Menschenhandel in Afrika. - Über die Gräuel des Sklavenwesens.

Die Gartenlaube, illustriertes Familienblatt.
Autor: Maltzan, Heinrich Freiherrn von (1826-1874) deutscher Schriftsteller, Orientalist und Forschungsreisender, Erscheinungsjahr: 1873
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Es ist schon viel über die Gräuel des Sklavenwesens, und in neuester Zeit auch über die nicht geringeren Ungeheuerlichkeiten, die beim Fange von Chinesen und Südsee-Insulanern, den sogenannten Kulis, stattfinden, geschrieben worden; aber entsetzlichere Schilderungen, als mir vor Kurzem in einem Briefe des Afrika-Reisenden Dr. Nachtigal von der Art und Weise, wie dieser Handel in der Ostgegend des Tsadsees auftritt, gemacht wurden, habe ich noch nirgends angetroffen. Es ist freilich wenig erquicklich, über solche Nachtseiten der Menschheit zu berichten, indes es könnte doch vielleicht seinen guten Zweck haben, sei es auch nur, um einzelne Zweifler zu bekehren, welche immer noch geneigt sind, die Schilderungen der Gräuel des Sklavenwesens für übertrieben zu halten und die menschenfreundlichen Bestrebungen zur völligen Ausrottung desselben als „sentimental“ zu belächeln.

Um das Sklavenwesen seiner vollen Abscheulichkeit nach zu beurtheilen, muss man es an der Quelle beobachten. Da, wo den Sklaven schon große Länderstrecken von seinem Fangorte trennen, wo er als bereits wohlabgerichteter Arbeiter seinem Herrn einträgliche Dienste leistet, wo er folglich einen verhältnismäßig hohen Werth besitzt, verbietet schon der Eigennutz dem Besitzer, ihn schlecht zu behandeln. Anders ist es an der Quelle, das heißt bei den eben erst eingefangenen Sklaven, die dem Naturzustande nahe stehen und noch nicht gelernt haben, sich ihren Gebietern durch Arbeit nützlich zu machen, also auch nur einen geringen Geldeswert darstellen. Menschenliebe ist bei den meisten Sklavenbesitzern des Teiles von Inner-Afrika, von dem wir hier berichten, ein unbekannter Begriff; und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Sklavenjäger und ersten Ankäufer, welche hier alle Mohamedaner sind, die eingefangenen Neger, die gewöhnlich dem Heidentume angehören, durchaus nicht als Ihresgleichen, so zu sagen gar nicht als Menschen betrachten. Nicht, als ob die mohamedanische Religion an und für sich so unmenschlich wäre. Aber die hiesigen Mohamedaner haben von dieser Religion fast nur das Schlechte angenommen, den Fanatismus gegen Andersgläubige, die sie als tief unter ihnen stehend und schon ihres Glaubens wegen als hassenswert, verdammlich und der grausamsten Behandlung würdig ansehen, und den geistlichen Hochmut, der sie selbst ihrer Meinung nach den Heiden gegenüber fast wie Götter erscheinen lässt.

Im Süden des Landes Baghirmi, in Inner-Afrika, waren, als unser oben genannter Landsmann dasselbe im Sommer 1872 besuchte, eben die großartigsten Sklavenjagden veranstaltet worden, und zwar vom Sultan des erwähnten Landes selbst, welcher, um sich die Mittel zur Ausrüstung eines Kriegsheeres zu verschaffen, einen Raubzug in die an seine Staaten grenzenden Heidenländer unternommen hatte. Der Zweck dieses Raubzuges war ausschließlich der Sklavenfang; denn in diesem Teile von Inner-Afrika sind Sklaven der gangbarste Tauschartikel; sie bilden hier gleichsam die große Münze, gerade wie in Abessinien die Maria-Theresien-Thaler und wie anderwärts die englischen Baumwollstoffe. Man berechnet nämlich daselbst alle Waaren nach ihrem Werte in Sklaven, das heißt in sogenannten mittelguten Sklaven; denn es giebt auch geschätztere, welche so viel wert sind, als zwei mittelgute, und geringer geachtete, die man nur einem „halben“ gleichschätzt. Der übliche Ausdruck lautet „Köpfe“. Alles wird nach „Köpfen“ berechnet. Natürlich ist dabei nur von Menschenköpfen die Rede; denn die Tierköpfe sind, wie wir gleich sehen werden, oft viel mehr wert.

