Mecklenburg - Rostock. Verfassung und Verwaltung der Stadt. Die Universität daselbst. Zelebritäten Rostocks. Reichsstädtische Überbleibsel. Soziale Beziehungen.
Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Rostock, Handelstadt, Hansestadt, Hansa, Hanse, Seestadt, Handel, Lübeck, Friedrich Franz I., Erbvergleich, Münzrecht, Bürgerschaft, Gerichtsbarkeit, Flagge, Gerechtsame, freie Stadt, Universität 1419, Herzog Johann III., Herzog Albrecht V., Universität Bützow 1760, Studenten, Professoren, Laurenberg, Ritterakademie, Oluf Gerhard Tychsen, Juden, Wissenschaft, Gelehrsamkei
Rostock ist das Lübeck Mecklenburgs, nicht nur seines gotischen Gesichts wegen, sondern auch hinsichtlich der Freiheiten, die keine andere einem souveränen Fürsten untergebene Stadt genießt. Friedrich Franz war ein gnädiger Herr, er genehmigte den Erbvergleich von 1788, wonach Rostock eine beinahe republikanisch geordnete Verfassung erhielt. Die ganze Administration wurde, in Folge desselben, in die Hände der Bürgerschaft gelegt, eine Einrichtung, die wohl deshalb für ratsam erachtet wurde, weil eine bedeutende Prärogative des Rats weit eher jene Streitigkeiten mit dem Landesherren erneuern konnte, die durch den erwähnten Erbvergleich ein für alle Mal geschlichtet sein sollten. Rostock besitzt demnach eine durchaus von der Regierung unabhängige Gerichtsbarkeit, die aus einem Nieder- und Obergerichte besteht und nur der höchsten Justizinstanz, dem OA-Gericht zu Parchim untertan ist; eine ziemlich ausgedehnte Gesetzgebungs-Gewalt; eine selbstständige Polizei. Ich habe schon bemerkt, dass die innere Verwaltung in die Hände der Bürgerschaft gelegt ist. Diese wird hinsichtlich derselben in keiner Weise von der Regierung beschränkt werden können, selbst in dem Falle nicht, wenn sie Auflagen für die städtischen Bedürfnisse veranstaltet. Endlich hat Rostock das Münzrecht und das Recht einer besonderen Flagge. Diese Gerechtsame haben freilich unter der Regierung des letztverstorbenen Großherzogs nie eine unpatriotische Scheidung Rostocks von dem übrigen Mecklenburg bewirkt, da der bloße Name des Regierenden schon Aller Herzen begeisterte und vereinte, aber im Übrigen steht Rostock denn doch durch dieselben ziemlich isoliert. Man nennt es nebst Wismar, das ähnliche Vorrechte genießt, auch eine freie Stadt, eine Eigenschaft, die übrigens wohl hauptsächlich aus dem Grunde von der Regierung zugegeben wurde, weil eine Konkurrenz mit Lübeck unter anderen Bedingungen kaum einigermaßen festgehalten worden sein würde.
Aber nicht nur in städtischer Hinsicht, sondern auch in landständischer, erfreut sich diese Stadt bedeutender Vorzüge. Sie bildet einen Stand für sich und gehört nur in gewissen Beziehungen der Gesamtheit der Stände an.
Die Rostocker Universität ist im Jahre 1419 von den Herzögen Johann III. und Albrecht V. unter Mitwirkung der Stadt gestiftet und vom Papst Martin V. bestätigt worden. Nicht aus Überfluss wissenschaftlicher Bildung in Mecklenburg, sondern in Folge von Streitigkeiten zwischen dem regierenden Herrn und dem Rate von Rostock entstanden im Jahre 1760 auf einige Zeit zwei Universitäten in Mecklenburg. Die von der Stadt Rostock angestellten Professoren lehrten in Rostock, die von dem Fürsten kreierten in Bützow. Aber man erkannte bald, dass eine Universität für Mecklenburg genüge und kehrte nach Rostock zurück, das seinerseits im Jahre 1827 durch einen Vergleich mit der Regierung auf das Compatronat der Universität verzichtete. Wenn man auf 130 Studenten, die noch dazu alle Landeskinder sind, drei und zwanzig ordentliche Professoren rechnet, so wird man einsehen, dass der Drang nach Wissenschaftlicher Bildung unmöglich so bedeutend in Mecklenburg sein kann, wie der Drang jener Professoren sein muss, diese wissenschaftliche Bildung zu erteilen. 