die Papsthändel die Konzilsitzungen in Anspruch, und Huss musste ein halbes Jahr lang schmachten, bis er zur Verteidigung zugelassen wurde. Vom 7. Juni bis zum 6. Juli aber beschäftigte sich das Konzil ausschließlich mit Hussen's Sache, und es lässt sich wohl annehmen, dass der Kaiser meistens den Plenarsitzungen präsidiert habe; namentlich war er bei der Verurteilung zugegen, wo Huss, als die unwahren Beschuldigungen verlesen wurden, trotz des Allen auferlegten Schweigens, die Stimme besonders gegen die Anklage, den Bann des Papstes verachtet zu haben, erhob, und sich auf seine Appellation an den Papst und auf das sichere Geleit Sigismunds berief; der Kaiser, „wiewohl nicht ohne Erröten,“ lies den jesuitischen Grundsatz gelten, den Ketzern brauche man nicht Wort zu halten. Wollte man annehmen, dass Lessing einen einzelnen Moment vor Augen gehabt habe, so müsste man sich ein Privatverhör denken. Jedoch würden dadurch manche andre Fragen noch nicht erledigt, und so wird man immer darauf zurückkommen, dass Lessing eben, unbekümmert um die äußeren Umstände, nur bemüht gewesen sei, den Geist der Zeit darzustellen und zwar, nach unsrer Ansicht vollkommen unparteiisch, wie der grübelnde, hartnäckige Ausdruck in Hussen's Antlitz zur Genüge zeigt, dass er auch ihn nicht habe verherrlichen wollen. Lessing ist durchaus in den Schranken der strengsten inneren Wahrheit geblieben. Wer jenes Konzil kennt mit all seiner Sinnlichkeit und Leidenschaftlichkeit, wird gestehen, dass er noch nicht die schroffste Seite aufgefasst habe. Er hat aber auch — und das ist freilich für den Maler ein noch bindenderes Gesetz — die Grenze des ästhetisch Schönen nicht überschritten. Fast alle Gestalten sind edel, vor allen Huss, die drei Kardinäle, der alte Bischof im violetten (Gewande und der gegenüber sich vorbeugende, aufmerksame jüngere. Hass, Bosheit, Sinnlichkeit, die hier notwendig repräsentiert werden mussten, lassen freilich keine edle Auffassung zu; aber ihre Repräsentanten stören dennoch nicht den würdigen, erhebenden Eindruck des Ganzen. Und mit welcher Feinheit und Meisterschaft ist das Bild gemalt! Welch herrliche Reihe von Charakterköpfen! Jeder könnte fast Stoff zu einer Biographie geben. Es wäre zu wünschen, dass das Bild bald gestochen würde, damit es zu allgemeinerer Teilnahme kommen könnte. Die Frankfurter Galerie ist durch den Besitz desselben um eine Zierde reicher geworden. Ein andres historisches Bild von Lessing mit lebensgroßen Figuren: ,,Kaiser Friedrichs II. Tod,“ das in der Komposition schon seit einem Jahrzehnt vorhanden ist, sollte für den Grafen Raczinski ausgeführt werden. Ob es geschehen sei, wissen wir nicht, kennen auch leider die Komposition nicht. Die Figur „Barbarossas“ ist für die Galerie des Kaisersaales gemalt worden. Barbarossa erscheint weniger als Kaiser. In einfachem Kriegerkleide steht er in freier Landschaft, etwa auf einem Kreuzzuge begriffen. Abgesehen von der meisterhaften Ausführung, macht die einfache Darstellung, gegenüber den vielen Hermelinen, Kronen, Rüstungen, einen beruhigenden Eindruck, wenn man gleich einen solchen hervorragenden Kaiser ein wenig kaiserlicher gewünscht hätte. Dieses Bild Lessings ist in der Sammlung der kolorierten Kaiserbilder, welche die Schmerber'sche Buchhandlung herausgibt, zuerst erschienen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Miniatur Salon 1847-1850
Lessing, Carl Friedrich (1808-1880) Historien- und Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts

Lessing, Carl Friedrich (1808-1880) Historien- und Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts

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