Um ein so ansehnliches Heer auszurüsten, wie es dieser Sultan zur Bekämpfung seines schon etwas zivilisierteren nördlichen Nachbars, des Fürsten von Wadai (dem Lande, in welchem Vogel umkam), der das halbe Baghirmi erobert hatte und über Schießwaffen und Reiterei verfügte, bedurfte, dazu mußte auch er Flinten und Pferde haben, und diese konnte er nur gegen das im Lande übliche baare Geld, das heißt gegen Sklaven, eintauschen. Zur Sklavenjagd in den Heidenländern dagegen brauchte er die zivilisierten Mordwerkzeuge nicht. Diese armen heidnischen Neger sind noch sehr in der Bewaffnung zurück, auch staatlich nicht geeinigt genug, um kräftigen Widerstand zu leisten. Ihrer konnte er leicht Herr werden. Als der Reisende sein Lager besuchte, hatte er denn auch bereits einige Tausend eingefangen und täglich brachten die nie erlahmenden Beutezüge neue Opfer in das Lager.

Die Folge dieses massenhaften Einbringens von Sklaven, verbunden mit den Schwierigkeiten und Kosten ihrer Beförderung nach Bornu, dem nächsten, aber immer noch zwanzig Tagereisen entfernten größeren Sklavenmarkt, bewirkte an Ort und Stelle ein ganz außerordentliches Sinken im Preise der menschlichen Ware. Dagegen stiegen andere Verkaufsgegenstände bedeutend im Werte, namentlich Pferde, Waffen, selbst eiserne Ketten und Halsringe, mit denen man die Sklaven fesselte; denn ihre Heimath war zu nahe und ein Entspringen immer noch möglich. Wir möchten unsern Augen kaum trauen, wenn wir, die wir gewohnt sind, den Menschen als das weitaus wertvollste Glied der Schöpfung und über jeden Geldeswert erhaben anzusehen, eine solche afrikanische Liste von Warenpreisen überblicken, in welcher der „Herr der Schöpfung“ etwa einer alten Ziege oder einem alten abgetragenen Kleidungsstück gleich angeschlagen ist, so daß selbst ein Jagdhund noch höher abgeschätzt wird, ein Pferd aber eine ganze Summe von Menschen aufwiegt. So konnte man zum Beispiel zur Zeit in Baghirmi für ein gutes Pferd von acht bis zu zehn, für ein mittleres fünf, selbst für das schlechteste immer noch drei „Köpfe“ erhalten. Ein Diener unsres Landsmannes vertauschte seinen Dolch gegen eine schöne junge Negerin; eine solche war gesucht und wurde zwei „Köpfen“ gleich gerechnet. Ein anderer erhielt für ein altes Hemd ein Kind. Was ihm freilich der Besitz eines solchen für Vorteil bieten konnte, ist schwer zu sagen; denn die armen Sklavenkinder sterben wie die Fliegen.