23, sage drei und zwanzig ordentliche Professoren an einer Universität von 130 Studenten sind weit übler daran, als ein Bataillon Offiziere bei einer Kompanie Gemeiner. Die Letzteren fallen doch nur dem Lande zur Last, jene aber fallen sich selbst zur Last; denn der Gehalt wird auch nur ein ordentlicher sein. Gewiss, es ist traurig, dass unsere Gelehrsamkeit einen so beschränkten Wirkungskreis hat; auch unter den Rostocker Professoren sind Leute, die ein besseres Los verdient hätten, als mecklenburgische Landpastoren zu bilden, die hier den Grund zu einer Pfarre legen, wahrend der Adel draußen den Charakter der alten Wandalen nach dem Leben studiert. Aber es ist einmal nicht anders, und die Rostocker Universität gehört auch mit zur Kultur Deutschlands, obwohl Professor Amadäus Huber seine „Mecklenburgischen Blätter“ zum Besten der mecklenburgischen Armen redigieren musste. Das heiße ich doch die Wissenschaft zu einer pauvre honteuse machen, ein Ereignis, das nicht dem Herrn Huber, aber wohl der mecklenburgischen Bildung zur Last gelegt werden kann. Rostock ist die Vaterstadt Laurenbergs, des plattdeutschen und nationalen Satirikers, der Zweifelsohne auch berühmter geworden sein würde, wenn die Dichtkunst und die Satire insonderheit an den deutschen Universitäten so beliebt gewesen wäre, wie die Mathematik, die Laurenberg neben jener lehrte. Auch in Göttingen hütete man sich nach Kästners Tode vor Satirikern, ja selbst vor Dichtern; denn Schlözer hielt von Bürgers Poesie so wenig, dass er nicht umhin konnte, zu fragen, „und auf das Zeug hin will er Professor werden?“ Nichts desto weniger preisen wir unsere Gelehrsamkeit immer in den Tag hinein, obschon sich erweisen ließe, dass wenn wir keine National-Literatur besitzen, sie hauptsachlich daran Schuld ist. Laurenbergs „Veer Schertzgedichte, gedrücket in diesem itzigen Iahr“ beweisen schon durch diese Jahrbezeichnung, dass ihr Verfasser einsah, sie würden noch lange nach seinem Tode anzuwenden sein. Laurenberg wurde ein besseres Los zu Teil, denn als Professor in Rostock zu sterben; er starb 1659 als Professor an der Ritterakademie von Soroe.
Den Zenit des Ruhms erreichte die Rostocker Universität durch Oluf Gerhard Tychsen, den Weber den „eitelsten und undenkendsten Gelehrten“ nennt, wogegen wenig einzuwenden ist. Nur muss man Oluf Gerhard Tychsen wegen dieser Eitelkeit in sofern entschuldigen, als sie doch nicht größer war, als der blinde Glaube der Nation an die Gelehrsamkeit. Wer recht viel wusste, brauchte durchaus nicht zu denken; unsere Gelehrten wurden von jeher nur wegen ihrer Geheimnisse geehrt, nie wegen der Wahrheit der Resultate, die sie aus diesen Geheimnissen zogen. Philosophie des Lebens galt bei uns wenig, Philosophie des Wissens Alles. Tychsen, der als professor orientalium so berühmt war, dass sogar der Sultan von Oude durch das Geschenk eines persischen Wörterbuchs an die Universität zu Rostock sein Andenken ehrte, debütierte als Schriftsteller mit einem englischen Dialog zur Bekehrung der Juden, und schloss seine wissenschaftliche Laufbahn mit der Behauptung: die Zigeuner seien ursprünglich Juden gewesen. Zwischen jener Bekehrung, die übrigens ohne Resultat für das Leben blieb, weshalb wahrscheinlich auch bis auf den heutigen Tag kein Jude zum Domicil in Rostock zugelassen wird, und dieser sehr gewagten Hypothese liegt eine Gelehrsamkeit, die von Christen, Juden, Persern, Türken und Päpsten gefeiert wurde, die aber zu der Kultur Mecklenburgs in gar keinen Beziehungen, zu der Deutschlands nur in den mittelbarsten jenes toten Wissens steht, zu welchem erst spätere Jahrhunderte einen untrüglichen Faden der Ariadne bieten werden, spätere Jahrhunderte, die die Freiheit des Gedankens in Parallele mit der Freiheit des Wissens stellen; denn wir Deutsche wissen noch bis auf den heutigen Tag nicht Gelehrsamkeit und Wissenschaft zu unterscheiden, die Materie und den Geist, den sterblichen Leib und die unsterbliche Seele.