Der Sultan besaß der menschlichen Ware so viel, daß er die im Orient üblichen Geschenke, die bei den geringsten Anlässen gemacht und „Bakschisch“ genannt werden (Trinkgelder würden wir sagen) nur noch in Sklaven gab. So erhielt die Gesamtheit einer aus Bornu eingetroffenen Karawane (mit deren Ankunft der Fürst sehr zufrieden war, da sie Waffen und Pferde brachte) ein Empfangsgeschenk von fünfzig „Köpfen“. Dr. Nachtigal selbst, als er von der ersten Audienz beim Sultan nach Hause kam, fand in seiner Wohnung, zu seiner nicht geringen, aber keineswegs angenehmen Überraschung, ein Gnadengeschenk desselben vor, das aus dreizehn „Köpfen“ bestand. Natürlich schickte unser Landsmann das unwillkommene Geschenk zurück. Zu seinem Leidwesen war er jedoch nicht im Stande, zu verhindern, daß seine Diener sich eine Anzahl von Sklaven vom Sultan schenken ließen und behielten. Diese letzteren Neger konnten übrigens noch von Glück sagen, denn sie fielen nun der Fürsorge eines geschickten europäischen Arztes anheim, welcher in den von solchen Massenanhäufungen untrennbaren Krankheiten, die sich bald einstellten, ihrer wartete und manchem das Leben rettete. Viele dieser Unglücklichen waren in ihrer Heimath wohlhabende Leute und Familienväter gewesen, welche Häuser, Felder und Vieh besessen hatten. Ein einziger Tag trennte sie für immer von Frauen und Kindern, von Hab und Gut, und machte sie selbst zu Sklaven, denn daß ein Sklavenjäger so viel Menschlichkeit besäße, wenigstens die Glieder einer und derselben Familie ungetrennt zu lassen, kommt leider nicht vor. Die Gefangenen wurden vielmehr ohne alle Rücksicht auf die Zusammengehörigkeit der Familien einzeln verteilt, verkauft oder auch verschenkt. Ein Vater von elf Kindern vermochte nach langem Suchen nur drei derselben zu entdecken, von diesen eines bereits als Leiche; und doch wusste er, daß alle zu Sklaven gemacht worden waren. Dieser, sowie die große Mehrzahl der Unglücklichen, waren nicht etwa im Kampfe erbeutet, sondern bei ihrer Feldarbeit überrascht worden. Man hatte ganze Dörfer überfallen, ausgeplündert und alle Bewohner, vom Ortsvorstand bis zum geringsten Manne, als Gefangene abgeführt.

Die älteren Leute, welche das Loos ja am allerhärtesten traf (denn zu Hause genossen sie als Familienväter und bejahrte Männer eine bevorzugte Stellung, und jetzt nahmen sie unter den Sklaven den allertiefsten Rang ein, da man nur die jungen schätzt, die betagteren aber fast für unbrauchbar hält), waren störrig und wussten sich durchaus nicht in ihre neue, traurige Lage zu schicken. Da half kein Prügeln. Sie taten doch nicht, was ihre Herren von ihnen verlangten. Auch waren sie nur schwer dazu zu bewegen, die elende Nahrung, welche man ihnen verabreichte, zu sich zu nehmen. Selbst diese Nahrung war ja ihrem geringeren Werte nach zugemessen. Ein junger Sklave, an dessen Erhaltung seinem Herrn mehr lag, erhielt bessere Speise. Ein alter, der eine solche gerade nöthig gehabt hätte, bekam nur Abfälle. So wollte es das Geschäft. Der junge war vielleicht zwei „Köpfe“ wert, der alte kaum einen. Auf Erhaltung einer Ware von geringerem Werte wendet der Geschäftsmann nicht viel. Gefesselt und zwar immer zu zweien aneinandergeknebelt, lagen diese Unglücklichen in den erbärmlichen Hütten auf dem bei der herrschenden Regenzeit zu einem Sumpfe erweichten Boden da.

Etwas besser war es mit den jungen, kräftigen Männern bestellt. Diese wurden vom Sultan ausgesondert und waren bestimmt, ihm später Kriegsdienste zu leisten. Mit ihnen ging der Fürst übrigens sehr sparsam um und verschenke sie nicht. Einstweilen waren zwar auch sie noch gefesselt, da die Nähe ihrer Heimath zu leicht zu Fluchtversuchen verlocken konnte. Aber, wie gesagt, ihre Verpflegung war eine bessere. Für einzelne derselben mochte auch ihr neuer Stand allmählich seine Schrecken zu verlieren anfangen; besonders für die von Haus aus armen; der Kriegerstand, dem sie entgegengingen, ist immerhin ein bevorzugter.

Aber diese jungen, wertvolleren Sklaven bildeten vielleicht nur den vierten Theil der Gesamtmasse. Für die große Menge war die Behandlung eine unmenschliche. Der einzige Gedanke der Unglücklichen war deshalb der an eine mögliche Flucht. Fluchtversuche kamen in der Tat auch oft vor. Die Fälle, in welchen sie gelangen, waren freilich sehr selten. Aber der Umstand, daß dergleichen Fälle sich überhaupt ereigneten, wirkte als ein mächtiger Hebel auf die Masse der unglücklichen Sklaven, ebenfalls Selbstbefreiungsversuche anzustellen. Je öfter solche Unternehmungen vorkamen, desto gereizter wurden auch die Sklavenbesitzer. Schreckliche Strafen trafen diejenigen, welche auf misslungenen Fluchtversuchen ertappt und wieder eingefangen wurden. Man band sie an die Pfähle, prügelte und geißelte sie unmenschlich, ja nicht selten brachte man ihnen auch noch Wunden bei, keine tödlichen, das verbot der Eigennutz des Besitzers der menschlichen Ware, aber solche, welche doch immer schmerzhafte Leiden im Gefolge hatten. Dies geschah zum warnenden Beispiel für die Anderen. Zuletzt besaß man nicht mehr Ketten genug, um alle Gefangenen in Eisen zu legen. Nun mußten Stricke herhalten. Da diese natürlich nicht so fest hielten wie die eisernen Bande, so wurden durch sie die Fluchtversuche wieder erleichtert. Aber die Sklavenbesitzer zeigten sich bald erfinderisch gegen diese neue Möglichkeit eines Warenverlustes. Sie entdeckten eine neue, besonders verwickelte und schwer lösbare Art des Bindens mit Stricken, sodass die Gefangenen sich derselben nur in den allerseltensten Fällen entledigen konnten.

Das Loos der Unglücklichen sollte sich indess noch schlimmer gestalten. Die Raubzüge waren viel ergiebiger an menschlicher Ware, als an Getreide und Vieh gewesen. Die Vorräte an Lebensmitteln fingen an, äußerst knapp zu werden, und die armen Sklaven wurden auf Hungerdiät gesetzt. Eine kraftlose, in Wasser gekochte Mehlsuppe, einmal täglich, war Alles, was sie an Nahrung erhielten. Diese schlechte Kost bei Leuten, welche, aus einem sehr fruchtbaren Lande stammend, an reichliche Nahrung, ja selbst an Fleischgenuss gewöhnt waren, der ungenügende Schutz gegen die Nässe der Regenzeit in den elenden offenen Schuppen, so verschieden von ihren wohl verschließbaren heimatlichen Hütten, der Mangel des gewohnten Feuers, das diese Stämme zur Regenzeit nie ausgehen lassen (um deren gesundheitsschädliche übergroße Feuchtigkeit zu bekämpfen), endlich die massenhafte Anhäufung von Schmutz und Unrat in dem dichtbewohnten Lager, die nach kurzer Zeit eine Verpestung der Luft erzeugte, Alles dies begünstigte das Entstehen einer gefährlichen Seuche, welche bald ausbrach und der Hunderte von Sklaven zum Opfer fielen.