Rostock ist Handelsstadt und hat das Gute, dass man hier fast gar keinen mecklenburgischen Adel antrifft, (ausgenommen am Pfingst- oder Pferdemarkt), sondern nur Kaufleute und viele Hofräte. Wer in Mecklenburg zu gar Nichts nutz ist, kann sich den Titel Hofrat kaufen, eine Charge, die auch mit zu den großherzoglichen Domänen gehört. Der Universität wegen gibt es in Rostock sehr viele Hofräte; denn die verschiedenen Titel der drei und zwanzig ordentlichen Professoren veranlassen eine Rivalität anderer Gelehrten, die keine Universitätsprofessoren sind, namentlich der Advokaten, die in Mecklenburg deshalb für gelehrt gelten, weil sie „schwarz zu weiß“ machen können und „weiß zu schwarz.“ Auch hat sich die Titelsucht hier aus alter reichsstädtischer Bocksbeutelei erhalten; denn wenn auch Rostock nie Reichsstadt war, so hatte es doch alles Zeug dazu: Bürgermeister und Rat, Doktoren der Universität, Jurisprudenz zum Überfluss und stete Streitigkeiten mit der mecklenburgischen Landeshoheit. Außerdem nahm diese Stadt eine bedeutende Stellung in der Hansa ein, die freilich längst Antiquität geworden ist, aber doch Erinnerungen und Selbstbewusstsein hinterlassen hat. Endlich ist der Handel, und zwar der Seehandel, die bewegende Kraft Rostocks, und der Gegensatz der Geldaristokratie zur mecklenburgischen Geburtsaristokratie, auch ein reichsstädtisches Moment, macht sich hier geltend. Es ist aber bekannt, dass die freien Reichsstädte von jeher am meisten dem Titelwesen anhingen, dessen die kleinen Tyrannen am Ende doch bedurften, um sich in Respekt zu halten.
Aber nicht nur in städtischer Hinsicht, sondern auch in landständischer, erfreut sich diese Stadt bedeutender Vorzüge. Sie bildet einen Stand für sich und gehört nur in gewissen Beziehungen der Gesamtheit der Stände an.
Die Rostocker Universität ist im Jahre 1419 von den Herzögen Johann III. und Albrecht V. unter Mitwirkung der Stadt gestiftet und vom Papst Martin V. bestätigt worden. Nicht aus Überfluss wissenschaftlicher Bildung in Mecklenburg, sondern in Folge von Streitigkeiten zwischen dem regierenden Herrn und dem Rate von Rostock entstanden im Jahre 1760 auf einige Zeit zwei Universitäten in Mecklenburg. Die von der Stadt Rostock angestellten Professoren lehrten in Rostock, die von dem Fürsten kreierten in Bützow. Aber man erkannte bald, dass eine Universität für Mecklenburg genüge und kehrte nach Rostock zurück, das seinerseits im Jahre 1827 durch einen Vergleich mit der Regierung auf das Compatronat der Universität verzichtete. Wenn man auf 130 Studenten, die noch dazu alle Landeskinder sind, drei und zwanzig ordentliche Professoren rechnet, so wird man einsehen, dass der Drang nach Wissenschaftlicher Bildung unmöglich so bedeutend in Mecklenburg sein kann, wie der Drang jener Professoren sein muss, diese wissenschaftliche Bildung zu erteilen. 23, sage drei und zwanzig ordentliche Professoren an einer Universität von 130 Studenten sind weit übler daran, als ein Bataillon Offiziere bei einer Kompanie Gemeiner. Die Letzteren fallen doch nur dem Lande zur Last, jene aber fallen sich selbst zur Last; denn der Gehalt wird auch nur ein ordentlicher sein. Gewiss, es ist traurig, dass unsere Gelehrsamkeit einen so beschränkten Wirkungskreis hat; auch unter den Rostocker Professoren sind Leute, die ein besseres Los verdient hätten, als mecklenburgische Landpastoren zu bilden, die hier den Grund zu einer Pfarre legen, wahrend der Adel draußen den Charakter der alten Wandalen nach dem Leben studiert. Aber es ist einmal nicht anders, und die Rostocker Universität gehört auch mit zur Kultur Deutschlands, obwohl Professor Amadäus Huber seine „Mecklenburgischen Blätter“ zum Besten der mecklenburgischen Armen redigieren musste. Das heiße ich doch die Wissenschaft zu einer pauvre honteuse machen, ein Ereignis, das nicht dem Herrn Huber, aber wohl der mecklenburgischen Bildung zur Last gelegt werden kann. Rostock ist die Vaterstadt Laurenbergs, des plattdeutschen und nationalen Satirikers, der Zweifelsohne auch berühmter geworden sein würde, wenn die Dichtkunst und die Satire insonderheit an den deutschen Universitäten so beliebt gewesen wäre, wie die Mathematik, die Laurenberg neben jener lehrte. Auch in Göttingen hütete man sich nach Kästners Tode vor Satirikern, ja selbst vor Dichtern; denn Schlözer hielt von Bürgers Poesie so wenig, dass er nicht umhin konnte, zu fragen, „und auf das Zeug hin will er Professor werden?“ Nichts desto weniger preisen wir unsere Gelehrsamkeit immer in den Tag hinein, obschon sich erweisen ließe, dass wenn wir keine National-Literatur besitzen, sie hauptsachlich daran Schuld ist. Laurenbergs „Veer Schertzgedichte, gedrücket in diesem itzigen Iahr“ beweisen schon durch diese Jahrbezeichnung, dass ihr Verfasser einsah, sie würden noch lange nach seinem Tode anzuwenden sein. Laurenberg wurde ein besseres Los zu Teil, denn als Professor in Rostock zu sterben; er starb 1659 als Professor an der Ritterakademie von Soroe.