Der Tod wäre eine Erlösung für diese Unglücklichen gewesen. Aber die Liebe zum Leben, welche die meisten Menschen selbst im Elend nicht verlässt und die bei den Negervölkern in vorzüglichem Grade entwickelt ist, machte auch hier ihr Recht geltend. Die Ärmsten, denen das Leben nur Schrecken bot, sahen trotzdem dem Tode mit Grauen entgegen. Mit Schaudern fühlten sie das schleichende, ungreifbare Gespenst in ihre Hütten dringen, sahen zuerst die Kinder und Schwachen ihm zum Opfer fallen, dann selbst die Kräftigen und Starken sich unter seinen Griffen winden. Die allgemeine Niedergeschlagenheit, die schon unter den Unglücklichen herrschte, verwandelte sich beim Fortschreiten der Seuche in dumpfe Verzweiflung. Wehklagen und Wimmern tönten aus jeder Hütte hervor, bald Trauergeheul über die eben Verschiedenen, bald Schmerzensgeschrei der Kranken. Ein grausiges Bild! Bei diesen sonst so lebensvollen und von der Natur mit fast unverwüstlicher Heiterkeit begabten Stämmen macht sich auch der Schmerz, wenn er einmal zum Ausbruch kommt, auf energischere Weise geltend und bringt Szenen von einer Macht der Verzweiflung hervor, wie sie bei uns ruhigeren Europäern fast unbekannt sind.

Nun zeigten sich so recht die Folgen der unmenschlichen Denkungsart, welche dem Sklavenwesen zu Grunde liegt. Die Eigentümer, welche ihre Sklaven nur als Ware betrachteten, suchten lediglich die wertvolleren zu retten. Da diese zugleich die kräftigeren waren, so gelang es nicht selten, ihr Leben zu erhalten. Die Kinder und Schwachen dagegen wurden der Pflege und der besseren Nahrung, bei der sie allenfalls hätten geheilt werden können, nicht für würdig erachtet. War doch ihr Geldeswert ein zu geringer.

„Sie fressen ihren Kopf ab,“ pflegte ein Sklavenbesitzer zu sagen, „und schließlich, wenn man so viel auf ihre Heilung verwendet hat, sterben sie an einem Rückfall, oder rettet man auch Einige, so kommt man beim Verkauf doch nicht wieder auf seine Kosten.“

Als die Seuche immer noch überhand nahm und die Sklaven massenhaft wegstarben, wollte zuletzt Niemand im Lager des Königs von Baghirmi mehr neue erwerben. Wozu auch? Man kaufte ja nur Todeskandidaten. Kauf und Verkauf der menschlichen Ware gerieten ins Stocken. Selbst der erste Minister des Sultans, welcher täglich drei „Köpfe“ für die Mahlzeiten auszugeben pflegte, womit er die Gäste seines Herrn bewirtete, fand am Ende keinen Herdenbesitzer mehr, der ihm für einen Sklaven ein Schaf oder eine Ziege, den zur Zeit in Baghirmi üblichen Preis, verkaufen wollte. Unter solchen Umständen dachte ein großer Theil der Sklavenbesitzer an die schleunige Abreise nach Bornu, wo man voraussichtlich der Seuche entrinnen und zugleich Absatz für die menschliche Ware finden konnte. Eine Karawane kam zu Stande, welcher auch unser Reisender, der es müde war, die Gräuel im Lager mit anzusehen, sich anschloss. Indess, wenn er hoffte, diese Gräuel nun nicht mehr zu sehen, so erfuhr er bald die schmerzlichste Enttäuschung; denn wie schrecklich auch das Loos der gefangenen Neger im Lager gewesen sein mochte, auf der Reise gestaltete es sich noch um Vieles schlimmer. Ja, hier sollte er Zeuge jener im Eingange angedeuteten Grausamkeiten werden, welche Alles überboten, was er und Andere bisher in dieser Art gesehen hatten.

Bei Beschreibung dieser Sklavenkarawane fällt mir immer der Bürger’sche Vers „Die Todten reiten schnell“ ein. In der Tat eine Reise ins Lager des Todes! Eine schnelle Reise! Denn die Knappheit der Lebensmittel, die Notwendigkeit, dem Schauplatze der verheerenden Seuche so eilig wie möglich zu entfliehen, beschleunigte ausnahmsweise diesmal die sonst so langsamen Schritte der von Natur trägen Menschen in kaum glaublicher Weise. Unaufhaltsam drang der schwarze Zug vorwärts, und dies auf einem Erdreiche, das die Regenzeit buchstäblich in einen Sumpf verwandelt hatte. Die armen Sklaven, schlecht genährt und in Folge davon entkräftet, viele auch krank und den Keim der Seuche in sich tragend, waren einem solchen rasenden Vorwärtseilen nicht gewachsen. Aber wehe ihnen, wenn sie ihrer Müdigkeit nachgaben! Mochte die Schwäche ihre Schritte auch hemmen, mochten sie vor Erschöpfung am Wege niedersinken, unerbitterlich wurden sie aufgepeitscht. Weiter, immer weiter! Jeder Schritt vorwärts brachte sie ja dem Markte näher und erhöhte ihren Geldeswert. Sanken viele auch vor Ermattung entseelt darnieder, der Preis der übrigen stieg nur um so mehr.

Man denke nicht, daß alle Sklavenkarawanen dieser gleichen. Dieselbe unterscheidet sich vielmehr wesentlich von den gewöhnlichen, denjenigen zum Beispiel, welche von Bornu und anderen Märkten Innerafrikas sich der mittelmeerischen Küste zu bewegen. Schon der Umstand, daß bei diesen die Heimath der Sklaven schon fern liegt, daß ihr Entfliehen nicht mehr zu befürchten ist, stimmt die Besitzer milder. Die Reise geht in gemäßigterem Schritte vorwärts, mit welchem die Sklaven meist Stand zu halten vermögen. Auch ist die Sklaven-Ware, welche sich bereits in zweiter oder dritter Hand befindet, schon um ein Beträchtliches im Preise gestiegen (der Mensch kann wieder mit dem Pferde im Werte wetteifern); ja, das Gelingen der Reise stellt eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Preises in Aussicht. Was Wunder also, daß man einen Handelsgegenstand, der so viel Vorteil verspricht, mit größerer Schonung behandelt! Freilich bietet sich auf diesen Reisen ein anderes Hindernis und für die Sklaven eine neue Gefahr; denn hier hat man ganze Strecken wasserloser Wüsten zu durchwandern. Man führt zwar Wasser in Menge mit sich; aber oft trocknet es der heiße Wüstenwind mitten in den Schläuchen aus. Nicht selten tritt Wassermangel ein, noch ehe man die Hälfte der trockenen Strecke zurückgelegt hat, so daß nach einer drei- oder viertägigen Wüstenfahrt das kostbare Nass nur noch höchst spärlich verteilt wird, nach einer achttägigen aber kaum ein Tropfen den durstigen Kehlen mehr zugewandt werden kann. Und von welchem Durst sind diese gepeinigt! Vom Wüstendurst, dem selbst das in der Fähigkeit, das Wasser lange zu entbehren, Ungewöhnliches leistende Wüstenschiff, das Kamel, nicht selten erliegt, an dem der Mensch aber schon nach kürzester Zeit verschmachtet. Da sinkt denn nicht selten ein Sklave am Wege nieder. Nichts vermag ihn mehr zu beleben als Wasser. Aber es ist nicht mehr genug da, um es an einen Sklaven zu verschwenden; denn den allenfalls noch vorhandenen Rest brauchen die Herren selber. Er bleibt liegen. Niemand kümmert sich um ihn. Der Herr schreibt seinen Tod (dem er doch in den meisten Fällen bald erliegt) ins Verlustbuch. Ein schlechtes Geschäft! Damit ist er vergessen. Seine Gebeine bleicht die Wüstensonne, und nach Jahren bezeichnen sie noch den Weg in dem Wirrwarr des Sandmeeres. Die Knochen der Karawanenopfer sind die sichersten Wegweiser der Wüste. Verschüttet sie auch in einem Jahre der Wüstenwind, ein Sturm deckt sie im andern wieder auf, und ihre Masse ist so groß und auf so weite Strecken verteilt, daß ihrer hier und dort immer genug zu Tage liegen, um als schreckliche Denkzeichen uns die Gefahren der Wüstenreise und die Gräuel des Sklavenwesens zu verkünden.