Den Zenit des Ruhms erreichte die Rostocker Universität durch Oluf Gerhard Tychsen, den Weber den „eitelsten und undenkendsten Gelehrten“ nennt, wogegen wenig einzuwenden ist. Nur muss man Oluf Gerhard Tychsen wegen dieser Eitelkeit in sofern entschuldigen, als sie doch nicht größer war, als der blinde Glaube der Nation an die Gelehrsamkeit. Wer recht viel wusste, brauchte durchaus nicht zu denken; unsere Gelehrten wurden von jeher nur wegen ihrer Geheimnisse geehrt, nie wegen der Wahrheit der Resultate, die sie aus diesen Geheimnissen zogen. Philosophie des Lebens galt bei uns wenig, Philosophie des Wissens Alles. Tychsen, der als professor orientalium so berühmt war, dass sogar der Sultan von Oude durch das Geschenk eines persischen Wörterbuchs an die Universität zu Rostock sein Andenken ehrte, debütierte als Schriftsteller mit einem englischen Dialog zur Bekehrung der Juden, und schloss seine wissenschaftliche Laufbahn mit der Behauptung: die Zigeuner seien ursprünglich Juden gewesen. Zwischen jener Bekehrung, die übrigens ohne Resultat für das Leben blieb, weshalb wahrscheinlich auch bis auf den heutigen Tag kein Jude zum Domicil in Rostock zugelassen wird, und dieser sehr gewagten Hypothese liegt eine Gelehrsamkeit, die von Christen, Juden, Persern, Türken und Päpsten gefeiert wurde, die aber zu der Kultur Mecklenburgs in gar keinen Beziehungen, zu der Deutschlands nur in den mittelbarsten jenes toten Wissens steht, zu welchem erst spätere Jahrhunderte einen untrüglichen Faden der Ariadne bieten werden, spätere Jahrhunderte, die die Freiheit des Gedankens in Parallele mit der Freiheit des Wissens stellen; denn wir Deutsche wissen noch bis auf den heutigen Tag nicht Gelehrsamkeit und Wissenschaft zu unterscheiden, die Materie und den Geist, den sterblichen Leib und die unsterbliche Seele.
Rostock ist Handelsstadt und hat das Gute, dass man hier fast gar keinen mecklenburgischen Adel antrifft, (ausgenommen am Pfingst- oder Pferdemarkt), sondern nur Kaufleute und viele Hofräte. Wer in Mecklenburg zu gar Nichts nutz ist, kann sich den Titel Hofrat kaufen, eine Charge, die auch mit zu den großherzoglichen Domänen gehört. Der Universität wegen gibt es in Rostock sehr viele Hofräte; denn die verschiedenen Titel der drei und zwanzig ordentlichen Professoren veranlassen eine Rivalität anderer Gelehrten, die keine Universitätsprofessoren sind, namentlich der Advokaten, die in Mecklenburg deshalb für gelehrt gelten, weil sie „schwarz zu weiß“ machen können und „weiß zu schwarz.“ Auch hat sich die Titelsucht hier aus alter reichsstädtischer Bocksbeutelei erhalten; denn wenn auch Rostock nie Reichsstadt war, so hatte es doch alles Zeug dazu: Bürgermeister und Rat, Doktoren der Universität, Jurisprudenz zum Überfluss und stete Streitigkeiten mit der mecklenburgischen Landeshoheit. Außerdem nahm diese Stadt eine bedeutende Stellung in der Hansa ein, die freilich längst Antiquität geworden ist, aber doch Erinnerungen und Selbstbewusstsein hinterlassen hat. Endlich ist der Handel, und zwar der Seehandel, die bewegende Kraft Rostocks, und der Gegensatz der Geldaristokratie zur mecklenburgischen Geburtsaristokratie, auch ein reichsstädtisches Moment, macht sich hier geltend. Es ist aber bekannt, dass die freien Reichsstädte von jeher am meisten dem Titelwesen anhingen, dessen die kleinen Tyrannen am Ende doch bedurften, um sich in Respekt zu halten.