„Unmenschlich!“ wird der Leser ausrufen. Leider habe ich aber noch viel Unmenschlicheres zu berichten; denn die Gräuel einer Wüstenkarawane sind ein Kinderspiel gegen Das, was unser Gewährsmann in Baghirmi sah. Hier leidet der Sklave zwar nicht vom Durst, eher vom Gegentheil, der Nässe. Das Land, so erschöpft es auch immer sein mag, bietet doch für einen einzelnen Menschen immerhin noch hinreichende Nahrung. Sinkt er am Wege nieder, so braucht er weder zu verdursten, noch zu verhungern. Doch ein viel schlimmerer Feind bedroht ihn, der Mensch. Sein unerbittlicher Herr gestattet nicht, daß die günstigen Bedingungen des Landes dem erschöpften Sklaven zu Gute kommen. Bringt ihn Entkräftung oder Krankheit zu Fall und hilft kein Aufpeitschen mehr, so werden zuerst grausame Drohungen versucht, um ihn zum Aufraffen seiner letzten Kräfte zu zwingen. Man hält ihm ein Schlachtmesser vor die Kehle, ihn mit Töttung bedrohend. Man stachelt ihn auch wohl mit diesem gräulichen Sporne. Manchmal, das heißt, wo noch ein Rest von Kräften vorhanden ist, erreicht man durch dieses grausame Mittel auch wirklich seinen Zweck; denn, wie gesagt, die Neger hängen am Leben, und die Todesdrohung ist selbst den Unglücklichsten unter ihnen noch fürchterlich. Indes oft vermag gar nichts, selbst die grausamste Züchtigung nicht mehr, den bis zum Sterben Erschöpften emporzurütteln. Dann liegt er da, schon halb eine Leiche. Aber in dem von der Ohnmacht umnebelten Hirne mag doch in einem lichten Augenblicke der Blitzstrahl der Freiheitshoffnung aufleuchten. Wie wenn man ihn am Wege liegen ließe, wie es ihm in Bezug auf die Marschunfähigen der Wüstenkarawanen erzählt worden ist? Könnte er in diesem Falle nicht durch Ruhe und Nahrung gesunden und wieder zu Kräften gelangen? Und dann – süßester aller Hoffnungsstrahlen! – die geliebte Heimath ist ja nicht so fern. Welche bittere Enttäuschung wartet des Unglücklichen! Sein Herr weiß sehr gut, welche glückliche Möglichkeit zur Flucht sich dem Erschöpften eröffnet, wenn er ihn am Wege liegen lässt. Indes sein Eigennutz, verbunden mit unmenschlicher Grausamkeit, bestimmt ihn, diese Möglichkeit zu Nichte zu machen. Wohl lässt er ihn am Wege liegen, aber nicht lebend. Kaltblütig zieht er sein Messer aus der Scheide und schlachtet ihn ab, zum grausigwarnenden Beispiele für seine anderen Sklaven, die möglicher Weise ähnliche Hoffnungen fassen und, ohne wirklich bis zum Tode erschöpft zu sein, Marschunfähigkeit heucheln könnten.

Es ist dies vielleicht die schwärzeste Nachtseite, welche jemals an dem dunkeln Bild des afrikanischen Sklavenhandels enthüllt worden ist. Nur in Brasilien und Westindien sollen in früheren Zeiten, wenn man den Berichten einzelner Reisenden Glauben schenken darf, ähnliche Grausamkeiten vorgekommen sein, und zwar wären diese, wie es heißt, von Europäern ausgeübt worden, wie denn der Europäer, wenn er ausartet, oft schlimmer ist, als der barbarischste Wilde. Diesen Europäern (denn sehr viele sogenannte amerikanische Sklavenhändler waren nicht Amerikaner, sondern Europäer) können sich also die Leute von Baghirmi würdig an die Seite stellen. Aber in Afrika selbst ist ein solch unmenschliches Verfahren sonst etwas Unerhörtes. Dr. Nachtigal, der viele Sklavenhändler in Bornu kannte, die gewohnt waren, keineswegs sich durch Menschenliebe auszeichnenden Leuten Staunen und Entrüstung erweckte. Auch sie wollten anfangs nicht an die geschilderten Unmenschlichkeiten glauben. Als aber die Berichte vieler Augenzeugen keinen Zweifel mehr gestatteten, brachen sie in Verwünschungen über die Übeltäter aus. Einer meinte: diese Leute entehrten das Handwerk; man müsste sich ja schämen, Sklavenhändler zu sein, wenn man solche Berufsgenossen sähe.

Sollte, so wird wohl der Leser fragen, denn diesem schändlichen Treiben, wie überhaupt dem ganzen Sklavenwesen nicht ein Ende zu machen sein? England hat ja in neuester Zeit wieder (durch Sir Bartle Frêre’s Mission) Bestrebungen zur Unterdrückung dieses Handels gemacht und sogar vom Sultan zu Zanzibar einen Vertrag erzwungen, wonach der Verkauf von Sklaven an der ostafrikanischen Küste eingestellt werden muss. Sollten die Folgen hiervon sich nicht auch in Inner-Afrika fühlbar machen? Leider können wir auf diese Fragen keine unbedingt tröstliche Antwort geben. Das Sklavenwesen ist eben eine inner-afrikanische Institution geworden. Aber die Unterdrückung des überseeischen Sklavenhandels (denn dieser ist es fast ausschließlich, auf dessen Aufhebung die Bestrebungen Englands bis heute gerichtet waren) hat ohne Zweifel einen großen Fortschritt gemacht, obgleich auch hier noch lange nicht so viel erreicht worden ist, wie uns einige rosig gefärbte Zeitungsberichte glauben machen wollen. (Ich brauche nur daran zu erinnern, daß trotz der schon sehr alten Verträge mit der Türkei, welche allen Sklavenhandel in den Staaten des Sultans verbieten, immer noch Neger in Konstantinopel, Tripolis und andern Städten verkauft, ja sogar, o Ironie! auf englischen Dampfschiffen von Tripolis nach Konstantinopel verschickt werden.) Indes wäre es ungerecht, alle Folgen der Aufhebung des überseeischen Sklavenhandels auf die Verminderung des inner-afrikanischen zu leugnen. In der Nähe der Küsten werden sich diese Folgen recht bald geltend machen. Im Innern langsamer, ja wahrscheinlich anfangs in kaum merklicher Weise, aber doch vielleicht stetig, ausdauernd, wenn nur die Europäer nicht in ihrem Eifer erschlaffen. Einen Strahl der Hoffnung, daß gleichfalls jener Binnenhandel mit Sklaven einmal energisch unterdrückt werden könne, dürfen wir auch in der Aussicht erblicken, daß sich das Innere Afrika’s dem Europäer immer mehr erschließen wird. Sind aber diese Regionen einmal der Wissenschaft und dem Handel erschlossen, dann werden sich auch dort dem die Menschenrechte zur Geltung bringenden Einfluss europäischer Gesittung die Thore öffnen. Es wird freilich ein langsames Werk, ein Werk der Geduld und Aufopferung sein, aber wir brauchen nicht an seinem endlichen Gelingen zu verzweifeln. Unter diesem Werk verstehen wir die Ausrottung des inner-afrikanischen Sklavenhandels und die Abschaffung solcher Gräuel, wie wir sie in obigen Zeilen geschildert haben.